Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Zum zweiten Feiertag hatten Holms eingeladen. Glauberg hätte sich hinfahren lassen können, wie auch sonst schon mitunter geschehen, fühlte sich aber von dem Weihnachtsabend noch etwas angegriffen und sagte ab.

Er bestand aber darauf, daß Adelheid allein hinginge, und bat Walther, sie nach Hause zu bringen. »Meine Schwester ist immer argwöhnisch,« sagte er, »daß wir mit ihr und ihrem Manne nicht auf gleichem Fuß verkehren wollen, weil sie gewissermaßen von mir abhängig sind und sich einschränken müssen. Bleiben wir nun beide aus, so wird es ihr unlieb sein, den Weihnachtsabend mit ganzer Familie bei uns statt zu Hause verlebt zu haben. Thut mir also den Gefallen und vertretet mich.«

»Wenn du mir den Wagen schickst, kann ich ja auch ganz gut allein –« erwiderte Adelheid und unterbrach sich, da sie Walthers Augen bittend auf sich gerichtet sah.

»Ich will Walther natürlich keine unbequeme Verpflichtung auferlegen,« bemerkte Glauberg, »aber lieber wäre mir's, er hülfe dir beim Aussteigen und brächte dich durch den Vorgarten bis zur Hausthür. Friedrich muß ich schon bei mir behalten.«

Dürenholz bat ihn, sich jedes weitere Wort zu sparen. Adelheid sollte sicher ins Haus kommen, und wenn er vorauslaufen und auf den Wagen am Gitter warten müsse.

»Aber das wäre ja närrisch,« sagte Glauberg lachend. Und dann doch ein wenig stutzend: »Wem könnte damit gedient sein?«

Dürenholz zuckte die Achseln und schwieg.

Sie fuhren in der Nacht zusammen nach der Villa zurück.

Am anderen Nachmittage stattete Frau Ida ihrem Bruder einen Besuch ab. Sie kam, sich nach seinem Befinden zu erkundigen und zugleich für den »herrlichen Weihnachten« zu danken.

Er bat, Adelheid zu entschuldigen. Sie fühle sich nach dem gestrigen Trubel nicht ganz wohl und habe sich im Schlafzimmer aufs Bett gelegt.

»Das Tanzen ist ihr vielleicht nicht bekommen,« warf Frau Ida so hin.

»Hat Adelheid getanzt?« fragte er mit einem Anflug von Verwunderung.

»Und wie! Beim Walzer kam sie ja mit Dürenholz gar nicht von der Diele.«

»Ihr scheint ja sehr lustig gewesen zu sein,« bemerkte Glauberg ganz harmlos. »Wenn Dürenholz sogar tanzt –!«

»Ach, so im engeren Kreise –! Darin hat niemand etwas gesehen. Er behauptete, der Walzer sei der einzig tanzenswerte Tanz – und dann schien er zu finden, daß keine von den anwesenden Damen, und darunter waren auch einige recht junge und hübsche, so gut walze wie deine Frau.«

»Ich habe Adelheid nie tanzen sehen,« sagte er, »und glaubte ... Aber Walther wird ja Kenner sein. Es kommt mir nur sonderbar vor, daß beide gerade die raschen Bewegungen –«

»O, sie haben eine ganz eigene Art, den Raschwalzer langsam zu tanzen,« fiel sie kichernd ein. »Als ob sie sich darauf geübt hätten! Es läßt ihnen gut, und man sieht gern zu. Dürenholz ist eigentlich, wenn man ihn näher ins Auge faßt, ein recht hübscher Mensch.«

»Und Adelheid, denke ich –«

»Eine schöne Frau. Darüber besteht ja kein Zweifel. Und sie ist ja auch noch durchaus in den Jahren ... Mich wundert gar nicht, daß dein Freund sie auszeichnet.«

Er merkte auf. »Wundert sich ein anderer darüber?«

»Das weiß ich nicht. Es wäre ja auch geradezu komisch, wenn sie sich genieren sollten, miteinander zu tanzen, weil Adelheid deine Frau und Dürenholz dein Freund ist. Nur ... Mein Himmel, du weißt ja, daß die Leute immer gleich etwas zu kritisieren haben.«

Er lachte. »Und nun haben sie ihnen zu viel gewalzt, scheint es.«

»Na überhaupt –«

Jetzt sah er seine Schwester scharf an. »Was heißt das?«

Sie preßte die Lippen zusammen und wurde rot. Es war ihr so entfahren, und sie ärgerte sich wahrscheinlich schon darüber. »Ich wollte nichts Besonderes damit sagen –« entschuldigte sie zögernd.

»Also etwas Allgemeines. Bitte, sprich dich nur aus.«

Frau Ida schielte über die etwas zu spitze Nase hin, von der sich die Röte noch nicht verzogen hatte. »Lieber Veit – Dürenholz ist dein Freund –«

»Und Adelheid meine Frau. Das weiß ich.«

»Ja, wenn du gleich so aufgeregt ...«

Er zischte durch die Zähne. »Dazu hätte ich wohl auch Ursache!«

»Gewiß nicht. Es ist ja sehr schön, daß du ihnen so unbedingtes Vertrauen schenkst. Nur solltest du nicht vergessen –«

»Was?«

»Daß du ein kranker Mann bist, und die Leute –«

Er kehrte sich unwillig im Rollstuhl ab. »Ah! Wieder die alte Geschichte. Es muß ja auch nach der Schablone gehen.«

»Du wirst es doch keinem verdenken können,« sagte sie empfindlich, »daß er sich für einen Mann interessiert, der ihm der höchsten Achtung würdig scheint. Man begreift es ja sehr gut, daß du den Wunsch hegst, den Freund recht häufig bei dir zu sehen. Aber ob nicht der tägliche Besuch ... Ich meine nur, es kommen da auch noch ganz andere Rücksichten in Frage.«

»Welche?«

Sie legte den Kopf auf die Schulter. »Und das ginge noch. In deinem Hause bist du doch immer der Dritte. Aber daß die beiden zusammen nach der Stadt fahren und die Läden durchlaufen –«

»Auch das war mein Wunsch.«

»Ich hab's nicht anders vorausgesetzt. Nur, verzeih mir, ein doch wohl etwas unbedachter. Du hättest mir ja nur ein Wort zu sagen brauchen, und ich würde Adelheid gern begleitet haben, so schwer ich auch der Kinder wegen von Hause abkömmlich bin. Für einen so guten Zweck –! Soviel steht fest, es ist aufgefallen. Und sie mögen vielleicht auch ein bißchen zu freundschaftlich –«

»Keine beleidigenden Vermutungen, wenn ich bitten darf,« schnitt er ihr das Wort ab. »Ist es nicht infam, dem lieben Nächsten so auf den blauen Dunst hin etwas nachzureden? Du solltest dich nicht dazu hergeben, es weiter zu tragen.«

»Du brauchst sehr starke Ausdrücke, lieber Veit,« verwies sie. »Ich vergesse nicht, daß ich deine Schwester bin. Es kann mir nicht gleichgültig sein, daß man sich zuzischelt, deine Frau und dein Freund seien alte – und sehr gute Bekannte.«

Er richtete sich mit einem heftigen Ruck auf und sah ihr mit blitzenden Augen ins Gesicht. »Wer wagt das – ?«

»Es kann ja ein Irrtum sein,« beschwichtigte sie. »Ich sage nur, was ich gehört habe, weil ich dir's schuldig zu sein glaube. Es ist da eine Dame von auswärts zum Besuch gekommen, die hat die beiden zufällig in einem Laden getroffen und gleich zu ihrer Begleiterin gesagt: »Ist das nicht Herr Amtsrichter von Dürenholz und das Fräulein Müller, mit dem er verlobt war?« Als ihr Frau Glauberg genannt wurde, hat sie gemeint, sie könne sich täuschen, aber die Ähnlichkeit sei sehr groß. Sie will in der Stadt, in der Dürenholz Amtsrichter war, einmal eine Freundin besucht und bei der Gelegenheit beide gesehen haben.«

Glauberg lachte höhnisch. »Da sieht man, wie solche Gerüchte sich bilden: die Dame hat Dürenholz erkannt; sie wußte, daß, er verlobt war, kann sein, mit einem Fräulein Müller. Wie viele Fräulein dieses Namens giebt's in der Welt? Sie sieht ihn mit einer Dame zusammen, und gleich ist die nun das Fräulein Müller, mit dem er verlobt war. Er wird sich wundern, wenn ich ihm erzähle, daß er mit seiner Braut im Laden gesehen sei.«

»Du solltest die Sache doch nicht so leicht nehmen,« warnte Frau Ida. »Was ich kürzlich selbst erlebt habe ...«

»Da bin ich neugierig,« sagte er, wieder ruhiger.

»Am Weihnachtsabend – du erinnerst dich, daß der Gesang der Kinder einmal aufhören mußte, weil Adelheid ihn auf dem Klavier ganz konfus begleitete. Das hatte einen Grund.«

»Wahrscheinlich war sie nicht aufmerksam.«

»Aber weshalb? Als ich hinter den Tannenbaum trat, sie zu rufen, entfernte sich um die andere Seite herum eiligst dein Freund Dürenholz.«

»Er hat also mit ihr geplaudert; dann erklärt sich's ja.«

»Hinter dem Tannenbaum! Und als sie dann – ganz unmotiviert – aufstand, glitt ein Gegenstand von ihrem Schoß, den ich in der Form eines glatten goldenen Ringes am Boden habe liegen sehen.«

Glauberg klopfte ungeduldig die Seitenlehnen seines Stuhles. »Und den hatte Walther ihr gegeben?«

»Das weiß ich nicht. Aber er war eben bei ihr gewesen. Sie sagte, sie hätte den Ring zum Spielen abgezogen.«

»Nun also!«

»Aber man pflegt Ringe doch nicht so aufzubewahren –«

»Wenn man hübsch vorsichtig ist.«

»Und – sie hatte deinen Ring, um den es sich doch allein handeln konnte, nicht abgezogen; ich meine ihn deutlich an ihrem Finger gesehen zu haben.«

»Ich bewundere deine scharfen Augen, liebe Ida,« schloß Glauberg die ihm sehr peinliche Unterredung, indem er das Buch aufnahm, in dem er gelesen hatte, und so das Zeichen zum Aufbruch gab.

Die Schwester verstand ihn und erhob sich auch gleich. »Wir sind da aus einem ins andere gekommen,« sagte sie, »und ich habe vielleicht zu wenig berücksichtigt, daß du nicht aufgeklärt sein willst. Es war aber meine Pflicht –«

Er reichte ihr die Hand. »Ich danke dir.«

»Jedenfalls kann die Mahnung zur Vorsicht nicht schaden. Man hört über seine nächsten Angehörigen nicht gern spitze oder gar hämische Bemerkungen. Adieu!«

Erst nachdem sie sich entfernt hatte, machte sich seine Entrüstung in kurzen Ausrufen Luft. »Empörend – diese elende Klatscherei – diese Bosheit – und die eigene Schwester – ah!« Er wollte lesen, fand aber nicht die Ruhe dazu. Er legte den Kopf an die Rückwand des Stuhles und starrte zur Decke hinauf. Die Muskeln seines Gesichts waren in Bewegung, und die Unterlippe schob sich von Zeit zu Zeit zwischen die Zähne. So also sprach man über ihn – über seine Frau – über den Freund! Sich so etwas zusammenzureimen, war freilich verlockend. Es verstand sich ja von selbst, daß der kranke Mann eine untreue Frau haben mußte, und daß der Freund sein Vertrauen schnöde mißbrauchte! Es war der Lauf der Welt! Die Fäden ließen sich so leicht in ein Gewebe zusammenbringen »nach bekanntem Muster«, und wo sie nicht ohne weiteres passen wollten, konnte ja durch eine geschickte Verbindung von zufälligen Umständen leicht nachgeholfen werden. Nicht einmal aus gemeiner Gesinnung! Die Phantasie der Leute ist so lebhaft.

Er regte sich mehr und mehr auf. Konnte er diese Mitteilungen für sich behalten? War er nicht verpflichtet, sie den Nächstbeteiligten zur Kenntnis zu bringen? Mit welcher Wirkung aber? Sie würden vielleicht glauben, daß er sie zur Verteidigung auffordere. Und wie peinlich für sie, zu wissen, daß man sie in dem unwürdigen Verdacht habe! Aber schweigen mußte ebenso mißlich scheinen. Würden die Verleumdungen nicht doch den Weg zu ihnen finden? Wenn nun die Thatsachen, die für verdächtig galten, sofort aufgeklärt werden könnten? Er entschloß sich endlich, wenigstens mit Adelheid darüber zu sprechen – wie über etwas ganz Lächerliches natürlich.

So war in dumpfem Brüten eine Stunde vergangen. Die Sache mußte ihm aus dem Kopf, bevor Walther von der Redaktion kam. Er läutete dem Diener und befahl ihm, im Schlafzimmer durch die Jungfer anfragen zu lassen, ob er die gnädige Frau sprechen könne.

Als Adelheid wenige Minuten darauf bei ihm eintrat, fand sie ihn in den schwersten Krämpfen, völlig ohne Besinnung. »Mein Gott, was ist geschehen?« fragte sie. Der Diener konnte nur die Auskunft geben, daß vor länger als einer Stunde Frau Holm dagewesen sei. Dann sei der Herr allein geblieben, und als er auf das Glockenzeichen hineingegangen, habe er noch keine Veränderung bei ihm bemerkt. Das müsse ihn selbst so überfallen haben.

Es wurden die gewöhnlichen krampfstillenden Mittel angewendet, längere Zeit ohne Erfolg. Endlich erschöpften sich die Anfälle mit den Kräften, die schreckhaften Verzerrungen der Muskeln milderten sich zu immer schwächeren Zuckungen. Und dann hörten auch diese auf. Die Brust keuchte nicht mehr so ängstlich, die Atemzüge wurden leiser und regelmäßiger, und endlich lag der Kranke in dem tiefen Schlafe, der stets diesem traurigen Zustande zu folgen und stundenlang anzudauern pflegte. Es war dann nichts weiter für ihn zu thun.

Adelheid blieb aber doch in seiner Nähe. Dürenholz kam diesmal ungewöhnlich spät, da die Abendpost noch Briefe gebracht hatte, deren Inhalt für den anderen Tag verarbeitet werden mußte. Er erfuhr vom Diener, was sich ereignet hatte, und trat ein, um den armen Freund zu sehen und der gnädigen Frau sein Bedauern auszusprechen.

Es mochte wirklich seine Absicht gewesen sein, sich gleich wieder zu entfernen. Nun fand er Adelheid selbst leidend und in unglücklichster Stimmung. Er meinte, sie so nicht allein lassen zu können, und setzte sich zu ihr, nachdem er lange bei dem jetzt sanft Schlafenden gestanden und ihn, in ganz eigene Gedanken vertieft, betrachtet hatte.

Das Gespräch über gleichgültige Dinge wollte nicht recht in Gang kommen. Sie hatten beide etwas auf dem Herzen, was sie schwer bedrückte. Und es fehlte ein zwingender Grund, es jetzt nicht abzuwälzen. Glauberg sah und hörte sie nicht, und sein Zustand gab augenblicklich zu irgend welchen Besorgnissen keinen Anlaß. Sie saßen mit dem Rücken gegen ihn gekehrt, Adelheid auf einem der beiden vor den Kamin gestellten Sessel, Walther auf einem runden Polster ohne Lehne neben ihr. Die Lampe brannte auf dem Sofatisch mehrere Schritte seitwärts und war mit einem Schleier von blaßblauer Seide bedeckt, der den Lichtschein dämpfte. Doch war es auch hier in der traulichen Ecke hell genug, daß sie einander von den Augen lesen konnten, was sie bewegte. Adelheid hatte den Kopf angestützt und die Arme über die Seitenlehnen gestreckt, von welchen die Hände matt herabhingen; Walther beugte sich vor und drückte zwischen den Knieen die Fingerspitzen aufeinander, ohne wahrscheinlich von dieser Beschäftigung eine Ahnung zu haben. Endlich brach Adelheid das Schweigen, indem sie aus angstbeklommener Brust heraus sagte:

»Es geht so nicht weiter – gewiß! es geht nicht.«

»Das ist auch meine Empfindung,« entgegnete er. »Ich kann Veit nicht mehr in die Augen sehen – und das halte ich nicht aus.«

Sie stieß einen Ton aus, der ihr ganzes Mißbehagen über die Situation zu erkennen gab. »Ich sehe ein,« sagte sie im Flüsterton, »daß ich dich nicht hätte abhalten sollen, zu thun, was du im Sinne hattest und ohne meine unselige Dazwischenkunft würdest ausgeführt haben – nach Amerika zurückzukehren. Ich hätte wissen können ... Aber das ist geschehen, und ich mache mir auch nur selbst Vorwürfe. Heute bleibt mir nur übrig, dich inständig zu bitten: Halt ein, kehre um – fliehe aus meiner Nähe, so weit du kannst.«

»Adelheid –!« rief er stöhnend, »ist das denn möglich – noch –? Kannst du wollen –«

»Ich muß!« fiel sie ein. Arme und Hände zuckten. »Was wir heute freiwillig thun können, um Unheil zu verhüten, wird uns vielleicht morgen aufgezwungen werden, ohne daß noch die Abwehr der Schande von Schuldigen und Unschuldigen möglich ist. Ich weiß nichts – ich kann nur Vermutungen aufstellen – aber mir ahnt, der Besuch Idas bei ihrem Bruder hat mit diesen Dingen Zusammenhang, ist die nächste Ursache dieses Krampfanfalles. Sie will mir nicht wohl, es war ihr verdrießlich, daß ihr Bruder, den sie zu beerben hoffte, heiratete – dazu eine arme Diakonissin, deren Vergangenheit ihr nicht durchsichtig schien; sie beobachtet mich mit mißtrauischen Augen und hat es an Äußerungen nicht fehlen lassen, die mir beweisen, daß sie scharfsichtiger ist als er. Doch das ist gleichgültig. Auch ohnedies –«

»Aber mich von dir zum zweitenmal trennen, Liebste, – nein! Das ginge über Menschenkraft.« Er ergriff ihre Hand und legte die heiße Stirn darauf.

»So zeige einen anderen Weg –«

»Es giebt nur einen,« sagte er nach einer kleinen Weile, mit gespannten Augenbrauen zu ihr aufblickend. »Wir hätten uns nicht überreden sollen, daß wir ihn umgehen könnten. Dahin müssen wir zurück, wo es kein Abirren geben durfte. Treten wir mit einem offenen und ehrlichen Geständnis vor Glauberg hin – es ist spät, sehr spät, aber vielleicht trotz allem noch nicht zu spät. Er ist ein edler Mensch. – er wird unser älteres Recht anerkennen und in die Scheidung willigen. Gewiß, er wird zürnen. Aber zuletzt wird er doch auch begreifen, weshalb wir so lange schwiegen und ihn hintergingen. Adelheid –«

»Und wenn es sein Tod ist –«

Er ließ sich auf den Teppich gleiten, kniete vor ihr und umfaßte sie mit beiden Armen. »Adelheid,« rief er, »ich kann nicht von dir lassen! Du weißt es. Mag geschehen, was unabwendbar ist – wir haben keinen anderen Weg in Ehren. Denn von dir lassen kann ich nicht. Und wenn du mich liebst, wie ich dich liebe – sage mir, sage mir, daß du mich so liebst!«

Sie preßte sein Gesicht an ihre Brust und küßte sein Haar, ein Schauer durchlief ihre Glieder. »Zweifle nicht,« hauchte sie, »es ist unser Verderben!«

In diesem Augenblick entstand hinter ihnen ein Geräusch wie das Knacken eines Stuhles. Sie fuhren auf und schauten um. Da saß Glauberg aufrecht in seinem Fahrsessel, hatte die Decke abgeworfen und starrte mit schreckhaft großen Augen auf sie hin. Mit einem Schrei sprang Adelheid auf, stürzte zu ihm hin und warf sich vor ihm nieder. Er stieß sie zurück und ächzte: »Walther – Walther! Das hast du mir gethan?«

Adelheid wollte ihn umarmen, aber ein noch heftigerer Stoß warf sie zu Boden. »Fort, du Meineidige, Untreue!« kreischte er keuchend, »mit dir hab ich nichts mehr zu thun. Der aber – der –! der sich meinen Freund nannte ... O mein Gott! also doch – doch!«

Walther trat zu und hob die schluchzende Frau auf. Er umfaßte sie und führte sie ins andere Zimmer, wo er sie auf ein Sofa niederließ. Dann kehrte er zurück. »Ich bin der Schuldige,« sagte er tief traurig, »und ich werde dir Rede stehen.«

»Das wirst du,« schrie Glauberg, »das wirst du. Aber nicht mit Worten –«

»Höre mich an, Veit!«

»Ich habe gehört – ich habe gesehen ... Das ist doch klar? Mein Freund – ha, ha, ha, mein Freund! Ich träume doch nicht.« Er packte seinen Arm, den rechten, den linken, und schüttelte sich. »Ich träume nicht. Das bin ich, und das bist du. Und das Weib ... Ha, ha, ha, mein Weib.«

»Wenn du alles wüßtest, Veit –«

»Ich weiß alles. Was brauche ich weiter zu wissen? Sah ich nicht mit diesen meinen Augen ... Ah! mein Freund und mein Weib!«

»Und doch, Veit –«

Er griff nach der Krücke, richtete sich daran zitternd auf und sank wieder zurück. »Was? ist es zum letzten noch nicht gekommen? Was bedeutet mir das? Weil ich zu früh aufwachte ... Und wenn nicht heute, so morgen, oder ein andermal. Es ist auch gleich, ganz gleich. Das Freundschaftsstück bleibt dasselbe.«

»Höre mich doch nur an!« bat Dürenholz, die Hände erhebend. »Wir hatten beschlossen, dir offen die Wahrheit –«

»Nachdem die Lüge so groß gewachsen war, daß sie nicht mehr versteckt werden konnte! Da wolltet ihr – ha, ha, ha! – Hinaus!« Er hob drohend den Krückstock. »Hinaus, Bube, oder –«

»Mäßige dich,« mahnte Dürenholz. »So schwer ich dich beleidigt habe, mit Schimpfworten solltest du dich nicht rächen.«

»Ich nenne dich bei deinem Namen,« antwortete Glauberg mit schneidendem Hohn. »Ist es nicht ein Bube, der mir das gethan? Aber glaube nicht, daß ich so ohnmächtig bin, diese schwerste Beleidigung hinnehmen zu müssen. Es giebt nur eine Antwort darauf, und die werde ich geben – trotzdem und alledem. Nochmals: hinaus! Ich werfe dir die Freundschaft vor die Füße. Hinaus! Nur noch einmal im Leben werden wir einander sehen, und dann sind es Todfeinde, die abzurechnen haben.«

Er schlug auf die Glocke, die neben ihm auf dem Stuhl stand, mit solcher Gewalt, daß sie schrille Töne gab. Friedrich mochte, als er seines Herrn laute Stimme hörte, an der Thür nur auf dieses Zeichen gewartet haben. Er trat wenigstens in der Sekunde ein und stellte sich militärisch auf. »Geleiten Sie diesen Herrn hinaus,« rief Glauberg, außer sich vor Schmerz und Wut, ihm zu, »und lassen Sie ihn nie wieder über meine Schwelle! Ich habe noch weitere Befehle für Sie – sobald Sie allein zurückkehren.«

Dürenholz verließ schweigend das Zimmer und gleich darauf das Haus.


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