Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Dann nahmen die Dinge ihren regulären Verlauf.

Die Beschwerde des Grafen war vom Minister, übrigens mit einigen Bleistiftstrichen am Rande, an den Chefpräsidenten des Oberlandesgerichts, von diesem, mit der Bitte um Bericht, an den Landgerichtspräsidenten geschickt. Die Kammer hatte ordnungsmäßig zu entscheiden, ob die Ungebührstrafe zu Recht oder Unrecht verhängt war. Aber so einfach lag hier der Fall nicht. Der Graf Stieren war ein einflußreiches Mitglied des Herrenhauses, Vorsitzender eines agrarischen Vereins, der bei den Wahlen große Bedeutung hatte, verwandt mit sehr hohen Staats- und Hofbeamten. Man konnte ihn nicht wie einen beliebigen Gerichtseingesessenen abfertigen. Auch hatte die Beschwerde doch noch eine andere als die rein rechtliche Seite, und es war überdies von den späteren Vorfällen am Sitz des Landgerichts schon viel gesprochen worden. Der Präsident entschloß sich daher zu einer Revision des Amtsgerichts, die ihm unauffällig Gelegenheit geben konnte, mit dem Herrn Amtsrichter unter vier Augen zu sprechen und bei vertrauenswürdigen Personen Erkundigung einzuziehen.

Dürenholz war keinen Augenblick im Zweifel, was beabsichtigt wurde. Er kam dem Präsidenten zuvor und benutzte gleich die erste Begegnung, ihm ein schriftliches Memorial zu überreichen und daran einen umständlichen Vortrag zu knüpfen. Der Präsident, ein kluger Jurist und sonst wohlwollender, aber etwas ängstlicher, nervös-ehrgeiziger Herr, bewies schon durch die Art, wie er zuhörte, daß ihm die ganze Sache höchst fatal war. »Der Graf stellt natürlich manches im einzelnen anders dar,« bemerkte er darauf. »Wenn zwei über einen Streit berichten, wird immer jeder geneigt sein, die Schuld von sich ab und dem anderen zuzuwälzen. Es kommt dabei ja auch so unendlich viel auf die Wahl eines Wortes, auf die Betonung, auf die begleitende Geste an. Man hört's und sieht's so und so.«

»Herr Präsident,« entgegnete der Amtsrichter, »ich möchte mit aller Entschiedenheit der Auffassung vorbeugen, daß es sich zwischen mir und dem Herrn Grafen Stieren um einen Streit gehandelt hat. Wie war der möglich, wenn ich als Vorsitzender des Gerichts einen Zeugen vernahm?«

Darin wurde eine Zurechtweisung erblickt, die verstimmte. »Hm – hm ... Es wird Ihnen aber zur Last gelegt, daß Sie die Grenzen Ihrer amtlichen Befugnisse nicht streng eingehalten und dadurch den Zeugen zu einer ungehörigen Widerrede gereizt haben. Es wird sicher nicht so sein – ich nehme das schon jetzt als gewiß an, aber, lieber Herr Kollege, wenn ich Ihnen offen und ganz freundschaftlich meine Meinung sagen soll – so etwas darf nicht vorkommen, es darf absolut nicht vorkommen. Wenn es vorkommt, spielt da immer eine gewisse Ungeschicklichkeit mit, die Verhältnisse richtig einzuschätzen und in Rücksicht zu ziehen. Man verlangt mit Recht vom Richter, daß er mit Leuten aus allen Gesellschaftsklassen umzugehen versteht. Wäre es denn so unerhört gewesen, wenn Sie dem Herrn Grafen Ihr eigenes Arbeitszimmer angeboten hätten? Für einen Mann seiner Art ist es doch wirklich nicht angenehm, sich in dem gewöhnlichen Zeugenraum aufhalten zu müssen. Nicht wahr? So etwas läßt sich ja gewissermaßen zuvorkommend gewähren, ohne daß irgend jemand auf den Gedanken fällt, es werde da ein Vorzug eingeräumt.«

Diese Auffassung bewies Dürenholz, daß er hier auf Verständnis nicht zu rechnen hatte. Er verzichtete auf eine »kollegiale« Erörterung.

»Wenn damit ein Tadel ausgesprochen sein soll, Herr Präsident –«

»Bewahre, bewahre! Ich kenne meine Befugnisse. Nur die Exemplifikation einer allgemeinen Bemerkung, lieber Herr Kollege. Ich sage, so etwas darf nicht vorkommen, und es giebt Mittel zur Verhütung. Und dann der Auftritt im Kasino! Sie haben sich da freilich ganz passiv verhalten, aber die Thatsache steht doch fest, daß Sie geschlagen wurden. Ich entschuldige den Grafen nicht, aber ich kann mich gewissermaßen auf seinen Standpunkt stellen. Das Duell war ihm verweigert, er glaubte sich rächen zu müssen. Selbstverständlich ist das unerlaubt, strafbar. Aber ... ja, sehen Sie, ich wiederhole nochmals: so etwas darf unter keinen Umständen vorkommen. Darf nicht! Das Ansehen des Richterstandes wird gefährdet, und das ist ein schwereres Unglück, als wenn der einzelne einmal bewußt eine Ungesetzlichkeit begeht.«

»Ich denke, das Ansehen des Richterstandes wird am meisten gefährdet, wenn –«

Der Präsident ließ sich auf eine Diskussion darüber nicht ein, revidierte und nergelte viel, sprach mit dem Amtsanwalt und mit dem Gerichtsschreiber und aß beim Landrat, mit dem er von der Universität her befreundet war. Als er sich von Dürenholz verabschiedete, der ihn zur Eisenbahn begleitet hatte, äußerte er: »Sie sind recht sehr zu bedauern, lieber Herr Kollege, aber Ihre Stellung hier scheint unhaltbar geworden. Nachdem nun auch der Oberstleutnant Müller, wie ich höre ... Bedaure aufrichtig. Es ist sehr möglich, daß man Ihnen nichts wird am Zeuge flicken können; aber vergessen Sie nicht: semper aliqid haeret. Sie waren bisher oben sehr gut angeschrieben, sind ein tüchtiger Jurist, fleißiger Arbeiter, haben einen Namen ins Leben mitbekommen, der Sie bei so trefflichen Eigenschaften fördert. Es wäre doch jammerschade, wenn Sie sich Ihre Karriere verdorben hätten. Überlegen Sie einmal, ob da gar nicht zu helfen ist. Ich enthalte mich natürlich aller Ratschläge, wage keine Andeutung. Ich bitte Sie nur überzeugt zu sein, daß das wärmste Interesse für Sie aus mir spricht. Leben Sie wohl!« Er stieg in den Wagen.

Dürenholz verstand ihn. Er sollte um jeden Preis das Ärgernis aus der Welt schaffen.

Es wurde noch größer. Dem Bezirks-Ehrengericht der Reserveoffiziere war Anzeige gemacht, daß der Kamerad von Dürenholz ein Duell ausgeschlagen und den Gegner, der ihn deshalb öffentlich gezüchtigt, nicht gefordert habe. Er wurde zur Verantwortung aufgefordert und teilte seine Gründe mit, erklärte aber auch am Schluß, er könne kein Ehrengericht für berechtigt erachten, ihn zu einer ungesetzlichen und mit Strafe bedrohten Handlung zu nötigen. Darauf erfolgte, was er erwarten mußte: er erhielt seine Entlassung mit schlichtem Abschied. In den Augen der Offiziere der Garnison und der früheren Kameraden im Civil bedeutete dies zugleich eine moralische Verurteilung. Sie hoben jeden gesellschaftlichen Verkehr auf. In der kleinen Stadt und für einen Mann, der durch sein Amt zu den Spitzen der Behörden rechnete, ein sehr empfindlicher, aber auch für alle Beteiligten verdrießlicher Boykott. Dürenholz hatte sich darüber nicht täuschen können, daß diese Folgen unvermeidlich waren. Er vermied es, soviel dies in seiner Macht stand, Anderen Verlegenheiten zu bereiten, zog sich ganz in die Gerichtsstube und in sein Arbeitszimmer zurück und beschäftigte sich in seiner freien Zeit eifrigst mit Studien, die sich nicht nur auf seine juristische Wissenschaft bezogen. So füllte er auch die Stunden aus, die er früher im Hause des Oberstleutnants herzerfreuend verbracht hatte, und die nun immer am schmerzlichsten die Erinnerung an seinen Verlust wachriefen.

Innerlichst empören mußte ihn, was in seiner Sache beim Landgericht geschah. Allerdings erhob der Staatsanwalt Anklage gegen den Grafen Stieren; aber der Vorsitzende der Strafkammer, selbst aus der Staatsanwaltschaft hervorgegangen, mit der Ansicht des Präsidenten bekannt, alter Corpsstudent und ein sehr schneidiger Herr, behandelte die Sache von Anfang an »aus einem höheren Gesichtspunkte«. Er erhob einen weitläufigen Beweis über die dem Schlage vorangegangenen Ereignisse und fand den Diener des Grafen durchaus willig, zu gunsten seines Herrn auszusagen, was ihm von diesem und seinem Anwalt vorgesprochen worden war. Der Amtsanwalt mußte zugeben, daß »der Ton der Zurechtweisung« der Persönlichkeit des Grafen gegenüber vielleicht etwas zu scharf gewesen sei, und der Protokollführer, ein junger Aktuar, welchen der Amtsrichter öfter hatte tadeln müssen, fühlte sich nun über diesem und gab ihm ebenfalls eine nicht ganz wohlwollende Censur wegen seiner Geschäftsleitung in den Schöffensitzungen. Vergebens hatte Dürenholz dagegen protestiert, daß hier über seine Amtsthätigkeit zu Gericht gesessen werde. Das Urteil lautete dann auf eine nicht einmal hohe Geldbuße. Um es unanfechtbar zu machen, publizierte der Vorsitzende die Gründe dahin: man könne von dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme ganz absehen, da ja feststehe, daß der Graf sich beleidigt gefühlt und den Amtsrichter gefordert, dieser aber das Duell verweigert habe. Es könne ferner ganz davon abgesehen werden (eine äußerst brauchbare Formel!), ob diese Herausforderung eine Gesetzesverletzung und die Ablehnung im amtlichen und staatlichen Interesse geboten war – wesentlich für die Beurteilung der Strafwürdigkeit des Angeklagten bleibe nur, daß dieser sich in seinem Standesbewußtsein tief gekränkt fühlte und that, was nach einer bis in die höchsten Gesellschaftskreise hinaufreichenden Auffassung für ihn Ehrenpflicht war. »Der Hieb mit der Reitpeitsche beabsichtigte nur nebenher eine Körperverletzung; in der Hauptsache hatte er rein symbolische Bedeutung.« Wenn es daher auch aufs entschiedenste zu mißbilligen sei, daß der Angeklagte sich zu einer körperlichen Züchtigung seines Gegners, eines höheren Beamten, habe hinreißen lassen, so komme doch strafmildernd seine leicht erklärliche Erregtheit in Betracht, und der Gerichtshof habe daher für angemessen erachtet, auf eine Geldstrafe zu erkennen.

War das nun eine Sühne für so schwere Ehrenkränkung? Das Urteil erfreute sich nur in sehr engen Kreisen der unbedingten Zustimmung. Es konnte gefragt werden – und es wurde gefragt –, ob diejenigen nicht am Ende recht hätten, die ein gerichtliches Verfahren überhaupt für ungeeignet hielten, das peinlichere Ehrgefühl eines gebildeten und hochgestellten Mannes zu befriedigen und sein verletztes Ansehen wiederherzustellen. Da war nun, was immer gefordert würde, der Weg betreten, der dem das Duell Verweigernden durch das Gesetz gewiesen war – und zu welchem Ziel hatte er geführt? Jetzt erst recht wies man mit Fingern auf ihn. Es wurde Dürenholz von oben her unter der Hand geraten, seine Versetzung an einen anderen Ort nachzusuchen. Vielleicht wirklich nebenher auch aus Wohlwollen für ihn. Nun hatte er sich ja an sich nichts Wünschenswerteres denken können, als dem Schauplatz seiner Leiden möglichst weit entrückt zu werden; aber sein Stolz bäumte sich dagegen auf, wie nach einer schweren Niederlage selbst das Feld räumen zu sollen. Dazu konnte man ihn nicht nötigen. Er hielt es jetzt, nachdem er für seine Überzeugung so mannhaft gestritten und so schwere Einbußen erlitten hatte, auch für seine Pflicht, auszuharren und den Beweis zu geben, daß er trotz des Achselzuckens seiner im Vorurteil befangenen Gegner die vollste Achtung verdiene. Dieser Entschluß wurde ihm dadurch erleichtert, daß die einzigen Personen, denen er meinte Rücksicht schuldig zu sein, nicht mehr durch seine Gegenwart belästigt werden konnten: der Oberstleutnant hatte mit seiner Familie den Ort verlassen und in einer anderen kleinen Stadt, weit genug entfernt, Wohnung genommen.

Aber man ließ ihm keine Ruhe. Ein Amtsrichter, der Schläge bekommen und nicht einmal die Verurteilung des Angreifers zu einer Gefängnisstrafe durchgesetzt hatte, der aus der Gesellschaft von seinesgleichen ausgeschlossen war und stündlich in Gefahr stand, öffentlich von neuem bloßgestellt zu werden, ohne Genugthuung fordern zu wollen, war einfach unmöglich. Er genoß nicht mehr »die Achtung, die sein Richteramt verlangte«, und mußte zwangsweise beseitigt werden, wenn er nicht gutwillig weichen wollte. Die Thatsache, daß er sich in diese Lage gebracht hatte, entschied gegen ihn. Es wurde ihm eine Disziplinaruntersuchung angehängt. Er verteidigte sich selbst und führte aus, daß sein einziges Vergehen seine Gesetzestreue sei. Er appellierte an das Standesgefühl der Richter. Aber er war ja doch in seinem jetzigen Wirkungskreise unmöglich; diese Einsicht überwog. Er wurde verurteilt, sich die Versetzung in ein anderes Richteramt mit gleichem Range und Gehalt gefallen zu lassen. Mit gleichem Range und Gehalt! Damit sollte zu seinen Gunsten zum Ausdruck gebracht werden, daß man mehr die unglückliche Lage, als die Verschuldung berücksichtigte.

Nun forderte Dürenholz seinen Abschied und erhielt ihn in kürzester Zeit.


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