Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Wahrend der Eisenbahnfahrt hatte Dürenholz Zeit, das so wundersam Erlebte zu durchdenken.

Er behielt bei dem Zudrang der Reisenden in dieser Jahreszeit nicht einmal ein Sofa für sich allein, aber sein Nebenmann bekümmerte ihn so wenig als die gegenübersitzenden Personen, obgleich sie in lebhafter Unterhaltung begriffen waren. Er drückte sich in die Ecke, zog den Filzhut über die Stirn und schloß die Augen. Man konnte ihn für schlafend halten.

Das letzte Beisammensein im Gartenpavillon wirkte eine Weile rein beseligend nach. Es war, als ob Jahre von der Zeittafel ausgelöscht gewesen wären und er die Zärtlichkeiten des geliebten Mädchens genossen hätte, das er seine Braut nennen durfte, nach einer kurzen Trennung etwa – wie der letzten, als er zur Begegnung mit den Freunden ein paar Tage in Berlin gewesen war. Wie herzlich und glücklich hatte sie ihn nach der Rückkehr empfangen. Aber nein, nein! anders war's doch. Die drei Jahre lagen nun einmal dazwischen, und vieles sonst noch; und als Glauberg sie seine Frau nannte, war's ihm geschienen, als falle eine eiserne Wand zwischen sie, die keine menschliche Kraft heben könnte. Und beim ersten Alleinsein ... Er hätte auch da nicht versucht, sie zu heben, aber für Adelheid war sie gar nicht da. Das war das Wundersamste. Sie hatte offenbar nur auf den Augenblick des Alleinseins gewartet, um jeden Zwang abzuwerfen. Und er ... Er verlor nicht ganz die Besinnung, aber es war doch nicht die Frau des anderen, die er umarmte und küßte, sondern die ihm durch ein böses Geschick entrissene, jetzt wiedergegebene Braut. Und er empfand es wie ein großes Glück, daß sie ihn liebte wie je, und sein Herz schlug in Wonne an ihrem Herzen.

Aber sie war doch seine Braut nicht mehr. Es stand wirklich die eiserne Wand zwischen ihnen bis hoch zum Himmel hinan, und wenn sie im Rausch seligster Vergessenheit darüber hinwegfliegen und eine Minute lang einander in den Wolken fassen und halten konnten – sie mußten hinab, tief hinab bis auf die Erde, und da war keine offene Thür. Eine Thür vielleicht, aber eine mit ehernen Riegeln verschlossene.

Und davor hielt ein kranker Mann im Rollstuhl Wache, der sein Freund war. Er ließ sich doch nicht zur Seite schieben, und er durfte nicht einmal die Wahrheit erfahren. Durfte nicht? Adelheid hatte es so gewollt, besonnen oder unbesonnen, sie hatte es so gewollt, und es war daran nichts mehr zu ändern. Aber wie häßlich, daß der Freund getäuscht werden mußte!

Er quälte sich mit schweren Vorwürfen. Wenn er Adelheid nicht aufgegeben hatte, warum ließ er ihr keine Nachricht über sich zugehen, nicht einmal aus Amerika? War der Oberstleutnant nicht ein alter Mann, dem leicht etwas zustoßen konnte? Und stand dann nicht der Weg zu ihr offen? Hatte er nicht mit der Möglichkeit dieses Todesfalls auch weiter rechnen müssen, wie er damit beim Abschied gerechnet hatte? Und warum vertraute er sich, als er Schiffbruch erlitten hatte, nicht dem Freunde an, wär's auch nur gewesen, um ihm mitzuteilen, daß er Wort gehalten habe und die Folgen tragen müsse? Warum hatte er nicht damals bei der Zusammenkunft der Freunde von seiner Braut mehr gesprochen? Warum Adelheid nicht die Namen seiner ihr freilich ganz unbekannten Universitätsfreunde eingeprägt? Was wirft man sich nicht vor, wenn man nachträglich klar überblickt, welche Umstände zu einem unglücklichen Ergebnis mitgewirkt haben?

Das unglückliche Ergebnis war da; es mußte dazu Stellung genommen werden. Und ein Bedenken gab es da kaum. Wie auch das Herz blutete.

Als er in seinem Hotel anlangte, war er mit sich ganz einig, was zu thun sei. Aber er ließ noch die Nacht hingehen – eine von unruhigen Träumen verstörte Nacht – ehe er handelte. Sein Entschluß sollte nicht übereilt werden. Er festigte sich am Morgen noch mehr. Und so schrieb er: »Mein lieber Freund und Bruder! Erwarte mich nicht. Ich habe mir's reiflich überlegt und bin nach gewissenhafter Prüfung aller Umstände zu dem Schluß gelangt, daß ich mich in diesen drei Jahren doch zu sehr den heimischen Dingen entfremdet habe, um mir die Leitung, sei es auch nur im Hintertreffen, anmaßen zu dürfen. Du glaubst nicht, wie schnell man diesem engen Gesichtskreise entwächst und die Welt mit großen Schritten zu messen lernt, wenn man einmal die volle Freiheit der Bewegung gekostet hat. Ich täuschte mich über mich selbst, wenn ich meinte, mich in der alten Heimat wieder einleben zu können. Mir waren hier schon, wo der Pulsschlag der Zeit doch am merklichsten ist, mancherlei Zweifel gekommen. Aber die besondere Probe wollte angestellt sein. Und nun weiß ich ganz bestimmt, daß ich nicht mehr der Mann bin, an einem kleinen Orte eine Zeitung zu redigieren, deren Wirkungskreis ein beschränkter ist und bei allen Bemühungen nur wenig erweitert werden könnte. Diese Einsicht würde mir weniger schmerzlich sein, wenn ich nicht, für mich sehr überraschend, den lieben Freund gefunden hätte, dessen herzliches Entgegenkommen mein Urteil befangen machen mußte. Erweist sich nun aber auch die Lockung, dauernd seinen Umgang genießen zu können, heute nicht mehr stark genug, meine Zweifel zu beschwichtigen, so wirst du einsehen, Bester, daß etwas Unüberwindliches mich abhält. Ich gehe wieder nach Amerika zurück, wo ich nun schon hätte verschollen bleiben sollen, und schreibe dir von dort. Wir dürfen nicht nochmals unsere Spur gänzlich verlieren! Diese neue Trennung wird, davon bin ich überzeugt, unserer alten, festgewurzelten Freundschaft keinen Eintrag thun, und im Geschäft verlierst du durch meine Absage, wie ich nun einmal beschaffen bin, nichts. Empfiehl mich deiner treuen Pflegerin und lebe, wenn nicht wohl, so doch so wohl, als ihre Sorge es dir wünscht und schaffen kann. In brüderlicher Ergebenheit, vielleicht noch viel aufrichtiger, als du denkst, dein – Walther Dürenholz.«

Er gab diesen Brief sogleich zur Post. Wahrscheinlich würde Glauberg antworten, seinen Rückzug nicht gelten lassen wollen, gegen seine Einwendungen die besten Gründe ins Feld führen. Aber er war schon im voraus entschlossen, ihm von Berlin aus keine Zeile weiter zu schreiben. Daß Adelheid nichts anderes erwartet habe, als diesen Schritt, und auch sein weiteres Schweigen verstehen werde, war ihm eine beruhigende Gewißheit.

Am nächsten Vormittage, als er nach Besorgung einiger Einkäufe mit einem Brief beschäftigt war, der ihn jenseit des großen Wassers anmelden sollte, kam der Zimmerkellner, ihn zu benachrichtigen, daß eine Dame ihn zu sprechen wünsche. Sie habe ihm keine Karte gegeben, auch ihren Namen so undeutlich genannt, daß er ihn auf der Treppe wieder vergessen habe.

Dürenholz vermochte sich zwar nicht zu erinnern, zu einer Dame in irgend welche Beziehungen getreten zu sein, die einen Besuch hätten veranlassen können. Das war aber gleichgültig. Er ließ bitten, einzutreten.

Die Dame habe gewünscht, ihn im Salon zu sprechen, hieß es nun. Dorthin sei sie auch schon gewiesen worden.

»Gut also, ich werde hinabkommen,« beschied Dürenholz den Kellner, vollendete den angefangenen Satz und schloß die Papiere in die Schieblade des Schreibtisches ein.

Kaum hatte er, in den Salon getreten, mit einem flüchtigen Blick die einzige darin befindliche Person gemustert, als er zurückprallte und unweit der Thür stehen blieb. »Adelheid –!«

Sie legte das Journal, das sie in der Hand hielt, zu den übrigen auf die Marmorplatte des Tisches, stand auf und ging ihm entgegen. Sie war in Hut und Schleier; ein Mäntelchen und eine kleine Reisetasche lagen auf dem andern Stuhl. Sie sah wie vom Gange erhitzt aus und senkte die Augen, als sie in seine Nähe kam. »Sie wundern sich, mich hier zu sehen,« sagte sie, indem sie sich bemühte, zu lächeln. »Ich habe es nicht anders erwarten können. Wollen Sie mich gütig anhören?«

Er hatte ihre Hand genommen und an die Lippen geführt. Nun verwunderte die feierliche Anrede ihn aufs neue. »Sind wir einander in diesen zwei Tagen wieder so fremd geworden,« fragte er mit zitternder Stimme, »daß nicht mehr unter uns die alten Formen des Verkehrs –«

»Es wird gut sein,« unterbrach sie, »wenn wir uns an die noch älteren zurückgewöhnen, die uns doch nicht hinderten, gegeneinander sehr freundschaftliche Gesinnungen zu hegen – wenigstens für das, was mich zu Ihnen führt, wird es gut sein.«

Er geleitete sie nach dem Ecksofa und setzte sich ihr gegenüber auf einen Sessel. »Ich füge mich,« sagte er seufzend. »Wie konnte ich auch nur einen Augenblick mir einbilden ...« Er rückte sich in den Schultern aufrecht. »Sprechen Sie! Ist etwas geschehen – mit Glauberg –? Es muß etwas geschehen sein, daß Sie diese Reise – und zu mir ...«

»Ihr Brief hat Unheil angerichtet. Er kam Ihrem Freunde so ganz unvermutet mit diesem Inhalt, daß er sich aufs furchtbarste aufregte und einen Krampfanfall erlitt, wie er zum Glück selten so heftig und lange andauernd ist.«

»Aber der Brief mußte doch geschrieben werden.«

»Mußte er?« fragte sie nach einer Weile stillen Nachdenkens sehr leise.

Er blickte sie erstaunt an. »Ja, konntest du – konnten Sie denn einen anderen Ausweg als möglich denken, Adelheid?«

»Vorgestern beim Abschied nicht. Heute ... Ich wäre nicht hier, wenn ich nicht geschwankt hätte. Es war vielleicht nicht gut, daß ich schwankte. Aber ...«

»Erklären Sie mir –«

»Lieber Walther – Glauberg schickt mich zu Ihnen. Bedenken Sie, wie unglücklich er sich fühlte, wie froh ihn plötzlich Ihr Besuch stimmte, welche Hoffnungen für die Zukunft sich daran knüpften, wie sicher er war, daß er den Freund nun immer zur Seite haben werde, den Mann seines vollsten Vertrauens, die festeste Stütze in aller Not – und nun Ihr Absagebrief! Die Enttäuschung war zu schmerzlich. Ich sagte Ihnen schon, daß sie ihn ganz niederwarf. Seine Nerven sind so leicht erregbar – diesmal glaubte ich eine Weile, sie wären zerrissen. Als er dann zu sich gekommen war – er bleibt nach solchen Zufällen immer einige Zeit im Zustande der Bewußtlosigkeit – sprach er mit mir über den Brief. Er könne nicht glauben, daß der Grund, den Sie vorgegeben hätten, ernstgemeint sei. Zwar daran lasse sich ja nicht zweifeln, daß einem, der mehrere Jahre lang in dem öffentlichen Leben einer großen amerikanischen Stadt gestanden und in dem riesenhaften Getriebe der dortigen Zeitungspresse mitgewirkt habe, unser Verkehrstreiben still und lahm erscheinen müsse und die Leitung eines Provinzialblattes keinen Ersatz bieten könne. Aber das alles hätten Sie gewußt, als Sie zu uns kamen, und es sei undenkbar, daß Sie in den wenigen Stunden Ihres Besuchs Erfahrungen hätten sammeln können, die Ihre Neigung in Abneigung verkehrten. Ja, wenn Sie ein paar Monate versucht hätten, sich in die Enge unserer Verhältnisse zu finden, und dann Ihren Irrtum einsähen, das würde sich begreifen lassen. Aber so von heute zu morgen und ohne auch nur eine Minute lang am Redaktionstisch gesessen zu haben – das widerlege sich selbst.«

Dürenholz hatte unruhig mit den Fingern auf seinen Knieen gehämmert. »Aber welchen Grund konnte er für den richtigen halten, wenn er nicht –«

»Den allerunrichtigsten gewiß,« fiel Adelheid ein. »Er suchte ihn in sich, in seiner Krankheit.«

»O – oh!«

»Sein Leiden hätte sicher einen so abstoßenden Eindruck gemacht, und die Aussicht, ihm öfter Gesellschaft leisten zu sollen, wäre Ihnen so widerwärtig erschienen, daß Sie sogleich beschlossen hätten, sich zurückzuziehen. Und dann freilich hätten Sie, um ihn nicht als Freund zu verletzen, erklären müssen, daß Sie überhaupt nicht in Deutschland bleiben, sondern sofort nach Amerika zurückwollten.«

»Aber wie konnte er glauben –?«

»Der Verdacht lag doch nicht so fern. Und ein Kranker, der selbst so stark sein Elend fühlt ... Aber Sie sehen ein, lieber Walther, daß ich bemüht sein mußte, ihn von dieser Vorstellung abzubringen. Wie er mir Sie geschildert hätte, wie ich selbst Sie brüderlich um ihn besorgt gesehen hätte, könnten Sie einer so unedlen Regung gar nicht fähig sein. Ja, was dann – was dann? Er erregte in seiner gänzlichen Fassungslosigkeit mein tiefstes Mitleid!«

Walther ergriff ihre Hand und drückte sie wiederholt. »Ich glaub's, ich glaub's. Wer deine Engelsgüte kennt –«

»Davon sprich nicht,« fiel sie rasch ein. »Ich dachte so viel an dich als an ihn. – Aber wir vergessen uns. Ich wollte berichten. Er wurde etwas ruhiger, ohne doch aufzuhören, weiter zu grübeln. Ich sah eine schlimme Nacht voraus. Da rief er mich am Abend zu sich und sagte: ›Ich könnte an ihn schreiben, aber es würde nichts nützen. Wo kann man auch den Hebel richtig ansetzen, wenn man so im Dunkeln tappt. Das, meinst du, ist's nicht, und deine Gründe sind gute; aber das andere ist's auch nicht. Und einen vernünftigen Satz brächte ich gar nicht aus der Feder. Es müßte jemand mit ihm sprechen, der mich lieb hat und weiß, was er mir gilt. Ich habe an Holm gedacht, aber zu dem hat er gewiß kein Vertrauen. Und wer sonst ...‹ Da sah er mich mit seinen guten traurigen Augen lange prüfend an, ob er's wagen dürfe. ›Du wärst der einzige Mensch, der's richtig anzufangen wüßte, Adelheid,‹ stieß er endlich heraus. Und da hatte ich mich nun zu entscheiden.«

»Da hattest du dich – zu entscheiden,« sprach Walther leise vor sich hin.

»Es gab ja ein Mittel,« fuhr sie fort, »ihn zu überzeugen, daß mein Gang zu Ihnen, daß Ihre Rückkehr unmöglich sei, aber – es würde ihn getötet, haben. Jeden anderen Weigerungsgrund hätte er nicht gelten lassen. Für ihn handelte es sich doch nur um die geringe Mühe einer kurzen Reise und um eine vielleicht für eine Frau etwas peinliche Verhandlung mit einem ihr fremden Herrn. Wenn ich nicht so viel für ihn that ...«

»Ich begreife nun –« sagte Walther nach einer Weile. »Deshalb sind Sie hier. Es mußte ja so sein. Weiter aber – Sie wissen so gut wie ich, daß Ihre Mission den von Glauberg gewünschten Erfolg nicht haben darf. Fort alle Verstellung, als könnten wir uns einander künstlich entfremden, Adelheid. Es mag sein, daß ich deine Liebe nicht verdiene, da ich mutlos oder zu gewissenhaft versäumte, dir den Weg zu mir offenzuhalten, aber – du liebst mich, daran ist kein Zweifel möglich, und ich ... Was nützt es, daß ich dir's nicht sage? Ich kann nicht aufhören, dich zu lieben.«

Ihr Gesicht verklärte sich, während sie die Augen schloß und den Kopf zurückbeugte. »Wie dürfte ich es anders wollen?« hauchte sie. »Und ich trage die Schuld, ich allein – wenn da von Schuld gesprochen werden darf. Aber was hindert uns, einander treu im Herzen –«

»Adelheid!« fuhr er erschreckt auf. »Du kannst mir raten ...«

Sie schüttelte den Kopf, jetzt wieder ganz frei ausschauend. »Das maße ich mir nicht an. Es kann in solchem Fall eigentlich kein Mensch dem anderen raten. Jeder muß sich selbst prüfen, wofür er einstehen kann.«

»Und du würdest dir zutrauen –«

»Sehr glücklich sein zu können, wenn ich den geliebten Mann in meiner Nähe wüßte, wenn ich ihn täglich sehen, seine Stimme vernehmen, zu ihm sprechen dürfte. Er wäre mir der liebste Freund auf Erden!«

»Ein Freund!«

»Ja – damit ist alles gesagt. Ich glaube, daß ich die Festigkeit haben würde, mein wärmeres Gefühl streng im Zaume zu halten. Ich würde keine Pflicht zu verletzen brauchen –«

»Keine Pflicht?«

»Keine. Die zwingendste wäre doch die gegen den Mann, dem ich mich zugelobt habe. Aber unser Abkommen war ganz klar. Er wollte die geschickte, mitleidige und nicht ungebildete Krankenpflegerin an sich fesseln, und ich reichte ihm darauf die Hand. Er selbst wird es nicht anders sagen können.«

»Er hat es nicht anders gesagt. Aber täusche dich nicht – jetzt liebt er seine Frau.«

Sie lächelte, zur Erde blickend. »Er ist ein guter Mensch und mir sehr dankbar. Wenn aber wirklich eine tiefere Neigung ... Der arme Kranke! Er verlangt nicht, daß ich sie erwidere – er weiß, daß ich ihm nichts sein kann, als was ich ihm versprochen habe, zu sein. Er kann das freundschaftliche Gefühl, das ich für ihn hege, ohne Eifersucht mit jedem teilen – und auch der, dem ich es neben ihm zuwende, könnte es annehmen, ohne eifersüchtig auf die herzliche Ergebenheit zu sein, die den Unglücklichen erfreut.«

»Das freundschaftliche Gefühl –!« betonte er bitter.

»Kein anderes dürfte in die Erscheinung treten,« entgegnete sie sehr ernst. »Da ist der Punkt, Liebster, bei dem sich unser einiger Wille begegnen müßte.« Sie ergriff seine Hand und schüttelte sie, wie ihn zu wecken. »Trautest du dir nicht die Kraft zu, in dich verschließen zu können, was außer uns beiden niemand wissen darf, und selbst mir gegenüber das Geheimnis unverbrüchlich zu wahren, als wäre ich nicht schon dein Mitwisser, so könnte ich dir nur zurufen: Komm nicht, setze wieder Länder und Meere zwischen uns, kränke den Freund durch deine Abkehr von ihm! Ich werde ihm berichten, daß meine Bitten vergeblich gewesen sind, und er wird sich fügen müssen.«

Walther drückte die Faust gegen seine Stirn. »Es ist eine unmenschliche Zumutung,« stöhnte er. Er sprang auf, jagte durch den Salon bis in dessen fernste Ecke, stand ein paar Minuten abgewendet. Dann zog es ihn doch wieder zu ihr. »Aber was du kannst, das kann auch ich – das muß ich können,« rief er. »Ich will's versuchen.«

»Nehmen Sie sich Bedenkzeit, Walther, lassen Sie mich erst wieder abreisen –«

»Nein, nein! Das ist, oder ist nicht. Ich fürchtete ja nur, daß ich dich peinigte, wenn ich nicht den Mut fände, mich von dir zu trennen. Aber was du uns ansinnst, fordert größeren Mut. Ich will an mich glauben, wie ich an dich glaube.«

Er reichte ihr die Hand. »Es soll so sein, wie du es bestimmst, Adelheid – ich komme!«

Sie zögerte einzuschlagen. Wie sie ihm ins Auge sah, schien sie im Grunde seiner Seele lesen zu wollen. Er glaubte wirklich an seine Stärke – das mochte ihr herausleuchten. So legte sie denn langsam ihre Rechte in die seine. »Von diesem Handschlag ab Freunde.« »Von diesem Handschlag ab,« wiederholte er zuversichtlich.

Es traten Hotelgäste in den Salon und ließen sich an einem der Tische nieder. Sie sprachen laut miteinander, freilich was alle Welt hören konnte.

»Speisen wir zusammen?« fragte Walther. »Sie haben noch ein paar Stunden Zeit bis zum Abgang des Zuges, gnädige Frau.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte auf dem Bahnhof –«

»Aber das haben Sie ja angenehmer in irgend einem Gartenrestaurant nicht weit davon. Wenn ich Sie dorthin führen darf –«

»Ich habe auch versprochen, zu telegraphieren, falls eine gute Nachricht ... Sie können sich seine Ungeduld vorstellen.«

»Das überlassen Sie jetzt mir. Ein Postamt befindet sich in dieser Straße. Wir gehen vorbei.«

»Sie sollten meinetwegen aber doch nicht –«

Er lächelte trübe. »Es ist eine gute Vorübung. Wenn Sie sich also nur zwei Minuten gedulden wollen – ich hole meinen Hut.«

»Ich möchte vorangehen. Rechts oder links?«

»Rechts.«

Er holte sie bald ein.


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