Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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II.

Was sollte der Amtsrichter a. D. nun mit sich anfangen?

Er besaß kein Vermögen. Acht Jahre seines Lebens hatte er dazu verbraucht, die Rechte zu studieren und sich praktisch auf den Richterdienst vorzubereiten. Noch mehrere Jahre war er genötigt gewesen, unentgeltlich zu arbeiten, den Rest seiner Mittel zu verzehren, bis er eine bescheidene Anstellung erhielt. Und nun sollte das alles umsonst gewesen sein. Eine Masse ganz toten Wissens hatte er seinem Kopf eingeprägt und darüber versäumt, sonst etwas zu lernen, womit Geld zu verdienen wäre. Und Geld mußte verdient werden, sonst war er bald völlig bankerott.

Er hätte sich als Rechtsanwalt einschreiben lassen oder sich um die Justitiarienstelle bei einem Bankinstitut bemühen können. Mit der Zeit würde er vielleicht Erfolg gehabt haben. Aber der Gedanke, aus seiner Rechtskenntnis ein Gewerbe zu machen und sie nach dem Wunsch und Auftrag derer zu verwenden, die einen geschäftlichen Vorteil bezweckten, mochte derselbe gerecht sein oder nicht, war ihm widerwärtig. Sein Richteramt hatte ihm zu hoch gestanden. Und nun war ihm auch alles, was Gesetz hieß, verdächtig geworden – der ganze Rechtsstaat verdächtig geworden. Er hatte ein Stück Leben kennen gelernt und wußte nun, daß ganz andere Mächte herrschten, als an die er früher glaubte. Ein ungeheurer Apparat, mit Millionen in Bewegung gehalten, um überall dem Gesetz Geltung zu verschaffen, versagte völlig gegenüber einem Mißbrauch des Ehrbegriffs, den die höhere Gesellschaft sanktionierte. Nur zum Schein wurde der Verächter des Gesetzes bestraft; jeder, der den Bruch scheute und sich zum treuen Wächter bekannte, war machtlos gegen jeden der oberen Zehntausend, der sich mit der Pistole in der Hand für unangreifbar erklärte.

Und wohin mit seinen Gesinnungen in dem Deutschland von heute? Überall dieselbe Ehrenmoral, überall derselbe Schutz der »Satisfaktionsfähigen«, überall dieselbe Mißachtung der die Satisfaktion mit der Waffe Verweigernden. Hin und wieder regte einmal ein besonders krasser Fall die öffentliche Meinung auf, es wurden schöne Reden gehalten und Massen von Druckerschwärze verbraucht, aber es änderte sich in der Sache selbst nichts: »der ritterliche Geist« florierte, das Duell wurde im Prinzip für eine notwendige Einrichtung zur Erhaltung des Standesansehens erklärt und die prinzipielle Enthaltung verhöhnt und durch Ausschluß geahndet. Das hatte Dürenholz sattsam am eigenen Leibe erfahren; nach einem weiteren Martyrium konnte ihn nicht gelüsten. Und Adelheid war ihm nun gewiß verloren. Nicht entmutigt, aber zu der Einsicht gedrängt, daß er, um von neuem anfangen zu können, in eine freier denkende Umgebung gestellt sein und in ihr erst den Ekel vor den heimischen Zuständen überwinden müsse, verkaufte er seine Bibliothek und sonstige Habseligkeit, versilberte einige von kleinen Ersparnissen angeschaffte Wertpapiere und schiffte nach Amerika hinüber.

Dort hatten seine Bemühungen, sich eine gesicherte Stellung zu erwerben, lange keinen günstigen Erfolg. Er mußte sich erst in der englischen Sprache befestigen, in mancherlei fremdartige Anschauungen hineingewöhnen. Endlich fand er bei einer großen deutschen Zeitung Beschäftigung und erlernte den Journalismus aus dem Grunde. Er rückte sogar, als seine Feder sich bewährt hatte, in die Stelle eines Unterredakteurs ein und that dem Blatt gute Dienste. Es fehlte jedoch viel, daß ihn diese Thätigkeit befriedigte. Es war ihm dabei zu viel reine Parteitaktik, zu viel Flibustiertum und Revolverruhmredigkeit. Auch sonst fand er seine Erwartungen arg getäuscht. Hierzulande standen ungeheurer Reichtum und elendeste Armut einander noch schroffer und oft brutaler gegenüber als in der alten Heimat, wo Regierung, Beamtenschaft und ein gebildeter Mittelstand mildernd und ausgleichend wirkten. Der Erwerb war alles, und der Kampf ums Dasein wurde erbarmungslos mit den bedenklichsten Waffen geführt. Schon nach drei Jahren fühlte Dürenholz die brennendste Sehnsucht nach dem Vaterlande, aus dem er sich bei aller Mühe nicht herausleben konnte. Wenigstens einen längeren Besuch mußte er ihm abstatten, um nun im Besitz reichster Erfahrungen aus einer ganz anderen sozialen und politischen Ordnung der Dinge zu prüfen, was es ihm noch wert sein könnte. Als erst die Reise feststand, verflüchtigte sich immer mehr der Gedanke an eine schnelle Rückkehr. Ein Urlaub genügte ihm nicht; er gab vorläufig seine Stellung auf. Es schien ihm möglich, als Journalist in Deutschland nicht nur notdürftig sein Brot zu verdienen, sondern auch mit den erworbenen Einsichten und Fernblicken zu gunsten seiner Landsleute in größerem Stil thätig zu sein. Irrte er, so konnte er ja jederzeit sein Zelt wieder abbrechen. Ihn band nichts mehr an die Scholle.

Und eine Reise von New-York nach Bremen oder umgekehrt – was wollte das heute überhaupt noch sagen.

Er hielt sich ein paar Wochen in Berlin auf. Es reizte ihn, zu erfahren, ob seine Augen die Reichshauptstadt noch sehen könnten wie früher, der Menschen- und Wagenverkehr in der Leipziger- und Friedrichstraße noch jetzt auf ihn einen Eindruck machte. Er hatte aber auch noch von der Zeit her, als er sich hier zum Staatsexamen aufhielt, einige Lieblinge im Alten Museum, die er nun immer wieder aufsuchte: die Gobelin-Tapeten nach den Kartons von Raphael in der Rotunde, die van Eyckschen Tafeln und ein paar Bilder aus der Deutschen Schule, die Correggios und Murillos und den Madonnenkopf von Guido Reni, der ihn jetzt wundersam an Adelheid erinnerte. Es war derselbe Aufschlag der großen Augen, und so schmerzverzogen hatte er das schöne, freilich jugendlichere Gesicht gesehen, als sie von ihm Abschied nahm. Er versäumte nicht, sich auch in den Verein »Berliner Presse« einführen zu lassen, und stellte sich in einigen Redaktionen vor, um sich jedoch bald zu überzeugen, daß die Plätze, um die er sich hätte bewerben mögen, besetzt waren.

Er erfuhr aber, daß eine große freisinnige Zeitung in der Provinz einen zweiten Redakteur brauche, der – wegen der Handelsbeziehungen des Ortes – der englischen Sprache mächtig sei und die auswärtige Politik selbständig übernehmen könne. Er ließ sich in einer Lesehalle das Blatt geben und traf auf einen Leitartikel, der ihn inhaltlich fesselte. Es hatte wieder einmal eine Schießaffaire besonderes Aufsehen erregt, und der Schreiber des Artikels ließ sich sehr energisch gegen diese mittelalterliche Unsitte aus, die freilich nur dadurch in Mißachtung gebracht werden könne, daß alle gebildeten Leute den Mut hätten, sich offen als Gegner des Duells zu bekennen und Duellanten von ihrem Umgang auszuschließen. Dürenholz sah darin einen Wink des Schicksals, an dieser Stelle anzufragen.

Er schrieb an den Chef-Redakteur und legte seine Zeugnisse bei; auch gab er einen kurzen Abriß seiner Lebensgeschichte, soweit sie hier interessieren konnte. Umgehend erhielt er die Antwort, es seien sehr viele Meldungen eingegangen, und man könne sich nur nach persönlicher Vorstellung und mündlicher Rücksprache entscheiden. Es scheine jedoch viel für ihn zu sprechen, und es werde ihm daher anheimgestellt, die kurze Reise nicht zu scheuen.

Dürenholz fuhr schon am nächsten Tage nach der nur wenige Stunden entfernten See- und Handelsstadt. Die Redaktion befand sich in einem recht ansehnlichen Hause, dessen durch eine breite Einfahrt zugängliches Hintergebäude in allen Stockwerken von der Druckerei eingenommen wurde. Es hatte Verbindung mit dem Parterre des Haupthauses, in welchem die Wohnung des Chef-Redakteurs Hans Holm und dessen Arbeitszimmer lag, zu welchem jedoch auch eine kurze Hoftreppe führte.

Diese ging Dürenholz hinauf und gelangte nun zunächst in einen durch einen Mauerbogen in zwei ungleiche Teile gesonderten Vorraum. Der kleinere, mit etwas Mobiliar ausgestattet, diente als Wartezimmer für Leute, die den Redakteur meinten sprechen zu müssen, und zugleich für andere, die an der Barriere unter dem Mauerbogen Inserate aufzugeben hatten. Bei dieser Einrichtung genügte ein Diener, um den Verkehr des Bureaus mit den anderen Geschäftsräumen in der Druckerei und den Anmeldedienst zu verrichten.

Dürenholz schickte seine Karte hinein und wurde bald vorgelassen. Herr Holm, ein Vierziger mit einem hübschen Krauskopf und behäbiger Gestalt, übrigens bekleidet mit weißer Weste, hellgeblümter Kravatte und einem rotwollenen Jacket, das mit einer Reihe übergroßer Perlmutterknöpfe besetzt war, empfing ihn mit einem musternden Blick und ersuchte ihn, ohne sich vom Schreibtisch zu erheben oder die Zigarre fortzulegen, auf einem Stuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen. »Erinnerte mich Ihres Namens gleich, Herr Amtsrichter,« sagte er, sich zurücklehnend und das Kinn hochhebend. »War ja damals ein Hauptspektakel, als Sie die Affaire mit dem Grafen hatten und das Duell verweigerten. Unsere Zeitung hat auch davon umständlich Notiz genommen. Schade, daß damals noch nicht Doktor Haring für uns schrieb; sonst wäre der Stoff noch besser ausgeschlachtet worden. Haben Sie seinen jüngsten Artikel in der Duellfrage gelesen? Hat Schneide, nicht wahr? Das heißt, persönlich stimm ich mit seinen Ansichten nicht ganz überein, und ich glaube, er selbst meint's auch nicht so scharf. Aber für unser Publikum ganz vortrefflich. Hier dominiert der Kaufmann mit seinen Anschauungen, und dem ist so ein Artikel allemal aus der Seele geschrieben. Also Journalist sind Sie geworden, und in Amerika haben Sie Ihre Schule durchgemacht. Das ist verständig. Lassen Sie mich genauer wissen, was Sie gelernt haben und meinen leisten zu können.« Die Auskunft schien den Herrn Chef-Redakteur mehr und mehr zu befriedigen.

Er griff nach einer Kiste Cigarren und hielt sie dem Gast hin. »Sehen Sie, ich muß einen ganz zuverlässigen Mann neben mir haben,« bemerkte er; »der sozusagen die eigentliche Arbeitslast auf seine Schultern nimmt. Ich habe viel gesellschaftliche Pflichten zu erfüllen – Sie wissen ja, in den reichen Kaufmannshäusern wird gut gegessen und getrunken – und muß mich mit der obersten Leitung begnügen. Thu's auch gern. Na, die Juristen pflegen ein Päckchen tragen zu können, und es wäre auch ganz schön, wenn wir in mancherlei Zweifelsfällen nicht erst einen Rechtsanwalt zu befragen brauchten. Doktor Haring ist ein genialer Kerl, aber man kann ihm nicht um die Ecke trauen – als Redakteur unverwendbar. Ich muß mich auf eine solide Kraft stützen können.«

Nachdem die Unterredung wohl eine Stunde gedauert hatte, sagte er: »Alles in allem – Sie gefallen mir recht gut, und ich möchte glauben, daß wir miteinander glatt fertig werden könnten. Ich erkläre mich also bereit, mit Ihnen auf die festgestellten Bedingungen abzuschließen. Es ist aber vorher noch eine kleine Förmlichkeit zu erfüllen. Sehen Sie, ich bin zwar gewissermaßen Eigentümer der Zeitung, die ich redigiere, aber mein Schwager hat sein Geld darin stecken, und deshalb will er ein Wort mitreden, wenn es sich um Anstellung des zweiten Redakteurs handelt. Wenn Sie sich also zu ihm bemühen wollten ... Ich werde Ihnen etwas für ihn aufschreiben, was seine Wirkung nicht verfehlen wird, und es handelt sich, wie bemerkt, um eine bloße Förmlichkeit.«

Er fing sogleich an, eine Karte zu beschreiben, wobei er viel schnaubte und stöhnte, als ob er eine schwere Arbeit zu verrichten hätte.

»Darf ich mich erkundigen, wie Ihr Herr Schwager heißt?« fragte Dürenholz.

»Glauberg.«

»Glauberg – ? Veit mit Vornamen?«

»Ja, Veit Glauberg.«

»Fabrikant –«

»Früher. Er hat das Geschäft aufgegeben und lebt von seinem Gelde. Kennen Sie ihn?«

»Wenn er derselbe ist ... einer meiner ältesten und besten Freunde. Und ich erinnere mich jetzt auch, daß er von einem Zeitungskauf gesprochen hat. Er wohnt hier?«

»Ja, seit einiger Zeit. In der Villa mit großem Garten fast nebenan – nur wenige Häuser weiter, wo die eigentliche Straße aufhört. Er wollte seiner Schwester näher sein und irgend etwas zu thun haben – vielleicht auch mir besser auf die Finger zu sehen – ha, ha, ha! Denn von Finanzwissenschaft und Ökonomie verstehe ich wirklich nicht viel. Na, wenn er Ihr alter Freund ist, brauche ich mir ja nicht die Finger abzuschreiben; dies hier wird ausreichen, bringen Sie ihm das.«

Dürenholz nahm das couvertierte Blättchen und stand auf. »Besten Dank!« Die überraschende Nachricht, den Freund so nahe zu haben, hatte ihn froh erregt.

»Wann haben Sie Glauberg zuletzt gesehen?« fragte Holm, sich nun auch von seinem Sessel erhebend.

»Vor etwa vier Jahren.«

»Dann werden Sie ihn sehr verändert finden. Er ist krank und wenig beweglich, obgleich außer Bett.«

»Krank?«

»Ganz invalide – körperlich wenigstens.«

»Aber was ist –«

»Sie werden ja sehen und wahrscheinlich auch hören.« Er zog die Uhr heraus. »Es ist die höchste Zeit, wenn Sie ihn noch vor Tisch sprechen wollen.«

Dürenholz zögerte. »Noch eine Frage. Weiß er, daß Sie mich hierherberufen haben?«

»Nein,« antwortete der Redakteur. »Ich wollte erst selbst mit mir über die Persönlichkeit meines ständigen Mitarbeiters einig werden. Vorher hatte es keinen rechten Sinn, ihn zu bemühen.«

Dürenholz eilte die Straße hinauf. Er machte sich Gedanken über den sonderbaren Zufall, hier auf den alten Freund zu stoßen, den er im Unglück absichtlich nicht in Anspruch genommen hatte, und mehr noch über die Mitteilung betreffs seiner Krankheit. Ein so frischer, förmlich von Gesundheit strotzender Mensch! Hoffentlich kein dauerndes Leiden.

Das nicht zu verfehlende, im italienischen Villenstil gebaute Haus lag hinter einem durch ein zierliches Eisengitter gegen die Straße geschlossenen sehr hübschen Vorgarten und hatte den Eingang über einer breiten Steintreppe von der Seite her. Die Fenster waren mit Stores verhängt. Ein Springbrunnen plätscherte zwischen der Treppe und der gegenüberliegenden, mit Epheu besponnenen Mauer. Ein paar Marmorputten hatten den Verschluß der großen Schale geöffnet und sahen nun verwundert den Wasserstrahl aufsteigen, der sie beschüttete. Weiter hinaus blickte man in einen Garten mit alten schattigen Bäumen und zierlichen Lauben.

Da wohnte ein reicher Mann!

Dürenholz schickte Holms Schreiben mit seiner Karte hinein. Keine halbe Minute darauf erschien der Diener wieder in der eilig geöffneten Thür. »Bitte einzutreten – dem Herrn sehr willkommen!«

Glauberg hatte in einem Rollsessel gelegen, aus dem er sich nun, mit Hilfe des Dieners, zu erheben bemüht war. Das gelang nur mit großer Anstrengung, indem er sich krampfhaft auf einen starken Krückstock stützte und dadurch nachhalf. Als er dann stand, war der Körper doch gebeugt und zitterten die Beine noch eine Weile. Er sah sehr elend aus, die Haut wachsgelb und der lange Bart grau. »Dürenholz –!« rief er mit dem Ausdruck größter Freude, indem er ihm den Arm, den der Diener unterstützte, entgegenzustrecken suchte, »mein lieber, alter – bist du's denn wirklich? Wo kommst du her?«

Dürenholz ging schnell auf ihn zu, umarmte und küßte ihn. »Du aber –! Ich habe noch vor einer Stunde keine Ahnung gehabt. Diese freudige Überraschung! das heißt – wenn ich dich so sehe ... Ich hörte, du seist krank, und wie ich dich da vor mir habe ... Setze dich gleich wieder in deinen bequemen Stuhl, Liebster. Ich möchte nicht daran schuld sein –«

»Ja, es ist mit mir kein Staat mehr zu machen,« unterbrach ihn der Freund, »ich kann mir denken, daß mein Anblick dich erschreckt. Aber in diesem Augenblick ist mir ganz wohl. Ein so liebes, gutes Gesicht wiederzusehen–! Ich hatt's schon ganz aufgegeben, denn du warst mir gänzlich verschollen.« Er legte den mit dem Krückstock bewaffneten Arm auf seine Schulter und erwiderte die brüderlichen Küsse.

Dann ließ er sich in den Rollstuhl zurücklegen und mit der herabgefallenen wollenen Decke bedecken. Er atmete keuchend, wie nach einer übermäßigen Anstrengung, hustete und rasselte aus der Brust her. Der Diener mußte sich entfernen, Dürenholz sich auf einen Sessel neben ihn setzen. Er nahm jetzt seine Hand und hielt sie fest. »Ich ersehe aus Holms Kritzelei,« sagte er, »daß du in Amerika gewesen, Journalist geworden bist. Das zum voraus: bestimme dein Gehalt, deine Beschäftigung bei der Zeitung – Bedingungen giebt's unter uns gar nicht. Ich bin so froh ... Aber das versteht sich ja alles von selbst. Gehen wir erst in die Vergangenheit zurück. Ich will haarklein erfahren–« Der Husten zwang ihn zu einer Unterbrechung.

»Du weißt, was mir passiert ist, Veit?«

»Soviel man davon in den öffentlichen Blättern lesen konnte, die für und wider Partei nahmen. Ich wartete eine Weile, ob du dich nicht an mich wenden würdest. Dir meinen Beistand anzubieten, durfte ich nicht gut wagen. Und vielleicht brauchtest du ihn auch gar nicht, und jedenfalls wolltest du nicht ... Erst als die Nachricht kam, daß du deinen Abschied genommen hättest, glaubte ich nicht länger stillbleiben zu dürfen. Aber ein Brief an dich gelangte mit der Aufschrift zurück: Abgereist, unbekannt wohin. Da mußte ich mich wohl begeben. Aber recht böse bin ich dir gewesen – wahrhaftig. So stolz zu sein!«

»Es war mir damals garnicht zu helfen,« antwortete Dürenholz, »auch vom besten Freunde nicht. Nicht mit Rat und nicht mit That – am wenigsten mit Geld. Ich fühlte das Bedürfnis, zu verschwinden und mich erst einmal in der Vergessenheit zu dem anderen Menschen gleichsam umzuarbeiten, der sich dann wieder als leistungsfähig präsentieren könne. So benutzte ich nun auch den Vorteil, den mir der öffentliche Spektakel bot, nicht, um mich anderswo gut unterzubringen. Ich hatte mehr verloren, als die Zeitungen wußten. Als wir uns in Berlin trafen, sagte ich euch, daß ich verlobt sei, bald Hochzeit zu feiern gedächte. Der Vater meiner Braut – ich sagte euch ja wohl, daß er Offizier sei – hielt mich für beschimpft und hob das Verhältnis auf. Davon kein Wort weiter, auch zu dir nicht. Aber es hat mich tief geschmerzt – viel mehr, als irgend ein Mensch wußte – so daß ich wie ein verwundetes wildes Tier am liebsten eine einsame Höhle aufgesucht hätte. Was man mir sonst angethan, betrachte ich jetzt viel ruhiger, da mir die Galle aus dem Blut ist. Auch dieser Duellwahnsinn hat Methode. Wer ihn bekämpft, bricht in eine wohlbewehrte Festung ein, die für eine Burg zu Schutz und Trutz der Standesehre gehalten wird, und da ist's am Ende nicht wundersam, daß er mit allen Mitteln hinausbefördert wird. Nur in dem einen möchte ich ungern bei dir den möglichen Verdacht bestehen lassen, daß ich doch wohl meine richterlichen Befugnisse nicht vorsichtig und rücksichtsvoll genug ausgeübt haben könnte. Da ist alles verdreht, um mir etwas anhängen zu, können, absichtlich und unabsichtlich. Ich habe mein Verhalten sehr scharf geprüft und kann mir auch heute noch keine Schuld beimessen.«

Er erzählte den Vorfall, wie er sich seinem Gedächtnis in allen Einzelheiten genau eingeprägt hatte, und fuhr dann fort: »Aber nun genug und übergenug von mir, Liebster. Sage mir, was dein schweres Leiden veranlaßt hat. Du, früher die Gesundheit selbst –«

»Ich muß mich vor dir schämen,« fiel Glauberg ein, »eingestehen zu müssen, daß ich die Folgen einer Verirrung trage, die du nicht für verzeihlich wirst gelten lassen können. Ich habe ebensowenig als Freund Runge das gegebene Wort gehalten, unter keinen Umständen mit den Waffen Genugthuung zu fordern, nur daß ich nicht so schnell und aus zwingenderer Veranlassung abtrünnig geworden bin.«

»Du bist im Duell ...« rief Dürenholz aufs äußerste überrascht.

»Zum Krüppel geschossen,« ergänzte Glauberg. »Ja. Die Kugel des Gegners hat mir nicht nur die Lunge durchbohrt, sondern auch das Rückenmark beschädigt. So siehst du mich in diesem traurigen Zustande bei noch jungen Jahren – eine lebendige Illustration zu dem Wahrheitssatz: Das Duell ist Blödsinn.«

Dürenholz drückte seine Hand, deren Pulse fühlbar schlugen. »Mein armer, armer Freund!«

»Ich will dich mit der hundsföttischen Geschichte im einzelnen verschonen,« fuhr der Kranke fort, die Augen immer nach der Decke senkend, die er nach den Knieen hin abgeworfen hatte. »Kurz nur soviel: Ich hatte für meine Fabriken einen Direktor angestellt, den ich einer schweren Notlage entriß. Er war mein Hauptmann gewesen, als ich als Einjährig-Freiwilliger diente, und erfreute sich seines zänkischen Wesens wegen bei seinen Kameraden und als launenhafter Vorgesetzter bei der Kompanie keiner Beliebtheit. Mich behandelte er anständig, deckte mich auch einmal gegen einen Offizier, den er seiner soldatischen Pedanterie wegen nicht gut leiden konnte. Das nahm mich für ihn ein. Ich erfuhr schon damals, daß es ihm schlecht gegangen sei, da seine Frau ihr ganzes Vermögen im väterlichen Konkurse verloren hätte. Wahrscheinlich war ihm so schlecht zu Mute, daß sich seine Unliebenswürdigkeit daraus erklärte. Später einmal als Offizier zur Übung eingezogen, fand ich ihn zum Major aufgerückt wieder. Er stand nicht im besten Ansehen, da man wußte, daß er Wucherern in die Hände gefallen war, die ihn aussogen und zu bedenklichen Aushilfen nötigten. Bald darauf erhielt er wegen seiner Schulden und gewisser Unregelmäßigkeiten im Kassenwesen des Bataillons den Abschied, und nun war er ganz dem Elend preisgegeben, wenn er mit zahlreicher Familie von seiner Pension leben sollte. Er wendete sich an mich mit der Anfrage, ob ich ihm nicht eine lukrative und zugleich standesmäßige Beschäftigung zuweisen könnte. Das Mitleid verführte mich, ihm die gerade vakante Stelle des Fabrikdirektors anzubieten, in die er sich freilich erst einzuarbeiten haben würde. Er griff eifrigst zu. In kurzer Zeit stellte sich seine gänzliche Untauglichkeit heraus. Ohne etwas lernen zu wollen, spielte er nur den großen Herrn, verkehrte er mit den Beamten übermütig und brachte er die Arbeiter gegen sich dadurch auf, daß er sie wie Rekruten behandelte. Er dachte auch nicht daran, die Schulden abzutragen, sondern ließ seine Frau gewähren, die den Hausstand auf großem Fuß einrichtete. Das Geschäft ging bergab. Da er auf Warnungen nicht achtete, blieb mir zuletzt nichts anderes übrig, als ihn zu entlassen. Nun schnaubte er Wut und forderte mich, weil seine Ehre verletzt sei. Ich wies ihn ab, und dafür rächte er sich durch die nichtswürdigsten Verleumdungen, als hätte ich mir durch falsche Vorspiegelung Lieferungen erschlichen und seiner Frau nachgestellt. Ich klagte, und er ließ sich, ohne sich dem Richter zu stellen, verurteilen, indem er es unter seiner Würde erklärte, die Wahrheit seiner Behauptungen erst noch nachzuweisen; ich hätte mich dadurch selbst gerichtet, daß ich ihm feige die Satisfaktion verweigerte. Seine Dreistigkeit fand Glauben, und mir fehlte nun jedes Mittel, die Lüge zu entlarven. Man hatte die Unverschämtheit, mir unter der Hand anzuraten, sein Schweigen durch ein Kapital zu erkaufen. Ich zweifelte nicht, daß er selbst die Anregung zu diesem Vorschlag gegeben hätte. Empört über so viel Undank und Bosheit, schließlich durch versteckte Angriffe in öffentlichen Blättern um alles ruhige Nachdenken gebracht, that ich, was ich nicht hätte thun sollen: ich ließ ihm nun selbst eine Forderung zugehen. Das war's, was er erreichen wollte. Er erschien auf dem Platz und – knallte mich nieder. Ha, ha, ha! Nun war der Beweis geführt, daß er ein Ehrenmann und ich im Unrecht gewesen war.«

Während dieser Erzählung hatte er viel mit Atemnot zu ringen gehabt. Von seinem verzerrten Gesicht war abzulesen, welche furchtbaren Schmerzen er litt. Dürenholz streichelte seine Hand, um ihn zu beruhigen, aber er brach in Thränen aus und rief: »Hätte der Elende mich totgeschossen, mir wäre wohl! Aber nun siech mein Leben lang, kaum ein halber Mensch, oft von Krämpfen heimgesucht, die mich unter das Tier erniedrigen ... Mag mir Gott verzeihen, wenn ich einmal in der Verzweiflung diesem entsetzlichen Dasein ein schnelles Ende bereite! Ich trage bei mir, was mich von aller Qual befreit.«

Er hatte seine kranke Lunge so angestrengt, daß ihn nun ein keuchender Husten überfiel, unter dem sich der ganze Körper wand. Dürenholz trat hinter ihn und hob ihm den Kopf, aber mit wenig Erfolg. »Laß nur –« stöhnte der Kranke, »es muß sich – austoben ...«

In diesem Augenblick öffnete sich die Seitenthür ein wenig, und eine sanfte Frauenstimme fragte herein: »Kann ich dir etwas reichen, Veit? Der Husten quält dich wieder sehr. Hast du Friedrich fortgeschickt?«

Dürenholz horchte auf, die Stimme kam ihm so bekannt vor. Nein, er konnte sich nicht täuschen . .

Da ertönte auch schon ein leiser Aufschrei aus der noch weiter geöffneten Thür. Dürenholz hatte rasch aufgeblickt und Adelheid erkannt.

»Tritt nur ein,« keuchte Glauberg, »da ist nichts zu erschrecken, liebes Kind – wollte dich ohnedies bitten lassen ...« Er wandte sich zum Gast. »Meine Frau.«

»Deine –« Dürenholz erstarrte das Wort im Munde. Er stand zum Glück noch hinter dem Kranken, sonst hätte diesem der jähe Wechsel der Farbe auffallen müssen. Nun trat Adelheid auf die Schwelle. Sie hatte sich gefaßt und gab Dürenholz durch einen blitzschnellen Wink der Augen und ein leises Schütteln des Kopfes zu verstehen, daß der Kranke nichts wisse und Schweigen geboten sei. Er fügte sich, behielt aber seinen Standort hinter dem Rollstuhl, um sein erschrockenes Staunen besser verbergen zu können. Das heftige Pochen des Herzens fühlte er bis in die Schläfen.

»Meine Frau,« wiederholte Glauberg wie vorstellend. »Herr Walther von Dürenholz, einer meiner ältesten und besten Freunde, früher Amtsrichter, jetzt Journalist.«

Adelheid verbeugte sich, die Augen niederschlagend. »Ich bin sehr erfreut ...«

»Er bleibt jetzt – hier,« fuhr Glauberg fort, »wir haben ihn – für unsere Zeitung – eingefangen –«

»Das heißt –« unterbrach Dürenholz.

»Ich denke, wir sind schon einig. – Aber willst du uns nicht Gesellschaft leisten, liebe Adelheid?«

»Es wird im Augenblick nicht sein können,« antwortete sie unsicher. »Ich muß notwendig –«

»Gut denn – also später bei Tisch. Walther bleibt zum Essen.«

»Unter keinen Umständen,« fiel dieser ein, »es ist mir unmöglich –«

»Aber rede doch nicht. Du bleibst bei uns zum Essen. Es versteht sich ja ganz von selbst.«

»Nein wirklich, Veit –« »Ich nehme da – keine Ausrede an, die diesmal auch – fadenscheinig genug sein müßte, da du doch – anderweitig nicht gut versagt sein kannst. Du genierst gar nicht. Meine Frau ist immer – auf einen Gast eingerichtet. Und einem so lieben alten Freunde zu Ehren – braucht sie nicht einmal andere Toilette – zu machen.«

Damit war nun jeder weitere Einwand abgeschnitten. Auch Adelheid fügte sich ohne jeden Versuch der Widerrede. Sie reichte dem Kranken vom Tisch ein Tränkchen und zog sich dann zurück. »In einer Viertelstunde werde ich bitten können.«

Dürenholz ward vor den Augen, als ob sie auf einem bewegten Wasser fortschwebte. Ihn schwindelte. Er stützte sich auf die Lehne seines Sessels. »Deine Frau ...«

»Wie gefällt sie dir?« fragte Glauberg lächelnd.

»O –! – Ich wußte natürlich nicht –«

»Daß ich – zu allem Unglück – auch noch verheiratet sei. Natürlich. Wohin hätte ich dir's anzeigen können?«

»Und seit wie lange – ?«

»Seit einem Jahr so praeter propter. Etwas darüber.«

»Nachdem bereits dein Duell –«

»Ja. – Setze dich doch.« Er hatte aus dem Glase geschlürft und seine Brust ein wenig beruhigt. »Das ist eine wunderliche Geschichte, weißt du. Aber mit ein paar Worten erzählt. Ich war nach dem unseligen Duell in den Händen von allerhand Ärzten. Die Lunge konnten sie mir – doch nicht flicken, nicht einmal die Kugel herausbringen, die sich zwischen zwei Wirbel – festgeklemmt haben muß. Mein Zustand war greulich. Er verschlechterte sich von Tag zu Tag, und das Ende schien nicht absehbar. Die Wunde heilte nicht und verbreitete einen pestilenzialen Geruch. Nach einigen Monaten sah ich ein, daß ein solcher Kranker in seiner eigenen Wohnung auf die Dauer nicht gehalten werden könne. Ich ließ mich also in das städtische Diakonissenhaus schaffen, wo ich ununterbrochene Pflege und Wartung haben könnte. Ich war ja hilflos wie ein kleines Kind. Dort nun wurde ich einer der jüngeren Schwestern zur besonderen Aufsicht überwiesen. Was sie, unermüdlich und mit wahrer Engelsgeduld, für mich gethan hat, ist unbeschreiblich. Ihrer unausgesetzten Sorgfalt verdanke ich es – soweit da zu danken ist – daß die Eiterung aufhörte und die Wunde vernarbte. Freilich ergab sich auch, daß ich nie wieder frei würde atmen, nie wieder anders, als auf die Krücke gestützt, würde gehen können, und daß die Krampfzufälle von Zeit zu Zeit immer wieder würden ertragen werden müssen. Eine trostlose Aussicht für die Zukunft! Nun verlangte man aber auch, daß ich in vorbestimmter Zeit das Krankenhaus räumen sollte, in dem Sieche nicht gelitten werden durften. Ich hatte mich an die Pflege der braven Schwester Adelheid so gewöhnt, daß ich den Gedanken nicht fassen konnte, sie nun entbehren zu sollen. Es war, als ob sie die Macht hatte, den wütendsten Schmerz durch Handauflegen und freundliche Worte zu besänftigen. Ich fürchtete mich vor dem Gefühl der Verlassenheit, das mich entfernt von ihr befallen müßte, und wußte, daß ich mir mit allem Gelde die Treue meiner Dienerschaft nicht erkaufen könnte. Weibliche Pflege war mir unentbehrlich. So machte ich denn Schwester Adelheid den Vorschlag, ihre Thätigkeit in der Diakonissenanstalt ganz aufzugeben und sich mir allein zu widmen. Um ihre Stellung in meinem Hause über jede Anfechtung hinauszuheben und sie zugleich nach meinem Tode völlig zu sichern, bot ich ihr meine Hand an. Sie weigerte sich anfangs, aber die Oberin selbst redete ihr freundlich zu und gab zu bedenken, daß sie in ihrer Armut eine solche Versorgung fürs ganze Leben nicht ausschlagen dürfe. So willigte sie endlich ein, und wir wurden an dem Tage, an welchem ich das Haus verlassen mußte, um zunächst im Süden längeren Aufenthalt zu nehmen, von dem Anstaltsgeistlichen getraut, nachdem der Standesbeamte am Krankenbett seine gesetzliche Pflicht erfüllt hatte.«

So also war's gekommen, daß Adelheid des Freundes Weib geworden war. Sein Weib? Eine angeheiratete Krankenpflegerin. Um so trauriger für sie. Aber diese Vorstellung erleichterte Dürenholz doch die beklommene Brust. »Das ist eine wundersame Schickung,« sagte er, wie vor sich hinsprechend. »Ein sehr verständiger Entschluß von beiden Seiten, denke ich,« bemerkte Glauberg. »Ich gestehe gern, daß das Gefühl der Dankbarkeit bei mir sehr warm geworden war und einer herzlichen Zuneigung recht ähnlich sah. Gleichwohl wäre ich vielleicht nicht so egoistisch gewesen, das sehr schöne und liebenswürdige, wenn auch nicht mehr ganz jugendliche Mädchen an mich zu fesseln, wenn ich nicht Adelheid selbst sagen gehört hätte, daß sie nach sehr traurigen Erfahrungen nie einem Manne ihre Liebe zuwenden könne und sich gerade deshalb von der Welt zurückgezogen habe, lediglich noch ihrem Samariterdienste zu leben. Ich durfte diese Erklärung für ganz ernst gemeint halten. Und ganz ernstgemeint war denn später auch meine Versicherung, daß ich von ihr nicht Liebe, nur Barmherzigkeit beanspruche.«

Dürenholz schwieg eine kleine Weile, den Unmut niederzukämpfen, der sich seiner wieder bemächtigte. Adelheid hatte ihn nicht vergessen gehabt, und doch ... Dann sagte er, wie nur freundschaftlich beteiligt: »Und hast du dich danach erkundigt, was ihr Gemüt so arg verbittert hatte, daß eine solche Entsagung ....«

Glauberg schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich? Ich forderte ja von ihr nichts, was ein solches Eindringen in ihr Innerstes hätte rechtfertigen können. Eine unglückliche Liebe natürlich! Vielleicht ein Fehltritt – was ging's mich an? Ich hatte die volle Zuversicht zu ihr, daß sie mir nicht die Hand reichen würde, wenn sie nicht mit gutem Gewissen meinen Namen annehmen könnte. Ich erfuhr nur, daß sie eine Waise sei –«

»Eine Waise?«

»Ja, die Tochter eines verstorbenen Offiziers, der die Frau schon lange vorher durch den Tod verloren hatte. Es war kein Vermögen hinterblieben. Die jüngere Schwester hatte eine Gouvernantenstelle angenommen, zwei Brüder dienten beim Militär. Ich habe die Verwandten nie gesehen. Nur mit Mühe habe ich meine Frau vermögen können, für sie eine regelmäßige Unterstützung anzunehmen. Ich glaube, sie wollte mir da nichts zu verdanken haben: Das hätte man ihr vorwerfen können, daß sie mich geheiratet habe, um ihre Geschwister zu versorgen. Ihr Stolz macht da sehr feine Unterschiede.«

»Ihr lebt glücklich miteinander,« warf Dürenholz so hin, ohne recht daran zu denken, was er sagte. Der Oberstleutnant tot! – das war eigentlich der einzige Punkt, der in seinem Hirn haftete. Tot – nicht lange nach seiner Abreise gestorben –! und er hatte es nicht erfahren.

Glauberg nickte. »Ja, glücklich. Soweit da von Glück überhaupt die Rede sein kann. Adelheid ist die Güte und Nachsicht selbst. Sie pflegt den Kranken bei Tag und Nacht, sie führt musterhaft seine Wirtschaft, hilft ihm bei der Verwaltung seines Vermögens – und das alles mit himmlischer Sanftmut und ruhiger Ergebung in ihr schweres Schicksal. Für mich ist's ein Glück, das ich gar nicht dankbar genug erkennen kann. Und sind meine Augen nicht jung und ganz gesund? Sollen sie sich nicht weiden an so viel Schönheit und Anmut? Wär's nicht unnatürlich, wenn mein Herz unbeteiligt bliebe, das die Kugel doch nicht getroffen hat? Ah –! es giebt Zeiten! ... Ein wahnsinniges Gefühl von Eifersucht erfaßt mich dann –«

»Von Eifersucht?«

»Ich habe kein anderes Wort. Nicht wie es gewöhnlich gemeint ist! Nie hat Adelheid mir den mindesten Anlaß gegeben, mich zu beunruhigen, als hätte irgend ein Mensch in ihrer Schätzung vor mir etwas voraus. Es müßte denn ein Toter sein – ich will sagen, einer, der einmal für sie gelebt hat, und der ihr gestorben ist, und den sie in ihrem Herzen betrauert. Ich weiß es nicht. Aber eifersüchtig bin ich auf jeden Gesunden, der hat, was mir fehlt. Denn ich fühle wie so einer, habe das brennende Verlangen, ein Gefühl zu erwecken, das mich beglücken könnte, und bin mir doch der Grausamkeit bewußt, mit dem Feuer zu spielen. Du wirst mich auslachen. Wie weiß ich denn, daß meine Leidenschaft zünden würde, wenn sie sich frei ergehen könnte? Wahrscheinlich hätte sie nie den Anreiz erhalten aufzuflammen, wenn ich mit gesunden Gliedern .... Lassen wir das, lassen wir das! Es ist, wie es ist. Aber dem Freunde darf ich's gestehen, daß ich mein schönes und engelgutes Weib liebe.«


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