Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Die kleine Stadt, in welcher Walther von Dürenholz sein Richteramt verwaltete, lag seitab von der großen Verkehrsstraße zwischen Ost und West, war aber doch durch eine Eisenbahn »angeschlossen« und seitdem entschieden im Aufblühen. Das Landgericht lag nur zwei Meilen entfernt und war selbst mit dem Bummelzuge in einer kleinen Stunde zu erreichen. Der Amtsrichter besuchte dort regelmäßig das Juristenkränzchen und beteiligte sich auch bei den Vorträgen, die von Zeit zu Zeit gehalten wurden. Er brauchte sich nicht auf seinem Posten verlassen zu fühlen, konnte in schwierigeren Rechtsfällen leicht einen Meinungsaustausch mit Kollegen herbeiführen. Da er mit Amtsgeschäften nicht übermäßig belastet war, blieb ihm Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit, die er liebte, und zu geselligem Umgang, der allerdings mit einer gewissen Vorsicht gewählt werden mußte.

Viele von den Bürgern betrieben noch Ackerwirtschaft, allein als Nahrungszweig oder in Verbindung mit einem Handwerk. Die am Markt und in der Hauptstraße wohnenden Kaufleute hatten es meist nur zu sehr mäßigem Wohlstande gebracht, gehörten zwar der Kasinogesellschaft an, die ein Haus mit hübschem Garten am Flüßchen besaß und im Winter Bälle, Konzerte, Liebhabertheater und andere Vergnüglichkeiten veranstaltete, erhoben aber darüber hinaus nicht den Anspruch, in den geselligen Verkehr der Honoratioren gezogen zu werden, zu welchen die Offiziere eines im Städtchen garnisonierenden Bataillons, der Landrat, der oberste Steuerbeamte, die Geistlichen, der Kreisbaumeister, die Ärzte und Rechtsanwälte, ein paar Fabrikbesitzer, einige Pensionäre aus dem Militär- und höheren Beamtenstande, die den kleinen, aber hübschgelegenen Ort seiner Billigkeit wegen aufgesucht hatten, allenfalls auch der Bürgermeister und Apotheker gehörten, neben denen dann von auswärts die großen Gutsbesitzer der Umgegend und der Oberförster in Betracht kamen. Den Unverheirateten stand ein Mittagstisch in dem vornehmsten Gasthause zur Verfügung, das sich schon »Hotel« nennen durfte. Daran nahm auch der Amtsrichter teil, ohne sich durch die ständige oder ambulante Nachbarschaft einiger dii minores genieren zu lassen.

Dürenholz lebte vorsichtig zurückgezogen. Von den politischen Parteikämpfen, die natürlich auch hier, namentlich zu Mahlzeiten, mächtig auf- und abwogten, hielt er sich grundsätzlich fern, auch in kirchliche Streitigkeiten mischte er sich nicht. Er versteckte seine liberale Gesinnung keineswegs, wenn es darauf ankam, Farbe zu bekennen, zeigte sich aber nicht in Versammlungen und suchte auch nicht einmal Beziehung zu den Führern, die seine Ansichten vertraten. Der Herr Landrat und der Herr Superintendent wußten schon, daß von ihm keine Unterschrift für ihre Aufrufe zu erlangen war, wenn er auch bei patriotischen Festlichkeiten nie ausblieb. Er entschuldigte sich nach beiden Seiten hin damit, daß die richterliche Stellung ihm verbiete, rechts oder links als Parteimann thätig zu sein; man solle völlig überzeugt zu ihm aufs Gericht gehen, daß er ganz unbefangen und unbeeinflußt urteile, niemandem zuliebe noch zuleide. Dagegen war freilich nichts zu sagen, aber dieser hohe Standpunkt gefiel den Stützen des Staates und der Kirche doch wenig, und im stillen unter sich äußerten sie ihre argwöhnischen Bedenken, ob er nicht mehr gegen sie als gegen ihre demokratischen Widersacher eingenommen sei; in gewissem Sinne hätten sie gerade den Amtsrichter gern parteiverläßlich gewußt.

Sein eigener Schwiegerpapa, in dessen Hause er wöchentlich einige Abende verbringen durfte, war in dieser Hinsicht mit ihm nicht ganz zufrieden. Der Oberstleutnant Müller, obgleich wegen seiner Zurdispositionsstellung gegen einige hohe Militärs tief ergrimmt, ließ doch über seine konservative und streng kirchliche Gesinnung keinen Zweifel aufkommen. Er hatte bei der Artillerie gedient und stets als das Muster eines pflichttreuen, ganz in seinem Beruf aufgehenden Soldaten gegolten. Seinen untergebenen Offizieren war er ein recht unbequemer Vorgesetzter gewesen, den Mannschaften wendete er seine väterliche Sorge zu, wennschon er es auch an harten Besserungsstrafen nicht fehlen ließ. Als Hauptmann hatte er Vorzügliches geleistet und war bei jeder Truppenvorstellung belobt worden. Der Major beschäftigte sich vielleicht schon zu pedantisch mit dem Kleindienst. Er hatte als junger Offizier den Krieg mitgemacht, sich durch Tapferkeit ausgezeichnet und das eiserne Kreuz verdient; nun spornte ihn der militärische Ehrgeiz, sich in eine hohe Stellung hinaufzubringen. Dabei versah er es durch zu großen Eifer. Als er der nächste zum Regimentskommandeur war, erhielt er zu seiner schmerzlichsten Überraschung den Abschied, in der gnädigsten Form freilich unter Verleihung eines sehr schönen Ordens, aber doch den Abschied. Er war überzeugt, daß der bürgerliche Name Müller und der Mangel an Vermögen ihn zu Fall gebracht hätten. Deshalb im Innersten verbittert, blieb es doch nun erst recht sein Bemühen, den strammen Soldaten herauszukehren, der dem Könige noch lange gute Dienste hätte leisten können. Er behielt die militärische Haltung bei, trug immer eine steife Halsbinde, den Rock mit dem Ordensbändchen hoch zugeknöpft, den grauen Bart am Kinn ausrasiert. Er las nur die Kreuzzeitung und das Militär-Wochenblatt, sprach über alle Tageserscheinungen, die seinen enggezogenen Gedankenkreis störten, schroff ab und gefiel sich in einem barschen, befehlshaberischen Tone, der angestoßen hätte, wenn man nicht seinem wie aus einem Guß geformten soldatischen Charakter kleine Ausschreitungen nachzusehen geneigt gewesen wäre.

Er hatte seine Frau durch den Tod verloren, als seine älteste Tochter Adelheid erst sechzehn Jahre zählte, und war Witwer geblieben. Zwei Söhne wurden im Kadettenhause erzogen, eine jüngere Tochter besuchte noch die Schule. Er hatte es nicht leicht, sich mit seiner Pension standesgemäß durchzubringen, und war in seinen Ausgaben pedantisch genau. Adelheid führte ihm die Wirtschaft und mußte über ihre Kasse am Schluß jedes Monats umständlich Rechnung legen; es gab ein Himmeldonnerwetter, wenn sie nicht auf den Pfennig stimmte. Es ging in seinem Hause etwas spartanisch zu, was nicht jedem behagte. Der Amtsrichter hatte ihm gleich nach seiner Anstellung eine Visite abgestattet und an Adelheid so viel Gefallen gefunden, daß er trotz der Verschiedenheit in mancherlei Lebensanschauungen gern das Gastrecht in Anspruch nahm. Das ebenso schöne als liebenswürdige Fräulein war damals einundzwanzig Jahre alt gewesen. Rasch hatte sich auf beiden Seiten eine tiefere Herzensneigung gefunden, die zu einem stillen Verlöbnis führte. Was die baldige Vereinigung hinderte, hatte der Amtsrichter schon den Freunden angedeutet.

Der Oberstleutnant konnte ein recht freundschaftliches Verhältnis zu seinem künftigen Schwiegersohn schwer finden. Gerade dessen beste Eigenschaften, den Sinn für ritterliche Unabhängigkeit, für wissenschaftliche Unparteilichkeit wußte er nicht zu schätzen; er machte ihm nicht genug aus seinem adeligen Namen, aus dem Reserveleutnant, er beschuldigte ihn gelegentlich, nicht genug Ehrgeiz zu besitzen; er stellte sich für ihn immer nicht genug in die erste Reihe, wo man gesehen werde. Das könne ja doch auf die allernobelste Weise geschehen!

Der Amtsrichter hörte dergleichen Reden geduldig an, ging aber seinen stillen Weg weiter. Auf Adelheids Zustimmung konnte er sich verlassen. Sie war ihrem Vater sehr unähnlich; es hieß, sie habe der Mutter Sanftmut, Seelenheiterkeit und geistiges Wesen geerbt. Fügte sie sich auch den Anordnungen des herrischen Vaters freundlich und willig, so teilte sie doch dessen Ansichten oft nicht, wußte sich aber mit ihrem Bräutigam immer einig, an dem sie mit schwärmerischer Verehrung hing. Sie bemühte sich oft mit Erfolg, stürmische Aufwallungen des alten Brausekopfs niederzuhalten oder wenigstens die aufgetriebenen Wogen rasch auszuglätten. So vermittelte sie zwischen ihm und der Gesellschaft; Walther erleichterte ihr gern die Aufgabe, ihn gegen sich in friedlicher Stimmung zu erhalten.

So erzählte er ihm auch von dem, was die Freunde beraten und beschlossen hatten, nichts. Er meinte, sich allezeit so verhalten zu können, daß er nie in die Lage kommen dürfte, seine Grundsätze bethätigen zu müssen.

Als er Runges Brief las, zog ein sarkastisches Lächeln um seine Lippen. Er schloß ihn mit einem sehr bezeichnenden Achselzucken. Kurz darauf erhielt er auch ein Schreiben Glaubergs. Das Duell sei für den Freund glücklich verlaufen, der Gegner habe eine Kugel in die rechte Schulter bekommen – nichts Lebensgefährliches. Er hielt es für seine Pflicht, Runge zu entschuldigen, der wirklich schwer gereizt worden sei. Es müsse ein unglücklicher Zufall genannt werden, daß man gerade mit diesen Leuten zusammengetroffen wäre. Dürenholz konnte sich zu einer Gratulation nicht entschließen. Habeat sibi! brummte er in sich hinein. Er ahnte nicht, was ihm selbst bevorstand.

In der folgenden Woche schon hatte er eine Schöffensitzung. Unter den Fällen, die zur Verhandlung kommen sollten, war auch einer, der einige Meilen in der Runde ein gewisses Aussehen erregt hatte, weil einer der reichsten und vornehmsten Großgrundbesitzer beteiligt war. Der Graf Stieren, ein sehr cholerischer Herr, hatte mit seinem Förster Altmann einen Konflikt gehabt, weil dieser sich nicht ehrerbietig genug gegen ihn benommen, und ihn infolgedessen nicht nur sofort seiner Stelle entsetzt, sondern auch mit Weib und Kind aus dem Försterhause austreiben lassen. Altmann behauptete, daß ihm unrecht geschehen sei und mindestens die Kündigungsfrist hätte abgewartet werden müssen. Als man ihn bei Gericht belehrte, daß er auf eine Entschädigungsforderung angewiesen sei, sollte er im Schloß, wo man ihn nicht zu dem gnädigen Herrn ließ, Drohungen ausgestoßen haben. Endlich hatte er nur seine Sachen aus dem verschlossenen Försterhause herausverlangt und es dann, da man ihm die Schlüssel, verweigerte, mit Gewalt geöffnet. Deshalb war er angeklagt.

In der Gesellschaft ward viel darüber herumgestritten, ob die plötzliche Entlassung gerechtfertigt gewesen sei. Der Graf erfreute sich nicht großer Beliebtheit, und es gab auch unter seinen Nachbarn auf dem Lande einige, die sein rasches Verfahren mißbilligten. Für den Juristen lag der Fall sehr einfach.

Es wurde noch eine andere Sache verhandelt, als der Graf, der als Zeuge geladen war, in einem mit vier Trakehnern bespannten hochräderigen Jagdwagen angefahren kam und vor dem Gerichtsgebäude abstieg. Er trat, von einem Livreediener gefolgt, sogleich in das Sitzungszimmer ein, schritt auf den für die Richter bestimmten erhöhten Raum zu, grüßte vornehm und sagte, das Plaidoyer des Amtsanwalts unterbrechend, in burschikosem Ton: »Ich melde mich, Herr Amtsrichter. Graf Stieren – bin ja wohl bekannt.«

»Ich habe die Ehre,« antwortete Dürenholz nicht unfreundlich, aber etwas förmlich; »Sie werden sich aber noch etwas gedulden müssen, Herr Graf. Wir sind eben in der Verhandlung einer Sache begriffen, wie Sie bemerken, und es steht dann vor der Ihrigen noch eine andere an.«

»Ah! Können Sie denn die gegen Altmann nicht vorziehen?« fragte der Graf. »Ich habe wenig Zeit.«

»Das geht nicht an,« bedeutete ihn der Amtsrichter, »die Reihenfolge des Terminzettels muß eingehalten werden.«

»So, so!« Der Graf zog seine Uhr. »Ich komme aber nur fünf Minuten zu früh.«

»Die Stunde läßt sich nicht so genau einhalten.«

»Die Geschichte wird aber doch nicht lange dauern? Muß ich mein Fuhrwerk ausspannen lassen?«

»Das bin ich außer stande, im voraus zu beurteilen. Es ist aber wahrscheinlich, daß wir nicht ganz so schnell fertig werden, als Sie vorauszusetzen scheinen.«

Der Graf zögerte. »Es ist doch aber alles klipp und klar. Ich begreife überhaupt nicht –«

»Ich kann mich auf eine Erörterung hierüber nicht einlassen,« unterbrach Dürenholz ungeduldig. »Haben Sie nur die Güte, sich in den Zeugenraum zu begeben und dort den Aufruf der Sache abzuwarten.«

Der Graf blieb stehen und machte Bewegungen mit seinem Hut. »So, so – hm! Sagen Sie einmal, lieber Herr Amtsrichter – hm! Haben Sie denn nicht ein anständiges Zimmer für unsereinen?«

Dürenholz mißfiel diese Frage ebenso wie der Ton, in dem sie gestellt war. Die Schöffen wurden schon unruhig, und auch der Amtsanwalt rückte auf seinem Sessel hin und her. Er hielt aber an sich und entgegnete nur ernst: »Ich bedaure, für Zeugen, denen der allgemeine Warteraum nicht anständig erscheint, ein anderes Zimmer nicht zur Verfügung zu haben.«

»So, so,« knurrte der Graf ärgerlich. »Aber Sie werden doch zugeben, Verehrtester –«

»Ich muß jetzt wirklich bitten, die Verhandlung nicht weiter zu stören,« fiel der Amtsrichter ein. »Wollen Sie die Freundlichkeit haben –« Er verneigte sich zum Zeichen, daß er das Gespräch beendigt wünsche.

»Schon gut, schon gut,« sagte der Graf, den Kopf aufwerfend, »bitte, mich nicht hinauszuweisen.«

Er drehte sich kurz um und gab, während er der Thür zuschritt, dem Diener laut Befehle wegen des Fuhrwerks. Dann verschwand er.

Die anstehende Sache war rasch beendigt, die folgende hielt nicht lange auf. Dann betrat der Förster Altmann die Anklagebank.

Er erschien in seinem grünen Rock, den ein paar Kriegsdenkmünzen schmückten, und war sichtlich sehr aufgeregt, unterbrach öfter die Vorlesung der Anklage, so daß er scharf zur Ruhe verwiesen werden mußte, und sprach dann von dem himmelschreienden Unrecht, das ihm geschehen sei. Er habe Zeugen mitgebracht, die bekunden würden, daß er zu seiner Entlassung keinen Grund gegeben habe, dagegen von dem Herrn Grafen geschimpft und sogar mißhandelt sei. Er hatte auch einen Verteidiger angenommen, der nun bestimmte Anträge formulierte und begründete.

Dürenholz sah schon als gewiß an, daß eine sehr erregte Verhandlung bevorstand. Wie stets in solchem Fall ermahnte er sich zu besonderer Aufmerksamkeit auf sein Verhalten. Er pflegte dann mit peinlichstem Feingefühl seiner richterlichen Würde eingedenk zu bleiben.

Graf Stieren wurde hereingerufen. Der Vorsitzende wies ihn auf die Zeugenpflicht hin, unter dem Eide die volle Wahrheit zu sagen, und bat ihn, die rechte Hand aufzuheben und ihm die Formel nachzusprechen. Alle Anwesenden erhoben sich zu dieser feierlichen Handlung von ihren Sitzen.

Der Graf zog unwillig den Handschuh ab. »Es ist doch ein starkes Stück,« sagte er dabei, »daß ich eines solchen Schlingels wegen überhaupt einen Eid leisten muß.«

Es entstand eine allgemeine Bewegung. Altmann zuckte in den Schultern und ließ die Hand klappend auf die Barriere fallen. Der Amtsrichter gab ihm ein Zeichen zu schweigen. »Herr Graf,« sagte er, sich hoch aufrichtend, »ich muß Sie dringend ersuchen, sich aller beleidigenden Äußerungen zu enthalten.«

»Ach – gegen so einen, der auf der Anklagebank sitzt –« bemerkte der Graf verächtlich.

»Er ist noch nicht verurteilt,« berichtigte der Vorsitzende streng, »und auch abgesehen davon –«

»Schon gut,« unterbrach ihn der Graf, den Handschuh auf den Tisch werfend. »Also wenn's denn beliebt ... Ich, Graf Sigismund Tassilo Stieren, neununddreißig Jahre alt, evangelischer Konfession, schwöre bei Gott dem Allmächtigen und – und ... Weiter, wenn ich bitten darf.«

Der Amtsrichter nahm das Barett ab und setzte sich. »Sie scheinen so gereizt zu sein,« sagte er, »daß ich es nicht verantworten kann, Sie vor Ihrer Vernehmung zu vereidigen.«

»Aber – aber – ich wüßte nicht ...«

»Machen Sie nun Ihre Aussage.«

Der Graf mußte sich fügen. »Es kommt ja wohl auf nichts weiter an,« sagte er, »als daß ich den Befehl gegeben habe, die Försterwohnung zu verschließen und dem unverschämten Menschen – pardon! dem p. Altmann die Sachen nicht herauszugeben, an denen ich mich gepfändet hatte. Daß er die Thüren erbrochen hat, wird er nicht frech genug sein zu bestreiten.«

Der Verteidiger war durchaus anderer Ansicht. Es interessiere zu wissen, aus welchem Grunde der Angeklagte Knall und Fall entlassen sei, und welches Recht der Dienstherr gehabt habe, ihm sein Eigentum vorzuenthalten.

Das wollte der Graf nicht gelten lassen. Er habe über seine Handlungen niemand Rechenschaft zu geben und sei ja noch in der Lage, zahlen zu können, was er etwa schuldig sei; die Gewaltthat bleibe unter allen Umständen strafbar.

Der Amtsrichter entschied, es könne doch unter Umständen für das Strafmaß von Bedeutung sein, was sich vorher zugetragen habe. Der Herr Zeuge wolle sich daher auch über den Entlassungsgrund erklären.

Nun gab der Graf einen offenbar stark gefärbten Bericht, immer in nachlässigem Ton, als thue er mit jedem Wort dem Richter eine Gnade an. Der Verteidiger bestritt und berief sich auf die Zeugen des Angeklagten. Der Gerichtshof beschloß, sie zu hören.

Sie wurden einzeln hereingerufen und vernommen. Ihre Aussage bestätigte die Behauptungen des Försters in allen Punkten.

»Es hat ja leibhaftig den Anschein,« rief der Graf feuerrot, »als ob ich hier der Angeklagte bin.«

»Wollen Sie nun Ihre Aussage aufrecht halten?« fragte ihn der Vorsitzende.

»Natürlich!« schrie der Graf ihn an. »Das ist alles erstunken und erlogen.«

»Ich verbitte mir ernstlich solche Ausdrücke,« erklärte Dürenholz, um dem Verteidiger zuvorzukommen, der sich schon zu einer scharfen Entgegnung rüstete. »Der Herr Zeuge hat nicht das Recht, andere Zeugen zu beleidigen.«

»Diese infamen Kerle –« entrüstete der Graf sich weiter. »Ich werde beweisen, daß sie Wilddiebe sind und mit dem fortgejagten Förster unter einer Decke gesteckt haben.«

»Das sollen Sie beweisen – das sollen Sie beweisen!« riefen ihm die Zeugen und der Angeklagte entgegen.

Der Amtsrichter schlug ein Gesetzbuch auf und las daraus einen Paragraphen vor, nach welchem das Gericht Zeugen, die sich einer Ungebühr schuldig machen, eine Ordnungsstrafe bis hundert Mark oder drei Tage Haft auflegen könne.

»Merkt euch das!« rief der Graf den Gegenzeugen zu.

»Es ist auch für Sie gesagt, Herr Zeuge!«

»Ich danke.« Er verneigte sich auffallend tief.

Der Amtsrichter war bleich wie die weiße Schleife, deren Zipfel sich über den schwarzen Sammet der Robe legten; die Narben auf Wange und Stirn zeichneten sich rot ab. »Ich sehe mich genötigt, den Herrn Zeugen darauf aufmerksam zu machen,« sagte er mit leiser, aber bei der herrschenden Stille scharf durchdringender Stimme, »daß sein Benehmen vor Gericht nicht das eines gebildeten Mannes würdige ist.«

Der Graf warf den Kopf zurück. »Ich kann keine Belehrung darüber annehmen, wie ich mein Benehmen einzurichten habe,« antwortete er, »– von niemand!«

»Der Herr Zeuge wolle nun schweigen,« rief der Richter unwillig.

»Ach – der Herr Zeuge, der Herr Zeuge!« spöttelte der Graf mit blitzenden Augen. »Für den Herrn von Dürenholz bin ich allemal der Herr Graf Stieren.«

Der Amtsrichter glaubte an der äußersten Grenze der Nachsicht angelangt zu sein. Er blickte seitwärts zum Amtsanwalt hinüber. »Herr Amtsanwalt –«

Der kleine Herr erhob sich. »Ich muß zu meinem Bedauern dem Gerichtshof anheimstellen, den Herrn Grafen Stieren in eine Ordnungsstrafe zu nehmen,« äußerte er stotternd.

Dürenholz gab den Schöffen einen Wink und trat mit ihnen ab. Nach einer kleinen Weile traten sie wieder ein. »Das Gericht nimmt den Zeugen, Grafen Stieren, in eine Ungebührstrafe von sechzig Mark,« publizierte er.

»Bravo!« erscholl es hinter der Barriere.

»Ich werde auf der Stelle den Zuschauerraum räumen lassen, wenn eine solche Ungehörigkeit sich wiederholt,« rief der Richter mit strenger Stimme hinüber.

Der Graf faßte in die Tasche, zog drei Goldstücke heraus und warf sie auf den Tisch.

»Soviel kostet's also, wenn man sich eine standesgemäße Behandlung ausbittet. Das weitere wird sich finden.«

»Ich werde den Herrn Zeugen jetzt vereidigen,« bestimmte der Richter.

»Ich verweigere mein Zeugnis,« rief der Graf.

»Weshalb?«

»Weil man mich beschuldigt – weil, weil, weil es darauf angelegt scheint, mich meineidig zu machen. Ich werde nicht schwören!« Er verließ sehr aufgeregt das Zimmer.

Die Sache war nun bald beendigt. Das Gericht schenkte den beeideten Zeugen Glauben. Der Förster wurde zu der niedrigsten gesetzlichen Strafe verurteilt. Die Sitzung nahm ihren Fortgang. –

Als Dürenholz am Abend seine Braut besuchte, war er vielleicht etwas ernster als gewöhnlich, gab ihr aber nicht einmal zu der Frage Anlaß, ob ihm etwas Verdrießliches begegnet sei.

Kurz vor dem Essen kam der Oberstleutnant von seiner Skatpartie nach Hause. Er hatte kaum dem Gast die Hand gereicht, als er schon losbrach: »Aber was haben Sie denn heute mit dem Grafen Stieren vorgehabt? Die ganze Stadt ist ja davon voll.«

»Ich dachte es wohl,« sagte Dürenholz, »daß der Vorfall in gewissen Kreisen unliebsames Aufsehen erregen werde.«

»Was? was? In gewissen Kreisen?«

»In denen man es schwer begreift, daß ein reicher Graf, wenn er sich vor Gericht ungebührlich aufführt, wie ein gewöhnlicher Sterblicher zur Ordnung gerufen wird.«

»Aber es ist doch wirklich ein Unterschied –«

»Ich bin so lange als irgend möglich schonend verfahren und habe keine schuldige Rücksicht außer acht gelassen.«

»Es heißt, Sie hätten ihm die Thür gewiesen.«

»Ich habe ihn nur ersucht, sich zu entfernen, als er lästig wurde.«

»Sie hätten ihn fortwährend höhnisch ›Herr Zeuge‹ tituliert.«

»Höhnisch? Gewiß nicht.«

»Und endlich hätten Sie ihm vorgeworfen, er benehme sich wie ein ungebildeter Mensch. Das ist doch –«

»Erzählt man sich's so? Dafür kann ich nicht.«

»Schon daß Sie jemand aus der vornehmsten Gesellschaft in eine Ungebührstrafe genommen haben ... Sie mögen ja im Recht gewesen sein, ich zweifle nicht – aber ...«

»Lieber Papa,« sagte Dürenholz lächelnd, »das sind Gerichtssachen, die ich an anderer Stelle zu verantworten habe. Sie sollten mich genügend kennen, um zu wissen, daß ich in der Robe kein Bramarbas bin. Hoffentlich haben Sie den Herren zu verstehen gegeben, daß Sie nicht alles glauben, was Ärger und Schadenfreude herumtragen.«

»Gewiß, gewiß! Aber es ist doch sehr fatal –«

»Das kann ich ohne weiteres zugeben.«

»Und der Graf darf's ja gar nicht auf sich sitzen lassen.«

»Er hat Rechtsmittel. Aber ich glaube, er wird sich besinnen, sie anzuwenden.«

»Rechtsmittel – pah! Sie sprechen wie ein Jurist.« Er bemerkte, daß seine Tochter unruhig wurde und suchte auszuweichen. »Na – wird sich ja wieder verständig zurechtschieben. Setzen wir uns zu Tisch. Von etwas anderem!«

Als der alte Herr später seine Zeitung las, fand Adelheid Gelegenheit, ihren Bräutigam zu befragen. Es war nicht seine Art, über etwas, das sein Amt betraf, im Familienkreise zu sprechen; da er sie aber besorgt sah, erzählte er ihr einfach, was geschehen sei. »Es wäre gar nicht der Rede wert,« fügte er hinzu, »wenn nicht die beteiligte Persönlichkeit die Blicke auf sich lenkte.«

»Gerade deshalb aber wirst du Unannehmlichkeiten haben, Liebster,« sagte sie. »Diese Menschen fühlen sich in ihrer Ausnahmestellung und verzeihen so etwas nicht.«

»Es kann sein,« antwortete er, »aber die Pflicht über alles. Ich bin mir bewußt, nichts versäumt zu haben, was einem Konflikt vorbeugen konnte, und nicht weiter gegangen zu sein, als das Amt es unbedingt erforderte. Daher bin ich ganz ruhig.«

Adelheid drückte seine Hand.

»Sei vorsichtig, Walther!«

»Gewiß,« sagte er, »du hast nichts zu befürchten.«


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