Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Der Oberlehrer ging nicht ganz sicher; er hatte seinen Arm in den Glaubergs gelegt und stützte sich merklich auf ihn. »Trinken wir noch eine Tasse Kaffee?« fragte er, als sie in die Nähe der Linden kamen.

»Ich habe nichts dagegen,« antwortete Glauberg. »Dürenholz ist doch noch immer der Alte. Ich hörte unseren Senior sprechen, wie er damals gegen die Korps zu Felde zog, die Verderber des studentischen freien Geistes, und gegen die Indifferenten, die auch als Männer nicht Partei ergreifen, sondern sich um alle zeitbewegenden Fragen herumdrücken würden.«

»Ja,« bestätigte Runge weinselig kichernd, »er ging immer auf das Ganze. Und das ist seine Art auch heute noch. Immer auf das Ganze! Er kann's einmal – hi, hi, hi – zu etwas ganz Großem bringen, oder – da drüben ist das Café Bauer.«

Sie steuerten darauf hin. Glauberg, der ein Hüne von Gestalt war, hielt den Begleiter fest am Arm und brachte ihn auch sicher durch die große Glasthür.

Es war schon spät in der Nacht und das Lokal gefüllt. Rechts hatte ein Dutzend Herren an zusammengeschobenen Tischen Platz genommen. Sie unterhielten sich sehr laut. Es befanden sich darunter auch einige jüngere, aber die meisten hatten das Aussehen gereifter Männer in den Dreißigern oder Vierzigern. Alle trugen sie Farbenbänder, zum Teil über den Rock gehängt. Die roten Gesichter und lallenden Stimmen bewiesen, daß sie scharf pokuliert hatten. Es waren augenscheinlich alte Herren einer studentischen Verbindung, die von irgend einer Festfeier kamen und noch lange nicht Lust hatten, nach Hause zu gehen.

Glauberg blickte über den Kreis hin, stutzte und blieb stehen. »Gehen wir lieber wo anders hin,« sagte er.

»Weshalb?«

»Es ist hier zu voll.«

»Ach – ein paar Stühle finden wir schon noch.«

»Nein, komm! Da sitzen auch alte Herren von den Sueven.«

»Wo?« Er sah nach rechts. »Ah ja. Was thut das? Sie sollen sich doch nicht einbilden, daß wir uns vor ihnen drücken?«

»Sie haben uns noch nicht bemerkt.«

»Gleichviel. Denen geh ich nicht aus dem Wege – denen aus keinen Fall!« Er zog Glauberg weiter in den Saal hinein.

»Wir haben getrunken,« wehrte dieser, »und sie haben getrunken. Man kann nicht wissen –«

»Aber ich bin ganz nüchtern,« versicherte der Oberlehrer, »und überhaupt – was gehen uns die Kerls an?«

»Nichts. Das vergiß doch nicht.«

Es war nur noch ein kleiner Tisch ganz in der Nähe der lustigen Gesellschaft frei. Sie setzten sich und bestellten Kaffee.

Glaubergs Vorsicht war sehr gerechtfertigt. Die Burschenschaft, welcher die Freunde angehörten, war bei Gelegenheit eines Fackelzuges, durch den der Rektor geehrt werden sollte, mit dem Corps Suevia in Streit geraten. Die Corps hatten den Vortritt beansprucht, es war aber durchgesetzt worden, daß die Reihenfolge durch das Los bestimmt werden sollte. Die Sueven hatten eine tiefere Nummer gezogen, drängten sich aber, als der Zug schon in Bewegung kam, plötzlich vor und schoben sich so ein, daß sie die Burschenschaft hinter sich ließen. Nach dem Zusammenwerfen der Fackeln kam es zu einer Rempelei, bei der die Sueven unterlagen. Es folgten von dieser Seite massenhaft Forderungen auf Pistolen. Sie wurden abgelehnt, solange das Corps eine öffentliche Entschuldigung wegen der frechen Eigenmächtigkeit unterlasse. Darauf war gegenseitige Verrufserklärung erfolgt. Mehrere Jahre später wurde zwar, nachdem beide Verbindungen vom Senat suspendiert waren, ein Ausgleich erzielt; doch fraß der Groll weiter. Runge und Glauberg hatten der Burschenschaft gerade zu der Zeit angehört, als jener Konflikt ausbrach, und es befanden sich unter den Herren nebenan mehrere, die bei der Holzerei Prügel bekommen hatten. Es ließ sich nicht voraussetzen, daß sie sich jetzt ruhig verhalten würden, wenn sie die Gegner erkannten.

Und das geschah sehr bald. Man gab sich über die zusammengerückten Tische hin Winke. Ein Dicker, der den Hut von der heißen, mit Narben bedeckten Stirn zurückgeschoben hatte, schnupperte auffällig mit der roten Nase in der Luft herum und äußerte, es rieche plötzlich so schlecht, worauf ein unbändiges Gelächter losbrach. Es wurde auf die Ursache geraten, und dabei fielen anzügliche Bemerkungen über Verbindungen, die in schlechtem Geruch ständen, weil sie aus nichtigen Gründen Forderungen hätten hängen lassen. Es sei endlich für den Senioren-Konvent Zeit, durchzugreifen und zu beschließen, daß die Corps sich bei studentischen Veranstaltungen überhaupt nur unter der unbedingten Zuerkennung des Vortritts zu beteiligen hätten. Die Prätension der Gleichberechtigung sei überall als eine Unverschämtheit zurückzuweisen. Allgemeine jubelnde Zustimmung.

Arnold Runge hielt sich nicht länger. Sein Blut kochte. Er erhob sich. Glauberg wollte ihn niederziehen, aber er bat: »Laß mich – ich weiß, was ich thue.« Sich umkehrend, sagte er: »Ich ersuche die Herren, sich etwas vorsichtiger zu äußern. Ich bin Burschenschafter.«

Einen Augenblick entstand Stille. Dann erwiderte der Dicke spöttisch: »So geht es Sie ja mit an.«

»Deshalb eben,« sagte der Oberlehrer, den Ärger verbeißend. »Ich nehme an, daß es nicht die Absicht der Herren sein kann, Beleidigungen auszusprechen.«

»Wem das nicht gefällt, was wir sprechen, der höre nicht zu,« lautete die hochnäsige Antwort.

»Es muß ihm nur die Möglichkeit gegeben sein,« replizierte Runge. »Übrigens ist mein Zweck erreicht, die Herren darauf aufmerksam zu machen, daß Sie von jemand, den es mit angeht, gehört werden. Weiter habe ich nichts zu sagen.«

Er verneigte sich leicht und setzte sich wieder. »Wir wollen unseren Kaffee austrinken und bezahlen,« riet Glauberg leise.

»Jetzt müssen wir bleiben,« entschied der Freund. »Die gute Sache fordert das.«

»Du merkst doch, daß sie etwas im Kopf haben. Und wenn sie nun nicht schweigen –«

»Hinter meinem Rücken sollen sie nichts Anzügliches reden. Wir sind es unserer Burschenschaft schuldig, nichts auf uns sitzen zu lassen.«

»Du sprichst wie ein Student. Bedenke –«

Es war schon zu spät. Das Gespräch nebenan wurde sogleich wieder aufgenommen.

»Wie war das denn eigentlich damals bei dem Fackelzuge?« fragte ein Grünschnabel, sich an den Dicken wendend. »Du bist ja damals Senior gewesen.«

»Pah!« machte der. »Wir wahrten unseren Standpunkt und hätten mit den Waffen Genugthuung gegeben, wenn's verlangt wäre. Aber es schien denen ja ritterlicher, vier Fäuste gegen zwei zu gebrauchen. Auf unsere Forderung reagierten sie mit einer lächerlichen Verrufserklärung. Die unsere war wirksamer, denn die sämtlichen Corps schlossen sich uns natürlich an.«

»Fünf gegen einen,« sagte Arnold Runge laut, »und die Retourkutsche blieb doch stecken.«

»Zahlkellner!« rief Glauberg.

»Ich trinke noch eine Tasse Kaffee,« bemerkte der Oberlehrer weit hörbar, »dann stehe ich zur Verfügung.«

In diesem Augenblick wurde sein Stuhl von hinten her heftig von einem anderen Stuhl angestoßen. Er drehte sich rasch um. »Mein Herr – Sie haben, denke ich, Raum genug.«

»Es scheint, nicht,« antwortete eine heisere Baßstimme, »wenn das Ihr Stuhl war, der da im Wege stand.«

»Er steht nicht Wege.«

»Erlauben Sie mir, das zu beurteilen.«

»Man pflegt sich in solchem Fall mindestens zu entschuldigen –«

»Wenn man etwas versehen hat, was man wieder gut machen will.«

Runge sprang auf. Seine Muskeln strafften sich. »So hätten Sie absichtlich –«

»Nehmen Sie meinetwegen an, es sollte Ihnen ein Wink gegeben werden, daß Sie sich des Mitredens zu enthalten hätten.«

»Mein Herr – das ist eine Unverschämtheit –!«

Auch der andere erhob sich und sah ihn herausfordernd an. »Nun –?«

Glauberg trat dazwischen. »Meine Herren, es ist hier doch nicht der Ort –« mahnte er. »Das Publikum wird schon aufmerksam.«

Arnold schob ihn mit zitternder Hand zurück. Seine Stirn war blutrot, und seine Augen sprühten Funken. »Nun –?« fragte er zurück.

»Wohin treibst du?« zischelte Glauberg ihm zu. »Du bist deiner nicht mehr Herr, Arnold.«

»Ich glaube deutlich genug gesprochen zu haben,« schnarrte der Baß, in dem er einen der schneidigsten Sueven von damals erkannte, »wenigstens für jemand, der nicht taub sein will.«

»Sie verdienen Ohrfeigen,« zischte Runge, »für eine so infame Verdächtigung.«

»Nehmen Sie sie meinerseits als empfangen an,« wurde höhnisch erwidert.

Runge wollte zuspringen, aber Glauberg riß ihn zurück. Zugleich trat der Dicke vor. »Mit wem haben wir's denn eigentlich zu thun?« fragte er.

»Ich denke, Sie kennen mich,« antwortete der Oberlehrer, »wie ich Sie kenne. Aber – hier ist meine Karte.« Er zog sie aus seiner Brieftasche. »Ich werde mich noch achtundvierzig Stunden in Berlin aufhalten.« Er nannte das Hotel, in dem er logierte.

Sein Gegner überreichte ihm nun ebenfalls eine Karte. »Die Wohnung ist darauf vermerkt.«

Auch der Dicke fügte die seine bei. Nun bezahlten die Freunde und entfernten sich.

Als sie auf die Straße kamen, fauchte Arnold Runge wütend: »Solche Bestien!«

»Das ist nicht übel,« sagte Glauberg, seinen Arm nehmend und den Laufschritt mäßigend. »Vor einer Stunde haben wir uns feierlich das Wort gegeben, uns nicht zu duellieren, und schon hast du dich in die Lage gebracht, fordern oder eine Forderung annehmen zu müssen.«

»Das gilt für diesen Fall nicht,« rief Arnold wild. »Es handelt sich da um eine alte Sache, die jetzt nur wieder aufgewärmt ist. Früher oder später mußte sie zum Austrag gebracht werden. Du wirst zugeben, ich habe mich sehr ruhig verhalten – ich bin in unerhörter Weise provoziert worden. Nenn's einen Temperamentsfehler, aber darauf die Ohren einzukneifen und den Mund zu halten, ist mir nicht gegeben.«

»Dürenholz wird sich wundern –«

»Ich schreibe ihm sofort. Ich glaube, er wird sich nicht wundern, wenn er hört, daß die Sueven – er müßte ja seine Studentenzeit völlig verleugnen, wenn er das nicht begriffe. An meiner Stelle hatte er ebenso gehandelt, ganz ebenso.«

»Wer weiß –«

»Ich sage dir, dies zählt nicht mit. Ah! mir ist wohl, daß ich's los bin. Es hat mich schon immer im Innersten gewurmt, daß wir vor elf Jahren nicht zum Schluß kamen. Basta! Ich kann doch auf dich rechnen?«

»Es ist nun einmal geschehen,« sagte Glauberg, »und nicht zu ändern. Daß ich meinen Bruder jetzt nicht im Stich lasse, versteht sich von selbst.«


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