Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Graf Stieren hatte das lebhafteste Interesse, es bekannt werden zu lassen, daß er den Amtsrichter von Dürenholz auf Pistolen gefordert, und dieser das Duell aus dem Grunde abgelehnt habe, weil er »als Richter beleidigte«. Zugleich reichte er – nicht beim Landgerichtspräsidenten, sondern natürlich gleich beim Justizminister – eine fulminante Beschwerde ein, und betonte darin, daß er auf diesen Weg gewiesen sei, da ihm der Edelmann Genugthuung verweigere, indem er sich hinter den Amtsrichter verstecke. Die Sache mußte nach Möglichkeit an die große Glocke gehängt werden.

Es konnte nicht ausbleiben, daß auch der Oberstleutnant erfuhr, was sich ereignet hatte. Es war genau das gewesen, was er voraussah. Wenn er sich in die Lage des Grafen versetzte, so verstand sich die Forderung ganz von selbst. Das eben hatte ihn beunruhigt, wenn er an seine Tochter dachte, denn der Ausgang des Duells blieb zweifelhaft.

Daß Dürenholz die Forderung ablehnen könne, war ihm vorerst gar nicht in den Sinn gekommen. Nun gab freilich der Grund zu denken. Er war ihm nicht sympathisch, aber er konnte ihn auch nicht ohne weiteres verwerfen. So ließ er sich's denn vor allem angelegen sein, die Gesellschaft, in der er sich bewegte, zu überzeugen, daß nur dieser Grund und kein anderer maßgebend sei. Die Schmisse auf dem Gesicht seines Schwiegersohns redeten eine deutliche Sprache. Der Student, der sich furchtlos so und so oft auf die Mensur gestellt habe, erschrecke auch vor dem Lauf einer Pistole nicht.

Dabei hielt er es doch für nötig, mit Adelheid ein Wort im geheimen zu sprechen. »Dürenholz hat das Steuer verloren,« sagte er ihr, »und treibt, wahrscheinlich ohne es zu wissen, einer verhängnisvollen Klippe entgegen. Ich bin sehr besorgt um ihn – und um dich. Du solltest ihn zu bewegen suchen, das Duell anzunehmen!«

»Vater –!« rief Adelheid entsetzt. »Ich? Seine Braut?«

»Liebes Kind, es wäre sehr thöricht, wenn du nur an die Gefahr für sein Leben denken solltest, die übrigens nicht einmal ungewöhnlich groß scheint. Dem Grafen kommt es wesentlich darauf an, mit Dürenholz Kugeln wechseln zu können. Blutgierig ist er sicher nicht. Wenn also nicht ein unglücklicher Zufall ...«

»Aber wie könnte ich's verantworten, ihn dem preiszugeben, zumal ich ganz auf seiner Seite bin? Und ich würde auch vergeblich versuchen, ihn umzustimmen: er steht fest auf seinem Standpunkt.«

Der Oberstleutnant hielt diesen doch nicht für unerschütterlich. Er sprach selbst mit seinem Schwiegersohn unter vier Augen. »Ihr Verfahren mag auch jetzt korrekt sein,« bemerkte er ihm, »aber es ist unklug. Ihr Weigerungsgrund scheint an sich unanfechtbar, und doch läßt man ihn eben nur gelten, weil er ein Prinzip ausspricht, gegen das man sich sehr erklärlich zu opponieren scheut. Man tadelt Sie nicht, aber man würde es löblicher gefunden haben, wenn Sie diesmal ganz davon abgesehen hätten. Ihr Standpunkt ist ein idealer; aber die Gesellschaft hat praktische Bedürfnisse, und es hat seine schweren Bedenken, sie zu ignorieren. Schicken Sie mich zu Herrn von Encke oder zum Grafen: ich werde noch alles in Ordnung bringen, obschon der richtige Moment verpatzt ist.«

Dürenholz dankte ihm für seine väterliche Sorge. Für das, was er ihm rate, sei es aber wirklich zu spät. Er meine auch jetzt noch, im Recht zu sein. »Wenn Sie als Kommandeur Ihrer Truppe einen Offizier mit einem scharfen Wort getadelt und darauf von ihm eine Herausforderung erhalten hätten,« fragte er, »was würden Sie gethan haben?«

Der Fall stehe nicht ganz gleich, wendete der Alte ein; der Offizier sei ein Untergebner und habe auch nach seiner Dienstvorschrift zu handeln. »Ich würde mir trotzdem meinen Mann vielleicht doch angesehen haben,« fuhr er fort. »Das aber weiß ich ganz genau, was ich gethan hätte, wenn ich von einem Vorgesetzten vor der Front beleidigt worden wäre: ich hätte meinen Abschied genommen und ihn dann vor die Pistole gefordert. Es giebt Leute, die im Ehrenpunkt sehr kitzlig sind, und es fehlt ihnen nie die Möglichkeit, ihr Stück durchzusetzen.«

»Wenn sie einen nachgiebigen Gegner finden,« antwortete Dürenholz.

»Mein lieber junger Freund,« sagte der Oberstleutnant sehr ernst, »ich verkenne nicht, daß Sie sich in schwieriger Lage befinden. Es wäre mir unlieb, wenn etwas geschehen sollte, was mich selbst nötigte, zu der Sache Stellung zu nehmen.« –

Wenige Tage darauf fand im Kasino ein »gemütlicher Familienabend« statt. Es wurde da konzertiert, getanzt, gespielt und gemeinsam gegessen. Es gab ein Rauchzimmer für ältere Herren, in dem aber auch jüngere gern verkehrten. Frack und weiße Binde waren ausgeschlossen.

Der Oberstleutnant nahm teil. Der Amtsrichter hatte seine Braut hingeführt und hielt sich meist in ihrer Nähe auf. Als er in einer Tanzpause das Rauchzimmer betrat, um sich an einer Zigarre und einem Glase Bier zu erfrischen, sah er mitten im Raume den Grafen Stieren stehen. Er mußte zu Pferde nach der Stadt gekommen sein, denn er hielt noch die Reitgerte in der Hand.

Dürenholz bedachte einen Augenblick, ob er ihm aus dem Wege gehen solle. Aber er war sicher schon bemerkt worden, und die Umkehr würde ihm auch von den Freunden übel ausgelegt sein. Eine Begegnung schien ja doch über kurz oder lang unvermeidlich. Er ging also ohne Zögern auf den Grafen zu, verneigte sich sehr höflich und bot ihm die Hand.

»Ah – Herr Graf,« sprach er ihn zugleich in heiterem Tone an, »es freut mich, Ihnen hier auf neutralem Boden sagen zu können, wie fatal mir neulich unser Rencontre auf dem Gericht gewesen ist. Hoffentlich haben Sie sich überzeugt, daß Sie es da nur mit dem Mann in der Amtsrobe zu thun hatten.«

Der Graf nahm seine Hand nicht an und maß ihn mit funkelnden Blicken. »Bedeutet das nun die verlangte Entschuldigung?« fragte er laut, so daß sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf ihn hätte richten müssen, wenn das nicht ohnehin geschehen wäre.

»Wie kann da von einer Entschuldigung die Rede sein!« antwortete Dürenholz ohne Verlegenheit. »Sie ereiferten sich ein wenig über das Maß, und ich that, was ich meinem Amte schuldig zu sein glaubte. Es versteht sich ja von selbst, daß keiner den anderen verletzen wollte. Wenn es aber auch noch ausdrücklich gesagt sein soll, so halte ich nicht mit der Versicherung zurück, daß meine Hochachtung für Ihre Person sich in keiner Weise geändert hat. Ich glaube, daß wir uns danach so freundschaftlich wie bisher die Hand reichen können.«

Der Graf fuhr mit dem Knebel unter seinem blonden Schnurrbart hin. »So, so!« schnarrte er, »also keine Entschuldigung. Darf ich Sie bitten, mit mir einen Augenblick dort in die Ecke zu treten? Ich habe Ihnen eine Frage vorzulegen.«

»Ich stehe zu Befehl,« sagte Dürenholz und begleitete ihn.

»Sie haben meine Forderung nicht angenommen,« begann der Graf, sich ihm gegenüberstellend.

»Sie kennen den Grund.«

»Ich lasse ihn nicht gelten.«

»Das bedaure ich, Herr Graf.«

»Ich erkläre Sie für eine feige Memme, wenn Sie sich weigern, mir gerecht zu werden.«

Der Amtsrichter entfärbte sich. »Ich wäre eine feige Memme, wenn ich meine Pflicht vergäße!«

»Bestehen Sie auf Ihrer Ablehnung?«

»Gewiß.«

»So werde ich Sie zwingen, sich mit mir zu schießen.«

»Das wird Ihnen nicht gelingen.«

»Auch so nicht?« rief der Graf, hob die Reitgerte auf und schlug ihm damit gegen das Gesicht.

Dürenholz fing den Schlag mit dem Arm auf, konnte aber nicht hindern, daß die Spitze der biegsamen Gerte seine Stirn streifte. Es zeichnete sich darauf ein roter Strich ab. Er taumelte zurück und bebte am ganzen Körper vor Erregung.

Die Herren sprangen von den Spieltischen auf und traten dazwischen. »Herr Graf – Herr Amtsrichter – das ist doch unerhört –!«

»Ich habe meine Genugthuung,« sagte Graf Stieren und verließ, den Kopf in den Nacken werfend, das Lokal.

Der Oberstleutnant trat eben aus dem Tanzsaal in die Thür, als der Schlag fiel. Er stieß einen Schrei aus, als ob er selbst getroffen wäre. »Nieder mit dem tollen Hund!« keuchte er. »Warum besinnen Sie sich –« Der Graf hatte schon die Schwelle der Ausgangsthür nach dem Korridor erreicht.

Im Saal entstand eine Bewegung. Einige ältere Damen, die in der Nähe saßen, blickten ins Rauchzimmer, fragten, erhielten kurze Auskunft, trugen das Gehörte mit schreckbleichen Gesichtern weiter. »Der Graf Stieren hat den Amtsrichter mit der Reitpeitsche geschlagen,« flog es von einem Munde zum anderen. Der Tanz wurde unterbrochen. Die Musik hörte auf. Endlich konnte auch Adelheid nicht verborgen bleiben, was geschehen war. Sie stürzte fort und warf sich ihrem Bräutigam an die Brust. »Walther – Walther!« rief sie, in ein heftiges Schluchzen ausbrechend, »ist es denn wahr – kann es wahr sein?«

»Beruhige dich nur, liebes Herz,« sagte er, jetzt wieder ganz gefaßt. »Es ist mir geschehen, was überall dem Friedfertigsten geschehen kann. Gegen einen brutalen Überfall ist jeder machtlos.«

»Du bist geschlagen – o mein Gott, mein Gott!« Sie küßte seine Stirn wieder und wieder.

»Verursachen wir keine weitere Störung,« bat er. »Es ist, als ob mir unvermutet ein Stein an den Kopf geflogen wäre, den ein Bube geworfen. Still nur, still, liebes Herz.«

Der Oberstleutnant trat hinzu und ergriff seiner Tochter Arm. »Komm, Adelheid,« sagte er, »wir gehen nach Hause. Zum Tanzen und Soupieren wirst du nicht mehr aufgelegt sein.« Und dann sich zu Dürenholz wendend: »Sie sehen Ihre Braut wieder, nachdem Sie diesen Schimpf mit dem Blut Ihres Gegners abgewaschen haben.«

Dürenholz küßte Adelheid die Hand, die sie nach ihm ausstreckte.

Von allen Seiten wurde ihm das Bedauern über die erlittene Mißhandlung ausgesprochen. Nach wenigen Minuten entfernte auch er sich.

Man erwartete in den nächsten Tagen allgemein von einem Duell zu hören, bei dem einer der beiden Gegner auf dem Platz geblieben sei. Aber man täuschte sich. Der Graf fuhr prahlerisch mit seinem Viererzug durch die Stadt, und der Amtsrichter hielt auf dem Gericht seine Termine ab.

An seine Braut schrieb Dürenholz: »Meine teuerste Adelheid!

Ein Übermütiger hat sich an mir durch einen Schlag mit der Peitsche dafür gerächt, daß ich ihm die Würde des Richteramtes nicht preisgeben wollte. Ist das ein Schimpf, der nur dadurch ausgelöscht werden kann, daß ich entweder mich von ihm niederschießen lasse oder ihn niederschieße? In den Augen vieler gewiß. In den meinen nicht. Es berührt meine Ehre nicht, daß ein roher Mensch sich an mir vergreift, und wenn er dabei hundertmal die Absicht hat, sie zu kränken. Wie wunderlich, wenn ich ihm gestatten sollte, Gewalt über mich dadurch zu erlangen, daß er mich brutal verletzt! Der Graf hat ausgesprochen, daß er mich schlage, um mich zu zwingen, mich mit ihm zu schießen. Muß ich nun diesen Zwang wirklich erdulden, weil vielleicht oder wahrscheinlich viele an sich sehr ehrenwerte Leute der irrtümlichen Meinung sind, ich hätte durch den Schlag in den Augen der Welt meine Ehre verloren und müßte sie durch ein Duell wiederherstellen? Das widersteht mir durchaus. Es ist durch die Gewaltthat nur die öffentliche Ordnung gestört, und dafür giebt es eine gesetzliche Sühne. Ich bin entschlossen, in diesem und in allen Fällen die gesunde Vernunft und das Achtungsgefühl vor dem Gesetz walten zu lassen. Man soll, von mir wenigstens, nicht sagen dürfen, daß ein Richter, der vom Staat zum Hüter seiner Gesetze bestellt ist, sich selbst aus falsch verstandenem Ehrgefühl eines Gesetzesbruchs absichtlich schuldig macht. Ich weiß, Liebste, daß es ein schweres Unglück ist, wovon ich betroffen bin. Es muß getragen werden wie Krankheit oder sonst ein unverschuldetes Leid. Ich wäre ruhiger, wenn ich nicht fürchten müßte, deinem Vater werde ich unverständlich bleiben. Und dir? Kann ich mich auf dich verlassen? Nicht auf deine Liebe – die halte ich für unwandelbar – aber auf deine überzeugte Gesinnung und Kampfgenossenschaft? Bis in den Tod dein

Walther.«

Von diesem Briefe gab Adelheid ihrem Vater Kenntnis, in der Hoffnung, er werde ihm besser als ihre eigenen Worte den Beweis geben, daß Dürenholz recht handele. Die Wirkung war die entgegengesetzte. Er ließ sich in den härtesten Ausdrücken über den superklugen Philosophen und Weltverbesserer aus, der seine eigene Moral haben wolle, und verlangte von Adelheid, daß sie sich unbedingt seinen Weisungen füge. Er habe »für die Familie« einzustehen. Das arme Mädchen weinte sich die Augen rot, wagte aber doch nicht, hinter dem Rücken des Vaters einen Schritt entgegen zu thun. Aufgewachsen in Anschauungen, die sich von ihm herleiteten, wurde es ihr schon recht schwer, sich in dem Gedankengange des Geliebten zurechtzufinden und in ihrem Innersten für ihn Partei zu ergreifen. Er war ja doch geschlagen, von einem Menschen geschlagen, der ihm nicht körperlich wehthun, sondern damit seine äußerste Mißachtung zu erkennen geben wollte. Wenn sie seinen Gründen auch beitrat, für ihr Gefühl blieb ein unlöslicher Rest. Und was würde weiter geschehen? Sie liebte ihn so sehr. Ja, ein schweres Unglück – ein vielleicht unüberwindliches!

Der Oberstleutnant suchte Dürenholz sofort in seiner Wohnung auf. Sein sehniges Gesicht war noch fahler in der Farbe als gewöhnlich, seine Stirn voller Falten. »Ich erfahre aus Ihrem Brief an Adelheid,« sagte er mit einer Stimme, die klang, als ob eine Scheere Glas schnitt, »daß Sie den Grafen Stieren nicht fordern wollen. Oder verstehe ich seinen Inhalt unrecht?«

»Gewiß nicht,« antwortete der Amtsrichter; »ich werde den Grafen so wenig fordern, als ich seinen Kutscher fordern würde, wenn er mich in seinem Auftrage mit der Peitsche geschlagen hätte.«

Der alte Herr kaute bissig die Lippe. »Das sind Spitzfindigkeiten, die uns keinen Schritt weiter bringen. Und was werden Sie sonst thun? Sie müssen mir zugeben, daß ich ein gutes Recht habe, danach zu fragen.«

»Ich werde Ihnen Rede stehen, lieber Papa, und würde Ihnen als einem anerkannten Ehrenmanne auch dann Rede stehen, wenn es nur das Recht des älteren Freundes wäre, auf das Sie sich stützten. Was zu thun war, habe ich bereits gethan. Ich habe dem Herrn Staatsanwalt Anzeige gemacht und die Bestrafung des Friedensbrechers beantragt. Ich zweifle nicht, daß er sich, auf welchem Standpunkt er persönlich auch sonst stehen mag, zu einem Einschreiten im öffentlichen Interesse veranlaßt sehen wird.«

»Und wenn nicht?«

»So giebt es Beschwerde-Instanzen.«

»Und wenn sie versagen?«

»So werde ich die Beleidigungsklage anstellen, die unter allen Umständen angenommen werden muß.«

»Denunzieren, sich beschweren, klagen – das ist für einen Schuster oder Schneider gut, der Prügel bekommen hat. Ich finde es unbegreiflich, daß Sie sich damit meinen helfen zu können.«

»Das Gesetz ist für jeden Staatsbürger gegeben.«

»Lassen wir das – es ist so eine von den schönen Redensarten, aus denen sich die Buchweisheit zusammensetzt.« Er grübelte mit gesenktem Kopf halblaut vor sich hin. »Wenn Sie den Grafen nicht fordern wollen – gut! Sie haben da ein paar andere Gründe, die sich allenfalls hören lassen. Aber – es bleibt Ihnen dann nur ein anderes.«

»Und das wäre?«

Der alte Offizier richtete sich langsam auf, nahm ihn scharf ins Auge, als ob er ins Schwarze treffen wollte, und sagte mit eiserner Ruhe: »Kaufen Sie einen Revolver, laden Sie ihn mit sechs Kugeln, erzwingen Sie sich den Einlaß bei ihm und schießen Sie ihn nieder!«

»Das wäre Mord!«

»Das wäre die Antwort auf einen Schlag mit der Reitpeitsche gegenüber einem Angreifer, dem Sie die Ehre, sich ritterlich mit ihm auseinanderzusetzen, nicht glauben erweisen zu dürfen.«

Dürenholz betrachtete ihn mitleidig. »Aus Ihnen spricht der Zorn, bester Papa,« sagte er kopfschüttelnd. »Er redet Ihnen ein, daß Sie kein Gewissen haben und mir zumuten dürfen, kein Gewissen zu haben. Bedenken Sie –«

»Da ist nichts zu bedenken,« rief der Alte martialisch und wühlte mit den Händen in seinem grauen Haar. »Entweder – oder! Es giebt kein drittes. Für mich wenigstens nicht, und – solange ich noch eine Tochter habe, für Sie auch nicht. Das bedenken Sie! Es ist nichts anderes zu bedenken – nichts!«

Er stand auf und durchmaß das Zimmer mit dröhnenden Schritten. »Nichts – so leid mir's thut, nichts.«

Da Dürenholz schwieg, trat er nach einer Weile an ihn heran und legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. »Ich habe Sie lieb, Walther,« sagte er mit ungewohnter Weichheit, »ich habe Sie lieb, wie man nur einen Sohn lieb haben kann – Gott weiß es! Hören Sie auf meine Warnung: verrennen Sie sich nicht mehr und mehr in eine unhaltbare Position. Recht oder Unrecht, Tugend oder Verbrechen, Erfolg oder Mißerfolg – das ist hier alles gleichgültig. Sie sind ein Mann, der sich in der Gesellschaft unmöglich macht, wenn er einen Schlag mit der Reitgerte von einem Mann aus der Gesellschaft hinnimmt, ohne dafür sein Leben zu fordern. Ich biete mich Ihnen zum Sekundanten an. Wenn der Graf fällt, so verbüßen Sie eine Festungsstrafe und sind hinterher, der Sie waren. Wenn Sie fallen – so wird Adelheid einen Ehrenmann beweinen. Wenn Sie aber den Schimpf auf sich behalten – – dann – sind Sie nicht mehr der Mann, dem ich meiner Tochter Hand anvertrauen darf. Dann sind Sie auch für mich der Beschimpfte, dem ich weit aus dem Wege gehe, mit dem ich nicht einmal einen Wirtstisch teilen will. Und Adelheid ... thun Sie ihr das nicht an! Der Offizier hat keine andere Wahl.«

Dürenholz war bewegt, er seufzte tief und drückte die Hand auf seine heiße Stirn. Nach einigen Minuten sagte er: »Lassen Sie mich mit Adelheid sprechen heute noch. Ich muß wissen, ob ich mich vor ihr rechtfertigen kann.«

Der Oberstleutnant bedachte sich. »Gut – es sei!« rief er dann. »Ich hoffe ... Gut! wir erwarten Sie dann am Abend. Den Tag über haben Sie zur Überlegung Zeit... Ich sage nichts mehr.« Damit ging er.

Dürenholz vergrub sich in seine Aktenarbeit. Ein paar besonders schwierige Urteile, die er für ganz ruhige und klare Stunden aufgespart hatte, nahm er jetzt vor, um die Gedanken von dem, was sie fortwährend im Kreise herumjagte, ganz abzuziehen. Aber die Feder wollte nicht recht vorwärts. Mitten im Satz sprang er mitunter auf und faßte seinen Kopf zwischen die Hände. »Nein, es ist zu unsinnig – zu unsinnig!« rief er laut sich selbst zu. »Wache auf, du träumst!« Er wiederholte sich alles, was geschehen war, suchte von dem, was gesprochen wurde, Wort für Wort in seinem Gedächtnis wiederherzustellen, prüfte sich mit peinigender Gewissenhaftigkeit, aber das Ergebnis blieb immer dasselbe: was sein Lebensglück bedrohte, stand außer ihm und äußerte eine dämonische Gewalt. Er konnte sich nicht einmal vorwerfen, zu eigensinnig in ein Prinzip verrannt zu sein; die Thatsachen, mit denen er hier zu rechnen hatte, würden auch für sich selbst zu der gleichen Entscheidung gedrängt haben.

Er fand Adelheid in der traurigsten Verfassung. Zwar suchte sie ihm beim Entgegenkommen ein heiteres Gesicht zu zeigen, als sei nun aller Gram der vorigen Tage und Nächte vergessen, aber es war nur wie ein Sonnenblick aus düsterem Gewölk, das sich sogleich wieder zusammenzog, um sich nur noch mehr zu verfinstern. Wie nach einer schweren Krankheit schien sie Mühe zu haben, sich aufrechtzuhalten. Ihre Augen flimmerten in einem matten Glanz, als wäre innen das Licht im Erlöschen, und ein Zucken der farblosen Lippen verriet die Anstrengung, einen neuen Ausbruch der Thränen zurückzuhalten. Sie lag lange in seinen Armen, ganz aufgelöst. Dann sagte sie: »Ich habe mit mir gerungen, Liebster, aber ich überwinde mich nicht. Es ist mein Unglück, ich sehe es klar, und doch kann ich von dir nicht verlangen, was deiner Überzeugung widerspricht. Wenn meine Liebe dich um jeden Preis zu halten suchte, würde mir's ein ewiger Vorwurf sein. Und sie kann dich auch nicht in den Tod treiben wollen. Das ist eine unmenschliche Zumutung.«

Er suchte sie zu trösten. Was jetzt so bedrohlich scheine, werde in kurzem seine Schrecken verlieren; es sei nur nötig, gegen alle Unvernunft festzubleiben, dann werde sich beugen, was in sich doch keinen Halt habe.

Adelheid drückte seine Hand, wagte aber nicht, vertrauensvoll zu ihm aufzuschauen. »Ich möchte dir so gern recht geben,« sagte sie weich, »aber ich weiß, daß du irrst. Wenigstens in dem, was uns beide betrifft. Mein Vater –«

»Er wird meine Standhaftigkeit achten lernen.«

»Du kennst ihn nicht, wie ich ihn kenne. Du wirst ihm immer unverständlich bleiben. Und er wird dir nicht einmal Zeit lassen, dich im Kampfe mit dem gesellschaftlichen Vorurteil zu bewähren. Er hat mit mir gesprochen – seinen letzten Entschluß bereits gefaßt. Er wird uns trennen –«

»Adelheid –!«

»Und wir werden uns fügen müssen.«

»Nein wir fügen uns nicht!« rief er wie befehlend.

Sie blickte zur Erde. »Was kann ich – ?«

»Ausharren, Adelheid, ausharren, bis der böse Spuk vorüber ist.«

Wieder schmiegte sie sich an seine Brust. »Ich werde nie aufhören, dich zu lieben.«

»Daran halte ich mich,« sagte er zuversichtlich. »Es ist ein schweres Geschick, daß wir nun vielleicht noch lange Zeit die Erfüllung unserer Wünsche hinausschieben müssen. Aber in wenigen Jahren bist du selbständig –«

»Ich bleibe meines Vaters Tochter, solange er lebt,« fiel sie mit sanftem Vorwurf ein.

»Wenn er sieht, daß du fest bleibst, wird er endlich doch nachgeben.«

»Er wird nicht, weil er nicht kann. Er kann ebensowenig wie du, Walther. Rechne da mit einer Persönlichkeit, die kein fremdes Maß annimmt. Nicht von sich abirren, ist der stete Mahnruf, nicht einen Zoll weichen! Es steckt so viel Hochehrenwertes darin, das ganz unantastbar scheint, sich selbst für unantastbar hält und halten muß. Und nun setze zwei solche Naturen gegeneinander: es giebt keine nach. Wer aber zwischen ihnen steht und mit Liebe an beiden hängt, wird zermalmt. Das ist Schicksal.«

Walther schwieg eine Weile. Er fühlte, daß er nur mit Redensarten hätte widersprechen können, die sie nicht zu beruhigen, ihn selbst nicht zu befriedigen vermöchten. Aber er küßte ihre Stirn und ihre Augen und überlegte, wie er retten könne. Endlich sagte er: »Das letzte läßt sich heute nicht erwägen, Liebste – jede Hindeutung müßte dich tief verwunden, und du könntest sie nicht verstehen, wie ich sie meine. Ich rufe dir nur zu: Uns verändert die Zeit, und niemand weiß auch nur voraus, was morgen geschieht.«

Sie ahnte doch, was ihm vorschwebte. Aber sie ging daran vorbei. »Auch uns verändert die Zeit,« erwiderte sie nur, »und die fern von einander hinleben, wenn auch in liebendem Andenken, sehen sich nach Jahren vielleicht als Fremde wieder. Nein! nimm die Trennung als gewiß an und eine neue Vereinigung künftig, wenn sie uns dann Herzensbedürfnis ist, als eine unverhoffte Himmelsgnade. Ich will dich nicht binden, Walther, du sollst frei sein!«

Sie zog den goldenen Reif ab und steckte ihn dem Widerstrebenden an den Finger. Und dann richtete sie sich auf und trat einen Schritt zurück: »Du bist frei,« sagte sie, »mein Vater soll es von dir erfahren.«

Sie hörte ihn im Nebenzimmer, reichte Walther noch einmal die Hand, riß sich mit einem aufschluchzenden Laut gleich wieder los und entfernte sich mit eiligen Schritten, um in irgend einem Winkel des Hauses unbeobachtet ihren Schmerz ausweinen zu können.

Der Oberstleutnant öffnete ein wenig die Thür und trat ein, da er Dürenholz allein sah. Die Unterredung der beiden Männer dauerte kaum einige Minuten. Was hatten sie einander jetzt noch zu sagen? Sie schieden nicht erzürnt, aber jeder mit dem schmerzlich bohrenden Gefühl, der andere habe ihm eine tiefe, nie mehr heilende Wunde geschlagen – und recht ohne zwingenden Grund.


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