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XV.

Als die Tür sich hinter Mrs. Amherst schloss, brachte sie eine Entscheidung, die während ihres Gesprächs in Justines Kopf Gestalt angenommen hatte, dazu, sich an ihren Schreibtisch zu setzen, wo sie, nach einem Moment des Nachdenkens über ihrem lange nicht verwendeten Stift, eine flüchtige Mitteilung notierte und adressierte. Nachdem dieses Geschäft erledigt war, zog sie Hut und Jacke an, ging mit dem Brief in der Hand von ihrem Zimmer den Korridor entlang und stieg zur Eingangshalle hinab. Sie hätte ihre Botschaft dem Briefkasten anvertrauen können, der auffällig auf einem Tisch neben der Tür seine Dienste anbot; aber dies hätte die Entsendung des Briefes bis morgen früh verzögert, und sie spürte eine plötzliche Ungeduld, ihn abgehen zu sehen.

Der Tumult auf der Terrasse hatte sich nach drinnen verzogen, und als Justine die Stufen hinab stieg, hörte sie den Klick der Billardstöcke aus dem betreffenden Raum, Gespräch und Gelächter säumiger Billardspieler und die Geräusche der Bediensteten, die Teetassen einsammelten und das Feuer schürten. Sie hatte gehofft, die Halle leer zu finden, aber der Anblick von Westy Gaines' Gestalt, die sich beobachtend auf der Schwelle des Rauchzimmers abzeichnete, versetzte ihr auf der letzten Stufe der Treppe einen kleinen Ruck der Verärgerung. Er würde wissen wollen, wohin sie zu gehen beabsichtigte, er würde ihr anbieten mitzukommen, und es würde einige Zeit und nicht wenig Nachdruck erfordern, ihm klar zu machen, dass seine Gesellschaft nicht erwünscht sei.

Das war der Gedanke, der Justine durch den Kopf zuckte, als sie den Treppenabsatz erreichte; aber im nächsten Moment wich er einem gegensätzlichen Gefühl. Westy Gaines war nicht allein in der Halle. Unterhalb der Treppe erhoben sich die Stimmen einer Gruppe, die sich an diesem beliebten Rückzugsort über einem Schachbrett häuslich niedergelassen hatte; und als Justine die letzte Treppenstufe erreichte, erkannte sie, dass Mason Winch, ein ernsthafter junger Mann mit fortschrittlichen Ansichten in politischer Ökonomie, damit beschäftigt war, zur Kurzweil eines Zuschauerkreises, den Telfer-Mädchen Schach beizubringen. Die Nutzlosigkeit des krampfhaften Versuchs, die Aufmerksamkeit dieses quirligen Paares zu fixieren, und die Tatsache, dass ihr ernster Lehrer sich dessen nicht bewusst war, machte für die Zaungäste die besondere Unterhaltsamkeit der Szene aus. Es war natürlich unvermeidlich, dass der junge Winch bei seiner Ankunft in Lynbrook sich umgehend dem tumultuösen Charme des Telfer-Verhaltens ergeben musste, der für die sprachlose Jugend nicht weniger attraktiv war als für die müden, ausdiskutierten mittleren Jahre; aber dass er keinen Widerstand in ihren Köpfen gegen die wohlerwogenen Prozeduren des Schachspiels wahrgenommen hatte, war sogar für die Telfers selbst eine Quelle ungeminderter Fröhlichkeit. Nichts schien ihnen drolliger, als dass irgend jemand ihnen irgend eine geistige Fähigkeit zutrauen sollte; und sie kannten unerschöpflich amüsante Wege, die Unwissenheit der jeweils anderen heraus zu locken und vorzuzeigen.

Auf diese Szene waren Westys empfängliche Augen gerichtet gewesen, bis Justines Auftreten sie auf sich zog. Er nannte erfreut ihren Namen und kam heran, um sie zu begrüßen; als jedoch ihre Hände sich trafen, begriff sie, dass er nicht die Absicht hatte, ihr seine Gesellschaft aufzunötigen. Unter den Augen des Lynbrook-Kreises war er sparsam mit deutlichen Bekundungen, und nicht einmal Mrs. Amhersts Genehmigung konnte in solchen Augenblicken die Kluft zwischen ihm und dem Objekt seiner Aufmerksamkeit überbrücken. Ein Gaines war letzten Endes ein Gaines, und dies ganz jenseits irgend einer erfreulichen persönlichen Zufälligkeit; doch was war Miss Brent anders als ein vergängliches Medium jener Reize, welche die Vorsehung zum Ergötzen des privilegierten Geschlechts ausersehen hatte?

Diese Einflüsse wurden sichtbar in der nur mäßigen Wärme von Westys Verhalten und der Art, wie er ein Auge rückwärts gerichtet hielt auf den stummen Wechsel der Äußerungen um das Schachbrett. Zu anderer Zeit hätte seine Verlegenheit Justine nur amüsiert; aber die durch das Gespräch mit Bessy aufgerührten Gefühle waren noch nicht abgeklungen, und sie erkannte mit einem demütigenden Stich die Ähnlichkeit zwischen ihrem Blick auf den Lynbrook-Kreis und dessen Einschätzung ihrer selbst. Wenn Bessys Freunde für sie vernachlässigenswert waren, so besaß sie selbst für diese fast gar keine Existenz; und ihr gegenüber waren sie im Übermaß versorgt mit handfesten Mitteln, ihr Anliegen zur Geltung zu bringen.

Solche Erwägungen mögen in bestimmten Momenten entscheidendes Übergewicht erhalten, sogar bei einer Natur, die gegen sie durch Intellekt und Ironie gewappnet ist; die bloße Tatsache, dass Westy Gaines nicht beabsichtigte, sich ihr anzuschließen, und dass er davon durch den unsichtbaren Druck der Lynbrook-Normen abgehalten wurde, brachte Justines noch in der Schwebe befindliche Vorsätze in Fahrt.

Falls sonst noch etwas nötig gewesen wäre, dieses Ergebnis zu beschleunigen, so wäre es durch das Geräusch von Fußtritten erreicht worden, die, ein Dutzend Meter vom Haus herübertönend, ihres Bewunderers ungestüme, wenngleich verspätete Verfolgung ankündigten. Der Akt seiner Abweisung bedurfte zwar nur eines Wortes und wurde mit einem Lachen durchgeführt, ließ jedoch ihren Stolz durch einen Schmerz erbeben, der um so quälender war, je weniger sie von ihm Kenntnis nehmen wollte. Dass sie auch nur einen Augenblick des Ärgers auf eine so unwichtige Person wie den armen Westy verschwendete, zeigte ihr blitzartig die spezifische Schieflage ihrer Stellung in Lynbrook. Sie erkannte, dass sie trotz ihrer Verachtung des Lebens um sie herum von diesem nicht unberührt geblieben war; und diese Erkenntnis machte ihr erneut die Notwendigkeit eines starken dezentralisierenden Einflusses, eines Zustroms von Emotionen und Aktivität bewusst.

Sie war rasch durch das klare Oktoberzwielicht weiter gegangen, das noch immer vom Nachglühen eines strahlenden Sonnenuntergangs gesättigt war; nach wenigen Minuten befand sie sich im Dorf, das sich jenseits der Tore des Lynbrook-Landhauses an der Mautstraße entlang erstreckte. Das neue Postamt dominierte die Reihe der schäbigen Häuser und »Läden«, die unzusammenhängend unter rot verfärbtem Ahornlaub standen, und sein gewölbter Eingang bildete das Zentrum des abendlichen Verkehrs von Lynbrook.

Justine eilte zu der Gruppe von Müßiggängern an der Schwelle und hatte kein Bewusstsein von irgend etwas außerhalb ihrer eigenen Gedanken; als sie die Treppe hochstieg, war sie überrascht, Dr. Wyant zu sehen, der sich von der Gruppe löste und zu ihr herüberkam.

»Darf ich Ihren Brief aufgeben?« fragte er seinen Hut lüftend.

Seine Gebärde enthüllte fein gekräuseltes Haar auf einem kleinen, zierlich geschnittenen Kopf, den vor dem Eindruck der Verweichlichung nur die energisch vorspringenden, mächtigen Brauen über vollständig grauen Augen retteten. Diese Augen wiederum mochten auf den ersten Blick zu ausdrucksvoll erscheinen, oder als bekundeten sie etwas, das viel zu dekorativ wäre für die Aufgaben eines jungen Landarztes mit wachsender Praxis; dieser Eindruck freilich wurde durch eine unerwartete Schroffheit in der Stimme ihres Besitzers und seinem Verhalten korrigiert. Vielleicht wäre der endgültige Eindruck, den Dr. Stephen Wyant auf einen nahen Beobachter hervorgerufen hätte, der gewesen, dass die widersprüchlichen Eigenschaften, die sich in ihm mischten, von der Hand der Zeit noch nicht ins Gleichgewicht gebracht worden waren.

Justine war in Erwiderung auf seine Frage einen Schritt zurück getreten und steckte den Brief in die Brusttasche ihrer Jacke.

»Das hat kaum noch Sinn, weil er an Sie adressiert war,« antwortete sie mit einem leichten Lächeln, während sie sich umwandte, um die Treppe des Postamts hinab zu steigen.

Wyant, der immer noch seinen Hut in der Hand hielt, folgte ihr schweigend mit raschen ungleichmäßigen Schritten, bis sie außer Hörweite der Eckensteher am Eingang waren; dann hielt er im Schatten des Ahornbaums an und schaute ihr ins Gesicht.

»Sie haben geschrieben, um mir mitzuteilen, dass ich morgen kommen könne?«

Justine zögerte. »Ja,« sagte sie schließlich.

»Guter Gott! Welch fürstliche Gabe!« brach es aus ihm heraus, wobei seine Hand in einer nervösen Geste die dünnen dunklen Locken aus der Stirn schob.

Justine lachte mit einer Spur Nervosität in ihrem Ton. »Und Ihre Rede: geradezu ›kaiserlich‹! Wollen Sie etwa die Sprache zu Grunde richten?«

»Was meinen Sie?« sagte er, sie anstarrend.

»Was meinen Sie? Ich habe bloß gesagt, dass ich Sie morgen treffen möchte – –«

»Nun,« versetzte er, »das ist genug für mein Glück!«

Sie ließ erneut ihr leichtes Lachen erklingen. »Gut zu wissen, dass Sie so leicht zu erfreuen sind.«

»Bin ich nicht! Aber Sie hätten etwas Grausames nicht kampflos tun können; und da Sie bereit sind, mir morgen eine Antwort zu geben, weiß ich, dass sie nicht grausam sein kann.«

Sie waren weitergegangen, während sie sprachen, hierbei jedoch blieb sie stehen. »Sprechen Sie bitte nicht in diesem Ton. Ich hasse Sentimentalität!« rief sie mit einem Hauch Empörung, der sogar ihre eigenen Ohren überraschte.

Es war nicht das erste Mal im Laufe ihrer Freundschaft mit Stephen Wyant, dass sie bestürzt war, wie etwas in ihr sich einmischte und seiner Huldigung widerstand, ja, sie nachgerade übelnahm. Waren sie von einander getrennt, so war sie sich nur der gemeinsamen Interessen und Neigungen bewusst, die sie zuerst zusammen gebracht hatten. Wie konnte es dann sein – wo doch sein Aussehen nach allgemeiner Ansicht einem Verehrer zugute kommen müsste –, dass sie bei ihren letzten Treffen diesem Andrang dunkler Feindseligkeit unterworfen war, diesem halb physischen, halb moralischen Zurückschrecken vor irgend einem unbestimmten Bestandteil seines Wesens, gegen den sie durch Scherze und Ausflüchte sich beständig zu wehren genötigt sah?

Wyant jedenfalls brauchte die Antwort nicht lange zu suchen. Sein blasses Gesicht spiegelte die Verachtung des ihrigen, als er ironisch erwiderte: »Bitte tausend Mal um Vergebung; ich weiß, ich bin nicht immer in der richtigen Tonart.«

»Tonart?«

»Ich hab' mir den Lynbrook-Ton noch nicht angeeignet. Sie müssen mir meinen Mangel an Gelegenheit zu Gute halten.«

Die auf Justines Lippen liegende scharfe Antwort beugte sich einem Schweigen, als ob seine Worte tatsächlich eine Antwort auf ihr inneres Verhör erbracht hätten. Wäre es möglich, dass er Recht hatte – dass ihr Zurückweichen vor ihm das Ergebnis einer wachsenden Empfindlichkeit für geschmackliche Mängel war, die sie früher verächtlich ignoriert hätte? Als sie ihn vor drei Jahren bei ihrer Arbeit am St. Elisabeth's kennen gelernt hatte, war ihr sein übersteigertes Verhalten bloß als jungenhaftes Anzeichen einer reichen Natur erschienen, die von der Erfahrung noch nicht gezügelt worden war. Obgleich Wyant etwas älter war als sie, hatte in ihrem Gefühl für ihn immer ein Element des Schützens existiert, und es war vielleicht dieses Element, das den wahren Grund ihrer Zuneigung bildete. Es befand sich jedenfalls ganz zuoberst, als sie mit einem Schimmer besänftigten Spotts zurück gab: »Da Sie meiner Antwort so sicher sind, weiß ich kaum, weshalb ich Sie morgen treffen sollte?«

»Sie meinen, dass ich sie jetzt bekomme?« rief er.

»Ich meine, dass Sie sie überhaupt nicht bekommen, bevor sie gegeben wird – vor allem, dass Sie sie nicht als selbstverständlich voraussetzen!«

Seine ausladenden Brauen zogen sich wieder zusammen. »Ah, ich möchte mit Ihnen keine Haarspalterei betreiben. Wollen Sie mich nicht aus meinem Elend befreien?«

Sie lächelte, aber nicht unfreundlich. »Brauchen Sie eine Anästhesie?«

»Nein – einen sauberen Schnitt mit dem Skalpell!«

»Sie vergessen, dass wir hoffnungslose Fälle nicht behandeln dürfen – Gott sei's geklagt!«

Er errötete an den Wurzeln seines dünnen Haares. »Hoffnungslose Fälle? Das ist dann also – das ist meine Antwort?«

Sie hatten jenen Punkt erreicht, wo am entfernten Ende der zerstreuten Siedlung das Ziegeldach der Bahnstation der Kuppel des Postamts gegenüber stand; das Schrillen einer Pfeife erinnerte Justine, dass der Ort für ein privates Gespräch nicht günstig war. Sie hielt einen Moment an, bevor sie das Wort ergriff.

»Ich kann Ihnen jetzt keine andere Antwort geben als die in meinem Brief – dass ich Sie morgen treffen werde.«

»Aber wenn Sie sicher sind, sie morgen zu kennen, dann müssen Sie sie auch jetzt wissen!«

Ihre Augen trafen sich, seine voller beredten Flehens, ihre freundlich, doch undurchdringlich. »Wüsste ich sie jetzt, dann würden Sie sie auch kennen. Bitte begnügen Sie sich damit,« entgegnete sie.

»Wie kann ich das, wenn ein Tag solch einen Unterschied bedeuten kann? Wenn ich weiß, dass jeder Einfluss um Sie her gegen mich kämpft?«

Diese Worte warfen blitzartig ein gebrochenes Licht tief hinab auf die Gründe ihrer eigenen Ungewissheit.

»Ach,« sagte sie und zog sich ein wenig von ihm zurück, »ich bin nicht so sicher, dass ich kämpfen mag!«

»Ist das der Grund, weshalb Sie nicht nachgeben?« Er trat zu ihr mit einer verzweifelten Geste. »Wenn ich Sie jetzt gehen lasse, sind Sie für mich verloren!«

Sie stand an ihrem Fleck und schaute ihn mit einem raschen Heben des Kopfes an. »Wenn Sie mich nicht gehen lassen, werde ich das bestimmt sein,« sagte sie; und er zog sich zurück, sich gleichsam der Nutzlosigkeit des Kampfes bewusst werdend. Seine Unterwerfung hatte wie gewöhnlich eine entwaffnende Wirkung auf ihre Gereiztheit, und sie streckte die Hand aus. »Kommen Sie morgen um drei,« sagte sie; ihre Stimme und ihr Verhalten schien die Hoffnung zurück zu bringen, die sie ihm vorenthalten hatte.

Er griff nach ihrer Hand mit einem unverständlichen Murmeln; aber in demselben Augenblick erinnerte sie ein weiteres Pfeifen und das Donnern eines nahenden Zuges an die Unmöglichkeit, diese Szene zu verlängern. Sie war gewöhnlich unbekümmert wegen ihrer öffentlichen Auftritte, doch solange sie Mrs. Amhersts Gast war, mochte sie nicht mit Stephen Wyant beim romantischen Bummeln durch die Dämmerung gesehen werden; und so befreite sie sich mit einem raschen ›Auf Wiedersehen‹.

Er warf ihr zögernd und beschwörend einen letzten Blick zu und wandte sich dann, ihrer Gebärde gehorchend, ab, um die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen.

Sobald er sie verlassen hatte, richtete sie ihre Schritte zurück zum Lynbrook-Landhaus; doch anstatt das Dorf der ganzen Länge nach zu durchqueren, ging sie durch ein Drehkreuz im Parkzaun und nahm so einen weiteren, aber ruhigeren Weg nach Hause.

Sie wanderte langsam durch das Halbdunkel und wünschte sich Zeit, um ihre Unterhaltung mit Wyant zu überdenken. Nun, da sie wieder allein war, erschien ihre Rolle dabei ihr ebenso widersprüchlich wie würdelos. Als sie an Wyant geschrieben hatte, dass sie ihn am morgigen Tag treffen wolle, hatte sie es mit der eindeutigen Auffassung getan, dass sie ihm bei dem Zusammentreffen eine endgültige Antwort auf sein Heiratsangebot geben werde; und während ihres Gesprächs mit Bessy hatte sie plötzlich und, wie ihr schien, unwiderruflich entschieden, dass die Antwort positiv ausfallen sollte. Seit den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft mit Wyant hatte sie seine Intelligenz zu schätzen gewusst und war von der Hingabe an seine Arbeit animiert worden. Er war nur sechs Monate am St. Elisabeth's geblieben, und obwohl seine Gefühle für sie schon damals offenkundig waren, blieben sie wegen der Auflagen ihrer beruflichen Beziehung und infolge ihrer Beanspruchung durch Dienstpflichten unausgesprochen. Erst als sie in Lynbrook wieder zusammentrafen, begann sie, ein persönliches Interesse an ihm zu entwickeln. Die Verheißungen seiner Jugend schienen der Erfüllung näher, als sie damals für möglich gehalten hätte, und der Kontrast, in dem er zu den jungen Männern in Bessys Tross stand, sprach tatsächlich vollauf zu seinen Gunsten. Er hatte an Stärke und Beständigkeit gewonnen, ohne seine enthusiastischen Höhenflüge aufgegeben zu haben; und obwohl sie auch jetzt noch nicht in ihn verliebt war, wuchs in ihr das Gefühl, dass die Vereinigung ihrer beider Interessen ein Leben schaffen könne, das genügend Fülle und Nutzen aufwies, um die Möglichkeit vager Unzufriedenheit auszuschließen. Es würde sie auf jeden Fall aus der Stagnation ihrer gegenwärtigen Existenz heraus holen und ihren Kontakt mit den befruchtenden Energien des Lebens wieder herstellen.

Alles das schien ziemlich klar gewesen zu sein, als sie ihren Brief schrieb; warum hatte sie dann nicht ihre Zufallsbegegnung genutzt, um ihre Antwort zu geben, anstatt sie kapriziös aufzuschieben? Ihr Handeln wirkte wie das eines selbstbewussten Mädchens in den Backfisch-Jahren; aber weder Unerfahrenheit noch Koketterie hatte es veranlasst. Sie hatte sich lediglich dem Widerstandsgeist ergeben, den Wyants Gegenwart seit kurzem in ihr hervorrief; und die Möglichkeit, dass dieser Widerstand einem Gefühl für seine gesellschaftlichen Defizite, für seinen Mangel an Takt und Wendigkeit geschuldet sein könnte, war so demütigend, dass sie einen Augenblick auf dem Weg stehen blieb und beinahe den Wunsch verspürte, umzukehren und ihn einzuholen – –

Als sie wartete, hörte sie überrascht die Schritte eines Mannes hinter ihr; und der Gedanke, dass es Wyant sein könnten, führte zu einem weiteren Umschwung ihrer Gefühle. Welches Recht besaß er, ihr auf diesen Weg zu folgen, ihren Schritten sogar auf dem Lynbrook-Gelände nachzuschnüffeln? Sie war sicher, dass diese fortwährenden Aufmerksamkeiten bereits von Bessys Besuchern bemerkt worden waren; und dass er sich ihr nach seiner Entlassung auf diese Weise aufdrängte, stellte ihr plötzlich ihre gesamte Beziehung in ein lächerliches Licht.

Sie drehte sich um mit der Absicht, ihn zu maßregeln, und fand sich Auge in Auge mit John Amherst.


 


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