Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

John Amherst war kein einseitiger Idealist. Er besaß ein feines Gefühl für die wachsende Komplexität der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, für die scheinbare Hoffnungslosigkeit, deren Ziele dauerhaft zu harmonisieren, und die sich wiederholende Notwendigkeit neuer Kompromisse und Anpassungen. Er verabscheute Hasstiraden, Demagogie, überstürztes Formulieren pathetischer Theorien; seine Verachtung für mangelhafte Logik und subjektive Urteile hatte ihn dazu geführt, den zur Behandlung ökonomischer Missstände angebotenen Allheilmitteln zu misstrauen. Sein Herz indes litt wegen der bitteren Krämpfe, unter denen sich die Maschine Mensch fortbewegte. Er spürte die Bedrohung, die kollektiv betrachtet von den industriellen Zuständen ausging, ihre schmerzliche Härte, wenn man das Leben der Arbeiter, unter die sein Schicksal ihn geworfen hatte, im Einzelnen beobachtete; und so klar er die Notwendigkeit einer philosophischen Untersuchung der Frage erkannte, so war er doch sicher, dass nur durch Mitgefühl mit deren persönlicher, menschlicher Seite eine Lösung erreicht werden könne. Das Verschwinden des alten familiären Kontakts zwischen Meister und Gesellen schien ihm einer der großen Fehler der neuen industriellen Situation. Dass die Kluft sich weiter vergrößern musste infolge der endgültigen Ersetzung des individuellen Arbeitgebers durch eine Aktiengesellschaft – eine Tatsache, die jedem Wirtschaftsstudenten deutlich ist – stellte nach Amhersts Vorstellung eines der quälendsten Probleme für das Vorhaben gesellschaftlichen Ausgleichs dar. Aber es war bezeichnend für ihn, sich eher mit der Beseitigung unmittelbarer Schwierigkeiten zu befassen als mit der Erwägung derer, die noch kommen würden; und solange mit dem individuellen Arbeitgeber noch zu rechnen war, hielt er es für das Wichtigste, diesen näher an seine Arbeiter heran zu bringen. Seit er persönlich in ihre Nöte und Bestrebungen eingedrungen war – seit er verstanden hatte, was sie verlangten und warum sie es verlangten – glaubte Amherst, dass keine bloße Gesetzgebung, wie erleuchtet sie auch sei, eine gesunde Beziehung zwischen den beiden schaffen könne.

Dieses Gefühl stand an allererster Stelle, als er mit Mrs. Westmore in dem Wagen saß, der sie zur Fabrik fuhr. Er hatte die Straßenbahn zurück nach Westmore nehmen wollen, aber auf ein leises Wort von Mr. Tredegar hin hatte ihm Bessy einen Sitz an ihrer Seite angeboten, so dass die anderen nachkommen mussten. Dieser Gipfelpunkt seiner Hoffnungen – die unverhoffte Gelegenheit einer halben Stunde Alleinseins mit ihr – hinterließ bei Amherst ein bedrückendes Gefühl wegen der rasch vergehenden Minuten. Er hatte so viel zu sagen – sie auf so viel vorzubereiten – aber wie sollte er es anfangen, wo er sich in völliger Unkenntnis ihres Wesens und ihrer Auffassungen befand und während ihre liebliche Nähe ihm so wenig Möglichkeiten ließ, irgend etwas außer dieser selbst wahrzunehmen?

Allerdings war er nicht oft Opfer seiner Empfindungen, und gegenwärtig drang, jenseits des bloßen Bewusstseins ihrer Anmut und ihrer Vollkommenheit, eine klareres Gefühl der Bedingungen empor, die in gewissem Maße für deren Hervorbringung verantwortlich waren. Ihr Kleid hätte nicht in so raffinierten Falten liegen, ihr weißes Kinn nicht von einer so reichen Tiefe von Pelz umschmiegt sein und ihre Perlohrringe nicht das Licht von so reinen Rundungen reflektieren können, wenn sich nicht dürre Schultern in formlosen Baumwollkleidern Tag ein, Tag aus über Spulen und Kämme gebeugt und die Webstühle sogar nachts ihren Lärm in müde Ohren gehämmert hätten. Amherst empfand gleichwohl keinen außergewöhnlichen Unmut bei diesem Gegensatz. Er hatte zu viel Hässlichkeit und Not erlebt, um nicht an das der menschlichen Natur innewohnende Bedürfnis nach deren Gegenteil zu glauben. Er freute sich, dass es in der Welt Raum für solche Schönheit gab, und war sicher, dass deren Zweck ein verbessernder sei, wenn sie gebraucht werden könnte, wie eine schöne Seele es tun würde.

Das Gefährt war auf einen der unscheinbaren Fahrwege eingebogen, eine trostlose Mischung aus angefangener Straße und verfallenem Feldweg, die Hanaford mit dem Fabrikviertel verband. Bessy schaute hinaus auf die Wagenspuren, die Plakatwände, die verhungerten Bäume, die ihre erbleichten Blätter im strahlenden Oktoberlicht baumeln ließen, und seufzte dann: »Welch ein guter Tag für einen Ausritt!«

Amherst überkam eine augenblickliche Kälte, aber die Natürlichkeit des Ausrufs entwaffnete ihn, und die Worte riefen erregende Erinnerungen an seine eigene College-Zeit wach, als er die Pferde seines Großvaters im berühmten Jagd-Tal, keine hundert Meilen von Hanaford, geritten hatte.

Bessy begegnete seinem Lächeln mit einem verstehenden Erröten. »Sie reiten ebenfalls gern, glaube ich?«

»Früher ja; aber ich bin seit Jahren nicht mehr im Sattel gewesen. Werkleiter halten keine Jagdpferde,« sagte er lachend.

Ihr erstauntes Murmeln zeigte, dass sie dies für eine rechtfertigende Anspielung auf seine eingeschränkte Lage hielt, und um rasch diesen Eindruck zu berichtigen, fügte er hinzu: »Wenn ich irgend etwas in meinem früheren Leben nachtrauern würde, wäre es mit Sicherheit ein Ausritt an einem Tag wie diesem; aber ich habe mein Gewerbe mit Vorsatz gewählt und meine Wahl nie bedauert.«

Er hatte es kaum ausgesprochen, als er die Unangemessenheit seines Bekenntnisses empfand; aber ihr prompte Antwort zeigte ihm einen Augenblick später, dass es am Ende doch der direkteste Weg zu seinem Ziel war.

»Sie finden diese Arbeit interessant? Das muss sie bestimmt sein. Sie werden mich für sehr unwissend halten – mein Mann und ich kamen so selten hierher … ich habe das Gefühl, ich sollte sehr viel mehr darüber erfahren,« erklärte sie.

So war schließlich der Ton, auf den er gewartet hatte, angeschlagen. »Wollen Sie es nicht versuchen – wo Sie nun hier sind? Es gibt so viel, das sich zu wissen lohnt,« brach es ungestüm aus ihm heraus.

Mrs. Westmore verfärbte sich, aber mehr aus Überraschung denn aus Missvergnügen. »Ich bin sehr dumm – ich habe fürs Geschäft keinen Kopf – aber ich will's versuchen,« sagte sie.

»Was ich meine, hat nichts mit dem Geschäft zu tun; es geht um die persönlichen Beziehungen – genau das, was der Geschäftsstandpunkt unberücksichtigt lässt. Finanziell könnte wohl Ihre Fabrik nicht besser laufen; aber es gibt über siebenhundert Frauen, die in ihr arbeiten, und es wäre so viel zu tun, gerade für sie und ihre Kinder.«

Er vernahm eine schwache Andeutung von Rückzug in ihrem Ton. »Ich habe immer gedacht, dass Mr. Truscomb alles täte – –«

Amherst wurde rot; aber er war darüber hinaus, sich wegen einer persönlichen Abfuhr zu sorgen. »Überlassen Sie es den Gouvernanten Ihrer kleinen Tochter, alles für sie zu tun?« fragte er.

Ihre Überraschung schien fast in Verärgerung überzugehen: er erkannte das sich ankündigende Sträuben einer Frau, die vor das Problem gestellt ist, ihre Würde zu verteidigen. »Wirklich, ich verstehe nicht –« begann sie mit distanzierter Höflichkeit; dann wandelte sich ihr Gesichtsausdruck, er wurde weich, und wieder sprach zuerst ihr Blut, bevor sie ihre Lippen öffnete.

»Ich bin froh, dass Sie mir das gesagt haben, Mr. Amherst. Natürlich möchte ich alles tun, was ich kann. Es wäre mir lieb, wenn Sie alles darlegen würden – –«

Amherst Entschluss war gefasst, während sie noch sprach. Er würde alles darlegen, würde seine Chance bis an die Grenze ausweiten. Alle Gedanken persönlicher Vorsicht waren im Wind verflogen – die Röte ihres Gesichts und ihr Ton hatten die Strategie des Wartens beendet. Er würde Truscomb sofort den Krieg erklären und die Möglichkeit der Entlassung auf sich nehmen. Wenigstens hätte er, bevor er ging, dieses exquisite Geschöpf in direkten Kontakt mit den Missständen gebracht, aus denen sich ihr Luxus ableitete, und damit die erneuernden Regungen von Empörung und Mitleid in Bewegung gesetzt. Er hielt sich nicht damit auf, den dauerhaften Nutzen seines Kurses abzuwägen, sondern folgte dem einzigen Gefühl, dass er nie wieder diese Gelegenheit bekommen würde – dass, wenn er sie fortgehen lassen würde zu ihrem gewöhnlichen Leben, mit ungeöffneten Augen und unberührtem Herzen, es keine Hoffnung gäbe, dass sie jemals zurück käme. Es war weitaus besser, dass er für immer ging und dass sie zurück käme, weil sie zurück kommen musste, und immer öfter, wenn man ihr die schreiende Notwendigkeit ihrer Gegenwart fühlbar machen konnte.

Aber wo sollte er anfangen? Wie ihr einen Eindruck der gebündelten und verzwickten Lage vermitteln?

»Mrs. Westmore,« sagte er, »es ist jetzt nicht genug Zeit, viel zu sagen, aber bevor wir zur Fabrik kommen, möchte ich Sie um einen Gefallen bitten. Falls Sie während des Durchgangs irgend etwas sehen, das erklärt werden sollte, würden Sie mir erlauben, mit Ihnen heute abend darüber zu sprechen? Ich sage ›heute abend‹,« fügte er hinzu, als er ihrem fragenden Blick begegnete, »weil ich später – sogar morgen schon – vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu habe. Es gibt einige Dinge – eine ganze Menge – in der Führung der Fabrik, die Mr. Truscomb nicht so sieht wie ich. Ich meine keine Geschäftsfragen: Löhne und Dividenden und so weiter – die liegen außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs. Ich spreche ausschließlich von meiner eigenen Tätigkeit – der Betreuung der Arbeiter und was sie meiner Meinung nach brauchen und unter dem gegenwärtigen System nicht bekommen. Natürlich hätte ich diese Gelegenheit, Ihnen den Sachverhalt vorzulegen, nicht gehabt, wenn Mr. Truscomb gesund wäre; aber da sie sich mir bot, muss ich sie ergreifen und die Konsequenzen auf mich nehmen.«

Sogar während er sprach, stiegen durch eine schnelle Gedankenverbindung diese Konsequenzen in all ihrer Ernsthaftigkeit vor ihm auf. Es war nicht nur, oder nicht vornehmlich, dass er seinen Arbeitsplatz verlieren könnte; er wusste, seine Mutter hatte nicht grundlos jenen Fall des Aufsehers angeführt, bei dem Truscomb, um seine persönliche Rachsucht zu befriedigen, dafür gesorgt hatte, dass er monatelang ohne eine Anstellung in seinem Beruf blieb. Und es gab besondere Gründe, weshalb Amherst ihre Warnung beherzigen sollte. Indem er ein manuelles Gewerbe aufgenommen hatte anstatt der vornehmen Berufe, welche die Männer ihrer Familie stets ausgeübt hatten, waren nicht nur ihre Hoffnungen enttäuscht und zu einem Großteil die Bildungskosten verschenkt, die sie sich selbst vom Mund abgespart hatte, um sie ihm zukommen zu lassen, sondern er hatte auch all ihre Lebensgewohnheiten durcheinander gebracht, indem er sie von ihrer normalen Umgebung in das deprimierende Exil einer Fabrik-Siedlung versetzt hatte. Wie sehr er sich auch selbst vorwarf, ihr dieses Opfer abverlangt zu haben: es war so freudig angenommen worden, dass das Bewusstsein davon niemals das Leben mit seiner Mutter überschattet hatte; vielmehr machte ihm ihre Selbstlosigkeit die eigenen Verpflichtungen umso bewusster, und weil er sie in eine schwierige Lage gebracht hatte, war er immer darum bemüht gewesen, deren Schwierigkeiten nicht durch Unklugheit im Verhalten gegenüber seinen Vorgesetzten zu vermehren. So ernst indessen diese Erwägungen waren, sie waren weniger mächtig als sein Verlangen, in Westmore zu bleiben. Ebenso leichthin, wie er sich entschlossen hatte, eine Entlassung zu riskieren, verband er seine gesamte Zukunft mit der Hoffnung, diesen Arbeitsplatz zu halten. Sein Herz schlug für seine Arbeit bei Westmore, und die Angst, keine andere Anstellung bekommen zu können, spielte bei seinem Verlangen, diesen Posten zu behalten, nur eine geringe Rolle. Was er wirklich wollte, war seine Meinung zu sagen und trotzdem den Konsequenzen zu entgehen: durch einen wundersame Fügung gegen alle Wahrscheinlichkeit seine Position zu behalten und sogar noch Truscombs Rückzug zu bewirken. Der Gedanke war so fantastisch, dass er ihn einfach als beflügelnd für alle seine Aktionen empfand, als enorme Schubkraft des Willens ohne bestimmte Grenzlinien. Er war nicht von dem Wunsch beseelt, den Platz des Geschäftsführers einzunehmen; aber er träumte davon, Truscomb ersetzt zu sehen durch einen Mann der neuen Schule, der Verständnis hatte für die erwachende soziale Bewegung – einen Mann, der in der Praxis die Fabrik erfolgreich »am Laufen« hielt, aber gleichwohl genug Phantasie besaß, um dies als die letzte seiner Pflichten zu einzustufen. Ein solcher Mann schien Louis Duplain zu sein, der Aufseher, der bei Mrs. Amherst logierte: ein junger Bursche elsässischer Herkunft, ein Fabrikarbeiter seit seiner Jugend, der in seinem Beruf in Europa ebenso wie in Amerika gearbeitet hatte und der mit mehr handwerklichem Geschick und einer größeren Nähe zum Arbeiterstandpunkt Amhersts ganzen Enthusiasmus für das Experiment sozialer Besserung vereinigte, die in einigen englischen und kontinentaleuropäischen Fabriken erzielt wurde. Sein stärkster Wunsch war, einen Mann wie Duplain an den Kontrollhebeln von Westmore zu sehen, bevor er sich selbst jener größeren Aufgabe zuwandte, die er seit einiger Zeit als die Fortsetzung seiner Fabrikausbildung vor sich liegen sah.

All diese Gedanken schossen ihm in der augenblicklichen Pause durch den Kopf, ehe Mrs. Westmore, auf seine letzte Ansprache antwortend, mit anmutigem Eifer sagte: »Ja, Sie müssen heute abend kommen. Ich will alles hören, was Sie mir sagen können – und wenn irgend etwas nicht stimmt, müssen Sie mir zeigen, wie ich es besser machen kann.«

»Ich werde es ihr zeigen, und Truscomb wird mich dafür nicht hinauswerfen,« lautete das von ihm leidenschaftlich abgelegte Gelöbnis, als das Gefährt an der Bürotür des Hauptgebäudes vorfuhr.

Zu bedenken, wie dieses unmögliche Ergebnis zu erzielen sei, fehlte es ihm an weiterer Zeit, denn im nächsten Moment hatte der Rest der Gesellschaft mit ihnen die Fabrik betreten, und das Gespräch wurde abgelöst vom Getöse der Maschinen.

Amhersts Leidenschaft für sein Anliegen wurde jedesmal durch die Anschauung der tätigen Fabrik angefacht. Er liebte die Arbeit selbst ebenso sehr, wie er die Bedingungen hasste, unter denen sie getan wurde; und er sehnte sich danach, auf den Gesichtern der Arbeiter etwas von jener Inbrunst zu sehen, die sein eigenes erhellte, wenn er die Arbeitsräume betrat. Es war diese Leidenschaft für Maschinen, die ihn in der Schule von den Büchern weggelockt und auf dem College zu den Kursen hingezogen hatte, die am wenigsten auf der Linie des ihm bestimmten Berufs lagen; und immer wieder ergriff es ihn aufs Neue, wenn er den gewaltigen Kräften der Fabrik direkt gegenüber stand. Es war nicht allein das Gefühl von Macht, das ihn erregte – er empfand Schönheit in der geordneten Tätigkeit des gesamten komplizierten Organismus, in dem Rhythmus der tanzenden Spulen und rotierenden Kardätschen Siehe Anm. 3 ., dem rasanten kontinuierlichen Auswurf der Doppler Das Doppeln ist ein Arbeitsgang, durch den gleichmäßige Faserbänder erzielt werden. – und Wickel-Maschinen, dem beständigen Wogen der langen Haspeln Die Haspel bringt Garn in die Form eines Stranges (einer Strähne), der durch Waschen, Bleichen, Färben weiterverarbeitet werden kann., dem schauerlichen Knirschen der Webstühle – all diese variierenden, untergeordneten Bewegungen, vereinigt mit dem Hämmern der großen Triebwerke, welche die Schlagadern des Giganten versorgten und im Gegenzug beherrscht wurden von der unsichtbaren Tätigkeit schnellen Denkens und gehorsamer Hände, riefen in Amherst stets ein Gefühl rauschhaften Lebens hervor.

Er wusste, dass diese Empfindung für seine Begleiter zu fachbezogen war; doch er erwartete, dass Mrs. Westmore um so empfänglicher für die andere Seite sein würde – die dunkle Seite einer monotonen menschlichen Plackerei, eines Festmahls aus Fleisch, Blut und Hirn, das dem Monstrum unablässig serviert wurde, dessen unersättliche Kiefer die Webstühle so grimmig verkörperten. Truscomb war, wie er ihr mitgeteilt hatte, aus dem Blickwinkel der Profitabilität ein guter Geschäftsführer. Weil es dem Gewinn diente, die Maschinen in Ordnung zu halten, sorgte er in der gesamten Fabrik für einen hohen Standard mechanischer Überwachung, außer, wo ein paar begünstigte Aufseher – denn Truscomb neigte zur Günstlingswirtschaft – sich vor den Pflichten ihrer Abteilungen drückten. Jedoch lag der Kern von Truscombs Konzept – und damit nicht die geringste der Eigenschaften, die ihn zu einem »sich auszahlenden« Geschäftsführer machten – darin, dass er gewissenhaft dort sparte, wo die Ausgaben keinen größeren Gewinn abgeworfen hätten. Dafür zu sorgen, dass die Flure geschrubbt, der Baumwollstaub aufgekehrt, die Räume geweißt und gut belüftet wurden, war weit davon entfernt, den vierteljährlichen Dividenden auch nur den geringsten Bruchteil hinzuzufügen, hätte vielmehr von ihnen die geringfügigen Kosten dieser zusätzlichen Arbeit abgezogen; und deshalb sparte Truscomb bei Schrubben, Kehren und Fensterputzen und allen Ausgaben, die mit verbesserter Belüftung und anderen hygienischen Vorkehrungen verbunden gewesen wären. Zwar war die gesamte Fabrik überfüllt, aber die neuesten Gebäude waren sorgfältiger entworfen und besaßen die gewöhnlichen sanitären Verbesserungen; die alten Fabrikteile hatte man allerdings in ihrem ursprünglichen Stand belassen, und sogar die ganz zuletzt errichteten litten bald unter Vernachlässigung. Es war daher kein Wunder, dass Arbeiter, die zwischen solchen Wänden gefangen waren, die langen Stunden ihres tödlichen Schuftens in trüben Augen und anämischer Haut widerspiegelten und in der trostlosen Erschöpfung, mit der sie sich über ihre Tätigkeiten beugten.

Mit Sicherheit, folgerte Amherst, musste Mrs. Westmore das so empfinden; musste dies alles um so mehr empfinden, als sie aus einem so andersartigen Dunstkreis kam, aus einem Leben, wo alles, wie er instinktiv vermutete, sich in Harmonie mit ihrer anmutigen Person befand. Doch eine tiefe Enttäuschung erwartete ihn. Er stand immer noch unter dem Bann der letzten Augenblicke in dem Wagen, als ihr Gesicht und ihre Stimme so viel versprochen hatten, als sie so tief, wenn auch vage, von seiner Ansprache gerührt war. Als sie aber von einem widerhallenden Raum zum nächsten gingen – vom dumpfen Pochen in der ›Kämmerei‹, dem Ächzen der Haspeln, dem langen beständigen Stampfen der Schlichter Der Arbeitsgang durch die Schlichtmaschine (›slasher‹) bewirkt die einheitliche Größe des Fadens, der zudem durch eine Imprägnierflüssigkeit geschmeidiger und widerstandsfähiger gegen mechanische Belastung gemacht wird. zurück zu dem wütenden Kreischen unstillbarer Webstühle – erstarb das Licht in ihren Augen und sie schaute völlig fassungslos und betäubt.

Amherst war gegenüber dem Krach der Fabrik abgehärtet und vermochte nicht, dessen Wirkung auf Nerven zu ermessen, die gewöhnt waren an gedämpfte Klänge und weiträumige Stille, die letzten Verfeinerungen des Luxus. Die Gewohnheit hatte ihn unempfindlich gemacht gegen diese bösartige Vervielfältigung und Unterteilung von Lärm, der jeden Punkt des Bewusstseins in einem anderen Ton vibrieren ließ, so dass, während die eine Gruppe von Nerven durch das vorherrschende Kreischen der Webstühle wie von Zangen zerrissen wurde, derweil andere ein davon unabhängiger Schmerz durchschüttelte, hervorgerufen durch die unablässige Begleitung von Trommeln, Zischen, Quietschen und Krachen, die das große Gebäude erschütterten. Amherst empfand diesen Tumult nur als Teil der Fabrikatmosphäre; und für Ohren, die dies wie seine eigenen gewohnt waren, konnte er seine Stimme ohne Schwierigkeiten hörbar machen. Aber für Mrs. Westmore und ihre Begleiter blieben seine Sprechbemühungen unverständlich, und nach vergeblichen Versuchen, sich durch Zeichensprache zu verständigen, eilten sie weiter, wie um so rasch als möglich vor dem verfolgenden Wirbelsturm zu fliehen.

Amherst war nicht im Stande, die deprimierende Wirkung dieses erzwungenen Schweigens einzuberechnen. Er erkannte nicht, dass, wenn Bessy ihn hätte fragen können, die Ströme der Sympathie zwischen ihnen vielleicht weiter geflossen wären, während sie, indem sie genötigt war, schweigend durch endlose Reihen bedeutungsloser Maschinen zu laufen, zu denen die menschlichen Arbeiter lediglich automatische Anhängsel schienen, alle Wahrnehmung dessen einbüßte, was der Schauplatz bedeutete. Er hatte ebenfalls vergessen, dass die schnelle Auffassung des Leidens anderer nicht weniger das Ergebnis von Schulung ist als die unmittelbare Wahrnehmung von Schönheit. Beide Auffassungsgaben mögen angeboren sein; wenn nicht, können sie einzig durch disziplinierte Praxis entwickelt werden.

»Dieses Mädchen vom Krankenhaus würde das alles verstanden haben,« überlegte er, während die Vorstellung von Miss Brents schmalem prägnanten Profil vor ihm aufstieg; doch im nächsten Augenblick empfing er den Glanz von Mrs. Westmores Haar, als sie sich über eine Kardätsche beugte, und das fahlere Bildnis verblasste wie später Mond bei Sonnenaufgang.

Inzwischen hatte Mrs. Ansell bemerkt, dass die ausführliche Begehung der Gebäude Mr. Langhopes Lähmung ebenso zu schaffen machte wie den Nerven seiner Tochter, und deshalb vorgeschlagen, mit ihm zurückzukehren und zu Mrs. Amherst zu fahren, wo er sie für den Besuch absetzen solle, während die anderen ihre Runde zu Ende brachten. Es gehörte zu Mrs. Ansells Gaben, die ersten Symptome von Langeweile bei ihren Begleitern zu entdecken und dann ein Gegenmittel hervorzuholen, so wie alte Damen ein Duftfläschchen bereithalten oder Hustenpastillen anbieten; und Mr. Langhopes Anblick bewies die Rechtzeitigkeit ihrer Anregung.

Amherst war zu voreingenommen, um sich zu fragen, wie seine Mutter auf diesen Besuch reagieren würde; trotzdem begrüßte er Mr. Langhopes Abfahrt in der Hoffnung, dass die Abwesenheit seines ironischen Lächelns seine Tochter offener für feinere Einflüsse machen werde. Mr. Tredegar warf inzwischen seinen dürren Blick über den Schauplatz, versuchte sich durch Zeichen mit den Aufsehern der verschiedenen Räume zu unterhalten, und blieb dann und wann zum Betrachten stehen, nicht so sehr der Arbeiter selbst, sondern der besonderen Aufgaben, die sie beschäftigten.

Welchen Eindruck auf die Zuschauer der vorrückenden Gesellschaft Mrs. Westmores Erscheinung machte, konnte sogar Amherst, trotz all seinem Mitgefühl für deren Blicke, nicht ausmachen. Sie wussten, dass sie die neue Besitzerin war, dass ein unverhältnismäßiger Anteil des Ergebnisses ihrer Plackereien in Zukunft durch ihre Hände gehen würde, um Teppiche für ihre Schritte auszubreiten und ein Umfeld von Schönheit um ihre Augen zu entfalten; dieses Wissen schien aber kein besonderes Interesse an ihrer Person hervorzurufen. Ein Wechsel des Arbeitgebers bedeutete wahrscheinlich keinen Unterschied in ihrem Schicksal: ihr Wohlergehen würde wohl weiterhin von Truscombs Gunst abhängen. Die Männer hoben kaum ihre Köpfe, als Mrs. Westmore vorbeikam; die Frauen blickten auf, doch mehr aus Neugier als aus Interesse; und Amherst hätte nicht sagen können, ob ihre Verdrossenheit auf Mrs. Westmore zurückging oder ob sie unbewusst von ihrer Gleichgültigkeit enttäuscht waren. Das Ergebnis war dasselbe: die Distanz zwischen ihnen schien zu wachsen anstatt sich zu verringern; und er lächelte ironisch bei dem Gedanken an das, was aus seinem Appell geworden war – »Wenn Sie irgend etwas sehen, das erklärt werden sollte …« Oh, sie sah nichts – nichts außer dem schmierigen Boden unter ihren Füßen, dem Baumwollstaub in ihren Augen, dem schwindelerregenden, unbegreiflichen Gewirr von zahllosen Treibriemen und Rädern! Wenn sie erst draußen war, würde sie sich beeilen, diesen widerwärtigen Schauplatz zu vergessen, ohne an eine Bitte um Erläuterungen zu dessen Trostlosigkeit auch nur zu denken.

Wegen der Heftigkeit seiner Enttäuschung suchte er nach einem Vorwand, um die Tour durch die Gebäude abzukürzen, so dass er seine Augen von ihrem Gesicht abwenden könnte, auf dessen Zeichen des Erwachens er so vergeblich gewartet hatte. Und dann, als er gerade darüber verzweifeln wollte, kam der Wechsel.

Sie hatten den Hauptraum der Kämmerei betreten und waren auf seinem langen Mittelweg bis zur Hälfte gekommen, als Mr. Tredegar, der die Prozession anführte, vor einem der ›Kämme‹ stehen blieb.

»Was ist das?« fragte er, auf einen schwarzen Kleiderfetzen zeigend, der unübersehbar am Rahmen der Kardätsche festgebunden war.

Der Aufseher dieses Raumes, ein rotgesichtiger junger Mann mit verlebten Augen, der sich auf Amhersts Zeichen zu der Gesellschaft begeben hatte, hielt kurz ein und warf einen wilden Blicke auf die Arbeiter ringsum.

»Was zur Hölle …? Ich hab's jetzt gerade erst gesehen,« rief er aus und unternahm einen erfolglosen Versuch, das Traueremblem von seinem Platz abzureißen.

Genau in diesem Moment tönte das Mittagssignal durch das Gebäude, und bei diesem Zeichen hielt die Maschinerie an und Stille brach über die Fabrik herein. Die entfernteren Arbeiter verließen sofort ihre Posten, um ihre Hüte und Mäntel zu ergreifen, die unordentlich in den Ecken aufgehäuft lagen; doch die in der Nähe befindlichen standen, angelockt von dem Aufruhr um die Kardätsche, wie angewurzelt und fixierten die Besucher mit düsteren Blicken.

Amherst war bis in die Haarwurzeln errötet. Blitzartig war ihm klargeworden, was das Zeichen bedeutete, und der Anblick erregte sein Mitleid; aber es berührte auch seinen starken Sinn für Disziplin, und er wendete sich streng an die Arbeiter.

»Was bedeutet dies?«

Es gab ein kurzes Schweigen; dann hob einer der Arbeiter, ein dünner Mann mit undurchdringlichen Augen, seinen Kopf und sprach.

»Wir haben das für Dillon gemacht,« sagte.

Amhersts Blick strich über die dichtgedrängten Gesichter. »Aber Dillon wurde nicht getötet,« rief er, während der Aufseher sein Taschenmesser zog, den schwarzen Fetzen abriss und ihn verächtlich auf einen Haufen Baumwollabfall zu seinen Füßen schmiss.

»Wär' besser so gewesen,« kam es von einem anderen Arbeiter; und ein tiefgründiges »So is' es« der Bestätigung lief durch die Arbeitergruppe.

Amherst fühlte eine Berührung auf seinem Arm und traf auf Mrs. Westmores Augen. »Was ist passiert? Was meinen sie?« fragte sie mit alarmierter Stimme.

»Es hat vor zwei Tagen hier einen Unfall gegeben: ein Mann kam in die Kardätsche hinter ihm, und seine rechte Hand wurde schlimm verletzt.«

»Aus eigener Unachtsamkeit – fragen Sie den Geschäftsführer,« warf der Aufseher ein, bevor Amherst antworten konnte.

Ein tiefes Gemurmel des Widerspruchs lief durch die Menge, aber Amherst sagte zu Mr. Tredegar, ohne die Antwort des Aufsehers zu beachten: »Er liegt im Hope Hospital. Er wird seine Hand verlieren, und wahrscheinlich seinen ganzen Arm.«

Er hatte den letzten Teil des Satzes eigentlich nicht hinzufügen wollen. Wie stark auch immer sein Mitgefühl angesprochen war, es verstieß gegen die Regel, zu diesem Zeitpunkt irgend etwas zu sagen, das die rasche Leidenschaft der Arbeiter entflammen könnte: er hatte den Unfall hinreichend beleuchten und die Arbeiter mit einem scharfen Wort des Tadels entlassen wollen. Aber Mrs. Westmores Gesicht befand sich seinem nahe: er sah das Mitleid in ihrem Gesicht und fürchtete, als er dessen Ausdruck prüfte, dass er niemals wieder die Gelegenheit haben würde, es hervorzurufen.

»Seinen rechten Arm? Wie furchtbar! Aber dann wird er nie wieder in der Lage sein zu arbeiten!« rief sie, in all ihrem Entsetzen, zum ersten Mal mit dem erbarmungslosen Schicksal der Armen konfrontiert zu sein.

Ihre Augen wandten sich von Amherst ab und ruhten auf den um sie gedrängten Gesichtern. Es waren viele Gesichter von Frauen unter ihnen – Gesichter erschöpften mittleren Alters und von bleicher, im Sitzen verbrachter Jugend. Zum ersten Mal schien Mrs. Westmore das Band des Blutes zwischen sich und diesen matten Geschöpfen aus der Unterwelt zu fühlen: als Amherst sie beobachtete, war das herrliche Wunder vollzogen. Ihre Blässe wich einem raschen Erröten, ihre Augen weiteten sich wie die eines erschreckten Kindes, und zwei Tränen stiegen empor und rollten langsam ihr Gesicht herab.

»Oh, warum hat man mir nichts gesagt? Ist er verheiratet? Hat er Kinder? Was macht es aus, wessen Schuld es war?« schrie sie, indem sie zusammenhanglos ihre Fragen in einer Welle von Zorn und Mitgefühl hervorstieß.

»Es war nicht sein Fehler … Die ›Kämme‹ stehen zu nahe beieinander … Es wird wieder passieren … Er hat drei Kinder zu Hause,« brach es aus den Arbeitern heraus; und plötzlich rief eine Stimme »Hier ist jetzt seine Frau,« und die Menge teilte sich, um Mrs. Dillon Platz zu machen; sie kam vom hinteren Ende des Raumes, und man hatte ihr aufgelauert, um sie zur der Gruppe hin zu drängen.

Sie zögerte, schrak vor der mörderischen Maschine zurück, die sie zum ersten Mal erblickte seit ihres Mannes Unfall; dann sah sie Amherst, erriet die Identität der Dame an seiner Seite und wurde rot bis zu ihrer abgehärmten Stirn. Mrs. Dillon hatte gut ausgesehen in ihrer früheren Jugend, und auch ihr hohlwangiges Gesicht war immer noch hübsch genug, um zu zeigen, wie viel davon Opfer von Krankheit und ungesunder Arbeit geworden war.

»Oh Ma'am, Ma'am, es war nich' Jims Schuld – es gibt keinen zuverlässigeren Mann auf der Welt. Die ›Kämmerei‹ is' zu voll,« schluchzte sie auf.

Einige der anderen Frauen begannen zu weinen: eine Welle von Mitgefühl lief durch die Gruppe, und Mrs. Westmore bewegte sich vorwärts und antwortete aufschreiend: »Sie armes Geschöpf … Sie armes Geschöpf …« Sie öffnete Mrs. Dillon ihre Arme, und das Schluchzen der Putzfrau erstarb an der Brust ihrer Arbeitgeberin.

»Ich werde zum Krankenhaus gehen – ich werde Sie besuchen kommen – ich werde dafür sorgen, dass alles getan wird,« sagte Bessy immer wieder. »Aber warum sind Sie hier? Wie kommt es, dass Sie Ihre Kinder verlassen müssen?« Sie befreite sich, um Amherst einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. »Sie wollen mir doch nicht sagen, dass Sie die arme Frau zu diesem Zeitpunkt arbeiten lassen?«

»Mrs. Dillon hat bis vor kurzem hier nicht gearbeitet,« antwortete Amherst. »Der Geschäftsführer hat sie heute auf ihre eigene Bitte wieder eingestellt, damit sie etwas verdienen kann, während ihr Mann im Krankenhaus ist.«

Mrs. Westmores Augen leuchteten vor Empörung. »Etwas verdienen? Aber bestimmt – –«

Sie empfing einen Schweigen gebietenden Blick von Mr. Tredegar, der sich zwischen Mrs. Dillon und sie gestellt hatte.

»Mein liebes Kind, niemand zweifelt – niemand von diesen guten Leuten zweifelt daran – dass Sie sich den Fall anschauen und alles zur Linderung beitragen werden; aber gestatten Sie mir den Hinweis, dass dies kaum der Ort – –«

Sie wendete sich von ihm ab und schaute Amherst auffordernd an.

»Ich denke,« sagte dieser, als sich ihre Blicke trafen, »es wäre besser – mit Ihrem Einverständnis – dass ich die Arbeiter jetzt entlasse: sie haben nur eine Stunde zu Mittag.«

Sie signalisierte ihre Zustimmung, und er wendete sich zu den Arbeitern und sagte ruhig: »Ihr habt Mrs. Westmores Versprechen gehört; nun macht euch davon und gebt ihr den Weg zur Treppe frei.«

Sie wichen zurück, und Mr. Tredegar hakte Bessys Arm unter seinen; aber als er losgehen wollte, drehte sie sich um und legte eine Hand auf Mrs. Dillons Schulter.

»Sie dürfen nicht hier bleiben – sie müssen zu Ihren Kindern zurück gehen. Ich werde es mit Mr. Truscomb klären,« flüsterte sie beschwichtigend; dann lächelte sie zum Abschied durch ihre Tränen der zurückbleibenden Gruppe von Arbeitern zu und folgte ihren Begleitern zur Tür.

Schweigend erstiegen sie die zahlreichen Stufen und überquerten die schäbige zaunlose Grasfläche zwischen der Fabrik und dem Büro des Geschäftsführers. Erst als sie den Wagen erreichten, sprach Mrs. Westmore.

»Aber Maria wartet auf uns – wir müssen sie abholen!« sagte sie, sich selbst ermunternd; und als Amherst die Wagentür öffnete, fügte sie hinzu: »Würden Sie uns den Weg zeigen? Würden Sie mit uns fahren?«

Auf der Fahrt blieb Bessy schweigsam, als sei sie noch beansprucht von der Bestürzung über die Szene, von der sie soeben Zeugin geworden war; und Amherst ertappte sich dabei, wie er mechanisch Mr. Tredegars Fragen beantwortete, während in seinen Kopf für nichts Platz war außer der Wahrnehmung ihrer bebenden Lippen und tränengeweiteten Augen. Er war zu stark mit den folgenschweren Aspekten ihres Fabrikbesuchs beschäftigt, um sich ihres Versprechens zu entsinnen, Mrs. Ansell bei seiner Mutter abzuholen; aber da sie sich nun auf dem Weg dorthin befanden, verspürte er den Wunsch, den Besuch noch abzuwenden. Er war zu stolz auf seine Mutter, um irgend einen Zweifel zu hegen wegen des Eindrucks, den sie hervorrufen würde; doch was würde Mrs. Westmore über ihre Lebensweise denken, über die billige Ausstattung ihres Häuschens und den Küchengeruch, der alle seine dünnen Wände durchdrang? Auch würde Duplain zum Abendessen kommen; und trotz seiner Sympathie für ihn dachte Amherst daran, dass der junge Aufseher sich recht überheblich gewisse Freiheiten im Verhalten herausnahm, jene deplazierte Ungezwungenheit, die neugebackene Amerikaner als willkommenstes Zeichen von Gleichheit bevorzugen. All diese Kleinigkeiten, die sonst für Amherst keine oder nur eine höchst gleichgültige Rolle spielten, erhielten nun eine plötzliche Wichtigkeit, hinter der er das unbehagliche Verlangen spürte, dass Mrs. Westmore ihn nicht gegenüber ihrer eigenen Klasse als minderwertiger betrachten sollte, als es ihm auf Grund seiner Verbindungen und seiner Erziehung zukam. Blitzartig erfasste er, was er durch den Besuch einbüßte – gleichwertigen Verkehr mit jener kleinen Gruppe von Leuten, die das Leben mit Anmut und Mühelosigkeit krönten; und im nächsten Augenblick schämte er sich für die Umkehrung seiner Grundsätze und fragte sich fast verächtlich, worin wohl das Wesen der Frau bestehen könne, deren bloße Anwesenheit solch einen Wandel hervorzurufen vermochte.

Aber es gab keinen Kampf gegen ihren Einfluss; und wie er am Abend zuvor mit den Augen der Krankenschwester auf Westmore geschaut hatte, so sah er sich nun sein Haus so anschauen, wie es Mrs. Westmore erscheinen musste. Er bemerkte den schäbigen gelben Anstrich des Gitterzauns, den vernachlässigten nachbarlichen Garten, selbst die aufgehängte Wäsche, die sich durch das entlaubte Gebüsch auf der Küchenveranda anstößig zur Schau stellte; und als er seine Begleiter durch den engen Korridor einließ, überfiel ihn der erwartete Duft von ›Eintopf‹, der mit dem Dampf von Waschkübeln eine intime Mischung einging.

Duplain stand im Flur; er war gerade aus der Küche gekommen, und dass er seine Hände in der Spüle gewaschen hatte, erwies sich an seinen hochgekrempelten Hemdsärmeln und an der blanken Röte der Knöchel, die sein krauses schwarzes Haar durchfuhren.

»Hallo, John,« sagte er mit seiner aggressiv klingender Stimme, die abrupt anschwoll beim Anblick von Amhersts Begleitern; und in demselben Augenblick stieß das ungepflegte ›Mädchen für alles‹, purpurrot vom Bücken über den Küchenherd, ihren Kopf hervor, um ihm hinterher zu rufen: »Hör'n Sie 'mal, Mr. Duplain, lassen Sie nicht Ihre Krawatte in meinem Teig 'rumliegen!«


 


 << zurück weiter >>