Jakob Wassermann
Die Juden von Zirndorf
Jakob Wassermann

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Sommer und Sommerwinde! Blüten an allen Ecken der Welt! Ein tiefes Grün auf den Feldern, die schmeichlerische Stille der Wohnlichkeit unter den Bäumen des Waldes! Flockige Wolken, die wie Schiffe über den strahlenden Himmel ziehen, und Rosen an den Gärten und Wicken in den Hecken!

»Ich wußte, daß Sema Hellmut dem Tod verfallen war,« sagte Agathon zu Monika, als sie vom Vestnerwald herab gegen Zirndorf wanderten. »Er ist mit dem frühen Tod geboren worden.«

»Mit dem Tod geboren?« fragte Monika, leise staunend.

»Ja. Er war schon zu alt, als er geboren wurde. Seine Seele hat Jahrtausende gelebt, eine echte müde Judenseele.«

Sie schwiegen lange. An einer einsamen Stelle im Feld blieb Monika stehen, umarmte Agathon mit leidenschaftlicher Bewegung und stammelte: »Wie dank ich dir, daß du mich liebst. Du hast mir das Leben wiedergeschenkt, Agathon. Du hast es nicht geachtet, daß ich gesündigt habe, du bist groß und mutig, Agathon.«

»Es ist kein Zufall, daß alles so gekommen ist, Monika. Nun bist du eine Kämpferin geworden. Die Zeit geht nicht mehr über dich hinweg, sondern du gehst vor der Zeit einher.«

»Und was willst du tun jetzt, Agathon?«

»Warten. Ich will den Acker meines Vaters bestellen. Für mich und dich wird es Brot geben. Und die Mutter hat ja das Vermögen des alten Enoch.«

»Warten, Agathon? Worauf?«

Agathon schüttelte lächelnd den Kopf.

Als es Abend war, standen sie im Garten und bewunderten die farbigen Gluten des Himmels. Monika stand unter einem Apfelbaum und wiegte ihr Kind im Arm. Esther saß singend mit Mirjam vor dem Tor, Frau Olifat und Frau Jette unterhielten sich flüsternd auf einer morschen Gartenbank nahe der Laube.

Monika blickte hinauf in den Baum, wo die Äpfel hingen, purpurn bestrahlt von der Sonne. Sie kniff die Augen zusammen und sagte begehrlich: »Ich möchte gern einen haben, Agathon, einen Apfel von da droben.«

»Du mußt warten, Monika.«

»Immer warten! Worauf denn?«

»Sie sind noch nicht reif, Liebste.«

»Das dauert aber noch lange . . .«

»O nein, zwei gute Sommerwochen und sie sind reif. Laß sie erst reif sein, Monika.«

Und Agathon küßte die junge Mutter auf die Stirn.

 

Ende


 << zurück