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Fünfzehntes Kapitel.
Die Drohung

Der Abend brach herein, die Schatten senkten sich herab, und in den Bürofenstern leuchteten die Lichter auf, als Donald MacNab seinen Safe abschloß.

»So, da wäre wieder ein Tag vorbei,« murmelte er vor sich hin.

»Hoffentlich war er recht erfolgreich, Donald,« sagte eine dumpfe Stimme hinter ihm.

Der Geldverleiher drehte sich um. Ein großer Mann mit einer Maske vor dem Gesicht saß in Donald McNabs Stuhl, die langen Finger seiner rechten Hand spielten gedankenlos auf dem Tisch. Er mußte leise hereingekommen sein, während McNab am Safe beschäftigt war.

Beim Anblick des Mannes erblaßte der Geldverleiher, und seine Augen weiteten sich.

»Du scheinst nicht sehr erfreut, mich zu sehen, Donald,« kicherte er.

»Du schleichst hinter meinem Rücken herein, erschrickst mich und erwartest dann, daß ich erfreut aussehen soll,« sagte McNab vorwurfsvoll, um damit seine Nervosität zu verbergen. »Es hätte ja auch jemand hereinkommen können, um mich zu berauben.«

»Das hätte sein können,« gab der andere ernst zu, »aber, wie du siehst, war es nicht so. Doch, Donald, du solltest wirklich etwas vorsichtiger sein. Du bist ganz allein hier.«

Donald McNab lächelte schwach, und wie das Blut in sein Gesicht zurückkehrte, kam auch sein Mut zurück.

»Es ist ja diesmal alles in Ordnung,« sagte er, »solange es nicht ein Einbrecher ist –.«

»Donald, Donald,« sagte der andere milde, »es schmerzt mich, daß du so von einem Beruf sprichst, dem ich selbst angehöre. Du bist ja noch keiner, aber sehr bald wirst du auch deine Rolle als Einbrecher spielen.«

»Ich?« sagte McNab schnell. »Daran ist nicht zu denken.«

»Meinst du? Ich kann dir das Gegenteil versichern. Ob dir der Gedanke gefällt oder nicht, du wirst tun müssen, was ich will.«

»Ich bin immer bemüht gewesen, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen,« sagte Donald, »und ich beabsichtige es auch jetzt nicht.«

Der Mann mit der Maske lachte höhnisch: »Ich habe immer geglaubt, daß ein Erpresser auch gegen das Gesetz handelt, aber da habe ich mich wohl geirrt.«

»So, wie ich es handhabe, ist keine Gefahr dabei,« verteidigte sich McNab. »Erpressung ist eine Sache, Mord eine andere. Das geht ein wenig zu weit, meine ich.«

»Du denkst sicher an Camden Hale und Bill Scarfe,« sagte der andere mit seltsamer Stimme, worauf McNab nickte.

»Das ist eigenartig, bemerkte der Mann mit der Maske, »ich glaubte, du dächtest an den Tod des Colonel Jobe.«

»Colonel Jobe?« McNab flüsterte es nur.

»Ja. Colonel Jobe wurde 1907 in Fitzroy, Melbourne, tot aufgefunden. Er hatte einen Herzschuß. Es stellte sich heraus, daß er mit einem Geldverleiher Noah Baxeter zu tun gehabt hatte, und es wurde bekannt, daß beide einen Streit gehabt hatten. Baxeter verschwand.«

»Das ist sehr interessant,« bemerkte McNab dazu, »aber was hat das mit unserem Gespräch zu tun?«

»Es soll dir eine Lehre geben. Vielleicht interessiert es dich, daß Noah Baxeter der Polizei entwischte; er verließ das Land, kam nach England zurück und gründete dann wahrscheinlich ein Geschäft in London.«

»Ich kenne keinen Baxeter!«

»Fragte ich dich, ob du ihn kennst? Ich kenne ihn, das genügt. Er hat seinen alten Namen aufgegeben und nennt sich jetzt –. Wie meinst du wohl?«

»Ich weiß nicht,« sagte McNab mit einem vor Angst grauen Gesicht.

»Donald McNab! – Halt! Wenn du deine Hand in die Tasche steckst, bekommst du eine Kugel!«

McNab fuhr zusammen.

»Wenn du nicht vorsichtiger bist, werden sie dich eines Morgens aufwecken und zu einem kurzen Gang abholen!«

Der Geldverleiher schluckte.

»Was soll ich denn tun?« fragte er heiser; er sah ein, daß es keinen Zweck mehr hatte, sich dumm zu stellen.

»Wie fein du es erraten hast, daß dies nur eine Vorbereitung war. Zwei Dinge will ich von dir: Zunächst möchte ich ein Zimmer deines Hauses für eine Dame bereitgemacht haben.«

»Für eine Dame?« staunte der andere.

»Jawohl, für eine Dame. Wahrscheinlich wird sie längere Zeit bei dir wohnen.«

»Und das zweite?« fragte Mr. McNab mit düsterem Gesicht.

»Du sollst an Ferris Mance einen kleinen Brief schreiben.«

»Weißt du was über Ferris Mance?« fragte der andere interessiert.

»Nicht in dem Sinne, wie du es meinst, mein lieber Donald. Ich glaube nicht, daß Ferris Mance sich über etwas beunruhigen würde, das ich ihm schreiben könnte. Aber wir haben alle eine empfindliche Stelle, und ich habe seine gefunden. Es ist sein Herz, Donald. Ich werde dir das später erklären. Nun, nimm einen Halter und schreibe einen Brief in deiner ausgezeichneten Schrift!«

»Eines Tages,« sagte McNab, während er sich in den Stuhl fallen ließ, »wird jemand die Schrift erkennen, und dann wird das Fett im Feuer brennen.«

»Aber nicht unser Fett. Fertig? Sehr gut.«

Zum Schluß nahm er den Brief und las ihn kritisch durch.

»Ausgezeichnet,« sagte er, »von Tag zu Tag geht es mit dir besser und immer besser. Doch ich glaube nicht, daß du schon etwas von Coué gehört hast. Hier, nimm einen Umschlag und adressiere ihn!«

»Wohin?« fragte McNab.

»Ich weiß nicht. Woher soll ich denn das wissen? Du wirst sie wahrscheinlich im Telefonbuch finden. Geh und sie nach!«

»Gut,« murrte McNab und ging ins innere Büro, um die Adresse zu suchen.

Als er zurückkehrte, war der Mann mit der Maske verschwunden.

»Haben Sie einen großen, dunklen Herrn hinausgehen sehen?« fragte er den Fahrstuhlführer, als er aus seinem Büro kam.

Der andere schüttelte den Kopf. »Sie sind der erste, der seit einer Viertelstunde heruntergekommen ist.«

Donald McNab seufzte. Man konnte über den Mann mit der Maske nichts erfahren.

*

Der Brief, den Ferris Mance mit der Morgenpost bekam, enthielt eine Aufforderung, die den jungen Mann zu amüsieren schien. Aber als er ihn noch einmal las, verschwand seine Lustigkeit. Als er in Scotland Yard um eine Unterredung mit Bromley Kay nachsuchte, war er sehr aufgeregt.

Der Kommissar betrachtete ihn mit Interesse. Er hatte ihn noch nicht gesehen, aber doch schon viel von dem jungen Mann gehört, der durch den Plutarch-Raub bekanntgeworden war.

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Mance?« fragte er freundlich.

Ferris Mance reichte ihm als Antwort den Brief.

»Lesen Sie das, bitte!« sagte er.

Bromley Kay nahm den Brief und las ihn sorgfältig durch. Er enthielt die Aufforderung, fünfhundert Pfund zu bezahlen, und die Drohung, daß entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müßten, wenn er das Geld nicht bezahlte.

»Ich habe das Geld zwar,« sagte er, als Bromley Kay fertig war, »aber ich habe nicht die Absicht, es einem Erpresser zu geben.«

»Ich kann mir nicht vorstellen,« setzte er lächelnd hinzu, »wie diese Person, die ›der Würger‹ unterzeichnet, mich eines besseren belehren will.«

»Er ist Ihnen natürlich dem Namen nach bekannt, nicht wahr?« fragte Bromley Kay.

»Nicht mehr als jedem anderen,« sagte der andere schnell, »wer ist es?«

Bromley Kay lächelte. »Ich kann Ihnen versichern, daß er, wenn ich seinen Namen wüßte, schon längst hinter Schloß und Riegel säße. Es ist der Mann, der Camden Hale ermordet und den Plutarch-Raub organisiert hat. Er hat noch einen anderen Mord auf dem Gewissen, nämlich den an einem Mitglied seiner Bande, mit Namen Scarfe. Der hatte uns ein Geständnis gemacht, das kostete ihn das Leben.«

»Das verstehe ich nicht,« Mance wurde sehr ernst, »er ist also ein sehr gefährlicher Verbrecher.«

»Eine unmenschliche Bestie,« rief Bromley Kay und fuhr ruhiger fort: »Wenn er sagt, daß er Sie zwingen werde, dann ist es auch sicher, daß er es versuchen wird. Wie, kann ich allerdings nicht voraussagen.« Aber sicher wird er einen Weg finden. Vielleicht einer Ihrer Angehörigen –.«

»Ich habe keine Angehörigen,« sagte Ferris Mance, und dann hielt er plötzlich inne, Angst kroch langsam über sein Gesicht.

»Mr. Kay,« sagte er fast flüsternd, »ich will mich in nächster Zeit verheiraten, glauben Sie, daß meiner Braut Gefahr droht?«

»Ich halte das nicht für unmöglich, ich glaube es vielmehr ganz sicher,« erwiderte Kay.

»Meinen Sie, daß ich das Geld lieber doch zahlen soll?« Aus Mances Worten klang heftige Erbitterung.

»Das meine ich nicht,« sagte Kay scharf, »Erpressung erfolgt selten nur einmal. Haben Sie erst einmal gezahlt, dann müssen Sie solange zahlen, bis Sie sogar vollkommen ausgeplündert sind.«

Er nahm den Brief wieder auf und klopfte mit dem Zeigefinger der anderen Hand darauf.

»Er gibt uns keinerlei Adresse an, er fordert Sie auf, durch eine Anzeige im ›Planeten‹ zu antworten. Sie sollen eine Anzeige aufgeben, in einer anderen Anzeige will er Ihnen Anweisung geben, wo Sie das Geld deponieren sollen.«

»Wie verhalte ich mich nun am besten?«

Kay zog die Lippen zusammen. Er wußte schon, welchen Rat er ihm geben möchte. Aber er erkannte auch, daß es der andere sein würde, der das Risiko auf sich nehmen müßte.

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre,« sagte er endlich mit sichtbarem Zögern, »ich würde den Brief einfach nicht beachten. Aber wenn Sie meinen Rat befolgen, laufen Sie schließlich Gefahr, ein großes Unglück herbeizuführen. Geben Sie mir den Namen und die Adresse Ihrer Braut, ich werde sie beobachten lassen.«

Ferris Mance blickte finster. »Mir gefällt der Gedanke nicht, daß jeder ihrer Schritte beobachtet wird.«

»Es ist natürlich nicht sehr angenehm, aber das andere wäre noch unangenehmer,« antwortete Kay.

»Wenn man es so betrachtet, haben Sie recht,« sagte Ferris Mance nach einigem Grübeln, »es ist das beste, ich tue, wie Sie sagen, und überlasse das übrige Ihnen. Vielleicht behalten Sie den Brief lieber hier?«

»Als Beweisstück?« sagte der andere lächelnd, »ich fürchte nur, daß er uns nicht viel nützen wird. Diese Normalschrift gibt sehr wenig Anhaltspunkte, weil sie keinerlei Eigenheiten besitzt.«

»Daran dachte ich nicht,« sagte Ferris Mance einfach und erhob sich.

»Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben,« sagte Bromley Kay höflich, »obgleich ich die Ursache bedaure, die Sie hierhergeführt hat. Doch man kann ja nie wissen!«

Er streckte seine Hand aus, und Ferris Mance ergriff sie.

Als sich die Tür hinter dem Besucher schloß, ließ sich Bromley Kay in seinen Stuhl fallen. Die Unterredung war für ihn doch nicht so ganz ohne Wert gewesen.


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