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Siebentes Kapitel.
Die verräterische Zigarette

Der »graue Bock« nickte nachdenklich. Er glaubte, das Manöver des Fremden zu durchschauen. Er wollte sich gerade in den Stuhl setzen, den der andere verlassen hatte, als es laut an die Tür klopfte.

»Verdammt, was soll denn das bedeuten?« fluchte er vor sich hin.

Als er die Tür öffnete, standen zwei Männer vor ihm. Einer trug einen glänzenden Regenmantel, und sein Helm war vom Regen naß, der andere trug Zivil.

»Wir möchten dir nur einen freundlichen Besuch abstatten, um ein Wort mit dir zu reden,« sagte der Mann in bürgerlicher Kleidung.

»Kommen Sie herein,« sagte der Alte freundlich, »kommen Sie herein, Mr. Kay!«

Er kannte Bromley Kay von früher und wußte, daß irgend etwas in der Luft lag, wenn sich der Kommissar selbst bemühte.

»Hoffentlich stören wir dich nicht, hast du Besuch gehabt?«

»N–ein,« antwortete der »graue Bock« mit sichtbarem Zögern.

Bromley Kay warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts. Er kannte den alten Sünder von früher her und wußte, daß alles, was er sagte, mit Vorsicht aufgenommen werden mußte. Der »graue Bock« führte die beiden ins Wohnzimmer.

»Ach,« sagte Bromley Kay, schnell das Zimmer überblickend, »du hast das Pfeifenrauchen aufgegeben?«

Er bückte sich schnell, um die glimmende Zigarette aufzuheben. Der Alte fluchte. Warum war er so nachlässig gewesen und hatte sie liegen lassen? Es hätte nur eine Sekunde gedauert, die Zigarette ins Feuer zu werfen.

»Sogar mit Goldmundstück,« lobte Bromley Kay, indem er sie genau betrachtete, »könnte ich vielleicht eine probieren?«

»Es tut mir leid, Mr. Kay, es war die letzte, die ich hatte,« erwiderte der andere mürrisch.

Bromley Kay sah ihn fest an. »Aber du hattest keinen Besuch hier?«

»Bestimmt nicht.«

»Lüge nicht!«

Bei dem scharfen Ruf drehte der Graue sich schnell um. Im Gange, der zur Seitentür führte, stand ein großer, schwarzer Mann mit einer brennenden Zigarette in der Hand.

Der Polizist bewegte keinen Muskel seines Gesichts, lächelte aber, als sich seine Augen von dem erblassenden Gesicht des »grauen Bocks« auf den Mann in der Tür richteten.

»Lüge nicht!« sagte der Mann an der Tür noch einmal. »Wer war der Mann, der hier vor drei Minuten hinausschlüpfte?«

»So wahr mir –,« begann der Graue zu protestieren, als der dunkle Mann ihn unterbrach.

»Du kannst nicht leugnen,« sagte er ruhig, er rannte mich fast um! Das hielt mich auf,« wandte er sich an Bromley Kay, »ich lief ihm nach, aber er verschwand in einer dieser verfluchten Nebenstraßen.«

»Pech, George,« meinte Bromley Kay ohne Bewegung, und George Emmerson lächelte.

»Ja, das war es,« gab er zu.

»Wer war der Mann?« wandte er sich an den »grauen Bock«.

»Danach müssen Sie mich nicht fragen,« antwortete dieser, »ich kann nicht alle Leute kennen, die sich nachts in dieser Straße herumtreiben.«

Emmerson machte eine Bewegung zu Kay, die sagte: ›Du siehst, er will nicht sprechen.‹

»Kannst du dir denken,« fragte Bromley Kay, indem er einen weniger scharfen Ton als Emmerson anschlug, »was uns heute abend hierher brachte?«

»Die Füße,« antwortete der »graue Bock« unangebracht witzig, »es sei denn, daß Sie einen Wagen benutzen.«

»Wir suchen den Mann, der Camden Hale ermordet hat,« sagte Bromley Kay, ohne den schlechten Witz zu beachten.

Furcht zeigte sich in den Augen des Alten, die Mundwinkel zuckten nervös. Als Bromley das sah, verbarg er ein Lächeln. Er hatte nur einen Schreckschuß abgegeben, und dieser alte Gauner war in die Falle gegangen. Aber es war doch nicht so ganz nur ein blinder Schuß gewesen; denn das Haus des Grauen war ein Treffpunkt aller Verbrecher der Stadt, früher oder später fanden sich alle zu ihm. Außerdem war hier die verdächtige brennende Zigarette.

»Du kennst also den Mörder Camden Hales?« fragte Bromley Kay.

»Und wenn ich in dieser Minute sterben soll, kann Ihnen nicht sagen, wer er ist.«

»Ziemlich zweideutig,« meinte Bromley Kay lächelnd, »aber ich glaube, daß du wirklich die Wahrheit sprichst, mag man es auffassen, wie man will.«

»Ich nehme an,« fiel Emmerson ein, »daß er damit behaupten will, den Namen des Burschen nicht zu kennen?«

»Was soll das alles bedeuten, Mr. Kay?« rief der Beschuldigte protestierend. »Soll das etwa der dritte Grad sein?«

»Um Gotteswillen, nein! Bei einem so alten Bekannten denke ich gar nicht daran.«

Emmerson lachte leise. »Nein, das werden wir unserm Freunde hier nicht antun. Ich möchte um alles in der Welt seine Gefühle nicht verletzen. Wollen wir uns nicht einmal das Haus ansehen?«

Bromley Kay schüttelte den Kopf. »Nein,« lehnte er ab, »wir haben schon zuviel der kostbaren Zeit unseres Freundes in Anspruch genommen. Der Vogel ist ausgeflogen! Wenn wir fünf Minuten früher gekommen wären« – er wandte sich zum Alten –, »hätte der Mörder Camden Hales diese Nacht im Gefängnis verbracht.«

»Ich glaube, Sie sind auf der falschen Spur, meine Herren,« sagte der Graue mit Würde, »ich gebe mich nicht mit Mördern ab. Es gibt niemand, der williger als ich der Gerechtigkeit hilft. Aber was ich nicht weiß, kann ich natürlich nicht sagen.«

»Wenn dein Gedächtnis versagt, kannst du das natürlich nicht,« sagte Bromley Kay. »Doch ich hoffe, daß du dich nächstes Mal, wenn wir uns wiedersehen, besser wirst erinnern können.«

Er sah den »grauen Bock« fest an, aber der verzog keine Miene. Kays Augen waren auf die Zigarette gerichtet, die Emmerson gerade an die Lippen führte. Es war eine dicke Zigarette mit Goldmundstück. Als er einen heimlichen Blick auf die in seiner Hand warf, erkannte er die Ähnlichkeit. Noch mehr, sie hatte nicht nur die gleiche Form, es war dieselbe Marke.


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