Edgar Wallace
Die gelbe Schlange
Edgar Wallace

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22

Mr. Narth fuhr mit der Eisenbahn zur Stadt, da sein Wagen augenblicklich in Reparatur war. Auf dem Bahnsteig kaufte er eine Zeitung, obwohl ihn die Überschrift nicht fesselte. »Der Bund der ›Freudigen Hände‹ als Ursache der chinesischen Wirren.« Was unter »Freudigen Händen« zu verstehen war, darüber dachte Mr. Narth nicht erst lange nach. Der Name schien ihm wenig passend zu sein.

Alles, was China anging, war ihm nicht sehr geläufig. Er wußte nur, daß fabelhafte Summen in diesem Lande von jemand zusammengebracht waren, der so liebenswürdig war zu sterben und sein großes Vermögen Mr. Narth zu hinterlassen.

Er rühmte sich stolz, daß er ein Geschäftsmann war. Man hätte auch sagen können, daß er auf seine Unkenntnis stolz war. Denn er wußte tatsächlich nichts, was nicht direkt mit seinem Geschäft zusammenhing. Andere Interessen hatte er kaum, er spielte mittelmäßig Golf – aus diesem Grunde war er auch nach Sunningdale gezogen – er war ein gleichgültiger Bridgespieler, und in der romantischen Zeit seines Lebens hatte er heimlich außer seiner Villa eine möblierte Wohnung in Bloomsbury unterhalten.

Gerade heraus gesagt, er war nicht ganz ehrlich. Darüber war er sich auch selbst im klaren. Er verdiente gern auf leichte Weise Geld. Als er damals das Geschäft seines Vaters erbte, schien es, daß er auf anständige Art seine Lebensideale hätte verwirklichen können. Darauf entdeckte er, daß Geld nur dann hereinkam, selbst bei den ältesten und besten Geschäftsverbindungen, wenn man die Kanäle und Schleusen von Schmutz frei hielt. Man mußte entweder durch dauernde Reklame nachhelfen, oder das Geschäft durch eisernen Fleiß in die Höhe bringen. Wenn man sich aber damit begnügte, in einem bequemen Armstuhl zu sitzen und auf Geld zu warten, dann strömte das Kapital nicht mehr in die eigenen Geldschränke, sondern in diejenigen der Konkurrenz. Er hatte sich mit den Vorgängen des Geschäftslebens so weit vertraut gemacht, daß er selbst schon verschiedene Wege gefunden hatte, schnell zu Geld zu kommen. Die Entdeckung aber, daß die meisten dieser verführerischen Nebenwege in den Sumpf führten, kam leider zu spät. Trotzdem sich seine Firma häufig in Schwierigkeiten befand, stand er doch mit den Chefs der großen Finanzhäuser auf gutem Fuße, da seine Beurteilung der Geschäftslage, natürlich abgesehen von seinen eigenen Transaktionen, fast immer richtig war.

Von Waterloo fuhr er zu dem Hotel, wo er gewöhnlich abstieg, wenn er in der Stadt war. Der Hoteldiener nahm ihm den Anzug ab, den er zu der Zeremonie am Abend tragen wollte. Er hatte sich über Fing-Su lustig gemacht, als er auf dieser Kleidung bestand.

»Frack und weiße Binde, großer Anzug«, sagte er. »Die Aufnahmefeierlichkeit wird Sie interessieren – es ist eine Kombination moderner Zeremonien und uralter Gebräuche.«

Er bestellte Tee auf sein Zimmer, und kaum hatte der Diener ihn serviert, als Major Spedwell eintrat. Sein neuer Bundesgenosse begrüßte ihn mit der Frage:

»Was hat sich letzte Nacht ereignet?«

Stephen Narth schüttelte mit einer gewissen Nervosität den Kopf.

»Ich weiß es nicht. Das war ein ungeheuerlicher Plan von Fing-Su. Ich – ich hätte ihm beinahe die ganze Sache vor die Füße geworfen.«

»Was, das wollten Sie?« Der Major ließ sich in den einzigen großen Lehnsessel fallen, der in dem Raum stand. »Nun wohl, ich würde das nicht so ernst nehmen, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Dem Mädchen sollte doch nichts passieren. Fing-Su hatte alles aufs beste vorbereitet. Er wollte sie an einen Ort bringen lassen, wo sie von weißen Frauen bedient und betreut worden wäre, und wo ihr nichts fehlen sollte, was sie sich wünschen könnte.«

»Aber warum denn in aller Welt –« begann Narth.

Spedwell machte eine ungeduldige Bewegung.

»Er hat seinen Grund. Er will einen Hebel bei Mr. Clifford Lynne ansetzen.«

Er stand auf, ging zu dem Kamin und streifte die Asche seiner Zigarre ab.

»Bei der Sache können Sie Geld verdienen, Narth«, sagte er. »Und dabei wird von Ihnen nur eins verlangt – daß Sie treu ergeben bleiben. Fing-Su hält Sie für einen Mann, der ihm noch viel nützen kann.« Er sah den anderen sonderbar an. »Es ist möglich, daß Sie sogar Leggats Stelle einnehmen können«, sagte er.

Stephen Narth schaute plötzlich auf.

»Leggat? Ich dachte, das wäre ein großer Freund von Ihnen.«

»Er ist es, und er ist es auch nicht«, sagte Spedwell vorsichtig. »Fing-Su denkt – nun, es müssen in der letzten Zeit einige Vertrauensbrüche vorgekommen sein. Es sind Dinge herausgekommen und leider gleich an die falsche Adresse gelangt.« Dann sagte er plötzlich: »Lynne ist doch in der Stadt. Ich vermute, daß Sie das wissen?«

»Ich kümmere mich nicht darum, wo er sich aufhält«, sagte Mr. Narth mit einer gewissen Schärfe.

»Ich dachte, Sie würden sich darum kümmern«, sagte der andere leichthin.

Er hätte auch noch hinzufügen können, daß er sich selbst viel mehr für die Pläne Clifford Lynnes interessierte, als dieser aufgeregte Mann vermuten konnte. Und er interessierte sich deshalb so stark dafür, weil Fing-Su einen neuen Plan ausgeheckt hatte, der so geschickt angelegt war, daß nur einer Joan Bray retten konnte – und das war der Schnellschütze von Siangtan.

 


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