Edgar Wallace
Die gelbe Schlange
Edgar Wallace

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19

Stephen Narth und die Mädchen würden nicht vor drei Uhr morgens zurückkommen können. Joan hatte zuerst die Absicht, auf ihre Rückkehr zu warten, bevor sie sich zum Schlafen niederlegte. Aber dann machte sie sich klar, daß sie für die glatte Abwicklung des Narthschen Haushaltes verantwortlich war, was für romantische Dinge sich auch im Schoße dieser Nacht zutragen mochten oder welche seltsamen Abenteuer sie zwischen Sunni Lodge und Slaters Cottage erleben würde. Obgleich sie nicht damit rechnete, einzuschlafen, ging sie doch nach oben in ihr Schlafzimmer.

Drei von den Dienstboten schliefen in den hinteren Gelassen des Hauses. Der Diener bewohnte einen Teil der Räume über der Garage, die eigentlich zur Chauffeurwohnung gehörten. Dadurch war er praktisch von dem Haupthause abgeschnitten. Obgleich er schon etwas älter und etwas faul war, beruhigte es sie doch, daß er zur Hand war. Denn wenn sie es auch Clifford Lynne gegenüber abgestritten hatte, war sie doch furchtsam.

Sie ließ das Licht in der Eingangshalle brennen und löschte auch die Lampen auf den beiden Treppenpodesten nicht. Die Gardinen im Schlafzimmer waren zugezogen, und ihr Bett war fertiggemacht. Sie war schrecklich müde, aber sie saß noch eine Zeitlang auf dem Rand ihres Bettes, ohne sich auszukleiden. Dann aber stand sie auf, unzufrieden mit sich selbst, legte langsam ihre Kleider ab und drehte das Licht aus. Eine halbe Stunde lag sie und bemühte sich vergeblich, Herr ihrer wildstürmenden Gedanken zu werden, um einschlafen zu können. Das ganze Haus war voll von eigenartigen Geräuschen. In ihrer Einbildung glaubte sie, ein aufgeregtes Flüstern auf dem oberen Treppenabsatz zu hören. Plötzlich krachte eine Diele, und sie fuhr erschrocken in die Höhe.

Sie erinnerte sich an die schwarze Kugel, die ihr Clifford gegeben hatte, stand wieder auf, drehte das Licht an, nahm sie aus ihrer Handtasche und legte sie vorsichtig auf ihren Nachttisch. Die Überzeugung, daß dieser starke, ruhige Mann irgendwie über sie wachte, brachte Ruhe in ihr aufgeregtes Gemüt, und sie fiel in einen dumpfen Schlaf . . .

Irgend jemand mußte im anliegenden Raum sein. Wie sie zu sich kam, saß sie aufrecht im Bett. Angstschweiß trat auf ihre Stirn. Da war es wieder – dieses leise Anstreifen eines menschlichen Körpers an die dünne Wand und ein leises Scharren, als ob der Eindringling einen Tisch fortgeschoben hätte. Sie kannte ihn, er stand in der Nähe des Bettes. Das etwas beschädigte Möbel mit der Bambusplatte bildete neben einem ärmlichen Bettgestell die ganze Einrichtung des Mädchenzimmers.

Sie schlich aus dem Bett, machte Licht, ging auf Fußspitzen zur Tür und lauschte. Man hörte nichts – ihre überreizte Phantasie mußte sie getäuscht haben.

In dieser Lage konnte sie nur eins tun. Sie mußte sich selbst überzeugen, daß niemand im anstoßenden Raum war. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel um. Als sie aber die Tür öffnete, fuhr sie mit einem gellenden Schrei zurück.

Mitten in der Türöffnung stand eine große, ungeschlachte Gestalt mit langen herabhängenden Armen, nackt bis zum Gürtel. Einen Augenblick starrte sie in dunkle, geschlitzte Augen, dann wich sie schreiend zurück. Bevor sie wußte, was vorging, sprang der Chinese auf sie zu, ein brauner Arm umfaßte sie, der andere schloß ihr den Mund. Als sie sich rasend wehrte, sah sie über seiner Schulter einen anderen, hinter ihm tauchte noch ein dritter auf. Plötzlich erinnerte sie sich – zu spät – an die Bombe. Unmöglich konnte sie sich aus diesem eisernen Griff befreien. Einer der Leute zog ein Laken aus dem Bett und legte es auf dem Boden aus. Der Mann, der sie festhielt, murmelte etwas, und der dritte Chinese band ihr mit einem dicken seidenen Taschentuch den Mund zu. Dann lösten sich plötzlich die Arme, die sie umklammert hielten.

Sie schaute in die Teufelsfratze und sah, wie sich der Mund zu einer fürchterlichen Grimasse verzog. Große Hände bewegten sich, als ob sie eine schreckliche Vision abwehren wollten. Sie drehte ihren Kopf nach der Richtung, in die der Chinese entsetzt starrte.

Clifford Lynne stand in der Türöffnung, in jeder Hand hielt er eine todbringende Waffe.

 


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