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Im Wald

In dem K'hassi-Hinterland saßen drei Männer beim Mahl. Die Sonne war untergegangen, und ein Blockfeuer, wie es die Eingeborenen zur heißesten Tageszeit zu unterhalten pflegen, sandte eine dünne, gerade Rauchsäule in die Höhe.

Der stämmige Mann in dem schmutzigen Drell war Lambaire, die blöde Gestalt mit dem gelben, unrasierten Gesicht war Whitey. Er hatte seinen zweiten Fieberanfall überstanden, und die Hand, die er zum Mund erhob, zitterte noch verdächtig. Der junge Sutton war der mürrische Dritte.

Sie sprachen nicht, als sie den unschmackhaften Flußfisch verzehrten, den ihr Führer für sie gefangen hatte. Erst als sie fertig und an den Rand des Flusses hinuntergegangen waren, brachen sie das Stillschweigen.

»Das ist also das Ende,« versetzte Lambaire trübe.

Whitey sagte nichts.

»Dreitausend Pfund hat diese Expedition gekostet, und ich weiß nicht wieviel Jahre meines Lebens,« fuhr Lambaire fort, »und wir befinden uns tausend Meilen von der Küste.«

»Vierhundert,« unterbrach ihn Whitey ungeduldig, »und es könnten ebensogut viertausend sein.«

Es trat eine lange Pause in der Unterhaltung ein.

»Wohin führt dieser Fluß?« fragte Lambaire; »er muß doch irgendwo hinfließen.«

»Er fließt durch ein schönes Kannibalenland,« sagte Whitey grimmig; »wenn du denkst, ein Stück bis zum Meere abzuschneiden, so gib den Fluß auf.«

»Und es gibt gar keinen Diamantenfluß – keine Diamanten; ein verflucht tüchtiger Forscher, Ihr Vater, Sutton.«

Aber der Knabe, den Kopf auf den Knien, sah nachdenklich auf den Fluß und schwieg.

»Ein verflucht tüchtiger Forscher,« wiederholte Lambaire.

Sutton drehte den Kopf nach ihm hin. »Fangen Sie keinen Streit mit mir an,« sagte er traurig, »denn wenn Sie es tun –«

»He! Wenn ich es tue?« Lambaire war in der Verfassung, mit jedermann Streit anzufangen.

»Wenn Sie es tun, schieße ich Sie tot,« sagte der Knabe und drehte seinen Kopf wieder herum, um auf den Fluß zu sehen.

In Lambaires Gesicht zuckte es und er erhob sich halb – sie saßen an dem Ufer des Flusses.

»Keine solche Rede, keine solche Rede, Sutton,« knurrte er mit bebender Stimme; »das ist nicht die Art, mit –«

»Oh, halt's Maul!« brummte Whitey, »wir brauchen dein Gewäsch nicht, Lambaire – wir brauchen einen Ausweg!«

Ein Ausweg! Dabei war die Suche nach dem Fluß angelangt: das war das Ergebnis einer viermonatigen Wanderung, wobei jeder Tag sie nur immer tiefer in den Busch führte, jede Woche ein Glied der Kette, die sie mit der Zivilisation verband, zerriß. Sie hatten die portugiesische Grenze nicht erreicht, denn lange bevor sie hundert Meilen von ihr weg waren, hatte sich herausgestellt, daß die Karte ganz falsch war. Kleine Dörfer waren auf ihr eingezeichnet, an denen sie nie vorbeigekommen waren: einmal, als ein Dorf eingezeichnet gewesen war, nebst dem Quartier eines Stammeshäuptlings, hatten sie, wie andere Afrikareisende auch, entdeckt, daß zwanzig Dörfer im Umkreis einer Meile denselben Namen führten.

Und immer tiefer geriet die kleine Gesellschaft in den Busch und verlor die Träger einen nach dem anderen. Sie hatten mit dem Alebi-Volk verhandelt, ein Rückzugsgefecht mit dem Buschvolk des mittleren Waldes ausgefochten, ihr Lager gegen eine dreitägige Attacke der bemalten K'hassi behauptet und die zweifelhafte Hilfe erhalten, die das mutlose Sklavenvolk des Innern bieten konnte. Und das Ende war, daß die Expedition zurückkehren und ihren Weg durch dieselben Gebiete nehmen mußte, die sie bereits durchdrungen hatte.

»Es gibt keinen anderen Weg,« beharrte Lambaire. Whitey schüttelte den Kopf.

Ein sonderbar ergebnisloses Ende einer großen Expedition.

Welches mögen Suttons Gedanken gewesen sein, die ihm durch den Kopf gingen, als er düster in den langsam dahinfließenden Strom stierte? In den Büchern endeten so große Expeditionen mit anderem Erfolg! Cynthia würde lachen. Ihn graute schon jetzt davor. Vielleicht würde sie weinen und überdies Ursache dazu haben.

Und jener Mann, jener Dieb, dieser Amber; ein sonderbarer Name, Amber – Gold, Diamanten. Keine Diamanten, kein Diamantenfluß: der Traum war dahin. Hier war ein Fluß. Er schlich träge durch ein Kannibalenland, bildete auf weite Strecken, Hunderte von Meilen lang, Katarakte, und kam endlich an das Meer ... wo Schiffe waren, die einen nach England brachten ... nach London.

Er sprang auf. »Wann reisen wir ab?« fragte er etwas dumm.

»Abreisen?« Lambaire sah auf.

»Wir müssen den Weg zurückgehen, den wir gekommen sind,« sagte der Jüngling. »Wir brechen am besten gleich auf – die Träger laufen uns davon – zwei gingen in der letzten Nacht. Wir haben keine Konserven mehr; wir haben nur ungefähr noch hundert Patronen für den Kopf.«

»Ich schlage vor, wir brechen morgen auf,« sagte er verdrossen.

*

Vor Sonnenaufgang begann eine kleine Expedition ihren müden Marsch nach der Küste.

Drei Tage blieben sie unbehelligt; am vierten Tage stießen sie auf eine Abteilung Jäger der K'hassi – eine verhängnisvolle Vorbedeutung; denn sie hatten gehofft, durch das K'hassi-Land ohne irgendein ernstes Gefecht hindurchzukommen. Die Jägertruppe gab ihre Jagd auf Elefanten auf und ging zur amüsanteren Jagd auf Menschen über. Glücklicherweise erreichte die kleine Gesellschaft die offene Ebene, die westlich von dem eigentlichen K'hassi-Land liegt, und in dem offenen Gelände konnte sie sich des Feindes erwehren. Am fünften Tage brach ihr Führer, der bei der Nachhut der schweißtriefenden Träger marschierte, in einen wilden, irrsinnigen Gesang aus. Sutton und Whitey gingen nach hinten, um die Ursache dieses Tobens zu ergründen, und der Mann erzählte ihnen kichernd, daß er mehrere Teufel gesehen hätte. In der Nacht ergriff dieser Führer ein Scheit Holz, kroch heimlich zu einem Träger hin, mit dem er sonst auf freundschaftlichem Fuße gestanden hatte, und zerschmetterte ihm den Schädel.

»Es ist Schlafsucht,« stellte Sutton fest.

Die drei weißen Männer standen nebeneinander in der Nähe des Baumes, an den der verrückt gewordene Führer gebunden worden war – wobei die Träger, die ihn überwältigt hatten, nicht ohne Verletzungen davongekommen waren.

»Was können wir tun?« knirschte Lambaire. »Wir können ihn nicht verlassen – er würde verhungern, oder er würde sich losmachen – das wäre das Schlimmste.«

Sie ließen die Frage offen bis zum nächsten Morgen und stellten während der Nacht bei dem Wahnsinnigen eine Wache auf.

Am Morgen wurden die Träger unter einem neuen Führer versammelt, und die Karawane marschierte. Whitey blieb hinten. Lambaire, der in der Mitte der Kolonne marschierte, hörte plötzlich den scharfen Knall eines Revolvers, und dann nach einer Pause einen zweiten Knall. Er schauderte und wischte seine feuchte Stirn mit dem Rücken der Hand ab.

Bald holte Whitey die Gesellschaft ein. – Whiteys Gesicht war bleich, sein Mund zitterte.

Lambaire sah ihn furchtsam an.

»Was hast du getan?« flüsterte er.

»Weiter, weiter,« knurrte der andere. »Du fragst zu viel, Lambaire; du steckst deine Nase zu tief in allerhand Dinge – weißt verdammt genau, was ich getan habe. Kann ich einen Nigger Hungers sterben lassen – he? Mußte ich nicht etwas tun?« Seine Stimme wurde zuletzt ganz heiser, und Lambaire schüttelte hilflos seinen Kopf und fragte nichts mehr.

In Romanen ist ein Schurke eben ein Schurke und nichts anderes, und verdienstvolle Heldentaten, die man ihm zuschreiben würde, könnten seinem Ansehen sogar schaden. Im wirklichen Leben können große Bösewichter sich manchmal heldenhaft zeigen. Lambaire war von Natur ein Feigling – doch insofern ein Held, als er ohne zu klagen die Widerwärtigkeiten des Marsches ertrug und den Gefahren, die jeder neue Tag von neuem brachte, mutig trotzte.

Sie waren in dem Alebi-Land angekommen und hatten sich zur letzten langen Rast niedergelassen. Da kam Lambaire ein großer Gedanke. Er vertraute ihn niemandem an, und es gehörten zwei volle Tage dazu, ihn in seinem Kopf reifen zu lassen.

Sie befanden sich in einem Eingeborenendorf, dessen Bewohner sich nicht feindselig gegen die fremden, weißen Männer verhielten, und aus diesem Grund sahen sie hier eine dreitägige Rast vor. Am Abend des zweiten Tages, als sie vor einem lodernden Feuer saßen – denn selbst in den heißesten Gegenden Afrikas sind die Nächte kühl – eröffnete Lambaire den anderen seine Pläne.

»Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, Reisegenossen, auf was wir eigentlich losmarschieren?« fragte er.

Keiner antwortete ihm. Sutton beteiligte sich nur widerwillig an der Unterhaltung, aber Whitey kniff die Augen lauernd zusammen.

»Zum Teufel gehen wir,« sagte Lambaire nachdrücklich. »Ich marschiere hier zum Bankrott, und ebenso du, Whitey. Sutton marschiert, um in London der Gegenstand allgemeinen Gelächters zu werden; und,« fügte er langsam hinzu und beobachtete die Wirkung seiner Worte, »um den Namen seines Vaters zum Gespött zu machen.«

Er sah, wie der Jüngling sich wand, und fuhr fort:

»Ich und Whitey, wir haben eine Gesellschaft gegründet – aus dem Publikum Geld herausgelockt – Diamantmine – glänzende Prospekte und dergleichen – alles gut durchdacht – seht!«

Er merkte, wie Whitey nachdenklich nickte und Sutton verwirrt dreinsah.

»Wir kehren zurück –«

»Wenn wir zurückkehren,« murmelte Whitey.

»Sprich nicht wie ein Narr,« fuhr ihn Lambaire an. »Mein Gott, du machst mich krank, Whitey; du verdirbst alles! Zurückkehren! Natürlich kehren wir zurück – das Schlimmste ist vorüber, wir brauchen uns nicht mehr zur Wehr zu setzen. Wir marschieren jetzt – Wir kommen in den Bereich der Zivilisation –«

»Weiter – weiter,« sagte Whitey ungeduldig, »und was geschieht, wenn wir zurück sind?«

»Ja,« sagte Lambaire, »wenn wir zurück sind, müssen wir sagen: ›Hört, ihr Leute – die Sache ist nämlich die –‹«

»Um es offen herauszusagen,« murmelte Whitey.

»Um es offen herauszusagen – es existiert keine Mine.«

Lambaire machte eine Pause, mehr um sich selbst als um seinen Zuhörern die Bedeutsamkeit der Situation zu Gemüte zu führen.

»Nun?« fragte Whitey.

»Nun,« wiederholte der andere, »warum sollten wir? Hört!« – Er lehnte sich vor und sprach schnell und mit großem Ernst – »was verhindert uns, zu sagen, wir hätten das Diamantenfeld festgestellt, wie? Wir können den Fluß erfinden – aus ihm ein trockenes Flußbett machen – wir haben Hunderte von Stellen gesehen, die in der nassen Jahreszeit Flußläufe sind. Wenn wir heil und gesund zurückkehren, wie wär's, wenn wir unsere Taschen voll Granaten und noch nicht geschliffenen Diamanten hätten – ich kann welche in London bekommen –«

Whiteys Augen tanzten jetzt; man brauchte ihn nicht zu fragen, wie ihm der geistreiche Plan gefalle.

Aber Sutton machte Einwände.

Sein Gesicht hatte etwas Starres, als er barsch erwiderte: »Sie sind toll, Lambaire. Glauben Sie, ich würde zurückkehren und lügen? Bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich an einem solchen Betrug teilhaben will – und meines Vaters Name und Andenken dazu opfere! Sie sind verrückt!«

Keiner von den beiden hatte während der Expedition und im Hinblick auf ihren Zweck den Jüngling ernst genommen. Sie hatten ihn mehr oder weniger als eine Kreatur betrachtet, um deren abweichende Ansichten man sich nicht zu kümmern brauchte. Aber einem solchen Widerspruch mußten sie entgegentreten, einem Widerspruch, der mit jedem Beweisgrund, den sie ins Feld führten, an Hartnäckigkeit zunahm.

Männer, die die Fühlung mit der Zivilisation verloren haben, nehmen leicht eine verderbte Moral an, und ehe sie noch das freundliche Dorf verlassen hatten, mußten sich beide, Whitey sowohl als Lambaire, sagen, daß sie grausam geworden waren.

Suttons lächerliche Skrupel standen ihrem Vorhaben im Wege; dieser Grillenfänger hinderte sie mit seinem Widerstand daran, daß sie die Früchte ihrer Anstrengungen ernten durften. Als eine Woche herum war – eine Woche, in der sich keine äußeren Gefahren gezeigt hatten, die vielleicht ihre Gemüter zur Klarheit der Gedanken aufgerüttelt hätten – war Sutton ausgestoßen aus ihrer geistigen Gemeinschaft. Das Schlimme dabei war für Sutton, daß bei ihm eine bösartige Malaria zum Ausbruch kam und die Reisegesellschaft auf einer großen Waldlichtung Halt machen mußte. Hier, in der Nähe eines ausgetrockneten Wasserlaufes, schlugen sie ihr kleines Lager auf; sie wählten den Platz deshalb, weil ein paar Fuß unter der Oberfläche eine Wasserader vorhanden war.

Lambaire und Whitey gingen in den Wald spazieren. Keiner von ihnen sprach ein Wort, doch wußte jeder, was der andere dachte.

»Nun?« sagte Whitey schließlich.

Lambaire vermied es, ihn anzusehen.

»Es bedeutet für uns den Ruin – und wenn er vernünftig wäre, könnten wir uns retten und unser Glück machen.«

Wieder ein langes Stillschweigen.

»Geht es ihm schlecht?« fragte Lambaire plötzlich, und der andere zuckte die Schultern.

»Nicht schlechter, als es mir ein halbes Dutzendmal gegangen ist. Es ist sein erster Fieberanfall.«

Dann wieder eine lange Pause, die Whitey unterbrach.

»Wir können ihn nicht tragen – wir haben nur zwei Träger und noch fünfzig Meilen zu gehen, ehe wir eine Missionsstation erreichen.«

Sie wandelten ziellos hin und her, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie sprachen nichts mehr, sondern kehrten zu ihrem kleinen Lager zurück, wo ein phantasierender Jüngling stöhnte und jämmerlich ächzte und in der Hauptsache mit sich selbst redete.

Lambaire stand neben ihm und sah auf die ruhelose Gestalt herab; dann ging er auf die Suche nach Whitey.

»Er muß regelrecht erledigt werden,« sagte er und zog ein Notizbuch heraus. »Ich traue dir, Whitey, und du traust mir – aber wir wollen es schwarz auf weiß besitzen.«

Die beiden Anweisungen wurden mit denselben Worten aufgesetzt. Whitey war unschlüssig, zeichnete aber doch. –

Vor der gewohnten Stunde weckte Whitey den Schwarzen von der Küste, der den Dolmetscher machte und einer von den zwei übriggebliebenen Trägern war.

»Steh auf,« sagte er verdrießlich; »nimm die Flinten auf deinen Kopf und mach schnell.«

Der Eingeborene stand schläfrig auf. Das Feuer war am Erlöschen und er stocherte mit seinem bloßen Fuß darin herum, um die Flamme zu entfachen.

»Laß das!« schrie Whitey zornig – er war in ungewöhnlicher Gemütsverfassung. »Hol den anderen Mann, und dann marsch.«

Die kleine Gesellschaft ging schweigsam auf dem dunklen Waldpfad, an der Spitze der Eingeborene mit seiner Laterne zum Schutze gegen Angriffe wilder Tiere.

Plötzlich blieb er stehen und wandte sich nach Lambaire um, der die Nachhut bildete.

»Den jungen Massa, ich seh ihn nicht.«

»Weiter,« sagte Whitey ungehalten. »Der Massa, er stirbt doch bald.«

Der Schwarze knurrte und setzte seinen Weg fort. Der Tod war in diesem Lande, wo Menschen morgens heil und gesund aufstanden und am Abend beerdigt wurden, eine unbedeutende Angelegenheit.

Bei Tagesanbruch machten sie halt, um dem Mahl zuzusprechen, das sie gewöhnlich vor dem Marsch einnahmen.

Die zwei weißen Männer aßen schweigend – keiner sah den anderen an.

Erst als das Licht der aufgehenden Sonne den Wald durchflutete, nahm Whitey auf die Ereignisse der Nacht Bezug.

»Wir konnten keinen Nigger zurücklassen, damit er Hungers sterbe – und ich will verflucht sein, wenn wir keinen weißen Mann zurückgelassen haben,« sagte er und fluchte schrecklich.

»Hör auf – sag so etwas nicht,« flehte Lambaire und erhob wie protestierend seine große Hand; »wir konnten doch nicht – wir konnten doch nicht tun, was wir ... du weißt ... was wir mit dem verrückten Führer gemacht haben ... Sei vernünftig, Whitey ... er ist tot.«

Drei Tage später erreichten sie die Missionsstation an der Grenze, und eine Heliograph-Botschaft trug die Nachricht ihrer Ankunft zu einem wandernden Distrikts-Kommissar, der ein Land »regierte«, von dem aus keine heliographische Verbindung mit der Küste möglich war.

Aber er hatte einen Korb voll Brieftauben.

*

Drei Wochen ruhen, in weichen Betten schlafen, Missionskost zu sich nehmen und ein Rasiermesser gebrauchen dürfen, das alles macht für einen Mann wie Lambaire den ganzen Unterschied zweier Welten aus. Er hatte ein bequemes Gedächtnis. Er vergaß manche Dinge sehr leicht. Ein kleiner, scharfblickender Mann in Khakiuniform kam auf die Missionsstation, der gefürchtete Regierungsamtmann Sanders; er stellte Fragen, aber im Hinblick auf den geschwächten Körperzustand der Missionsgäste drängte er sie nicht zu einem ausführlicheren Bericht. Er hörte ohne Überraschung, daß der Diamantenfluß entdeckt worden – er schloß aus der ungenauen Beschreibung, die ihm die Expeditionsteilnehmer von der Gegend, in der die Entdeckung gemacht worden war, gaben, daß das neue Diamantfeld auf britischem Gebiet war – er war enttäuscht, zeigte es aber nicht.

Denn kein Mann, der über die Wohlfahrt von Eingeborenenvölkern zu wachen hat, begrüßt die Entdeckung kostbarer Minen oder Metallvorkommen auf seinem Gebiet. Solche Reichtümer bedeuten Kriege und die Bereitstellung neuer Streitkräfte. Es bedeutet das Ende eines ordnungsmäßigen Naturzustandes und Belastung mit einer oberflächlichen Zivilisation.

Kritische Leute haben gefragt, warum der Amtmann sich damals nicht sofort habe die Proben zeigen lassen, die Lambaire und sein Genosse von der mysteriösen Mine mitbrachte. Aber Sanders war, wie schon anderswo erwähnt, ein einfacher Mann, der niemals mit der Verwaltung einer Mineralien-Region beauftragt gewesen war und der, offen gesagt, gar nicht wußte, was er unter den obwaltenden Umständen zu tun hatte.

»Wann starb Sutton?« fragte er, und sie sagten es ihm.

»Wo?«

Hier irrten sie sich, denn die bezeichnete Stelle war hundert Meilen landeinwärts.

Sanders stellte eine schnelle Berechnung an.

»Es müßte näher gewesen sein,« sagte er. »Sie konnten in der Zeit nicht bis zur Missionsstation marschiert sein.«

Sie gaben die Möglichkeit eines Irrtums zu, und Sanders ließ die Ungenauigkeiten, in die sie sich verstrickten, gelten; hatte er doch einige Erfahrung darin, daß das Gedächtnis ausgehungerter Männer nicht ganz verläßlich war.

Er fragte die Träger aus, und sie wußten keineswegs besser Bescheid.

»Master,« sagte der Führer und sprach im Dialekt der Flußgegend, »es war an einem Platz, wo vier Bäume ganz dicht beieinander standen, zwei waren Rotholzbäume und einer war ein Kopalgummibaum.«

Da die Wälder des Alebi-Landes hauptsächlich aus Rothölzern und Gummibäumen bestehen, war der Amtmann nicht klüger.

Vierzehn Tage nach dieser Unterhaltung erreichten Lambaire und Whitey die kleine Küstenstadt, wo Sanders sein Hauptquartier hatte.


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