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Was ihr einem meiner geringsten Brüder ...

Patrick O'Reilly hielt Wort; er kam in aller Frühe und erkundigte sich nach seinen Schützlingen. Wider Erwarten schlug er aber nicht den Weg zum Tiergarten ein, sondern führte sie in ein großes Gebäude, mitten in der Stadt, worin der Besitzer sein Büro hatte.

Schapian langte ab und zu ängstlich nach dem Lederbeutel mit dem Geld: er war immer noch da. Nun, da alles dem Höhepunkt, der Entscheidung zudrängte, verlor der Junge die Nerven. Mit der einen Hand betastete er alle Augenblicke den Beutel unter dem Hemd und in der andern trug er den Biberkorb mit seinem Bewohner. Neben ihm ging Sajo mit kurzen Kleinmädchenschritten und hielt das Umschlagtuch um Kopf und Schultern fest.

Sie standen vor einer großen Tür; O'Reilly schob die beiden kurzerhand vor sich her auf einen Aufzug zu, den die Waldkinder höchst widerwillig und mißtrauisch betraten. Nach einer kurzen, schnellen Fahrt fanden sie sich mit ihrem Begleiter vor einer neuen Tür und gleich darauf vor einem großen Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß. Und er war der Mensch, der Tschikaniis Schicksal in der Hand hatte.

Sajo, die bis zu diesem Augenblick fest an ihren Traum geglaubt hatte, fürchtete sich und zitterte wie ein Blatt im Wind. Was geschah, wenn der Mann hinter dem Schreibtisch nicht wollte? Sajo wußte es nicht. Sie hätte am liebsten geschrien und wäre davongelaufen, bezwang sich aber und blieb, fest entschlossen, bis zum Ende durchzuhalten.

Der Mann hinter dem Schreibtisch war nicht alt; sein schmales, blasses Gesicht mit dem zurückfliehenden Kinn flößte kein Vertrauen ein. In einem Mundwinkel hing eine Zigarette und ein Auge war des Rauches wegen unangenehm zusammengekniffen. Mit dem andern schielte er den Ankömmlingen entgegen und musterte sie nachlässig. Es war ein unfreundliches, farbloses Auge.

Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, schnappte er kurz: »Sie wünschen?«

Keine Antwort, eine schwere, ungemütliche Stille hing in der Stube. Sajo und Schapian stockte fast der Atem. Dann ermannte sich O'Reilly.

»Herr«, begann er, »gestern abend telephonierte ich mit Herrn Harris wegen meinem jungen Freunde hier. Er hat uns für heute herbestellt. Etwas Geschäftl – – –«

»Können Sie auch mit mir abmachen«, unterbrach der junge Mann unhöflich. »Herr Harris ist beschäftigt.« Er blickte auf die andere Seite, zu einer leicht angelehnten Tür hinüber, die offenbar in ein zweites Zimmer führte.

»Lieber Herr, die Sache ist nämlich so«, begann O'Reilly von neuem, kam aber nicht weit, denn der junge Mann blickte auf seine Armbanduhr und unterbrach ihn wieder.

»Rasch, rasch, Mann. Ich hab noch mehr zu tun heute morgen!«

Patrick wurde rot und begann zum drittenmal, diesmal mit Erfolg. Es war eine Rede, die er am Abend vorher sorgfältig eingeübt hatte, die Rede, von der er versprochen, daß sie »einen Stein« rühren würde. Den jungen Mann rührte sie nicht im mindesten, denn er blickte wiederholt auf die Uhr, zündete ungeduldig eine frische Zigarette an, so daß der gute Patrick zuletzt beinahe den Mut verlor und ziemlich lahm endete:

»... die Kinder wollen das Biest zurückkaufen. Und ich, ich sag's grad heraus: Sie tun ein gutes Werk, wenn Sie das Tier hergeben.«

Patrick, der sein Bestes getan hatte, trocknete sich den Schweiß ab. Der Mann am Schreibtisch fingerte in den Papieren und legte sich großartig zurück.

»Sind Sie jetzt ganz fertig?« fragte er kalt.

»Ja«, antwortete Patrick nicht allzu glücklich, denn er fürchtete, daß er die Schlacht verloren hatte.

»So, danke. Also, damit Sie es gleich wissen –«, die Worte fielen wie kleine Eisstücke auf Glas – »der Biber wurde von uns ehrlich gekauft, nicht von dem kleinen Lumpenpack da, sondern von einem angesehenen Händler. Wir bezahlten fünfzig Dollar, viel mehr als das kleine Biest wert ist. Und wir haben gar nicht die Absicht, es wieder zu verkaufen, außer wenn wir dabei verdienen können und – –«, hier starrte er die Geschwister an – »ich glaub nicht, daß Ihre rothäutigen »Freunde« besonders gut bei Kasse sind. Sehen jedenfalls nicht so aus.«

Patrick wurde noch röter, sagte sich aber schlau, daß dem hartgesottenen Gesellen nur mit Geld beizukommen sei.

»Geld«, flüsterte er heiser, »gib ihm das Geld!« Schapian, krank vor Angst, denn er hatte fast alles verstanden, trat einen Schritt vor, suchte in dem kleinen Beutel und legte das Notenbündel auf den Schreibtisch.

Der Mann nahm das Geld, zählte es und meinte verächtlich:

»Vierzehn Dollar. Da –«, er gab sie wieder zurück. »Nichts zu machen«, und damit ihn alle verstünden, fügte er noch hinzu »nichts verkaufen, gar nichts zu machen. Verstanden?«

Sie hatten ihn verstanden.

Niemand sprach, keiner rührte sich von der Stelle. Für Schapian war es wie ein Weltuntergang. Konnte dies wahr sein? Die Enttäuschung, die Stille im Raum legten sich ihm wie ein Panzer um die Brust und schnürten ihm den Atem ab. Jenes weiße Gesicht hinter dem Schreibtisch quoll auf, wurde größer und größer, schien auf ihn zuzustürzen, der Fußboden schwankte und glitt unter den Füßen davon – – . Um alles in der Welt, dachte Schapian, ich werde ohnmächtig wie ein schwaches Mädchen. Er schloß die Augen, um jenes fahle, schwächliche Gesicht mit dem verkniffenen Auge nicht mehr zu sehen, biß die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und riß den Körper hart in die gewohnte stolze Haltung zurück. Der Schwindelanfall ging vorüber, und Schapian zitterte vor Frost.

Pat O'Reilly stand wie vor den Kopf geschlagen und wischte sich ein übers andere Mal die Stirne ab.

»O Schande, Schande!« flüsterte er heiser. »Und mir haben sie vertraut – .«

Und Sajo? Ihr war keine Bewegung entgangen, ihre Augen flatterten, zwei verängstigten Vögeln gleich, von einem zum andern. Ihr brauchte man nichts sagen. Nein, sie hatte alles begriffen.

Fehlgeschlagen ihre Hoffnung; in zwei winzigen Minuten war alles zusammengebrochen. Leise trat sie neben den Bruder.

»Ich weiß alles, Schapian«, sagte sie mit einer kleinen, brüchigen Stimme, so daß Schapian rasch den Arm um sie legte. »Ich weiß jetzt alles. Er will Tschikanii nicht hergeben. Nun hab ich doch nicht recht gehabt – mit meinem Traum. Wir kamen in diese Stadt und wollten Tschikanii haben. Vielleicht – vielleicht bedeutet der Traum, daß wir Tschilawii bringen müssen. Sicher hat's die Mutter so gemeint – und ich hab sie nur nicht verstanden. Gib Tschilawii auch her, damit beide nicht länger allein sind. Und – –«, ihre Stimme wurde immer leiser, die Worte fielen wie Blei, »und sag dem Mann, er könne Tschilawii auch haben.«

Mühsam stellte Sajo den Korb auf den Schreibtisch und trat erdfahl, mit großen, tränenlosen Augen zurück.

O'Reilly erschrak, was tat dieses seltsame Kind? Was ging hier vor?

»Was meinte deine Schwester?« erkundigte sich der Schreibtischmensch.

»Andern Biber auch haben. Können Tschilawii auch haben. Sein Bruder Tschikanii sehr einsam, Sie Tschilawii auch nehmen, dann Tschikanii nicht mehr allein. Das meinen meine Schwester. Ich – – –«, Schapian konnte nicht mehr weiterreden.

»Ja, dann liegt der Fall natürlich anders«, schmunzelte der Mann. »Das wollen wir gleich schriftlich machen«, damit griff er geschäftig nach Feder und Papier.

»Nein!« brüllte Patrick O'Reilly los und krachte die Faust auf den Tisch, so daß alle zusammenzuckten.

»Nein, sag ich!! Das laß ich nicht zu! Das könnte Ihnen so passen! Diese hilflosen Kinder da einschüchtern und dann übers Ohr hauen! Sie gefallen mir, mein Herr! Sie schwarzer Gauner, Sie!« Der gutmütige Pat schäumte vor Wut. Die Sprache verließ ihn und zitternd vor Zorn drang er auf den nun wirklich ängstlichen Mann ein, der nach der andern Tür zu entweichen versuchte. Sajo und Schapian erschraken, denn dieser außer sich geratene Mann war nicht der Pat, den sie kannten, wer weiß, wie alles geendet hätte, wenn nicht die zweite Tür aufgegangen wäre.

Eine sehr ruhige, angenehme Stimme sagte »Verzeihung!« Sie gehörte einem schlanken, weißhaarigen alten Herrn, der über seinen Zwickerrand hinweg fragend aus dieses eigenartige Bild blickte. Er räusperte sich leicht und sagte noch einmal: »Verzeihen Sie, daß ich zu stören scheine. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Pat, der sich nicht beruhigen konnte, funkelte immer noch gereizt zu dem jüngeren Mann unter der Tür hinüber.

»Bitte, setzen Sie sich doch«, lud der alte Herr zum zweitenmal ein.

Alle setzten sich, denn der Fremde hatte etwas sehr Bestimmtes an sich, so daß sie seinem Wunsch folgen mußten. Es war Herr Harris, der Besitzer des Tiergartens.

»So, und nun lassen Sie uns ganz ruhig über die Sache sprechen«, seine Augen wanderten von Pat zu seinem Angestellten, dann zu Sajo und Schapian und blieben zuletzt wieder auf Pat haften.

»Gestern abend habe ich Ihnen versprochen, Ihre Schützlinge anzuhören und zu sehen, was sich da machen läßt. Ich habe alles mit angehört, von nebenan. Und das war gut so, besser als anders herum. Es sind dabei einige Dinge geschehen, die, wenn ich gleich dabei gesessen hätte, nicht vorgekommen wären. Sie haben mir zwar erzählt, weshalb die Kinder in die Stadt gekommen sind und was sie durchgemacht haben, um ihren kleinen Freund wieder zu gewinnen. Aber ich mußte vorsichtig sein, mußte mich von der Wahrheit überzeugen. Und da ich ihre Sprache nicht verstehe, stellte ich sie auf die Probe. Nun weiß ich Bescheid. Ein schwieriger Fall für mich, wirklich schwierig.«

Bei diesen Worten erhellte sich das Gesicht des Sekretärs, als ob er sagen wollte: »Hab ich's nicht gleich gewußt?« Herr Harris spielte gedankenverloren mit dem Zwicker.

»Hören Sie alle?« fragte er plötzlich. Man sah, er war gewohnt, daß man auf ihn hörte. Rasch blickte er in die ihm aufmerksam zugewandten Gesichter der Kinder.

»Gut. Die beiden wollen ihren andern Biber auch hergeben, damit sie beieinander leben. Sie meinen es also aufrichtig. Sie, Herr O'Reilly und Ihre Schützlinge müssen aber auch meine Lage verstehen. Dieser Herr da –« eine Handbewegung wies aus den Sekretär, »hat recht. Wir haben das Tierchen auf ehrliche Kaufmannsweise erworben, und ich hab eine Menge Geld auf den Tisch gelegt, kann mich also nicht auf der Stelle entscheiden. Überdies ist es nicht gut, besonders nicht für junge Menschen, wenn sie alles bekommen, was sie wollen«.

»Was werden Sie tun, Herr Harris?« fragte Pat ängstlich. Der Alte gab keine Antwort, sondern meinte zu seinem Sekretär gewandt: »Sie sind ein guter Geschäftsmann, Georg. Fast ein zu guter, denk ich manchmal.«

»Ich tat nur meine Pflicht, Herr Harris«, erwiderte Georg nicht mit Unrecht.

»Ja, unsere Pflicht – – –« sann der alte Mann.

»Aber was werden Sie tun?« fragte der vor Sorge und Ungeduld fast vergehende Pat.

»Tun?«, meinte sein aufregendes Gegenüber. »Tun? Ich glaub, ich weiß jetzt, was ich tun werde. Das da zum Beispiel – –«, mit diesen Worten ergriff er den Biberkorb und winkte den Geschwistern.

»Da habt ihr eueren kleinen Freund. Ich will ihn nicht, und jetzt – –«, er wurde wieder ganz geschäftsmäßig, schrieb etwas auf eine Karte und reichte sie Pat – »so, jetzt geht mit euerem Beschützer in den Tiergarten und holt Tschikanii. Er gehört euch wieder. Habt's verdient.«

Schapian starrte ungläubig mit offenem Mund von einem zum andern. Hörte er richtig oder war das ein anderer von Sajos Träumen? Träumte er gar selbst?

Diesmal begriff Sajo schneller und faßte hastig nach dem Korb.

»Was sagt er, was meint er denn? So sprecht doch!« Herr Harris wollte schon wieder von neuem beginnen, da wachte Pat auf; er wollte brennend gern als erster die frohe Kunde erklären.

»Bitte, lassen Sie mich. Ich verstehe ihre Sprache.« Damit wandte er sich an Schapian und begann:

»Er«, dabei klopfte er dem alten Herrn kräftig auf die Schulter, »er guter Mann, großer Häuptling (die Sprache ist nicht leicht, Herr) – ihr holt Biber und dann beide mitnehmen. Heim. Verstanden?« Und dann schloß er seine Rede in schönstem Indianisch mit einem »Kä-gett! Kä-gett! – Die O'Reillys waren immer sprachbegabt, Herr Harris!«

»Sicher, hab nie dran gezweifelt«, meinte dieser und lächelte, als er die fröhliche Gesellschaft zur Tür geleitete. Das Lächeln blieb noch lange auf seinen Zügen. Was war das doch für ein hübsches Spiel gewesen, er hatte es zwar verloren, aber – – –

Sajo und Schapian kamen erst zu sich, als Pat ihnen von weitem den Eingang zum Tiergarten zeigte. Das Mädchen geriet ins Laufen, dann ins Rennen. Ihr Gesicht war nicht mehr blaß und die vor kurzem noch so traurigen Augen glänzten wieder in der Vorfreude. Das Kopftuch war nach hinten geglitten, und die schwarzen Zöpfe flogen. Hinter ihr rannte Schapian und kam nicht nach, weil ihn die Biberkutsche behinderte, in der Tschilawii hockte und vor Langeweile und Empörung ob dem Geschüttel gellende Schreie ausstieß. Als letzter keuchte O'Reilly mit einem knallroten Gesicht einher. Den Helm hatte er abnehmen müssen.

»Herrgott, rennt doch nicht so!« machte er sich einmal Luft, aber keines hörte ihn, und er lief und schimpfte leise vor sich hin.

»Verflixte kleine Heiden. Einen so abhetzen!«

Leute blieben stehen und sahen verwundert den von einem Schutzmann offenbar verfolgten, fliehenden Indianerkindern nach. Sie vernahmen auch Tschilawiis laute Klagen, dem die Behandlung zu bunt wurde. Von der Neugierde gepackt, machten viele auf dem Absatz kehrt und schlossen sich dem seltsamen Zug an.

Weit, weit hinter diesen Vorgängen, von denen er nichts sah, kam ein anderer Mensch; ein großer, brauner Mann ging mit weitausholendem, leichtem Schritt durch die Straßen. Sein ernstes, gestrafftes Gesicht verwunderte die Leute, so daß sie zurücktraten und Platz machten. Der Mann kümmerte sich weder um neugierige Blicke noch um die Zurufe. –

Am Eingang zum Tiergarten gab es einen kleinen Auflauf, denn das Tor war noch geschlossen. O'Reilly aber zeigte seine Karte vor und wurde mit seiner »Familie« eingelassen. Hinter ihnen quetschten sich die Mitläufer hinein. Alec, der Pfleger wußte bereits Bescheid; Herr Harris, der sich noch im letzten Augenblick entschlossen hatte, dem Wiedersehen beizuwohnen, hatte das Nötige veranlaßt und mischte sich dann unauffällig unter die Zuschauer. Auf einen Wink seines Arbeitgebers führte Alec Sajo zum Biberkäfig. Und wieder erblaßte sie und lief wie durch einen leeren, unendlichen Raum, an dessen meilenweit entfernten Ende ein dunkles, häßliches Gitter aufragte; und dahinter – dahinter saß ein kleines braunes Tier – und das Tier war Tschikanii!

Sajo vergaß ihre Angst, vergaß die Leute ringsumher und die geräuschvolle Stadt, sie sah nur den kleinen Freund. Mit einem Aufschrei warf sie sich vor dem Gitter in den harten Kies, streckte die Arme durch die Eisenstäbe.

»Tschikanii! Tschikanii!«

Ungläubig, reglos blieb der Kleine sitzen und starrte.

»Ich bin's, Sajo! O Tschikanii!« Sie weinte fast. Hatte er vergessen?

Stockstill hockte der Biber im Käfig, nur den Kopf neigte er lauschend zur Seite.

»Tschik-a-nii!« Jetzt hatte er sie erkannt. Mit einem kleinen, erstickten Laut ließ er sich auf alle Viere nieder und holperte, so schnell es die kurzen Beinchen erlaubten, an die Stäbe.

»Bravo!« riefen ein paar Stimmen. Alec schloß eine kleine, eiserne Türe auf. »Da hinein, Kind, kleines Fräulein.« Er war auch aufgeregt. Sajo lief in den Käfig, kniete nieder und hielt den lang entbehrten Freund in ihren Armen, und beide waren ganz still und sehr glücklich.

Herr Harris zog ein Taschentuch heraus und schneuzte sich überaus kräftig; Alec, der Tierpfleger, kämpfte einen Hustenanfall nieder.

»Sie haben ganz recht!« bemerkte Pat, obwohl der Pfleger garnichts gesagt hatte.

Danach kam das Spannendste: Tschilawii und Tschikanii sollten sich wiedersehen!

Mit wild klopfenden Herzen trugen Sajo und Schapian den Korb hinein – allein wäre keines damit fertig geworden – und machten auch gemeinsam den Deckel ab, hoben Tschilawii heraus, setzten ihn vor seinen Bruder auf den Boden und warteten atemlos.

Eine Sekunde, zwei, drei Sekunden lang äugten sich die Tierchen an, keines regte sich, beide waren nur Auge. Plötzlich dämmerte es in den kleinen Köpfen. Vorsichtig krochen sie einander entgegen, blieben stehen, rissen Augen und Ohren auf, witterten prüfend. Noch ein Schritt, noch einer, dann ein kleiner Trab, ein Galopp, und Köpfe voran stießen sie zusammen. So heftig war der Anprall, daß sie sich, gegeneinander gestemmt, auf die Hinterbeine aufrichteten und unter schrillen Schreien auf der Stelle einen Ringkampf ausfochten.

Vor allen Zuschauern begann ein gewaltiger Ringkampf

Zu Ende war die Suche, vorbei die tägliche Enttäuschung; Verzweiflung, Heimweh, die langen, leeren Nächte – alles vorüber. Groß-Klein und Ganz-Klein hatten sich wiedergefunden.

Aus dem häßlichen Gefängnis war für kurze Zeit ein Spielplatz geworden. Sajo und Schapian lachten und ermunterten die kleinen Ringkämpfer, die den Höhepunkt ihres bisherigen Lebens auskosteten. Nie zuvor hatten sie eine so prächtige Vorstellung ihrer Kraftkunststücke gegeben.

Die Zuschauer lachten und feuerten durch Zurufe den Sportgeist an; der weißhaarige Herr Harris wedelte mit dem Taschentuch und schrie sogar ein bißchen mit.

Pat O'Reilly, der einen so großen Anteil am Gelingen hatte und stolz darauf war, daß er als einziger die ganze Geschichte kannte, machte sich zum Zeremonienmeister. Neben seiner Rolle als Schutzmann, der die Menge in Ordnung hielt, spielte er noch den Ansager, erklärte die Vorgänge, machte Spaß, strahlte jedermann an und vergnügte sich königlich. Als die Biber gar ihren überaus komischen Ringkampftanz aufführten, traute er seinen Augen nicht. Man kann es ihm nicht übelnehmen; wer es nicht erlebt hat, kann es auch nicht glauben. –

Auf einmal trat ein Mann vor, der die ganze Zeit hinter den Leuten gestanden hatte, ein großer, sehr brauner Mann mit weichen Mokassins an den Füßen; derselbe, der vor kurzer Zeit eilig durch die Straßen geschritten war. Als er vortrat, verstummten die Menschen. Nur Sajo und Schapian samt ihren Spielgefährten merkten nichts, bis eine Stimme, die Stimme weiche Worte in der melodischen Odschibwäsprache sprach:

»Nun sind die Wolken wirklich verschwunden vom Antlitz der Sonne. Und meine Sorgen sind vergangen wie der Nebel am Frühmorgen. Diese Menschen haben viel für uns getan, meine Kinder. Laßt uns danken.

Mein Sohn, meine Tochter, nehmt sie nun, eure Nitschie-Kiwense, eure Kleinen Brüder.

Die Sprechenden Wasser warten.«

Gitschie Megwon war gekommen, um alle vier heimzuholen ins Land des Nordwestwindes.

Sajos Traum war Erfüllung geworden.


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