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Tschilawii und Tschikanii

Die Biber gewöhnten sich rasch an ihr neues Leben, und wenn auch kein Mensch ihnen die Eltern ersetzen konnte, so taten die drei alles, um sie gesund und glücklich zu erhalten.

Schapian trat ihnen die untere Hälfte seiner Schlafbank ab und teilte sie durch eine Wand aus Birkenrinde. Das war das neue Biberhaus, in dem die Kleinen sich sofort einrichteten. Gitschie Megwon hieb ein Loch in den Fußboden und senkte einen Waschkübel als Teichersatz hinein. Groß war der »Teich« weiß Gott nicht, aber immerhin so groß wie das Tauchloch in der Burg, und die Hauptsache: er gefiel den neuen Hausgenossen. Auf dem Wasser liegend verzehrten sie die herbeigeschafften Zweige und Blätter. Sobald sie den Kübel verließen, hockten sie sich daneben und drückten und schrubbten das Wasser aus dem Pelz. Zuerst faßten sie die Haare büschelweise in ihre kleinen Fäuste und drückten kräftig zu. Wenn das getan war, kämmten sie den Pelz mit den Doppelklauen an ihren Hinterfüßen gründlich durch. Das dauerte immer eine ganze Weile und nahm sie so in Anspruch, daß Sajo von ihrem Eifer angesteckt wurde und ihnen beim Trocknen und Kämmen half, indem sie mit den Fingerspitzen den Pelz bald nach der einen, bald nach der andern Seite strich.

Beim Trocknen hatten sie die Gewohnheit, mal den einen, mal den andern Arm hoch über den Kopf zu recken und die betreffende Seite mit der freien Hand zu bearbeiten. Dieses anstrengende Geschäft verrichteten sie aufrechtsitzend und sahen dabei aus, als würden sie in der nächsten Sekunde einen echt schottischen Hochländer hinlegen. Und erst recht lustig war's, wenn sie von einem Aststück die Rinde abraspelten. Sie hielten das Stück quer vor die Zähne, drehten es mit ihren Händen immer rund und rund herum und glichen aufs Haar zwei alten, flötespielenden Männern. Manchmal brachten sie etwas Abwechslung in die Vorstellung, indem sie die Stöckchen – sofern sie dünn genug waren – ganz und gar auffraßen. Sie steckten das eine Ende in das Mäulchen, bissen ab und schoben mit den Händen fleißig nach, die kleinen Schwertschlucker.

In den ersten zwei Wochen in der neuen Heimat brauchten sie noch Milch, und Sajo lieh sich im Indianerdorf eine Saugflasche und einen Gummilutscher. Solange nun der eine gefüttert wurde und die Flasche mit den Vorderpfoten wie einen teueren Besitz umklammert hielt, zerriß sich der andere vor Ungeduld und Empörung, zerrte, aus vollem Halse schreiend, an der Flasche, die der augenblickliche Besitzer um keinen Preis fahren lassen wollte. In dem Durcheinander fiel die Milchbüchse um und ergoß ihren Inhalt auf den Boden. Es blieb gar nichts anderes übrig, als eine zweite Saugflasche und einen zweiten Gummilutscher aufzutreiben. Von da an fütterte Schapian den einen und Sajo den andern, und Friede herrschte auf beiden Seiten.

Als die Hereingeschneiten ein wenig älter waren, erhielten sie in Milch aufgeweichtes Indianerbrot, das machte die Ernährungsfrage weniger umständlich. Jeder besaß seinen eigenen Napf. Sie pflegten mit der Pfote in die Schüssel zu langen, einen Brocken herauszufischen und schnell, schnell in den Mund zu stopfen; es konnte nie rasch genug gehen.

Nun ist's ja wahr, ihr Benehmen bei Tisch war nicht gerade gesittet. Sie schmatzten mit den Lippen, schnauften gar fürchterlich und sprachen mit vollen Mäulern. Aber eine feine Gewohnheit besaßen sie! Sobald sie fertig waren, räumten sie ihre Näpfe auf. Sie schoben sie vor sich her in eine Ecke oder unter den Ofen. Manchmal enthielten die Teller noch allerlei Brocken, und das war, soweit es die Biber anging, durchaus in Ordnung. Bis die Teller jedoch ihren Bestimmungsort erreicht hatten, lagen die Überbleibsel der Mahlzeit gut zerquetscht und zertrampelt auf dem Marschweg, und den peinlich gebürsteten Fußboden verunzierten die Spuren kleiner, klebriger Biberfüße. Sajo spülte daher das Bibergeschirr genau so wie das der »großen Leute«. –

Da Schapian den einen und Sajo den andern pflegte, machte es sich ganz von selbst, daß jeder Biber seinen Beschützer besonders liebte und auf Anruf zu seinem Freund watschelte.

Zunächst hatten sie keine Namen, und die Geschwister riefen bloß: »Un-daas, un-daas, Amick, Amick! – Komm her, komm her Biber, Biber!« Eines Tages aber dachte Sajo wieder an den vergangenen Geburtstag und an die Puppen, die so verdrießlich auf die Neuankömmlinge gestarrt hatten. Gut, dachte Sajo, dafür sollen sie auch ihre Namen hergeben. Und so geschah es, daß die Biber »Tschilawii« und »Tschikanii« genannt wurden, »Groß-Klein« und »Ganz-Klein«.

»Tschilawii« war etwas größer geraten als »Tschikanii«. Die Tierchen hatten die Namen bald heraus und purzelten unter Schapians Schlafbank hervor. Weil aber ihre Namen so ähnlich klangen, kamen immer beide zugleich angetrudelt. Und da sie sich, vom geringen Größenunterschied abgesehen, wie zwei Erbsen glichen, war es oft sehr schwer zu entscheiden, wer nun wer war.

Um das Auseinanderhalten noch schwerer zu machen, hielten sie mit dem Wachsen nicht gleichen Schritt. Eine Zeitlang wuchs der eine schneller als der andere, plötzlich war es aus, und der kleinere Bruder holte auf und überflügelte den andern sogar. Eines Tages stellte man zur allgemeinen Überraschung fest, daß »Ganz-Klein« eine ganze Weile für »Groß-Klein« angesehen worden war. Kaum hatte man die Namengeschichte wieder auseinandergeklaubt und richtiggestellt, da geriet sie schon wieder durcheinander, weil das Wachstum sich den Teufel um Namen kümmerte.

Es war wirklich hoffnungslos! Sajo wurde der Sache allmählich müde und beschloß, ihr ein für allemal ein Ende zu machen und sie einfach »Die Kleinen« zu rufen. Da schaffte Tschilawii oder Groß-Klein von sich aus Ordnung und das gründlich! Er hatte nämlich die Angewohnheit, zwischen den warmen Ofensteinen zu schlafen. Eines Tages stank es fürchterlich nach verbranntem Haar, und kein Mensch wußte, woher und wieso. Der Ofen wurde ausgemacht, durchsucht und ausgeputzt, die Ofenröhre wurde beklopft, aber es stank ruhig weiter und mehr als je. Endlich fiel es einem ein, auch mal unter den Ofen zu schauen, und dort lag Tschilawii und schlief unbekümmert weiter, während der Pelz auf seinem Rücken versengte. Man riß ihn schleunigst vor. Richtig, ein großer Sengfleck verunzierte den Rücken und roch sehr schlecht. Tschilawii war für den ganzen Sommer gezeichnet. Und so wurde die Unterscheidung zuletzt doch noch ganz leicht. Im Lauf der Zeit kannte jedes Tierchen seinen eigenen Namen, auf den es hörte.

Sie waren ein recht geschwätziges Brüderpaar, Tschilawii und Tschikanii, und plapperten den geschlagenen Tag. Jede Anrede der Kinder erhielt fast immer eine zweistimmige Antwort. War man gerade bei einer Arbeit, z. B. beim Wasserholen, Holzschleppen, Fußbodenaufwaschen, oder lachte und sprach man mehr als sonst, dann purzelten die Biber herbei und versuchten mitzutun.

Dabei sprangen und hüpften sie wie toll einher und kollerten den Menschen fortgesetzt in den Weg.

Die Leckerbissen, die sie bei Tisch erhielten, fraßen sie nicht gleich auf, sondern trugen sie in ihr Haus, um sie aufzuheben oder dort zu verzehren, je nachdem. Manchmal fielen sie, wie unartige Kinder, recht lästig, und um sie loszuwerden, mußte man sie mit guten Bissen bestechen. Natürlich blieben sie nie lange in ihrem Haus, sondern holten sich neue Bestechungsgelder. Sie hatten sehr bald heraus, wann Besuchszeit war: sobald es etwas zum Essen gab, fanden sie sich pünktlich ein, zogen an den Kleidern und versuchten sogar, an den Beinen hochzuklettern, um das Gewünschte zu erhalten. Selbstverständlich kamen sie immer zu ihrem Teil und stolperten damit, selig mit den Köpfen wackelnd, hopsend ihrer Behausung zu.

Ihren Beschützern folgten sie geduldig und beharrlich auf Schritt und Tritt. Auf ihren überaus kurzen Beinchen bewegten sie sich wie ewig aufgezogene Spielzeuge. Alles, was auf dem Fußboden lag, schleppten sie von einer Ecke zur andern. Später, als sie größer und stärker geworden waren, stahlen sie sogar Feuerholz aus der Kiste und schleiften es in ihr Haus, wo sie es mit ihren scharfen Zähnen in dünne Späne zerschlissen und Bettstreu daraus machten. Jedes Stoffetzchen, jedes kleine Kleidungsstück, das auf den Boden gefallen war, mußte schleunigst aufgehoben werden, sonst war es dahin. Der Besen wurde heruntergezogen und umhergeschleift. Besen und Feuerholz waren überhaupt ihre Lieblingsspielzeuge, wohl hauptsächlich darum, weil sich damit so schön Krach machen ließ, und das gefiel ihnen ausgezeichnet.

Den größten Spaß jedoch fanden sie – – am Ringkampf. Sie stellten sich dabei auf die großen, häßlichen Hinterbeine, umschlangen sich mit den kurzen Ärmchen, drückten den Kopf an des Gegners Schulter und versuchten, einander umzulegen. Das gelang nicht so ohne weiteres, denn die Plattschwänze und die großen, mit Schwimmhäuten versehenen Hinterfüße gaben eine kräftige Stütze ab. Und so schoben und rangen und grunzten und prusteten sie, bis einer ins Rutschen geriet und, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, rückwärts trippelte. Diese Schwäche suchte dann der Gegner auszunützen und legte sich noch einmal mächtig ins Zeug. Manchmal gelang es dem Unterliegenden, wieder festen Stand zu fassen, dann war der obenauf und brachte den Gegner in Verlegenheit, und der Kampf setzte sich in umgekehrter Richtung fort. So schoben sie sich oft minutenlang vor und zurück, rundherum und hin und her wie ein kleines walzendes Menschenpaar. Zwischen dem Grunzen und Schnaufen erschollen die lauten Quieker und Schreie des Geschobenen, gewaltiges Fußstampfen und Schwanzklopfen, bis einer endlich den Schwanzhalt verlor und auf den Rücken fiel. Das war unwiderruflich das Schlußzeichen; die Kämpfer stellten sich wieder auf die Beine und hüpften wie Tollhäusler herum. Sajo und Schapian wurden des Zuschauens nicht müde.

Zwischen Ringkampf und Flötenspiel, zwischen Schwertschlucken und Betteln, Besenschleppen und Holzherumziehen und all dem andern Umtrieb, den sie den lieben, langen Tag anstellten, gab es auch andere Augenblicke. Es kamen Zeiten, da sie, die Hände fest an die Brust gedrückt und die Schwänze untergeschlagen, still und feierlich-ernst nebeneinanderhockten und keinen Laut von sich gaben. Es schien, als versuchten sie, sich über ihr Leben klarzuwerden. In solchen Augenblicken kniete Sajo vor sie hin und erzählte ihnen eine Geschichte und fuchtelte dabei mit dem Zeigefinger vor den Bibernasen herum, als leite sie ein Konzert. Und Tschilawii und Tschikanii blieben sitzen, lauschten und folgten mit den Augen dem auf und ab fahrenden Zeigefinger, der vor ihren Nasen tanzte. Und dann fingen sie an, mit den Köpfen zu wackeln, auf und ab, hin und her, wie Biber tun, wenn sie sich über etwas freuen. Zuletzt schüttelten und wackelten sie mit dem ganzen Körper, so sehr, daß sie umfielen und auf dem Boden herumkugelten, als hätten sie jedes Wort verstanden und wüßten sich vor Lachen nicht mehr zu helfen Das ist wahr, wie alles, was ich von diesen seltsamen Tieren erzähle. Junge, von Menschen aufgezogene Biber werden sich, wenn sie diesen Menschen lieb haben, oft in dieser Art benehmen, wilde Biber äußern ihre Gefühle unter sich auf diese und andere, ebenso absonderliche Weise..Schapian pflegte daneben zu stehen und das Bild zu betrachten. Als angehender Mann fand er Sajos Gehaben etwas lächerlich, im stillen wünschte er aber, kein Mann zu sein und dieses Geschichtenerzählen selbst zu besorgen. Ach ja, das Erwachsensein verdirbt manchen schönen Spaß!

Manchmal fühlten sich die kleinen Burschen sehr verlassen und heulten in ihrer dunklen Kammer zweistimmig vor sich hin. Sajo, die ihre eigene Mutter nie vergessen hatte, wußte weshalb, und nahm sie auf den Arm und versuchte, sie mit leisen Worten und zärtlichen Händen zu trösten. Und die Biber nestelten sich dichter an die kleine Menschenbrust, bohrten die Stupsnasen in den warmen, weichen Fleck an Sajos Hals, wo sie so gerne lagen. Und nach einer kleinen Weile verstummte das Wimmern. Statt dessen ertönten lange, zufriedene Seufzer, und dann kam der Schlaf – – –

Sie bauten sich ein verrrücktes, kleines Biberhaus

Trotz Unband und Geschrei und Faxen waren sie eben immer noch junge Geschöpfe. Sie schenkten den beiden Menschenkindern in ihrer eigenen, bescheidenen Art all die Zuneigung, die sie Vater und Mutter gegeben hätten.

Tschikanii hing ganz besonders an Sajo. Er war nicht so kräftig wie Tschilawii und viel, viel ruhiger. Tschilawii dagegen war ein lustiger Bursche, ein richtiges Rauhbein, einer von denen, die das ganze Leben für einen Mordsspaß halten. Tschikanii jedoch litt oft unter einer gewissen inneren Verlassenheit und hockte zu solchen Zeiten allein in den Ecken, bis ihn jemand aufhob und gut zu ihm war. Nachts kroch er aus dem Häuschen und saß klagend vor Sajos Bett, um aufgenommen zu werden. Bruder Tschilawii aber ließ sich nicht stören, sondern lag in seinem Haus auf dem Rücken und zersägte gar manchen Ast. Wenn Tschikanii in irgendeiner kleinen Not schwebte, wenn er z. B. mit der Nase an den heißen Ofen gestoßen oder im Ringkampf besiegt worden war, kam er um Trost zu Sajo gerannt. Und Sajo war immer für ihn da und setzte sich zu ihm auf den Boden. Dann erkletterte er ihren Schoß und ließ sich von ihr in neue Zufriedenheit hineintrösten. Tschilawii, der seine Streiche für den Tag geliefert hatte und sich vielleicht ein wenig ausgeschlossen glaubte, tauchte dann regelmäßig auf und wollte auch seinen Anteil an der allgemeinen Liebe haben. Höchst rücksichtslos quetschte er sich neben seinen Bruder, stieß einen mächtigen Seufzer aus und war offenbar sehr zufrieden mit seinem Tagewerk. Sajo, die Gütige, blieb dann auf dem Fußboden hocken und wagte kaum, sich zu rühren, bis die Biberbrüder abzuziehen geruhten.

Sie ließen sich nun viel leichter unterscheiden. Tschilawii war kräftiger und – man kann ruhig sagen – auch frecher und abenteuerlicher veranlagt als Bruder Tschikanii. Ihm schien es Spaß zu machen, wenn er den Kopf an die Tischbeine stieß oder ein Stück Holz sich auf die Zehen fallen ließ oder kopfüber in die Holzkiste purzelte. Er war naseweis wie ein Papagei, wollte alles ergründen und erschnüffeln. Einmal erstieg er tatsächlich den Putzeimer, den Sajo einen Augenblick aus den Augen gelassen hatte. Wahrscheinlich hielt er ihn für ein Tauchloch, denn er flitschte wie ein Pfeil hinein. Der Kübel fiel um mit allem, was darin war, und Wasser und Biber schwammen über den Fußboden. Tschilawii war sehr, sehr erstaunt, wie alle, die das Ereignis mitangesehen hatten. Doch trotz seiner eigensinnigen Art war er genau so zutraulich wie Tschikanii und heftete sich (wenn er nichts anderes zu tun hatte!) an Schapians Ferse.

Er hielt es nie lange ohne seinen kleinen Bruder aus. Immer waren sie beisammen, entweder hinter- oder nebeneinander. Und wenn sie sich einmal aus den Augen verloren, stimmte jeder für sich ein mörderisches Geschrei an und suchte den andern. Hatten sie sich wieder gefunden und innig umarmt, dann saßen sie noch ein kurzes Weilchen mit angeschmiegten Köpfen still. Sehr lange dauerte diese Zärtlichkeit nicht, und die stumme Wiedersehensfreude schlug gar bald in einen Ringkampf um. Eine merkwürdige Art, Wiedersehen zu feiern.

Sajo dachte oft, wie grausam es wäre, die beiden zu trennen.


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