Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20.

So war der October gekommen. Der Wind jagte die gelben Blätter über die Promenaden. Die Gärten wurden öde. An den Rosenstämmen welkten die letzten Triebe, selbst Astern und Georginen bedeckte glänzender Reif.

Durch die Anlagen der Residenz fuhr um jeden Mittag ein Landauer, dem man teilnehmend nachschaute.

Hanna machte in der Equipage ihrer Tante an der Seite der alten Dame nach endlicher vollständiger Genesung ihre Ausflüge in die frische Luft.

Die Tante, die schwache, an Neuralgie leidende alte Dame, hatte stets eine wahrhafte Furcht, wenn sie mit Hanna in's Haus zurückkehrte.

Hanna konnte unleidlich sein mit ihrer nervösen Unruhe. Sie hielt es keine fünf Minuten auf einem Fleck, bei einer Beschäftigung aus und warf Alles wieder beiseite, was sie zur Hand genommen, selbst die Bücher, die sie zerstreuen sollten. Sie huschte über die Tasten des Piano's, ohne eine Note anzusehen, fragte täglich, ob diese oder jene Familie noch nicht von der Reise zurück, und nur der Spiegel konnte sie dauernder fesseln.

Helmine war die Treueste und Unermüdlichste an ihrem Krankenbette gewesen, aber sie dankte derselben das wenig. Sie hatte ihr noch keinen Besuch gemacht.

Sie wies auch die Einladung ab, in Auershof die letzten schönen Herbsttage zur Kräftigung ihrer Gesundheit zu verbringen, die ihr der Oheim gesandt, obgleich ihm das Mädchen viel zu viel Unruhe machte.

Das hätte ihr gerade gefehlt, durch den Park fortwährend an jenen unseligen Abend erinnert zu werden!

Helmine errieth, was in dem Mädchen vorging. Sie wußte, daß sich zwischen Fürth und Stella ein intimes Verhältniß angesponnen, hatte aber keine Möglichkeit mehr, auf die Abwesende einzuwirken. Stella war nicht aufrichtig gegen sie gewesen. Sie ward unzugängig, scheu, wenn Helmine sie aufsuchte, ließ ihr auch mehrmals durch die Magd sagen, sie sei ausgegangen.

Helmine hatte schon dringend den Wunsch geäußert, Constanze Neuhaus kennen zu lernen, die immer nicht zu Hause war, wenn sie zu Stella kam. Sie wollte wissen, ob und welchen Einfluß dieselbe auf Stella übe, die sich immer mehr von ihr zu entfernen schien.

Seit Stella zurück, gab es für Hanna keine Ruhe. Sie fand selbst Nachts keinen Schlummer mehr, erwartete nicht erst den Besuch ihr befreundeter Familien, sondern machte selbst ihre Besuche bei ihnen und horchte mit aufmerksamem Ohr.

Es war ein Fieber in dem Mädchen, das sie aufreiben mußte.

Die Gesellschaft schrieb das ihren überstandenen Schmerzen zu, fand aber im Uebrigen das Mädchen entwickelter und leidlicher als früher, wo es oft schwer gewesen, ihren kindischen Ueberspanntheiten die nöthige Rücksicht zu gewähren ...

Die ersten Einladungen zu den wieder beginnenden Café's und Soiréen kamen. Das Theater eröffnete seine Saison.

Hanna stürzte sich mit Unermüdlichkeit in die Gesellschaften. Man sah sie in den Logen, in den Concerten.

Sie suchte immer nur Einen mit ihren spähenden Augen; aber trostlos kehrte sie am Abend stets zurück. – Fürth war noch nirgendwo sichtbar, weder auf der Promenade, noch in der Gesellschaft.

Hanna verlebte unerträgliche Tage. Ihre Freundinnen erriethen ihre Leidenschaft. Bisher hatten sie dieselbe für Kinderei gehalten, jetzt aber, seit sie sich nach ihrer Krankheit so überraschend entwickelt und ihre Reizbarkeit auffiel, jetzt bedauerte man sie und sprach ihr desto mehr davon.

Aber Fürth war ja ihr Lebensretter gewesen, man wußte es. Das Mädchen war ihm dankbar, und erklärlich war's jetzt, wenn er für diesen Dank keine Aufmerksamkeit mehr hatte ...

Da plötzlich lief die Nachricht über Herrn von Fürth's vollständigen Ruin durch die Gesellschaft, eine Nachricht, die, als sie Hanna erreichte, ihr erst den kalten Schweiß auf die Stirn trieb, sie dann aber mit lautem Aufjauchzen in ihr Zimmer jagte.

Hier machte sie ihrem Herzen Luft durch einen lauten Schrei. Sie warf sich auf ihr Ruhebett, barg das Antlitz in den Händen und weinte ... Freudenthränen.

* * *

Vierzehn Tage hatte Fürth's Abwesenheit gedauert, als er eines Morgens bei Stella eintrat, die bei der Meldung der Magd von ihrer Toilette aufsprang, das Peignoir von sich warf, sich in ihre weiße Hausrobe hüllte und mit halbgemachtem, lose aufgeheftetem Haar in's andere Zimmer eilte.

Erwin küßte sie zärtlich, aber ruhig. Sie schaute ihm mit argwöhnischem Auge in's Antlitz, lehnte dann ihre Stirn an seine Schulter und weinte.

»Du bliebst so lange! Deine Abschiedszeilen waren so kalt!« flüsterte sie auf seine Frage. »Ich habe so unruhige, bange Träume!«

Erwin lächelte auf sie herab. Er streichelte ihr Haar, küßte ihre weiße Hand.

»Was ist geschehen? Sag' es mir!« bat Stella. »Als wir uns trennten, sprachst du mir von unangenehmen Nachrichten, die Dich von uns rissen. O, ich habe keinen frohen Augenblick seit jenem Tage mehr gehabt!«

Erwin zog sie neben sich auf das Sopha, schlang den Arm um ihren Leib und lächelte sie an.

Aber das war nicht mehr das frohe, sie so beseligende Lächeln von damals. Er verschwieg ihr etwas; sie erkannte es an seiner Miene.

»Ich habe Dir ja kein Hehl daraus gemacht, Herz!« antwortete er, einen Schatten von seiner Stirn verjagend. »Zum erstenmale ist, neidisch auf mein Glück, der Ernst des Lebens an mich herangetreten. Sehr empfindliche Einbußen an meinem Vermögen ... Aber laß das Dein Herz nicht verkümmern, es wird sich Alles zum Guten wenden.«

»Zum Guten! Was nennst Du so?« fragte Stella mit wachsender Besorgniß.

Erwin lächelte, doch verstimmt.

»Ich meine, es wird in kürzester Frist gelingen, diese Unannehmlichkeiten zu bewältigen. Es bleibt mir im schlimmsten Falle noch zu leben.«

»Im schlimmsten Falle! Du siehst diesen voraus?«

»Ich muß wenigstens auf ihn gefaßt sein! ... Doch, warum Dir damit Kummer bereiten! Du hättest gar nichts davon wissen sollen.«

»Hatte ich darauf kein Recht?«

»Nein!«

Er schüttelte den Kopf.

Stella war's, als sei seine in der ihrigen liegende Hand kühler geworden. Er blickte auch so zerstreut, als suche er Worte für das, was zu sagen ihm sichtbar peinlich war.

»Du hattest nur insofern ein Recht, als ich Dir den Grund schuldig war, für ... wenn es unvermeidlich sein sollte ... einen kurzen Aufschub ...«

»Unserer Verlobung?«

Stella starrte mit großen, entsetzten Augen auf ihn.

Sie war zurückgefahren; ihre Hand hatte die seine gelassen und lag zitternd in ihrem Schooß.

»Ich sagte, wenn es unvermeidlich sein sollte!«

Erwin zeigte sich verdrossen über diese Wirkung seiner Worte. Er zürnte.

»Nimm die Sache, wie ich sie nehmen muß! Sind wir denn Herren unseres Geschicks?« fragte er unwillig.

»Ein Geschick nennst Du es?« flüsterte Stella, erschrocken vor sich hinblickend. »Also ist es schlimmer, als Du sagen wolltest?«

»So nenne es Mißgeschick!«

»Erwin, sei aufrichtig! Ist es nur der Geldverlust, der ...«

Sie blickte ihn mit Seelenangst an.

»Wie Du fragst! Was sonst?«

»Warum gehst Du nicht sofort zu meinem Vater und bittest ihn um meine Hand! Er ist reich; er wird Dir helfen.«

Erwin biß die Lippen zusammen, als sei ihm die Zumuthung beleidigend, ihrem Vater seine Lage zu enthüllen.

Er war unehrlich gegen sie. Er verschwieg ihr, daß er, gestern Abend zurückgekehrt, in seiner Bedrängnis soeben schon einen Schritt gethan, der seinen Stolz einen Riesenentschluß gekostet – daß er bei ihrem Vater gewesen.

Er hatte diesen Mann, den er seiner Antecedentien wegen nicht achtete, in dem Moment angetroffen, wo Lenning zu reisen im Begriff. Lenning hatte ihn mit großer Auszeichnung aufgenommen, hatte ihm erklärt, seine Werbung sei ihm schmeichelhaft, er habe derselben nichts entgegen zu setzen.

Als aber Fürth cavalierement eine sofortige Mitgift in hohen Ziffern begehrte, hatte Lenning ihm sehr verlegen gestanden, er sei im Augenblick dermaßen an der Börse engagirt, daß es ihm unmöglich sei, Gelder in so hohem Betrage flüssig zu machen; er stehe zudem auf dem Punkte, zu reisen, um große Verluste abzuwenden, die ihm außerhalb drohten.

Fürth hatte sich, gedemüthigt in seinem Stolz, sehr kühl entfernt, hatte auf der Promenade den Eindruck zu überwinden gesucht und begab sich zu Stella mit dem Entschluß, diese auf einen Bruch vorzubereiten.

Der Anblick des schönen Mädchens gab ihm den gewissenlosen Gedanken, dieses eine Stündchen noch zu genießen. Er fand Stella auf ein Unglück gefaßt, hatte aber nicht den Muth, ihr die ganze Wahrheit zu sagen; noch weniger bracht' er es über sich, ihr zu bekennen, daß er ihrem Vater soeben den Preis genannt, für den der Kammerjunker von Fürth sich bereit erklärte, seine Tochter zu heirathen.

Stella's Aufforderung erinnerte ihn an seinen Rückzug bei Lenning. Er ward kühl bis in's Herz hinein, suchte aber, sich mit Anstand aus der Affaire zu ziehen. Ein Brief konnte Stella ja den Rest sagen.

»Füge Dich in das Unvermeidliche!« rief er. »Thu's wie ich! In einigen Tagen werde ich klarer sehen und Dich hoffentlich vollends beruhigen können.«

Er erhob sich und zog sie mit sich vom Sopha.

»Hätte ich ahnen können, Dich so fassungslos zu finden, ich würde geschwiegen haben,« sagte er, mit der Hand über das üppige Haar des Mädchens gleitend und, sich versöhnlich zeigend, einen Kuß auf ihre Stirn drückend. »Ich war so glücklich, glaubte es wieder zu sein, wenn ich Dich sehe, hoffte mein Herz wieder bei Dir zu erfrischen nach all' den Mißhelligkeiten! Wie soll ich jetzt wieder von Dir gehen! ... Erschrecke nicht! Nur auf einige Tage, zu einem Rendezvous, das mir mein Sachwalt gegeben!«

»Du mußt wieder ... fort?«

Stella blickte, am ganzen Körper zitternd, auf; sie umklammerte seinen Arm.

Er lächelte mitleidig.

»Ich sagte Dir: nur für wenige Tage! Willst Du, daß ich meine Angelegenheiten vernachlässige?«

Stella sann. Sie strich mit beiden Händen das Haar von den Schläfen. Ihre Seelenstimmung schien eine fassungslose.

»Nein, Du sollst es nicht!«

Sie zeigte plötzlich eine Ruhe, die sie nicht besaß. Sie wollte gefaßt und muthig erscheinen.

»Geh'!« sagte sie, seinen Arm lassend. »Ich erwarte Dich!« setzte sie mit sinkender, fast brechender Stimme hinzu, sich abwendend und heimlich nach einer Stütze suchend.

»Darf ich also hoffen, Dich ruhiger zu finden, wenn ich, will's Gott, mit guter Nachricht zurückkehre?« fragte er, ihre zitternde Hand wieder nehmend.

»Du wirst mich ... finden ... vielleicht!« hauchte sie, ohne aufzuschauen.

»Meine Zeit drängt. Lebe wohl, Stella! Ich bringe hoffentlich gute Nachricht!«

Er überraschte sie, schloß sie in seine Arme, drückte einen Kuß auf ihre kalten Lippen und eilte hinaus.

Stella vermochte nicht, ihn anzuschauen, weniger noch, sich zum Fenster zu bewegen und ihm nachzublicken.

Beide Hände vor das Antlitz schlagend, sank sie auf den Sessel.

* * *

Ende des ersten Bandes.


 << zurück