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4.

Am Abend dieses Sonntags trug der mit Vergnügungs-Ausflüglern überfüllte Dampfer die Passagiere in die Stadt zurück. Kopf an Kopf standen sie gedrängt auf dem Deck, erstickend fast durch die Atmosphäre von animalischer Ausdünstung und Theergeruch.

Stella hatte sich mit Josephine bei ihrer älteren Freundin Helmine von Auer verspätet, die sie nicht von sich hatte lassen wollen.

Diese Helmine, einzige Tochter eines verwittweten Majors, der in der Nähe von der Mutter Villa am Ufer des Flusses ein Gütchen besaß, auf dessen welligen Abhängen er Obst und Gemüse baute, war fünf Jahre älter als Stella; sie bemächtigte sich des Mädchens, wo sie dasselbe erwischen konnte und Stella mußte oft nach Auershof kommen, wo sie sich auch heute weit besser amüsirt, als es bei der gegen sie so kalten Mutter hätte geschehen können.

Mit zerdrückter Kleidung, hoch aufathmend, betrat sie den Landeplatz. Auf der Brücke schon war Josephine von ihrer Seite gerissen worden. Sie schaute ängstlich suchend in dem sie umströmenden Gewühl umher.

Ein Herr trat an sie heran, besorgt fragend, wen sie suche und ihr seinen Schutz bietend. Stella schaute erschreckt zu ihm auf; ihr im Gedränge erhitztes Gesicht entfärbte sich. Sie hatte diesen Herrn schon mehrmals gesehen, er war ihr öfter gefolgt. Furchtsam wandte sie sich ohne Antwort ab, und da trat zum Glück Josephine zu ihr und zog sie fort.

»Was wollte der Herr?« fragte sie unwillig auf diesen zurückblickend.

»O nichts!«

Beide schritten eilig zur Stadt, eine der Uferstraßen hinauf. Sie sprachen von Helmine.

Die Gassen waren sonntäglich leer, denn Alles war aufs Land hinaus.

Am Ende der Stadt, wo sich diese in endlose Gemüse- und Kunstgärten verlief, stand das »Prinzenhaus«, ehedem der ländliche Aufenthalt einer hohen Person, später aber, als die Stadt ihre Ausläufer bis an dieses Grundstück gestreckt, zu Dienstwohnungen für den prinzlichen Hofstaat bestimmt. Auf dieses schritten Beide zu.

Es war ein ziemlich großes, im Florentiner Styl errichtetes Gebäude, dessen Sockel-Quadern sich mächtig aus dem Boden erhoben. Sie trugen in der nach dem Felde schauenden Front einen massiven Sandstein-Balkon mit einer breiten Freitreppe an jeder Seite der Balustrade.

Der Garten, der es hinter einem mannshohen Eisengitter umschloß, zeigte noch Spuren vernachlässigten Flors, wie auch das Gitter mit seinen zertrümmerten Sandstein-Figuren aus den Pfosten, von denen nur die Füße noch übrig.

Orangen- und Mandelbäume standen regellos in ihren grünen Kästen umher auf dem Kies vor dem Hause; zwei Pinien wölbten ihr dunkles Grün an beiden Flanken des Gebäudes über dem Risalit; eine alte Araucaria excelsa trauerte, der Pflege entbehrend, mit zerrupften Armen in einem grünen Kübel, an der Fontäne mit ihrem großen Marmor-Bassin vor dem Balkon waren Zu- und Ablauf verstopft, das Bassin war leer und mit grünem Lauch bewachsen. Die Tritonen inmitten desselben saßen jämmerlich im Trocknen.

Es waren viel hübsche Anlagen noch im Garten, Taxushecken, die einst nach spanischer Weise streng unter der Scheere gehalten, jetzt aber nach Belieben emporwucherten; einige Grotten, eine Pergola, deren Eichenholz-Gelände sich schwarz gefärbt und namentlich eine schattige Weißdorn-Allee, die sich durch den ganzen Garten zog.

Die Spargelbeete im Hintergrunde waren von den Knaben der Nachbarschaft, die durch einige verbogene Eisenstangen des Gitters aus- und einschlüpften, zu Festungszwecken benutzt, schon hundertmal vertheidigt und erstürmt worden und glichen nur noch elenden Sandhaufen.

Hofstaatssekretär Lenning und Christel, ein armer Gärtner, hatten in dem Hause ihre Wohnungen; Lenning indeß war oft Wochen und Monate abwesend auf den in Böhmen gelegenen Gütern des Prinzen, seine Gattin bewohnte ihre Villa vor der Stadt am Strom-Ufer, Stella war mit ihrem siebenten Jahre dem Pensionat in der Stadt übergeben und Mademoiselle Josephine, ursprünglich als französische Bonne für das Kind engagirt, hütete mit einer Magd die Wohnung, sah auch in regelmäßigen Zwischenräumen nach dem Kinde in der Pension.

Lenning's Ehe war, von außen gesehen, während der ersten sechs, sieben Jahre als eine ziemlich zufriedene erschienen. Sein Gehalt war ein ganz respectables geworden; er hatte keine Sorge für die Wohnung und seine Gattin war im Stande, ohne ihn ihrem Luxus-Bedürfniß zu genügen.

Die Welt wurde anfangs ihrer Ehe in dem Glauben erhalten, daß es Eliza's Mutter gelungen, in Amerika aus dem Schiffbruch ihres Gatten noch ein ziemlich beträchtliches Kapital zu retten, mit welchem sie der Tochter zu Hülfe kam.

Lenning glaubte auch so. Er änderte seine Lebensweise, als Eliza's Mutter abgereist. Er begann wieder ein Haus zu machen; er sah nicht nur die amerikanische Kolonie, auch die bessere Gesellschaft der Stadt bei sich.

Mochte, wenn Beide allein waren, dasselbe kalte, geschraubte Verhältniß zwischen ihnen herrschen, er ward, durch die Anfeindungen der Schwiegermutter nicht mehr gestört, in Andrer Gegenwart der aufmerksamste Gatte, scheinbar der größte Courmacher seiner Gemahlin, dem es daran gelegen, die Huldigungen, die Andre der schönen Frau brachten, zu übertreffen, und sie nahm das gleichgültig hin. Er gewöhnte seinem Wesen eine hofmännische Glätte an, die ihm gut stand und mit der er sowohl in der Gesellschaft, wie in seiner amtlichen Thätigkeit sich Geltung verschaffte.

Und Lenning hatte dabei einen Vorzug vor andren Ehemännern. Er schien zufrieden, stolz sogar, wenn er seine Gattin von Kavalieren umgeben sah, war eifrig bemüht, weder ihr noch ihnen lästig zu werden und wußte genau, wann es der gute Ton verlangte, seine Gattin sich und der Gesellschaft zu überlassen und sich in den Spielsälen zum Ecarté zu setzen.

Freilich lichtete sich im Laufe der Zeit doch der große Kreis, auf dessen Einladungs-Liste der Name Lenning stand. Man fand plötzlich einen Soupçon für die schnelle Beförderung Lenning's zum Hofstaatssecretär und ihren Aufwand in der Toilette, namentlich aber als seine Gattin mit ihrem Vermögen die schöne Villa gekauft. Manche trugen schon Bedenken, den Einladungen dahin zu folgen, weil von boshaften Augen eine Beziehung des Prinzen Leopold zu den Kaufverhandlungen in Betreff der Villa entdeckt worden war.

Man wußte, wie sehr der Prinz die schöne Frau bei jeder Gelegenheit auszeichnete; dazu kam, daß eine Dame der amerikanischen Gesellschaft erzählte, die Mutter der schönen Frau Lenning lebe in Chicago bei ihrer Schwester in den dürftigsten Verhältnissen, und endlich sollte man eines Abends die junge Frau ohmnächtig in ein Haus der Stadt getragen haben, während vor demselben ein ganzer Knäuel von Neugierigen sich um das Coupé des Prinzen Leopold gesammelt, das halb zerschmettert vor einem Sandstein-Portal lag.

Wie kam die Frau des Hofstaatssekretärs Abends in die Equipage des Prinzen? Die Sache gab viel zu denken und noch mehr zu reden. Sie ward die Veranlassung zu einer allmälichen Vereinsamung der jungen Frau.

Als so die Zeit gekommen, das Kind einer Pension übergeben zu können, zog sie es vor, in ihrer Villa zu leben, wo sie einige intime Bekannte bei sich sah, und Monde lang begegneten die beiden Gatten einander nicht.

Es waren seitdem noch einmal sieben Jahre vergangen, während welcher die beiden Gatten vollständig getrennt lebten und Stella in dem Pensionats heranwuchs ...

* * *

So standen die Sachen, als diese mit Josephine heimkehrte und durch die schlecht beleuchteten Straßen bis zum Ende der Stadt schritt. Beide sprachen wenig. Josephine hing ihren Gedanken über die nervöse Stimmung nach, in der sie die gnädige Frau heute Morgen gefunden. Stella dachte an ihre ältere Freundin Helmine und noch Eine.

Hanna nämlich war auch draußen in Auershof gewesen, Helminens kleine Cousine mit dem aschgrauen Haar, die noch zwei Jahre jünger als Stella. Sie vertrugen sich nie recht, aber heute hatten sie sich verstanden beim Croquetspiel und wie sie die großen Ananas-Erdbeeren im Garten pflückten.

Hanna sollte eine Woche draußen bleiben. Helmine hatte Stella auch eingeladen; sie wollte die Mutter um Erlaubniß bitten und ihr dann Bescheid sagen lassen. Es konnte dann recht heiter werden in Auershof, wenn nur Hanna nicht wieder ihre unverträglichen Launen bekam ...

Vor ihnen lag jetzt das weite Feld. Links erhob sich die große Maschinenbau-Anstalt, nur wenige hundert Schritte seitwärts entfernt von dem Gitter des Prinzenhauses, zu dessen Verödung gerade die Errichtung dieses Etablissements mit seinem Lärm und seinen schwarzen Qualmwolken beigetragen hatte.

Drüben auf der andren Seite des Hauses standen die Ausläufer mehrer Straßen, vereinzelte, sich zwischen noch leeren Bauplätzen erhebende Gebäude, die schon seit Jahren auf Anschluß warteten.

In dem Eisenwerk war heute am Sonntag Alles still; die rußigen Schlote erhoben sich so gespenstisch in die Abendluft, die schwarzen Fenster schauten so düster, das hohe Eisengitter rings herum machte einen gefängnißartigen Eindruck.

Drüben auf der andren Seite des Prinzenhauses, auch nur einige hundert Schritte entfernt, war Licht hinter den Fenstern des letzten Hauses; das gehörte Süß Oppenheim, dem Pfandleiher und hinter dem Licht im oberen Stock saß am Tisch gewiß Eliseba, seine Tochter, die gute, stille Seba mit den melancholischen großen Augen, die den ganzen Tag allerlei nähen und putzen und Abends noch in die großen Bücher schreiben mußte.

Stella hatte ganze Wochen der Freiheit vor sich bis zum Schluß der Ferien. Die Mutter hatte ihr heute gar keine Antwort gegeben, als sie gefragt, ob sie denn die ganze Zeit mit der schweigsamen Josephine allein sein solle, da der Vater doch immer erst Abends heimkehre. Die Mutter war heute aber so zerstreut gewesen; sie müsse zur Stadt, hatte sie gesagt, und da war sie ihr allerdings sehr unbequem gekommen.

Das Schloß des großen Gitterthors öffnete sich unter Josephinens Hand. Der Hofhund schlug laut an, er lag noch an der Kette und zerrte klirrend an derselben, winselte aber freudig, als er die Eintretende erkannte.

Durch das hintere Thor betraten sie die matt von einem Lämpchen beleuchtete Treppe. Christel, der Gärtner, der immer betrunken, trat schwankend aus seiner Souterrain-Wohnung und zog grüßend das Käppchen. Er erwarte Juliane mit der Mutter, die heute auch ausgeflogen seien, sagte er.

Die großen, ursprünglich zum Empfang der höchsten Persönlichkeiten bestimmten Gesellschaftsräume mit den schweren dunklen Tapeten und Vorhängen, dem massiven Stückwerk und den olympischen Gestalten an den Decken, die ihre Brüste und Beine so nackt aus den spärlichen Gewändern streckten, die unförmlichen antiken Möbeln, das schwere eichene Holzgetäfel, die ebenso schweren Gobelins, die gedunkelten Oelgemälde drückten auf das Gemüth des Mädchens, als Josephine sie durch die Flucht der Zimmer in den kleinen Ecksalon führte, den Stella während der Ferien bewohnen sollte, neben dem auch Josephinens Zimmer sich befand.

Da hingen ebenfalls alte Gobelins an den Wänden des sechseckigen, mit Fenstern nach drei Richtungen versehenen Gemachs, aber sie waren nicht so grämlich wie die in den großen Räumen; luftige hochgeschürzte Frauengestalten à la Watteau, am See-Ufer sitzend und angelnd, waren in diese Tapeten eingewirkt; das Ganze stellte einen Fischfang dar. Zu Füßen der angelnden Dämchen lagen oder saßen lüsterne Kavaliere; die Fische spielten lustig im Wasser, aber keiner von ihnen fing sie.

Man hatte vom Institut bereits Stella's Garderobe für die Ferien geschickt. Stella räumte sie aus beim Schein einer Kerze und warf Alles durcheinander hin. Josephine tadelte sie, Stella rümpfte ihr Näschen.

Sie lehnte sich in das offene Fenster. Drüben sah sie ganz deutlich die fleißige Seba hinter einer Lampe sitzen und einen glänzenden Gegenstand putzen. Freilich sie hatte ja heute keinen Sonntag!

Es war noch zu früh zum Schlafengehen. Wenn Juliane, des Gärtners Tochter, wenigstens bald heimkehrte! Man hätte noch so viel plaudern können.

Drüben auf der andren Seite aus dem schwarzen Häuser- und Schuppen-Chaos der Holstein'schen Eisen-Fabrik ragte das schöne Wohnhaus mit seinen blanken Oelstein-Wänden, umgeben von einem Blumengarten, hervor. In der Frontspitze hatte der einzige Sohn des Hauses, Carl Holstein, seine Zimmer; aber auch seine Fenster waren dunkel. Natürlich, wer wäre an einem solchen Sonntag zu Hause geblieben.

Carl Holstein war ein guter Junge, achtzehn Jahre alt; er besuchte das Gymnasium und sollte danach in die Fabrik eintreten. Wie oft hatte sie ihm, wenn sie aus dem Institut kam, geholfen, die Festungswerke da hinten im Garten, die Spargelbeete gegen die Knaben der Arbeiter zu vertheidigen! Sie und Juliane – Seba war zu dergleichen nicht zu gebrauchen gewesen – hatten immer tapfer zu Carls Kameraden vom Gymnasium gestanden, wenn es eine Schlacht galt gegen die Buben der Arbeiter, wenn diese in einer ganzen Schaar heranzogen, um den Kindern der »Vornehmen« die Schlacht anzubieten.

Einmal hatten sie sogar nach einem alten unten im Speisesaal hängenden großen Kupferstich auf und zwischen den Spargelbeeten den Raub der Sabinerinnen aufgeführt. Carl, so war es verabredet gewesen, hatte sie rauben müssen, Juliane wurde von einem seiner Schulfreunde geraubt. Seba hatte wie immer keine Courage gehabt und war davongelaufen, als auch sie geraubt werden sollte.

Carl mußte übrigens jetzt auch Ferien haben, und da ließ sich allerdings was anstellen. Morgen früh konnten sie sich gegenseitig Zeichen geben aus den Fenstern.

* * *


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