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12.

In dieser Lage ward ihr eines Morgens eine Ueberraschung, die sie sprachlos machte.

Mrs. Blount, ihre Mutter, fuhr plötzlich vor die Villa.

Vor Schreck erbleichend sprang Eliza, die sie aussteigen sah, vom Fenster auf und floh in das äußerste Zimmer.

Die Mutter! Was wollte sie! Was führte sie über's Meer zurück! Anna hatte, während ihre Herrin auf Reisen, mehre Briefe von Amerika in Empfang genommen, aber sie lagen noch ungeöffnet da. Woher hätte Eliza auch die Stimmung nehmen sollen, die Klagelieder der Mutter anzuhören! ...

Und jetzt kam sie selbst, wo ihr hier die Sohlen schon brannten! Eine neue Last, ein Hinderniß für ihre Pläne, wenn diese Frau sich an sie klammerte!

Aber die Flucht war nutzlos. Sie hörte mit steigender Angst die Stimme der Mutter, die ihren Namen durch alle Zimmer rief und immer näher kam. Sie mußte es dulden, daß Mrs. Blount, von der Freudenthränen weinenden Anna gefolgt, die Thür aufstieß und sich in ihre Arme stürzte.

Eisig kalt begegnete ihr der Blick der Tochter, als sie die schöne Frau mit stolzer Freude betrachtete.

»Du hast mich nicht erwartet, Eliza!« rief sie unerschrocken. »Aber ich schrieb Dir ja in meinem letzten Briefe, daß ich zum Frühjahr kommen werde! Deine Tante drüben hat sich wieder verheirathet und ich konnte mich mit dem neuen Schwager nicht benehmen; ich wollte nur das Ende dieses abscheulichen Krieges abwarten ... Aber da bin ich jetzt, und Du bist gesund und schöner als je! Laß Dich umarmen, theures Kind! Jetzt soll mich nichts mehr von Dir trennen!«

Eliza, als sie das hörte, sank, die Arme der Mutter fliehend, auf einen Sessel und biß die Zähne in das Taschentuch. Das hatte ihr noch gefehlt!

Mrs. Blount war älter geworden, ihre Züge waren scharf, ihre Gesichtshaut war zusammengeschrumpft und glich dem Netz einer Melonenschale; sie war erschreckend mager, wie sie sich da aus ihrem Reise-Shawl wickelte, aber sie schien nichts an ihrer Energie eingebüßt zu haben.

»Wir sprechen uns nachher aus! Wir haben uns ja so viel zu erzählen! Wie schön es hier ist! Ein reizendes Besitzthum! Ich werde mich hier wohl fühlen! Ich will nur etwas Toilette machen! Anna wird mich schon zurechtweisen.«

Damit zog sie die Magd fort. Eliza schaute ihr mit kalter Verzweiflung nach, unfähig ein Glied zu bewegen.

Und doch versöhnte sie sich alsbald wenigstens einigermaßen mit dem Unabänderlichen. Sie hatte ja in der Mutter eine Seele, an der sie ihre Verstimmung auslassen konnte.

Sie war klug genug, die Mutter noch an demselben Abend in ihre ganze Situation einzuweihen. Nur von Donato sprach sie nicht.

Die Mutter gab ihr Recht in Allem; sie schwieg erst, als Eliza von ihrer Geldbedrängniß sprach. In allem Anderen hätte sie zu helfen sich anheischig gemacht, nur hierin nicht.

Beide vertrugen sich anfangs. Mrs. Blount hatte das größte Vertrauen in die Zukunft ihrer Tochter. Eliza war ein zu schönes Weib, als daß es ihr hätte fehlen können. Sie wollte Alles thun, um für diese Zukunft mitzuwirken.

Aber Eliza ward nervöser, unverträglicher mit jedem Tage.

Ballmann blieb aus, dieser Undankbare, dem sie mehr gewährt als den Anderen trotz ihrer Geschenke.

Die Mutter wurde ausgesandt, um diese Werthsachen zu verkaufen. Denn Donato hatte geschrieben, er sei um ihretwillen mit seiner Familie in Konflikt gerathen; man enthalte ihm seine Revenüen vor. Und Eliza sandte ihm heimlich Alles, was sie aufbringen konnte.

Sie hatte auch, um ihre Verstimmung zu bändigen, unnöthige Ausgaben für sich gemacht; sie kühlte ihren Groll im Champagner; ein Fiaker stand von Morgens bis Abends vor der Thür, um sie aufzunehmen, wenn sie hinaus in's Freie mußte. Handwerker und Gärtner hatten ihre Rechnungen für die Erhaltung der Villa während ihrer Reise eingereicht und drängten um Zahlung, da sie so lange gewartet.

Einige Tage hindurch litt sie unter der Folter eines neuen Gedankens, vor dessen Ausführung sich ihr Stolz sträubte. Mrs. Blount rieth vergeblich, was es sein könne.

Endlich, als sie Eliza am Schreibtisch hatte sitzen und selbst ausfahren gesehen, um den Brief zu besorgen, erschien die Tochter ihr gefaßter. Eliza saß den ersten Tag Stunden lang grübelnd, aber sie gab wenigstens Antwort, wenn sie gefragt wurde.

Mrs. Blount wagte jetzt die Frage: »Hast Du denn keine Freunde, die Dir helfen könnten?« Sie betonte das Wort so eigenthümlich.

Eliza verstand sie.

»Nein« antwortete sie scharf. Ihr widerspruchsvolles, unberechenbares Benehmen hatte nämlich ihre Freunde bereits ganz verscheucht und dieser elende Advokat ließ sie auf's schnödeste im Stich ...

Mehrere Tage vergingen. Eliza's Stimmung ward schlimmer als vordem. Die Mutter sah mit heimlichem Erstaunen, daß sie jeden Morgen die ausgesuchteste Toilette machte. Sie erwartete also Jemanden, dessen Ausbleiben ihr ohnehin so heißes Blut zum Kochen brachte.

Mrs. Blount wagte nicht mehr, der Tochter auf drei Schritte nahe zu kommen, geschweige denn zu fragen, aber das Herz that ihr weh, wenn sie sah, wie sie jeden Abend so schwer verletzt und ingrimmig die schöne Toilette wieder von sich warf.

Sie lauschte und lauerte. Endlich am vierten Tage, als Eliza, die Mühe nutzloser Toilette verschmähend, in ihrem weißen Morgengewand hatte bleiben wollen, sah Mrs. Blount aus ihrem Hinterhalt ein Coupé vor das Haus fahren.

Ein ältlicher Herr, groß, aber gebeugt, stieg heraus. » Heven!« rief Mrs. Blount, die Hände faltend. »Es ist der Prinz!«

Sie hatte den Herrn wieder erkannt, der Eliza als Mädchen stets so ausgezeichnet und dieselbe als junge Frau vor ihrer Abreise nach Amerika mehrmals besucht.

Mrs. Blount sah einen Trost in diesem Besuch. O, Eliza hatte doch noch Freunde! Es war ja undenkbar, daß eine schöne Frau wie sie deren nicht haben sollte.

Der Prinz wurde empfangen. Mrs. Blount schlich in die Küche, um mit Anna von dieser Ehre zu sprechen.

Zu ihrem Erschrecken sah sie aber den Prinzen schon nach kaum einer Viertelstunde sich wieder entfernen und in sein Coupé steigen.

Athemlos stand sie, als er hinaus, auf dem Vorplatz. Sie horchte. Alles war still drinnen in der Wohnung. Sie erwartete, daß Eliza sie rufen werde, aber sie wartete vergebens.

Endlich entschloß sie sich. Furchtsam betrat sie das Entrée, dann den Empfangssaal ...

Da lag Eliza, bleich wie ein Gespenst, hingestreckt auf dem Teppich, das Antlitz auf den ausgestreckten weißen Arm gelehnt, die Augen geschlossen unter dem über ihre Stirn gefallenen Haar.

Mit einem Schrei stürzte sich Mrs. Blount über ihr Kind. Anna kam mit einem Schreckensruf. Beide hoben die Ohnmächtige vom Boden.

* * *

Eliza hatte sich in der Verzweiflung ihres Alleinseins, in der größten Bedrängniß ihrer Lage zu dem demüthigenden Schritt entschlossen, an den Prinzen zu schreiben.

Der hohe Herr, den man wegen seiner Herzensgüte gerade so wie wegen seiner geistigen Beschränktheit kannte, war gekommen; er hatte ihr wirklich ein gutes Andenken bewahrt.

Aber Eliza's Gemüth war bereits verbittert gegen ihn, der sie drei volle Tage vergeblich hatte warten lassen. Sie zürnte über sich selbst, weil sie gerade heute, ihn nicht mehr erwartend, eine Toilette versäumt, die ihn rettungslos wieder zu ihren Füßen hatte bannen sollen. Kein Geringerer als diese hohe Persönlichkeit sollte sie zu einer Untreue gegen Donato verleiten.

Die Wirkung dieses Doppelgefühls überwältigte ihre Klugheit. Sie vergaß, was sie sich einstudirt; sie hatte es schon vergessen, als sie nicht mehr nothwendig fand, für ihn Toilette zu machen.

Sie empfing den Prinzen verstimmt, mit zerschmetterndem Vorwurf im Auge. Auch den Zweck ihres Schreibens vergessend, war sie voll kalten Hochmuths, erwartend, daß er, um Verzeihung bittend, auf die Knie sinken werde.

Der Prinz war in diesem einen Jahre durch Krankheit sehr gealtert; ihrem weiblichen Gefühl widerstrebte es, dieser Ruine wie früher zu schmeicheln; aber auch in ihm war der Nerv abgestumpft, der den Mann für ein schönes Weib zu jeglicher Thorheit zu treiben vermag.

Er war auf ihren Ruf gekommen, um noch ein Freund zu sein, wo er geliebt hatte. Ehedem war er der glühende Verehrer gewesen, jetzt kam er auch hier nur als Prinz Leopold, der sich bewußt sein mußte, daß nicht alte Neigung, nur Interesse und Berechnung sie an ihn erinnert.

Getäuscht in seiner Erwartung, verletzt in seiner Hoheit durch taktlose Selbstüberschätzung nicht mehr begehrter Reize, lehnte er schweigend ab, was ihre Miene, ihre Haltung so souverän begehrten, und wandte ihr mit einer kalten Verbeugung den Rücken.

Eliza sah ihn gehen. Ihr Blut stockte im Herzen, ihre Augen trübten sich. Regungslos schaute sie ihm nach. Sie besaß nicht die Fähigkeit, ihn zurück zu rufen; ihr Mund brachte keinen Laut hervor.

Erst als er hinaus, ward sie inne, was sie verscherzt. Aber auch jetzt noch stand sie regungslos. Ein kalter Schauder umklammerte ihr Herz. Eine Schmach war ihr widerfahren, wie sie kein Weib erlitten, und was sie gewollt, was sie bezweckt durch einen Schritt, der ihr fast Verachtung für sich selbst eingeflößt ...

Ein Grauen schloß ihre Augen. Ihr Arm hob sich, nach einer Stütze suchend; sie schwankte; ihre Knieen brachen. Lautlos sank sie zusammen ...

So fand sie Mrs. Blount. Sie und Anna schleppten die Bewußtlose auf das Sopha. Mit vor Angst fliegenden Händen bettete die Mutter ihr Haupt auf das Kissen. Sie riß ihr das Corset auf und jetzt erst fand sie Worte.

Mit verstörtem Antlitz zeigte sie auf die wunderbar schöne Büste.

»Sieh, Anna, wie schön sie ist! Und dieser Unmensch!« rief sie mit Thränen in den Augen.

Sie küßte ihr die Brust, den Hals, die Lippen, um sie mit den zärtlichsten Worten zum Leben zurück zu rufen.

Und Eliza erwachte. Ihre momentane Bewußtlosigkeit hatte das Band der Erinnerung nicht zerschnitten. Ihre Nerven waren in Aufruhr. Sie richtete sich empor, die Mutter zurückstoßend, und starrte mit einem Blick voll Haß, mit laut auf einander schlagenden Zähnen in's Zimmer, zur Thür, durch die er gegangen.

Und, wie sie da lag, ihre Hände vor die Stirn pressend, dann das Haar zerraufend, daß es furienhaft um ihre Schläfe, auf den entblößten Nacken herab fiel, einen gellenden Schrei der Wuth aus dem empörten, in unversöhnlichem Haß kochenden Herzen heraus stoßend, rief sie:

»Könnt' ich ihn ermorden, erwürgen mit diesen Händen, es wäre Wollust für die Wollust, die er an dieser Brust genossen!«

Sie krallte ihre Nägel in das Fleisch, ihre Zähne knirschten, weißer Gischt trat auf ihre fahlen Lippen, und von convulsivischen Zuckungen geschüttelt, sank sie mit starren gläsernen Augen in der zitternden Mutter Arm zurück.

* * *


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