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9.

Es kam eine schlimme, hochbewegte Zeit sowohl für die, welche hinauszogen, als für die, so da zurückblieben. Alles athmete schwer und Niemand schien es werth, für die Gegenwart, viel weniger für eine Zukunft zu sorgen, die jede Aussaat zertreten konnte.

Frau Eliza, ihrem Bevollmächtigten die Führung ihres Prozesses überlassend und in ihrem amerikanischen Herzen sehr gleichgültig, zu wessen Gunsten die eisernen Würfel fallen würden, hielt es für gut, dem Krieg aus dem Wege und nach Italien zu reisen.

Sie ließ vorher Josephine mit Stella kommen und befahl, daß letztere während ihrer Abwesenheit das Institut nicht verlassen solle. Bei ihrer Rückkehr werde sie weitere Dispositionen treffen.

Sie trennte sich von dem Kinde mit einem kalten Kuß auf die Stirn des unschuldigen Mädchens, dessen Geburt sie verwünscht, dessen Dasein ihr eine stete Mahnung an den verhaßten Urheber seines Lebens war.

Josephine aber hing mit ihrem Herzen an ihrem Vaterlande Frankreich. Sie glaubte sich im Kriege mit Deutschland und das zerriß auch das Band langer Gewohnheit, durch das sie sich selbst an diese Familie gefesselt fühlte – faute de mieux – wie sie sich selber gestand, denn sie sprach das Französisch der Elsässer – und war bisher froh überhaupt ein Unterkommen zu haben.

Als sie Lenning ihr Bedauern ausdrückte, heim zu müssen, gab dieser ihr ein gleichgültiges: »Meinetwegen!« zurück und hörte sie nicht weiter, denn auch er mußte fort und hatte nicht den Kopf, auf derlei Lappalien zu achten.

Josephine also trennte sich von Stella ebenso kalt, denn diese war jetzt das Kind ihres Feindes. Und endlich reiste auch Lenning selbst, ohne von Stella anders als mit einigen Zeilen Abschied zu nehmen, die er ihr nach Auershof sandte.

Als Stella, von Helmine begleitet, in der verödeten Wohnung eintraf, um auf des Vaters Geheiß von dort mitzunehmen, was ihr gehörte, weil er die Wohnung in der Eile seiner Abreise räume, trat ein Soldat ihr unten im Flur entgegen – Carl Holstein, der zur Vertheidigung des Vaterlandes mit anderen gleich ihm körperlich ausgebildeten Kameraden in ein Regiment eingetreten und ihr ein heißes Adieu sagen wollte.

So gingen sie Alle, Alle, und Stella blieb allein. Carl aber that ihr einen Moment wirklich leid.

»Wenn Du todtgeschossen würdest!« rief sie gerührt. Dann drückte sie ihm die Hand, sagte ihm ein flüchtiges Lebewohl und eilte die Treppe hinauf, ihrer Begleiterin nach.

Carl hatte einen anderen Abschied erwartet. Ihm ward's feucht in den Augen. Er meinte, es sei ihm hiernach gleichgültig, was ihm im Kriege passire.

Er hatte gehofft, sie werde stolz darauf sein, ihn als Krieger zu sehen, aber sie war schon in Auershof, wo er sie aufgesucht, recht kalt gegen ihn gewesen; sie hatte dort andere Gesellschaft gehabt. Jetzt sollte ihm jede Kugel willkommen sein.

Das Prinzen-Haus beherbergte also nur noch den alten Gärtner Christel und seine Familie. Aber es war schon seit den letzten acht Tagen recht still in demselben.

Frettchen sang nicht mehr; sie saß am Bette des Vaters, der wohl sterben mußte. Juliane kam erst spät Abends und auch sehr zerstreut. Der Krieg hatte eben Alles aus den Fugen gebracht. Sie sprach nur vom Krieg.

Der alte Christel starb wirklich nach wenigen Tagen am Delirium. Frettchen saß weinend auf der untersten Stufe der großen Treppe, wo sie sonst gesungen und gestrickt.

Am frühen Morgen begleiteten die Kinder mit der Mutter den todten Mann hinaus. Frau Holstein hatte, die bittere Noth der Familie kennend, die Kosten der Beerdigung übernommen und ließ ihren Wagen folgen.

Acht Tage darauf verließen auch die Hinterbliebenen des Gärtners das Haus. Der Prinz hatte ihnen eine kleine Gnadensumme gegeben, mit der sich die Wittwe eine Gemüsebude auf dem Markt bestreiten konnte.

Das Haus ward in ein Kriegshospital umgewandelt und Dutzende von Arbeitern lärmten in demselben.

Das arme Frettchen saß schon in den nächsten Tagen unter einem grauen Leinendach auf einem Marktstand, den die Mutter gepachtet, zwischen Gemüse und Obst-Fässern. Sie strickte und weinte; sie sang nicht mehr. Juliane kam Mittags von der Arbeit vorüber und aß von den Früchten, die Frettchen verkaufen sollte. Das Mädchen that, als müsse es selbst mit in den Krieg, so aufgeregt war sie.

»Sonderbar,« dachte Frettchen oft, wenn sie so auf dem Markt sitzend Alles beobachtete, »die Männer sind still und ernst, die Weiber aber sind ganz toll!«

Der Werkführer Weymar, der Marion einen Antrag gemacht, als diese im Holsteinschen Hause gewesen, und dadurch Schuld ward, daß sie es verließ, der kam auch in Uniform vorüber, wie Frettchen in ihrer Trauerkleidung vor der Leinenbude saß. Er drückte ihr die Hand voll Theilnahme an dem Todesfall und sagte, er sei zur Reserve eingezogen und müsse mit.

»Es ist doch gut, daß Marion ihn nicht genommen hat«, dachte Frettchen, eine Thräne im Auge, als sie dem kräftigen Soldaten nachschaute. »Sie wäre vielleicht bald Witwe geworden!« ...

* * *

Die Zeit verstrich. Anfangs war es so still; es passirte nichts daheim. Alles nur draußen. Es starben Menschen, wurden Menschen geboren, Niemand kümmerte sich darum.

Stella erhielt in ihrem Institut eines Tages die Nachricht von Helmine, sie eile an den Rhein, wo ihr Bruder, ein Offizier, schwer verwundet in einem der ersten Gefechte, in einem Hospital liege. So blieb ihr außerhalb des Instituts keine Beziehung mehr, als die zu ihrer Freundin Constanze Neuhaus, der einige Jahre älteren Tochter eines Stadtraths.

Und nothwendig war eine solche Beziehung, als jetzt die Siegesnachrichten so viel Jubel-Scenen in der Stadt verursachten, die man mit ansehen mußte. Es kamen selbst bis hierher Transporte von Verwundeten; die Bahnhöfe wurden von Neugierigen belagert. Es sollte ein Jammer sein um alle die schönen jungen Leute, die da angebracht wurden. Es kamen endlich Gefangene in so sonderbaren Uniformen; man mußte sie sehen, denn alle Leute sprachen davon.

Constanze Neuhaus, ein hübsches Mädchen mit rothblondem Haar, braunen Augen, einem kecken Stutznäschen, schönen weißen Zähnen, die sie immer zeigte, und anmuthigem eleganten Wuchs, die war so recht die Freundin, wie Stella sie wünschte.

Sie war unternehmend, findig, putzsüchtig, zu Allem aufgelegt; sie war auch im Institut erzogen, da ihre Mutter früh gestorben, aber hatte die Pension auch vorzeitig wieder verlassen; ihr Vater, viel beschäftigt in städtischen Angelegenheiten, namentlich jetzt, wo die Magistrate alle Hände voll Arbeit hatten, mußte das erwachsene Mädchen viel sich selbst überlassen, sie versah auch die kleine Haushaltung, ging selbst auf den Markt, um für die Tafel einzukaufen, denn die Mittel des Vaters erlaubten keinen großen Aufwand.

Aber sie that das gerne, denn sie selbst erzählte lachend ihrer Freundin, sie komme bei des Vaters Sparsamkeit nur dadurch zu einer einigermaßen anständigen Toilette, daß sie in ihrem Wirtschaftsbuch ihre Einkäufe höher anschreibe.

Von Constanze Neuhaus ward Stella unzertrennlich und die Vorsteherin des Instituts gestattete ihr jede freie Zeit, um diese zu besuchen.

Von Constanze erfuhr sie alsbald, was dieser über ihren Vater erzählt worden: ihre Eltern seien kürzlich durch Richterspruch getrennt. (Als ob sie das nicht schon längst gewesen wären!) Der Vater sei in Frankreich, die Mutter in Italien! ...

Es kam von der letzteren auch einmal ein Brief an die Instituts-Vorsteherin, worin diese derselben anzeigte, sie werde hinfort das Pensionsgeld von dem Vater Stella's erhalten; sie selbst werde erst zum Frühjahr zurückkehren.

Die Vorsteherin wußte vom Hörensagen noch mehr hierüber: Lenning sei vom Richter mit seinem Anspruch auf einen Theil des Vermögens seiner Gattin abgewiesen; aber in Anbetracht gewisser nicht zu bezweifelnder, jedoch aus Rücksicht gegen eine hohe Persönlichkeit nicht zu beweisender Umstände sei das Kind dem Vater zugesprochen worden.

Und der bedurfte ja auch dieses Antheils nicht mehr; er sollte als Compagnon des reichen Moritzsohn große Lieferungsgeschäfte machen, an denen enorm verdient wurde ...

Der Spätsommer, der Herbst verliefen unter stets erneutem Siegesjubel. Der Nachtfrost bestreute die bei jeder frohen Botschaft so überfüllten Promenaden mit vergilbtem Blattwerk, das Hochgefühl der ganzen Nation führte Alles einander näher, brachte Bekanntschaften zuwege, die sonst nie geschlossen sein würden. Stella entwuchs dadurch in ihren Gedanken frühzeitig der Pension. Der Umgang mit der in ihrem Wesen so selbständigen Constanze unterrichtete sie in Dingen, die ihr noch hätten fremd bleiben sollen.

Constanze kannte eine Anzahl junger Männer; sie kannte noch viel mehr von den Bällen aus, die sie schon mitgemacht, aber der Krieg hatte die Besten ja fortgeschleppt. Es war nicht zu vermeiden, daß die Zurückgebliebenen die beiden Mädchen auf der Promenade anredeten, ihnen Neuigkeiten erzählten u. s. w.

Eines Tages begegnete Stella dem kleinen Frettchen. Sie hatte so lange nichts von der Christelschen Familie gehört.

Juliane könne sich mit der Mutter nicht mehr vertragen, klagte Frettchen, und wohne deshalb mit einer Freundin zusammen, Marion aber sei wieder da, sie wirke als barmherzige Schwester in dem Hospital des Prinzenhauses, in welchem viele verwundete Offiziere untergebracht seien. Sie sei schon mehrmals bei ihr gewesen; die Gräfin Mompach und manche andere vornehme Damen machten täglich ihre Besuche im Lazareth, um die Verwundetenpflege zu überwachen. Der Chef-Arzt Dr Krieger schimpfe zwar immer darüber, weil seine Patienten dadurch beunruhigt würden, aber da die Damen so viel Opfer für gerade dies Hospital brächten und auch die Prinzessinnen schon einmal da gewesen, so müsse er es dulden.

»Ich muß doch Marion auch einmal besuchen!« sagte Stella mit einem fragenden Blick auf Constanze, die zustimmend nickte.

»Ich thäte das nicht, meinte Frettchen. »Es sind doch immer Männer, wenn sie auch verwundet sind. Mit Marion ist das etwas Anderes, die hat sich dem Beruf einmal gewidmet. Frau Holstein soll auch viel für das Hospital thun, aber die kommt nie selber.«

»Helmine ist doch gewiß auch täglich in dem Lazareth am Rhein, in dem ihr Bruder liegt!« sagte Stella unterwegs. »Ich möchte gar zu gern einmal so etwas sehen, und wir zupfen doch im Institut auch Charpie von Morgens bis Abends.«

»Wir werden uns einer alten Dame, die ich kenne, anschließen. Sie gehört zum Verein für die Pflege der Verwundeten.«

* * *


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