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7.

Um dieselbe Vormittagsstunde begegnete Carl Holstein am großen Gartenportal des Prinzenhauses Stella, die eben mit niedergeschlagenen Augen aus demselben trat.

»Laß mich, ich will zur Stadt!« wies sie ihn mit verdrossener Miene ab, als er auf sie zutrat. »Ich will in das Institut zurück! Helmine ist krank und kann mich erst anfangs nächster Woche bei sich aufnehmen, hier im Hause aber ist meines Bleibens nicht mehr. Der Executor ist oben und versiegelt Alles, was uns gehört.«

Carl stand wie versteinert.

»Der Executor?« Carl sah, wie sie das Hütchen so trotzig und weltverachtend auf die Stirn gedrückt. Sie trug ein bescheidenes graues Schulkleid, ein Körbchen am Arm. Um ihren Mund spielte ein so feindseliger Zug.

»Was will der Executor?«

»Was kann er wollen? Uns Alles wegnehmen, weil der Vater so viel Schulden haben soll! Josephine sitzt oben und weint sich die Augen aus dem Kopf; ich habe noch keine Thräne vergossen, denn was kann das helfen! Ich weiß jetzt nur Rettung in der Pension. Der Vater kommt nur noch Nachts nach Hause und ist Morgens wieder verschwunden. Als ich gestern Nachmittag hinaus zur Mutter wollte, um Geld für Josephine zu holen, die auch gar nichts mehr für Brod und Fleisch hat, war die auch in der schrecklichsten Laune und hieß mich wieder in die Stadt fahren, bis Helmine mich rufe. Als ich ihr sagte – ich weiß das nur von dem alten Christel – daß der Vater sein Amt verloren, hörte sie kaum darauf. Jetzt hat allerdings, wie der Gärtner sagt, der Prinz dem Vater erlaubt, noch ein halbes Jahr in der Wohnung zu bleiben, aber was nutzt das, wenn der Executor sogar meine Garderobe versiegelt und mir nur dies armselige Kleid auf dem Leibe lassen wollte!«

»Deine Kleider?« Carl war in großer Bestürzung – er nahm die Sache noch ernster als sie. »Wie viel verlangt denn der Executor von Euch?«

»Na, eine Riesensumme! Dreitausend Thaler, die der Vater, ich weiß nicht wem, schuldet.«

Carl athmete auf.

»Weiter nichts?«

Stella schaute ihn groß an. Sie meinte, er treibe Scherz mit ihrem Unglück.

Carl lachte und legte ihr die Hand unter das Kinn.

»Das trifft sich ganz vortrefflich, Stella!« rief er aus. »Ich habe ja gerade so viel bei mir!«

Stella sah, wie er in die Tasche griff und ein Päckchen Banknoten hervorzog.

»Das sind gerade genau gezählt dreitausend Thaler! Da, nimm! Gieb sie dem Executor!«

Stella wagte nicht, die Papiere anzurühren. Sie hielt mit halb erhobenem Arm inne.

»Aber so nimm doch! Meinst Du, ich habe sie gestohlen? Vom Lotterie-Collecteur hab' ich sie eben geholt. Mein Loos hat gewonnen! Komm, wir wollen hinauf und sie dem Mann geben!«

Stella zögerte, Sie legte den Finger an das Kinn.

»Nein, wir Beide, das geht nicht! Der Mann darf nicht wissen, von wem ich das Geld habe. Ich sage, die Mutter habe es eben geschickt. Erwarte mich lieber hier unten. Auch Christels dürfen nichts wissen!«

Sie blickte besorgt zu den Fenstern des Hauses zurück und that das Geld in ihr Körbchen.

»Erwarte mich hier unten ... dort hinter dem Schuppen! Da sollst Du auch Deinen Dank haben. Es braucht Dich niemand hier zu sehen.«

Stella sprang die Sandsteinstufen der Hinterthür hinauf.

Carl ging freudig auf seinen Posten und rieb sich mit hochklopfendem Herzen die Hände.

»Der Mutter sage ich, ich hätte das Geld verloren.«

Stella kehrte nach einem Viertelstündchen zurück und fand ihn.

Sie lachte hell auf.

»Das Gesicht von der Josephine hättest Du sehen sollen, als ich mit dem Gelde kam!« rief sie aus. »Sie hat mich vor Freude fast erdrückt.«

»Stella, ein bischen könntest Du mich auch erdrücken, nur ein ganz bischen! Du sagtest ja, ich solle hier meinen Dank haben! Wie wär's, wenn Du mir dafür einen recht herzlichen Kuß gäbst, aber so recht lang und von Herzen! Ich hatte die Absicht, mir für das Geld einen hübschen Pony-Wagen mit dem kostbaren, goldbeschlagenen Geschirr zu kaufen, das ich neulich in der Stadt gesehen.«

Stella überlegte. Sie lächelte schelmisch vor sich hin.

»Wenn Dir daran so viel gelegen ist!« sagte sie ohne aufzublicken. »Ein guter Mensch bist Du ja!«

Sie schaute ihn an und spitzte die rothen Lippen. Carl schlang, außer sich, beide Arme um sie, preßte sie an sich und küßte sie lange lange, ohne daß sie ihm wehrte.

»So, jetzt ist's genug!« Sie wand sich endlich aus seinen Armen und ordnete das Haar, das er aus seinen Banden gerissen.

»Es ist der erste Kuß, den ich einem Mann gegeben«, sagte sie mit komischer Reue. »Aber Du bist ja noch kein Mann.«

»Na, einmal muß doch jedes Mädchen anfangen! Mir war's, als hätt' ich Dich Stunden lang so umarmen mögen. Nicht wahr, Stella, jetzt hast Du mich doch ein bischen lieber als sonst?«

Stella reichte ihm die Hand. Dann stand sie unruhig überlegend. Sie sah von ihrer verdeckten Stellung aus, wie Josephine mit Hut und Shawl zum Gitter hinaus ging. Schwerfällig folgte ihr der Gerichtsdiener.

»Josephine sagte mir, sie müsse gleich in die Stadt. Es ist nur die alte taube Köchin oben, und die saß auch in der Küche und weinte. Du könntest mit hinauf kommen und mir wieder zurecht legen helfen, was der grobe Mensch in Unordnung gebracht, als er mit seinem Siegellack und dem großen Petschaft kam. Damit Dich aber niemand sieht, will ich vorausgehen und Dir die Thür zur Haupttreppe aufmachen.«

Carl zitterte vor Freude. Sie sprang von ihm, wieder die Stufen hinauf. Er sah wenige Minuten darauf, wie sie das Köpfchen zur Thür der großen Treppe herausstreckte, und eilte ihr nach.

»Aber sehr artig mußt Du sein, Carl!« befahl sie, seinen Arm festhaltend. »Wir sind ganz allein und die Josephine findet immer nicht zurück, wenn sie in der Stadt ist! Ich würde mich auch fürchten, so ganz allein in der großen Wohnung zu sein!« ...

* * *

Carl trat am Nachmittag mit einer Unwahrheit, die ihm das Gesicht färbte, vor seine Mutter.

Sie glaubte seiner Aussage, er habe das Geld auf dem Wege vom Collecteur zur Fabrik verloren als er hinzufügte, er sei ganz heiß vom vergeblichen Suchen.

»Deine ganze Freude auf das Pony-Gefährt ist jetzt verdorben«, sagte sie; »aber was mich mehr als das bekümmert, Carl: ich fürchte sehr, Du wirst nie den Werth des Geldes verstehen lernen und Du sollst doch an die Spitze alles Dessen treten, was Dein rastlos thätiger Vater aufgebaut.«

Carl ging scheinbar verstimmt innerlich, aber trunken von Freude auf sein Zimmer. Er hätte zehn Pony-Wagen hingegeben für das stolze Bewußtsein, Stella einen so großen Dienst geleistet zu haben.

Die Mutter hatte ihm so bereitwillig geglaubt, denn sie hatte den gutmüthigen und ehrlichen Burschen noch nie auf einer Lüge ertappt. Nur Blume, der erste Buchhalter, als er den Auftrag erhielt, der Polizei Anzeige zu machen, zögerte mit derselben.

»Wo kann er nur damit geblieben sein!« überlegte er. »Um sich in seinem Alter schon mit Frauenzimmern einzulassen, dafür ist er zu simpel! Er ist auch bisher immer auf dem geraden Wege geblieben! Aber er ist gutmüthig und will's nicht sagen, was er damit gethan« ...

Erst als er von der unterbrochenen Pfändung des Nachbarn drüben hörte, stieg ihm ein Verdacht auf, und den behielt er für sich.

* * *


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