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2.

Wenige Tage später war Eliza am Mittag allein in ihrer Wohnung. Die Kleine schlief nebenan in ihrer Wiege, die Mutter war mit der Amme in die Stadt gegangen. Anna, die Magd, saß in der Küche zunächst dem Schlafzimmer, um zu horchen, wenn das Kind unruhig werde. Niemand war also im Corridor.

Eliza's Stimmung war eine ihr unerträgliche geworden. Sie hatte gestern zum ersten Male ihren Gatten gefragt, wie hoch sein Gehalt, und was er ihr geantwortet, hatte sie tief gedemüthigt. Die Einnahme hätte kaum für ihre Toilette genügt, und alle die Kosten für das Kind! ...

Die Aussicht in die Zukunft war mehr als trübselig. Sie dachte doch mit Unruhe daran, daß die Mutter reise, obgleich sie vor einigen Tagen gewünscht hatte, daß sie gehe.

Lenning war an diesem Morgen erst nach Hause zurückgekehrt; er hatte ja nicht einmal die Erlaubniß, sein Kind zu herzen; er störte immer, wenn er kam, um es zu küssen, entfernte sich deshalb Morgens, ohne es gesehen zu haben. Und mit diesem Gehalt lebte er so viel draußen in den Wirthshäusern!

Eliza, wie sie da saß, allein, unruhig, unzufrieden, unfähig, sich mit irgend etwas zu beschäftigen, vernahm plötzlich Geräusch im Corridor.

Sie sprang auf. Zitternd am ganzen Körper stand sie da. Niemand war von der Dienerschaft draußen. Sie entschloß sich mit klopfendem Herzen, schritt heftig erregt zur Thür und trat erschreckt zurück, da diese sich bereits öffnete.

Ein Angstlaut entfloh ihren Lippen, ihr Antlitz färbte sich glühend roth; ihre Augen senkten sich halb erzürnt, halb beschämt ...

Derselbe Mann, der sie vor ihrer unseligen Vermählung schon ausgezeichnet, der inzwischen Jahr und Tag auf Reisen gewesen und ihr vor einigen Tagen zu Pferde, von einigen Kavalieren begleitet, begegnet war – Prinz Leopold stand vor ihr, ein Mann von fünfzig Jahren, von gewinnendem, liebenswürdigem Benehmen und einem bescheidenen Lächeln auf dem etwas gewöhnlichen Antlitz, das Eliza's Unmuth entwaffnen mußte.

Prinz Leopold führte sich mit hundert Entschuldigungen ein; er habe keine Dienerschaft gefunden, habe deshalb die nächste Thür geöffnet und nicht glücklicher in der Wahl derselben sein können.

Er schilderte ihr in beredter Weise die Freude, mit der er sie vor einigen Tagen wieder gesehen, bat inständig um die Gunst, ihr auch jetzt seine Verehrung an den Tag legen zu dürfen, obgleich in seiner Abwesenheit ein Andrer das Glück erjagt, das seine heißeste Sehnsucht gewesen, und verstand es, sie, wie sie beide da einander gegenüber, in die heiterste Unterhaltung zu verwickeln, die ihr Erschrecken, ihre Verlegenheit bannte.

Prinz Leopold erzählte von seinen Erlebnissen, und sie lauschte ihm mit Interesse. Er verlangte, daß auch sie ihm erzähle, und sie wechselte die Farbe, ihre Wangen erglühten und erbleichten, ihre Zunge weigerte sich, die Wahrheit zu bekennen, die er schon errathen. Sie suchte ihm die Hand zu entziehen, die er, neben ihr sitzend, scheinbar absichtslos in die seinige genommen, und wagte dennoch nicht, ihm zürnend ins Auge zu schauen. Die Demuth vor dem hohen Herrn, die Auszeichnung, ihn bei sich zu sehen, beherrschten sie.

Sie sprang von seiner Seite auf. Prinz Leopold aber erflehte mit den rührendsten Worten Verzeihung und wagte doch, als er sie beruhigt, gleich darauf wieder Worte, die neuer Verzeihung bedurften. Sie flüchtete sich endlich unter einem Vorwand durch die offene Thür in das Zimmer, in welchem das Kind im Schlummer der holdseligsten Unschuld lag, und der Prinz, an den Zorn nicht glaubend, den, wechselnd mit steigender Verlegenheit und Bangigkeit vor sich selbst ihr Auge ausstrahlte, erneute sein Flehen, ihr nachrufend, um eine Verzeihung, die er so sehr mißbrauchte.

Er folgte ihr durch die hinter ihr offen gebliebene Thür.

Eliza mit großen furchtsamen Augen flüchtete sich zu der Wiege. Sie beugte sich über dieselbe und die Hand gegen den Versucher ausgestreckt, rief sie ihm entgegen:

»Wagen Sie keinen Schritt weiter! Erscheine ich Ihnen wehrlos, dies ist mein Schutzgeist! Er wird mich bewahren vor der Sünde! Gehen Sie, Hoheit, ich beschwöre Sie bei dem Leben dieses meines rettenden Engels!«

So verweilte sie Secunden lang. Ihr Herz that keinen Schlag.

Der Prinz stand lächelnd da. Er wollte der Emphase der jungen Frau Zeit lassen, sich zu besänftigen, und Eliza, endlich zurückschauend mit leichenblassem Antlitz, sehend, wie wenig ihre Aufforderung fruchte, richtete sich mühsam auf. Sie weinte und wandte sich ab, wie ein Opferlamm den tödtlichen Streich erwartet.

Mit Entsetzen empfand sie, wie sich der Arm des Prinzen leise, bittend um ihren Leib schlang. Ihr Körper erzitterte, ihre Kniee wankten. Noch einmal wagte sie es, beschwörend ihm ihr Antlitz zuzuwenden, glutroth, das Auge thränennaß.

Aber sie blickte in ein andres, das nicht geneigt schien, den errungenen Vortheil aufzugeben.

Mit einer gewaltsamen Bewegung den Arm befreiend, rang sie sich los, stürzte zur Schelle und zog heftig an derselben. Siegesbewußt zurückkehrend, schaute sie auf den Prinzen, und so standen Beide einander gegenüber: er unerschrocken, sie, die Hand auf der Brust, mit Zittern horchend aus Anna's Tritte, die sich draußen näherten.

Und diese Tritte riefen ihr die Angst wieder ins Herz.

In dem Blick, mit welchem sie den Prinzen jetzt anschaute, lag nicht mehr dieses Triumphgefühl. Sie zitterte an allen Gliedern; sie bereute, zu schnell gewesen zu sein, den hohen Herrn verletzt zu haben, und dennoch ...

Näher kamen die Tritte; ihr Herz arbeitete, daß es die Brust zu sprengen drohte.

Eine Hand legte sich draußen schon auf das Thürschloß. Die Magd trat herein.

Eliza sah sie nicht. Sie stand da, leichenblaß, verwirrt. Dann plötzlich in jäh aufsteigendem Entschluß färbte sich glutroth ihre Stirn. Sie fühlte, auf ihrem Gesicht brannten die Blicke des Prinzen, der mit bewußtem Lächeln die Entscheidung erwartete, und hinter ihr stand die Magd. Sie wagte nicht, ihr das Antlitz zu zeigen, rang nach Athem, suchte nach einer Eingebung im wildesten Kampfe mit sich selbst.

Endlich raffte sie ihren ganzen Muth zusammen. Sie mußte handeln. Mit Hoheit richtete sie sich auf und maß die Dienerin wie eine Schuldige, die ihren Zorn verdiente.

»Trag' das Kind hinaus!« rief sie grotesk gebietend und auf die Wiege deutend.

Es war gesprochen. Aber die heiße Blutwelle schoß jetzt zum Herzen zurück. Zur Statue entfärbt stand sie da.

Die Magd schaute verblüfft. Die Amme war ja ausgegangen. Was hatte das arme Kind verbrochen!

Und zusammenfahrend vernahm sie nochmals die harte Stimme: »Du hörtest meinen Befehl?«

Eliza's Fuß stampfte dabei den Boden, daß dieser erschütterte; ihre Stirn glühte wieder auf in falscher Entrüstung, vielleicht in Beschämung vor sich selbst und der Magd.

Anna riß verwirrt das so süß schlummernde Kind aus der Wiege, drückte es mitleidsvoll an sich und trug es hinaus.

* * *

Wenige Tage darauf reiste Mistreß Blount nach Amerika zurück. Sie hatte an ihrer Tochter während derselben eine Ruhe, eine Zuversicht und Abgeschlossenheit beobachtet, die sie als Trost mit auf die Reise nahm.

Eliza klammerte sich im letzten Moment mit einer wahren Seelenangst an die Scheidende; sie schluchzte laut und heftig, dann als auch diese in Thränen ausbrach und sich nicht losreißen konnte, bat sie kalt: »geh, Mutter, geh! mach mir das Herz nicht schwer! Sei ohne Sorge um mich!« Und thränenlos, bleich, schaute sie derjenigen nach, von der sie für immer Abschied genommen.

Lenning erlitt bald darauf eine Beförderung in das Cabinet des Prinzen mit Anweisung einer Amtswohnung im sogenannten »Prinzen-Hause«.

* * *


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