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15.

Ein halbes Jahr lang bewohnte Mr. Atkinson schon die Villa mit seiner Familie.

Die vorige Besitzerin derselben war vergessen; nur Eine dachte doch noch an dieselbe, wenn sie, an der Villa vorüber, nach Auershof fuhr – Stella, die sich bei dieser Gelegenheit wohl fragte: was mag aus der Mutter geworden sein, von der seit einem Jahre Niemand gehört hat!

Und dann sah sie wohl zuweilen auch eine alte, abschreckend hagere Frau in schlichtem, vernachlässigtem Kostüm, das graue Haar glatt und fest über die Schläfe hinter das Ohr gekämmt, ein schwarzes Flortuch darüber gebunden, wie sie am Ende des Gartens in dem offenen Fensterchen des kleinen, für Dienerwohnungen bestimmten Häuschens stand und, die Arme über der Brust gekreuzt, auf den Fluß und die an demselben entlang laufende Eisenbahn blickte, als erwarte sie Jemand.

Das war Mrs. Blount, die bis zum Herbst mit Anna die Villa verwaltet und auf die Rückkehr der Tochter gewartet hatte, von der nicht einmal ein Brief gekommen, bis Mr. Atkinson mit seiner Familie eines Tages eintraf – Mr. Atkinson, der sich sehr getäuscht gefühlt, als er nach Abschluß des Kaufes vergeblich mehrmals die schöne Frau gesucht, um bei ihr ein Stündchen zu verplaudern.

Mr. Atkinson, als er mit Sack und Pack eingetroffen, hatte erstaunend gehört, daß sie noch immer verreist, während er inzwischen Zeit gehabt, nach Amerika und zurück zu reisen.

Aus Rücksicht für die schöne Frau und in der Hoffnung auf nähere Bekanntschaft nach ihrer Rückkehr überließ er Mrs. Blount das kleine Gartenhäuschen, bis ihre Tochter komme, und behielt Anna in seinem Dienst.

Aber wer nicht kam, war Eliza.

Mrs. Blount hatte alle rückständigen Rechnungen prompt von dem ihr angewiesenen Gelde bezahlt, um vor den Drängenden Ruhe zu haben; sie zahlte von dem Gelde so lange, bis sie nichts mehr hatte. Danach mußte Anna mit ihrem Ersparten aushelfen, aber auch das erschöpfte sich und Eliza kam nicht, es kam nicht einmal ein Brief von ihr.

So war das Jahr vergangen. Mrs. Blount lebte geduldet in dem Häuschen von Dem, was sie von in der Stadt wohnenden amerikanischen Familien geschenkt erhielt, und das war zu viel zum Verhungern, zu wenig zum Leben.

Sie schaute täglich aus, ob noch immer kein Fiaker mit ihrer Tochter vorfahre. Statt dessen fuhr die Tochter ihrer Tochter wohl jede Woche einmal vorüber und sie schauten sich Beide an, Stella und Mrs. Blount, aber sie kannten sich nicht. Mrs. Blount hatte keine Ahnung, daß sie das hübsche junge Mädchen, das immer so neugierig hinauf guckte, als kleines Kind auf den Armen getragen, denn sie hatte Eliza nie fragen dürfen, was aus demselben geworden.

Das waren aber auch die einzigen Momente, in denen Stella einer Mutter gedachte, die sich selbst aus ihrer Erinnerung gestrichen.

Sie war noch im Institut. Niemand fragte, ob sie demselben etwa entwachse. In Kenntnissen lag dies Ziel freilich noch fern. Constanze versah sie mit Büchern aus der Leihbibliothek. Körperlich freilich war sie in überraschender Weise entwickelt; aber es waren Zöglinge im Institut, die größer noch als sie und denen geistig noch viel mehr fehlte, die aber um so erfahrener in dem waren, was sie nicht wissen sollten.

Gerade die Anwesenheit von Mädchen eines Alters, einer körperlich vollendeten Entwickelung, die dem Institute längst hätten entzogen sein sollen, war auch hier der Verderb der jüngern; ihre Unterhaltung vergiftete die unschuldigen Gemüther derselben. Das Ohr der Kinder lauschte immer mit der Wißbegier der Eva und die Wachsamkeit der Lehrerinnen – wenn diese überhaupt auf ihren Posten waren, – reichte nicht aus, vor dem Gift zu bewahren. Die Kleinen wurden sogar gemißbraucht, um den Größeren Liebesbriefe in das Institut zu schmuggeln und andere geheime Dienste zu leisten.

Es soll hier prinzipiell nichts gegen diese Institute gesagt sein; die Resultate der Erziehung in denselben aber bieten vielfach traurige Thatsachen. Die Kinder sind immerhin der Gewissenhaftigkeit fremder Leute überwiesen, ohne die Oberaufsicht derer, die mit der Seele an ihnen hangen.

Stella fühlte das Bedürfniß nach einem Wechsel ihres Aufenthalts, und doch fand sie sich so heimisch.

Morgen am Sonntag wollte sie mit der Einzigen, die sie für geeignet hielt, mit Helmine von Auer, einmal sprechen, wie es mit ihr werden solle, denn der Vater, der als glücklicher Börsenspeculant jetzt ein Palais bewohnte, an dem sie nur mit einer gewissen Scheu vorüberging, der war den ganzen Tag beschäftigt, auf Reisen oder sonst unerreichbar. Er sandte eben immer nur Geld, und das bewog auch die Vorsteherin des Instituts, sie so lange wie möglich an sich zu fesseln.

Stella war jetzt häufig wieder in Auershof. Unter Helminens Aufsicht lernte sie im Damensattel sitzen, durchstreifte sie die Felder und Wälder und Helmine lehrte sie auch das Schwimmen drunten im Fluß.

Helmine hatte ein ländliches Fest veranstaltet, ein Erntefest, denn der August hatte begonnen und die Ernte war gut gewesen. Die Damen sollten alle in Weiß erscheinen, hatte Helmine geschrieben.

Von einer Magd des Instituts zum Dampfschiffsplatz begleitet, bestieg Stella in ihrem weißen, mit mattrothen Schleifen garnirten Mullkleide Nachmittags allein das kleine Fahrzeug. Es war ja nur ein halbes Stündchen bis Auershof und auf dem Verdeck konnte sie Schutz unter den Damen finden.

Weiß wie eine Jasminblüthe, das frische Antlitz vom Gange geröthet, bewegte sie sich über das Verdeck, die leichte Mantille im Arm.

Ein ihr bekanntes Gesicht trat ihr entgegen – Juliane, die sie lange nicht gesehen, in malvenfarbigem Seidenkleide vom allermodernsten Schnitt, einen reich garnirten Hut auf dem Scheitel.

Mit Herzlichkeit begrüßte sie das Mädchen. Juliane ihrerseits war etwas steif und reservirt. Sie wußte nicht, ob sie ihr in gleicher Weise begegnen solle.

Beide setzten sich neben einander. Stella betrachtete Juliane mit Interesse. Sie fand, daß sie hübsch geworden, daß ihr Kleid sogar einen meisterhaften Schnitt habe, um den sie zu beneiden. Juliane sah so stattlich aus, das Kleid aber hatte mehr Façon als sie selbst.

»Was treibst Du denn? fragte Stella vertraulich. »Ich sah Dich so lange nicht.«

»Ich?« ... Juliane trug neue helle Glacéhandschuhe, Sie schrieb Figuren mit dem Sonnenschirm auf dem Verdeck. »Ich bin seit einiger Zeit Probir-Mamsell in einem großen Confectionsgeschäft.«

»Du?« Stella lachte. »Freilich, Du hast eine herrliche Figur bekommen! Du stehst Dich wohl sehr gut?«

»Besser wenigstens als früher. Frau Holstein hat mir die Stelle verschafft. Aber sie genügt mir nicht. Ich denke zum Theater zu gehen und fange schon an, Unterricht zu nehmen.«

»Aber hast Du denn Talent dazu?«

»O ja, ich habe schon die Stelle »laßt mich der neuen Freiheit genießen« aus der Jungfrau auswendig gelernt. Es geht ganz gut.«

»So werde ich Dich also Triumphe feiern sehen!« rief Stella lachend über diesen Bildungsgrad. »Was ist denn aus Marion geworden?«

»Ich weiß es nicht. Ich sah sie lange nicht mehr.«

Stella hatte ihre Veranlassung zu dieser Frage. Es interessirte sie zu wissen, wo Marion sei. Letztere hatte sie vor einiger Zeit in einem Briefe flehentlich, gebeten, zu Seba zu gehen und für sie einige unbedeutende Pfänder einzulösen, die sie bei ihr versetzt hatte. Der alte Süß dürfe aber nichts davon hören, auch sonst Niemand. Sie sei in die traurigste Lage gerathen.

Mit ihrem Ueberfluß an Geld hatte Stella das gern gethan. Seba aber hatte von Marion nichts mehr gehört, seit sie das Hospital verlassen; sie hatte die kleinen Pfänder, die ihr Marion genau bezeichnet, gegen Zahlung herausgegeben, aber es hatten acht Tage darüber vergehen müssen.

Als Stella die Sachen gut verpackt nach der ihr von Marion angegebenen Wohnung in der Vorstadt gesandt, war der Bote mit der Nachricht zurückgekommen, die Adressatin wohne seit mehreren Tagen nicht mehr dort, es wisse auch Niemand zu sagen, wohin sie gezogen.

So lagen denn die kleinen Schmucksachen noch bei ihr. Sie hoffte, Marion einmal zu begegnen oder von ihr zu hören. Und jetzt, da sie die Schwester nach ihr fragte, wollte diese nichts von Marion wissen.

Stella bemerkte nicht, wie Juliane so unruhig über das Verdeck schaute und einem eben erschienenen jungen Mann heimliche Blicke zuwarf. Juliane schien auch die Begegnung mit Stella keineswegs erwünscht. Sie müsse eine Freundin drüben auf dem zweiten Platz begrüßen; damit ließ sie Stella allein.

Diese schaute ihr nach. Juliane hatte sich wirklich geformt. Marion aber mußte jedenfalls noch schöner geworden sein als sie, und schade war's gewesen, daß die in dem Costum der Diakonissin steckte.

Erröthend senkte Stella plötzlich den Blick. Ein junger Mann in elegantestem Sommercostum stand vor ihr – Erwin von Fürth, dem sie schon vor mehr als zwei Jahren in Auershof, später im Lazareth, und seitdem wiederum bei Helmine begegnet. Sie empfing ihn mit der Glut der Verlegenheit auf Stirn und Wangen.

Er war nicht schön nach den Gesetzen der Schönheit. Er hatte einen dunklen Teint, krauses, eigensinniges dunkles Haar, das in kurzen Löckchen seine niedere Stirn umspielte. Der lockige Schnurbart zeigte hinter den vollen sinnlichen Lippen die weißesten Zähne; seine Augen hatten etwas Wildes; sie waren wie die Stirn umdunkelt; die gestutzte Nase war leidenschaftlich geflügelt. Sein Gesicht verrieth etwas Mulattenhaftes, denn in den Annalen seiner Familie hatte eine Halfcast-Schönheit von einer der Südsee-Inseln eine Rolle gespielt, die immens reiche Tochter eines Plantagenbesitzers, deren fremdes Blut noch in den Adern ihrer Enkel rollte.

Sein Wuchs war makellos, seine Haltung gewandt, seine Gesten waren lebhaft. Es lag etwas Unbändiges in dieser Natur, das sich aber, klug bewacht, in den Grenzen der Convenienz hielt, etwas Leidenschaftliches, das stets zum Ausbruch drängte und, sich selber bändigend, etwas knabenhaft Uebermüthiges hatte.

Stella kannte sein Wesen, aber sie war zu unerfahren, um es zu verstehen. Fürth war ein Blender. Er konnte geistreich erscheinen, ohne es zu sein; die Lebhaftigkeit seines Wesens gab dem, was er that, den Stempel des Originellen; beim Sprechen bestachen seine weißen Zähne mit dem Gefunkel seiner Augen.

Und die letzteren waren ein Gegenstand des Interesses für die Frauenwelt; es lag ein wunderbares Spiel in ihnen, namentlich in der Veränderlichkeit der Pupille.

Fürth war schon vor dem Kriege am Hofe beliebt geworden als elegantester Ulanen-Officier, die Prinzessinnen protegirten ihn, die Damen verzogen ihn als den flottesten Tänzer; sie erzählten sich gern von seinen tollen Einfällen, seinen Wettritten und den glänzenden Gelagen, die sein Reichthum den Freunden zu geben gestattete. Auch die Promenade erschien ihnen langweilig, wenn er nicht zu Pferde gesehen ward.

Trotzdem gaben Alle zu, er sei nicht eigentlich schön, nur »furchtbar interessant.«

Nach dem Kriege hatte Fürth seinen Abschied genommen; er suchte die Hof-Carrère, ward zum Kammerjunker ernannt mit aller Anwartschaft auf höhere Chargen ...

Fürth erschien mit Stella in Auershof, einem schönen, am Ufer liegenden Gehöft mit romantischem Park und großem Areal, auf welchem der alte Major von Auer seine Oekonomie betrieb.

* * *


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