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6.

Am Morgen beim Frühstück erschien Stella in hellem farbigen Sommerkleide, das Haar lose auf dem Nacken. Sie wollte wegen der Ferien den Vater sprechen, ehe er in sein Bureau ging, und fand diesen bereits mit Josephine am Tisch.

Er war ernst, sprach mit gewisser Salbung, wie der Familienvater, der innerhalb seines Hauses die Achtung aufrecht zu erhalten bemüht, die er außerhalb desselben aufs Spiel setzt. Josephinens ihn heimlich prüfender Blick genirte ihn; er klagte über Kopfweh, um die Abspannung seiner Gesichtszüge zu rechtfertigen.

Lenning, den wir gestern in einer so heftigen Scene mit seiner Frau sahen, wäre vielleicht der beste, freilich auch schwächste Ehemann geworden, wenn ihn nicht die Verhältnisse zum schlechtesten gemacht hätten. Als Sohn reicher Eltern hatte er ein Weib genommen, nach dessen Vermögensumständen er nicht zu fragen gebraucht, und fand sich nach wenigen Wochen als armer Teufel dem Complott der beiden Frauen gegenüber, die ihn wie einen Elenden betrachteten und ihn in seiner eigenen Wohnung nur duldeten, weil sie das Scherflein verachteten, das er zur Erhaltung eines solchen Hausstandes hätte beitragen können.

Mistreß Blount hatte ihn bei dem Einsturz seines elterlichen Hauses als verzagenden Schwächling gesehen und das hatte ihr den Muth gegeben, ihm als einem Ueberflüssigen den Gnadenstoß zu versetzen. Er hatte in ihren Augen die Frechheit gehabt, der Vater eines Kindes zu werden, das hieß: ihre Tochter noch unglücklicher zu machen. Jene Stunden, während welcher sie sich damals mit der Tochter in ihr Zimmer eingeschlossen, dienten Mistreß Blount dazu, die Tochter zu einem Entschluß gegen diesen Mann zu drängen und jedes Bedenken hinsichts der Wahl der Vergeltung in dem jungen Herzen zu ersticken.

Als Mistreß Blount, ohne ihn eines Abschieds zu würdigen, den Platz geräumt, war er beschränkt genug gewesen, die verträgliche Stimmung Eliza's willkommen zu heißen und im guten Glauben ihrer Mutter zu danken, daß sie auch ferner die Tochter so reich unterstützte.

Er nahm auch seine Beförderung in den Hofstaat des Prinzen als eine Huld desselben gegen seine unglücklichen Eltern hin und war zufrieden, wieder ein Haus machen zu können. Er dankte Eliza's Verträglichkeit dadurch, daß er der Welt gegenüber der aufmerksamste Ehemann ward, und legte keinen Werth darauf, daß sie daheim unter allen Vorwänden seine Berührung floh.

Der Zufall mußte erst dem schwachen Mann die Augen öffnen, aber ihm auch zugleich die Einsicht geben, daß ein Bruch mit ihr ihn um Amt und Existenz bringe.

Lenning fand Glück bei den Frauen Andrer und glaubte damit seine Schande gelöscht. Auf dem Wege, den sie und er wandelten, gab es bald keine Umkehr mehr.

Die Briefe, die Mistreß Blount von Amerika schrieb, troffen von Galle gegen Eliza's Gatten und erstickten jeden Skrupel in ihr. Beide vermißten auch die gute Gesellschaft nicht mehr, die sich von ihnen zurückgezogen. Lenning aber versank in Schulden und die Schulden trieben ihn, dessen Ehre schon nicht mehr fleckenlos, zu einer Ehrlosigkeit, die nach seinem gestern Morgen gemachten Rettungsversuch allerdings Mistreß Blounts Ansichten über ihren Schwiegersohn jetzt gerechtfertigt erscheinen ließ.

Als er an diesem Morgen mit Stella und Josephine beim Frühstück saß, äußerte er, seine Chocolade schlürfend, es sei ihm unangenehm, daß der Prinz ihn gerade jetzt wieder nach Böhmen schicke, wo seine Anwesenheit auf den Gütern erforderlich sei, gerade jetzt, da Stella während der Ferien zu Hause. Die Mutter fühle sich unwohl, bedürfe der Ruhe, Stella werde ihr also lästig sein. Es sei am besten, wenn Josephine an Fräulein Helmine schreibe, die das Kind ja so gerne bei sich habe.

Stella wünschte nichts sehnlicher; Josephine sollte noch diesen Morgen schreiben.

Es sei noch ein Andres, was ihn bestimme, sagte er. Der Umgang mit Juliane passe nicht mehr für Stella. So lange sie Kinder gewesen, habe das hingehen können. Er habe seine Gründe.

Lenning erhob sich, um ins Bureau zu gehen. Er küßte Stella zum Abschied auf die Stirn. Josephine sollte dem Diener, den er schicken werde, seinen Reisesack übergeben.

»Josephine, Sie müssen mir mein Haar machen, dann will ich Seba besuchen!« Stella zog diese mit sich in ihr Zimmer. Beide plauderten während der Beschäftigung über Helmine, die sich eigentlich in Auershof recht langweilen müsse; sie sei dort mit dem Vater, dem alten Major allein, der immer nur von seinen Feldzügen spreche. Wie es nur gekommen, daß Helmine so jung schon Wittwe sei, fragte sie, ohne von Josephine eine genügende Antwort zu erhalten.

Unten im Garten wartete Carl Holstein bereits auf sie. Er hatte ihr von seinem Fenster aus ein Zeichen gegeben. Beide schlenderten in die schattige Weißdorn-Allee. Carl meinte, sie habe gestern Abend, wie sie da im Fenster gelegen, wie ein Engel ausgesehen, der aus den Wolken schaue.

»Hast Du mich denn so genau sehen können? Es war doch dunkel draußen?«

»Um so lichter warst Du! Durch mein Opernglas hatte ich Dich schon eine ganze Weile hinter der Gardine beobachtet.«

»Pfui!«

Carl lachte. »Du bist sehr schön, Stella!« sagte er mit bedeutsamem Blick.

»Das brauchst Du mir nicht zu sagen!« Stella fand es geschmacklos, etwas so Selbstverständliches zu sagen, indeß Carl Holstein versprach keineswegs, ein großes Licht zu werden; er war nur ein guter Kamerad, mit dem man umgehen konnte.

Carl, ein kräftig gebauter Bursche mit rundem gutmüthigen, von leichtem Flaum angehauchten Gesicht, in welchem kein Zug von geistigem Nerv sprach, fuhr sich, wie er neben ihr schritt, in das dunkelblonde Haar und schaute, über weiteren Unterhaltungsstoff sinnend, mit seinen ehrlichen blauen Augen vor sich. Das leichte Vibriren seiner Stimme hatte schon verrathen, daß er für Stella sehr eingenommen, und sie wußte das.

Sie hatte ihn immer gern in ihrer Nähe gehabt, in der letzten Zeit aber, während welcher sich ihr Verstand ausbildete, machte sie die Bemerkung, er sei etwas dumm. Sie hatte sich im Institut vorzeitig entwickelt und er war bei seinem Latein und Griechisch hängen geblieben. Zudem erschienen ihr diese halbwüchsigen jungen Leute immer sehr albern; der Uebergang der Knabenstimme in die des Mannes klang ihr so unangenehm ins Ohr und dazu kam ihr Bemühen, sich in der Unterhaltung mit jungen Mädchen durch Albernheiten schleifen zu wollen. Und das war's, was ihr an Carl Holstein in letzter Zeit nicht gefallen wollte.

Aber er war doch ein guter Bursche, wenn er auch das Pulver nicht erfunden hatte und närrisch genug war, das vertrauliche Du in Andrer Gegenwart jetzt zu vermeiden und »gnädiges Fräulein« zu ihr zu sagen, als sei dieses Du ein vertrauliches oder gar verliebtes Geheimniß zwischen ihnen geworden.

Stella, wie er jetzt so verlegen schweigend neben ihr schritt, schaute ihn plötzlich an und lachte hell auf.

»Was hast Du?« fragte er glühend roth.

»Du kommst mir heute so einfältig vor! Du wirst noch lange kein Kavalier werden!« Stella hängte sich, um seine Verlegenheit noch zu steigern, herzhaft in seinen Arm und drückte diesen fest an sich.

Carl stieg das Blut gewaltiger in die Wangen, und sie hatte ihre stille Schadenfreude darüber.

»Jeder Kavalier z. B. würde überglücklich sein, wenn ich ihm so bereitwillig den Arm gäbe wie Dir!« sagte sie.

»Und meinst Du, ich wäre das nicht

»Bah! Ich wollte nur sehen, ob Du schon im Stande bist, eine Dame zu führen!« Sie entzog sich ihm schnell. »Du bist noch viel zu ungeschickt.«

Carl verschlang sie entrüstet mit seinen Augen. Er war schwer verletzt. Beide Hände ausstreckend, überraschte er sie, indem er sich beugte und ehe sie es hindern konnte, sie wie ein Kind in seine Arme hob.

Stella stemmte die Hände gegen seine Schultern; leichenblaß, nicht im Stande ein Wort hervor zu bringen, starrte sie mit bebenden Lippen auf ihn hinab.

»Willst Du das Wort zurücknehmen?« rief er mit glühenden Wangen, ihre Glieder fester an sich pressend.

»Ja, ja! Ich will ja!« rief sie bittend und die Hände faltend.

»Du hast es wirklich nicht böse gemeint?«

»Wie kannst Du das glauben!«

»So trug ich Dich schon einmal, als wir da drüben den Raub der Sabinerinnen spielten! Damals sagte ich mir: Du hast sie nicht umsonst geraubt, sie soll Dein bleiben!« Carl sprach das halb für sich, die Augen auf ihren Hals gerichtet. Er preßte sie näher an sich, drückte seine Lippen auf denselben und setzte sie auf den Boden.

»Das vergesse ich Dir nicht!« rief Stella glühend roth, ihre zerdrückte Kleidung ordnend.

»Dummes Zeug! Niemand hat es gesehen!«

»Doch!« Stella blickte erschreckt durch eine Lichtung des Laubganges in den Garten.

Drüben schaute Frettchens bleiches und mageres Gesicht knapp über das Spargelkraut herüber. Sie hatte Carls Benehmen mit angesehen. Sich jetzt abwendend summte sie: »Ueber's Jahr, über's Jahr, wann ich wiederum komm,« und verlor sich in dem Kraut.

»Du compromittirst mich vor den Leuten!« rief Stella mit erhitztem Gesicht.

»Das Frettchen ist mir ganz gleichgültig! Denke Dir, es flösse da vor uns ein Bach, es sei kein Steg da und Du müßtest hinüber, würdest Du Anstand nehmen, Dich hindurch tragen zu lassen? Du weißt, daß wir uns heirathen werden.«

Stella lachte laut auf und wandte sich zum Gehen.

»Ein Mensch, der noch auf der Schulbank sitzt! Da müßten doch ganz Andere kommen!«

Carl haschte nach ihrem Handgelenk; er faßte es, ehe sie es hindern konnte.

»Stella, reize mich nicht noch einmal! In einigen Jahren schon kann ich die Fabrik übernehmen; und dann schwöre ich Dir: Du wirst meine Frau!«

»Dazu gehören Zwei, lieber Carl!«

»Ja, wir Beide!«

Er blieb an ihrer Seite, wie sie schnell das Ende der halbdunklen Allee zu erreichen suchte. Sie eilte ihm voraus, der Anblick des graziösen Mädchens steigerte die Erhitzung seiner Phantasie.

»Gieb mir den Arm wieder, Stella! Ich will Dir ja nur zeigen, daß ich eine Dame zu führen verstehe.«

»Nein! Für heute hast Du's verdorben und morgen fahre ich hinaus zu Helmine Auer und bleibe die ganzen Ferien bei ihr!«

»So gehe ich zu meinem Freund, der dicht neben Auershof wohnt.«

Stella blieb stehen und wandte sich zu ihm, sich in die Hand schlagend.

»Carl, das wäre reizend!« rief sie freudig aus. »Thätest Du das wirklich um meinetwillen?«

»Hier meine Hand!«

Beide waren versöhnt.

»Ich bin eben im Begriff, Seba einen Besuch zu machen,« sagte sie, seinen Arm nehmend.

»Ich gehe mit Dir! ... Weißt Du, ich bin überhaupt sehr unruhig um Dich! Du fällst allen Männern auf. Gestern Abend im Wirthshause schwärmte einer meiner Schulfreunde für Dich; er hatte Dich am Dampfschiffplatz angesprochen, wo er Dich in dem Gedränge ganz allein stehen sah.«

»Ach, der einfältige Junge war's!«

»Er ist Secundaner wie ich, Stella!« rief Carl beleidigt.

»So, na, dann nimm's nicht übel! Die Herren sind wohl nicht gefährlich. Sag ihm, er solle lieber erst amo, ich liebe, lernen. Heißt es nicht amo

»Ja, amo, amas, amat

Stella entzog ihm den Arm wieder und trat in den freien Garten. Sie hatte nichts dawider, daß er sie zu Seba begleite, denn sie verlangte nur nach Unterhaltung und dazu war ihr auch Carl recht, wenn er nur nicht mit seinen grünen Heiraths-Gedanken kam.

Hinter den Spargelbeeten hörten sie Frettchen summen. Das unglückliche Geschöpf mit seinem schmalen Gesicht, den seinen, kindlichen Zügen und den graublauen so klug schauenden Augen, einen groben, von der Sonne verbrannten Strohhut auf dem Kopf, den Strickstrumpf in den Händen, schaute Beiden so sonderbar lächelnd entgegen und hielt mit seinem Gesang inne.

»Wenn ich mir denke, daß das arme Wesen so gar keine Freude, keine Zukunft auf der Welt hat!« sprach Stella halblaut für sich. »Nun, was machen Deine Fallen?« rief sie Frettchen zu.

»O, heut giebt's einen fetten Braten!« lachte Frettchen. »Marion ist heute bei uns. Sie geht morgen in die Diakonissen-Anstalt und das wird so das Henkersmahl.«

»Wo ist denn Marion? Mich dünkt, ich sah sie heute Morgen so geputzt auf das Haus zukommen.«

»Zu Fräulein Seba ist sie hinüber gegangen, um Abschied zu nehmen!«

»Ach, da sehen wir sie!« Stella eilte weiter. Frettchen blickte den Beiden mit sinnigem Lächeln nach. Sie hatte alle Menschen gern.

Süß Oppenheims Hof, durch den die Beiden schritten, hatte ein niedres schuppenartiges Gebäude, durch dessen zum Lüften geöffnete Fenster Carl einen neugierigen Blick that.

Süß verwahrte hier die verfallenen Pfänder, bis öffentlich versteigert wurde was ihm nicht aus der Hand abgekauft war.

Wie oft hatten Carl und Stella mit Seba hier gespielt, wenn der Alte in seiner Pfandleihe war. Wie oft hatten sie sich in die Seiden- oder Atlaskleider, die hier an Riegeln hingen, gesteckt und auf dem von Stühlen und Tischen errichteten Podium Comödie gespielt, in der Carl, trotz seinem simplen Aussehen, ein Meister war.

Seba saß inmitten des von Mobilien, Garderoben, Marmor-, Bronce- und Zinkgegenständen, Küchengeräthen, Waffen und hunderterlei andren Dingen gefüllten großen Raumes. Sie hatte einen Putzlappen in der Hand und polirte ein antikes Metall-Gefäß. Ihr gegenüber saß ein blondes Mädchen, den Strohhut mit blauer Blume auf dem Kopf, die Hände in gewaschenen Glacé-Handschuhen.

Beide traten an das Fenster.

»Ach, Marion, ich suchte Dich! Du willst fort!« rief Stella hinein. »Guten Morgen, Seba! Dürfen wir kommen?«

Seba erhob sich, zog den schweren Riegel vor der mit Eisen beschlagenen, zum Hofe führenden Thür und grüßte ein wenig verlegen, als sie Carl erblickte.

»Wir haben Ferien und wissen nicht, was wir anfangen sollen!« Stella eilte hinein, Seba folgte ihr langsam.

Die Jüdin, kaum ein Jahr älter als Stella, erröthete, als sie Carl die Hand bot. Sie war für ihr Alter kräftig gebaut, ihre großen schwarzen Augen blickten mit eigenthümlicher Melancholie, ihre Unterlippe hing ein wenig herab, ihr Teint stand im Einklang mit dem rabenschwarzen Haar. Verlegen hob sie die vom Putzpulver gefärbte Hand und zog das Tuch über ihrer Brust zusammen, als Carl mit vertraulicher Dreistigkeit auf den vollen schönen Hals blickte.

Marion hatte vor Stella's Augen etwas von dem Tisch genommen, an dem sie saß, und eilig in der Tasche versteckt. Sie trat Stella entgegen und reichte ihr zögernd die Hand.

Nur im Haar hatte Marion einige Aehnlichkeit mit Juliane, aber auch dies war dunkler. Das Mädchen hatte ein wirklich edles Profil, eine schöne Stirn, zierlich gebogene Brauen, hellblaue Augen, eine schön geformte Nase, hübschen Mund, eine elegante, schlanke Gestalt, deren Formen sich in jungfräulicher Vollendung ausprägten, eine zierliche Hand und überraschte durch die Anmuth, mit der sie sich gab. Aber die Wirkung der rechten Seite ihres Gesichts verdarb die unvortheilhafte der linken wieder. Man durfte sie nur im Profil sehen. Es war, als sei in diesem Portrait die meisterhafte Anlage durch einen Fuscher verdorben worden.

»Habt Ihr etwas Geheimes, so wollen wir nicht stören!« sagte Stella spitzfindig.

Marion lächelte mit der Vornehmheit, die sie in dem gräflichen Hause gelernt.

»Es thut mir so leid, auch die gute Seba verlassen zu müssen, die ich so gern gehabt!«

Sie durfte ja nicht sagen, daß sie durch Seba's Vermittlung für eine unglückliche vornehme Dame heimlich schon verschiedene Werthgegenstände bei Süß Oppenheim versetzt, daß sie gekommen, um Seba zu bitten, die Pfänder dürften ja nicht verkauft werden, während sie fort sei; Seba sollte sie auch ganz geheim halten, damit Niemand sie sehe oder erkenne. Man habe keine Vorstellung, wie viel Elend es auch in diesen vornehmen Familien gebe, mit denen sie durch die Gräfin zusammen komme; so hatte sie zu Seba oft gesagt.

Stella hatte Juliane immer lieber gehabt als diese Marion, die in ihrem Wesen etwas Unnatürliches hatte. Auch heute meinte sie, Marion könne sie gar nicht offen und gerade ansehen, denn wenn sie das sollte, lächelte sie forcirt und wandte sich ab.

Marion schien es zu drängen, von Seba Abschied zu nehmen; sie wolle noch zu Frau Holstein und der Adieu sagen. Sie nahm Seba bei Seite, flüsterte ihr etwas zu, küßte sie und von Stella und Carl begleitet schritt sie mit diesen auf die Fabrik zu.

Die Glocke der letzteren läutete eben Mittag. Eine Schaar von Arbeitern drängte sich aus dem großen Eisenthor des Hofes. Sie grüßten Carl freundlich. Im Thor stand Weymar, einer der Werkführer, ein junger Mann von muskulösem Körperbau. Er bemerkte Marion und wandte sich verdrossen, ohne auch Carl zu beachten, zu einem der hinter ihm stehenden Arbeiter.

»Gut, daß sie geht! Ich war Narr genug, sie heirathen zu wollen! Man ist der Gans nicht vornehm genug; sie wird schon anderswo anrennen.«

Das Mädchen that, als höre sie nicht.

Seitwärts und abgetheilt von dem großen Fabrikhofe stand das Holsteinsche Wohnhaus, auch von schmiedeeisernem Gitter mit vergoldeten Lanzen eingefaßt, an dem sich dichter Wald-Epheu herauf rankte. Das mit glänzender Bronze und den Namenszügen des Besitzers in großen goldenen Buchstaben verzierte Thor zum Hof und Garten stand geöffnet, ein offener Wagen hielt vor dem Thor des Hauses.

Eine alte Dame, auf einen Stock gestützt, ganz in Schwarz gekleidet, von einem Diener geführt, bewegte sich von der Schwelle auf den Wagen zu. Carl eilte heran, um seiner Mama guten Morgen zu sagen, die er ihrer Kränklichkeit wegen stets erst um Mittag sah.

Sie reichte ihm die Hand, streichelte ihm die Wange und schaute ihm mit ihrem bleichen, leidenden Gesicht in das seine.

Die arme Frau mit den wohlwollenden, von körperlichen Leiden erschlafften Zügen hatte schwere Prüfungen erlitten. Ihr Gatte war im kräftigsten Mannesalter gestorben, die Fabrik, seine Schöpfung, auf der Höhe eines umfangreichen Betriebes zurücklassend. Ihm nach starben vier Söhne als Opfer der in dem Etablissement ausgebrochenen Diphtheritis. Nur dieser eine, der jüngste, war ihr geblieben. Das Schicksal hatte sie tief gebeugt; ein Gelenk-Rheumatismus hatte sie fast gelähmt.

»Wen bringst Du denn da, Carl? ... Ah, Stella!« Ein Schatten flog über ihre Züge. Sie liebte die Fortsetzung dieser Kinderfreundschaft um der mißlichen ehelichen Verhältnisse ihrer Eltern nicht, die unmöglich günstig auf das Mädchen wirken konnten, aber sie war freundlich gegen sie und sagte ihr artige Worte.

»Und Marion! Ist's wahr, was man mir sagte? Du gehst in eine Diakonissen-Anstalt? ... Ein schöner Beruf, mein Kind! Ehre dem, der ihn mit ganzem, warmem Herzen erfaßt und übt! Er kostet Geduld und viel guten Willen ... Nicht wahr, Du kommst, um mir Adieu zu sagen?«

Marion beugte sich über die Hand der alten Dame und küßte sie. Sie hatte vornehme Sitten gelernt, mußte auch der Gräfin Hand stets küssen und hatte also Routine.

»Es ist vielleicht besser so!« sagte sie, dem Mädchen die Hand zum Abschied drückend, auf dessen Abneigung gegen die Heirath mit dem Werkführer hindeutend. »Wir kennen nicht die Wege, die Gott uns führt, aber sie sind zum Guten! Sei brav und Gott erhalte Dich!«

Sie sprach auch zu Stella noch einige freundliche Worte und bestieg dann, von Carl unterstützt, den Wagen.

»Ich glaube, Deine Mama mag mich nicht!« Stella schaute ernst dem Wagen nach, während Marion in das Haus getreten war, um auch der Wirthschafterin Adieu zu sagen, denn sie war eine Zeit lang in diesem Hause gewesen.

»Glaub' doch so was nicht! Sie ist immer leidend und kann dann nicht so sein, wie sie wohl möchte ... Denke Dir, Stella,« setzte Carl hinzu, auf die Front der mit Blumen bestellten Fenster deutend, »denke Dir, wenn wir Beide da oben als junges Paar wohnten und Du mit mir über unsere fünfhundert Arbeiter zu kommandiren hättest! Nicht wahr, das wäre doch was!«

Stella beugte sich über eine der Blumen-Rabatten vor dem Hause, brach einen Zweig von dem Heliotrop und machte eine mißmuthige Grimasse.

»Unser erster Buchhalter sagt immer, ich solle machen, daß ich heranwachse; es sei Zeit, daß eine kräftige Hand die Anstalt leite, denn er könne ja auch einmal unvorbereitet sterben; unsre Verbindung namentlich mit Rußland halte den zweiten Procuristen immer auswärts und die Bestellungen, die namentlich der reiche Nowinkow wieder gemacht, überstiegen fast unsre Leistungsfähigkeit. Denke Dir, was so eine einzige Locomotive ...«

»Davon verstehe ich nichts!« unterbrach ihn Stella. »Der Vater ist immer bös auf Eure Fabrik, weil die Schornsteine uns mit Ruß überschütten ... Ich will jetzt gehen, denn ich erwarte heute Mittag meine Freundin Constanze.«

Carl begleitete sie zum Ausgang.

»Wenn Du nach Auershof gehst, werden wir uns famos amüsiren, Stella,« sagte er, »denn ich gehe zu meinem Freund. Wir können da angeln, in den Wald gehen und die Rehe füttern. Ich freue mich furchtbar darauf!«

Stella hörte ihn nicht. Wie ein Windspiel flog sie über den Weg und zwängte sich durch die verbogenen Stangen des Prinzen-Gartens. Carl blickte ihr mit Entzücken nach.

»Die Stella muß meine Frau werden, keine Andre! In zwei Jahren kann ich mich majorenn erklären lassen, sagt Herr Blume.« Damit wandte er sich ins Haus. Marion trat ihm auf der Schwelle entgegen.

»Ich bitte Sie, Herr Holstein, begleiten Sie mich zur Pforte hinaus; ich fürchte mich vor dem Weymar, er könnte unhöflich gegen mich werden!«

Carl gehorchte unwillkürlich der mit so viel Aplomb an ihn gerichteten Aufforderung.

* * *

Hofstaatssekretär Lenning war auf die Güter des Prinzen gereist in der sichren Erwartung, seine Gattin werde die ihr ausgesprochenen Wünsche prompt erfüllen und die betreffende Summe an die ihr bezeichnete Adresse senden. Eine ihm nacheilende Wechselklage unterrichtete ihn vom Gegentheil.

In fiebernder Eile erledigte er seine Geschäfte und reiste zurück. Daheim aber traf ihn ein zweiter Donnerschlag: Die Entlassung aus seinem Amte ohne Angabe irgend welcher Gründe.

Mit ihm zugleich war noch ein anderer, viel älterer Beamter des Prinzen, Namens Pfeiffer, entlassen worden, weil eine Summe von mehreren Tausenden aus der Schatulle des Prinzen verschwunden, deren Verwaltung der alte Pfeiffer inne hatte.

Pfeiffer, so erzählte man, habe sich dem Prinzen zu Füßen geworfen und bei dem Leben seines einzigen Kindes geschworen, er wisse nicht, wohin diese Summe gekommen; er hatte gelobt, bis an sein Lebensende dafür arbeiten zu wollen, um seinen ehrlichen Namen zu retten, aber der Alles bestimmende Einfluß des prinzlichen Hofmarschalls hatte keine Gnade über den unglücklichen alten Mann walten lassen, der mit seinem Kinde, einem zwanzigjährigen Mädchen, dem Elend preisgegeben ward.

Aber was ging ihn Pfeiffer an! Seine Amtsentsetzung war nach seiner Ueberzeugung ein Schachzug seiner Frau, die ihm damit den Krieg erklärte! Er hatte zum letzten Mal ihre Schwelle wieder betreten; er suchte nach Rache. Eine Rücksicht für den Prinzen, seinen bisherigen Herrn, gab es nicht mehr.

Dieses Weib hatte ihn zu dem gemacht, was er geworden. Ein Rückblick auf die abschüssige Bahn, auf der er sich eben vor einem Abgrund sah, zeigte ihm Mistreß Blount und ihre Intriguen, zeigte ihm jenes fremde Coupé, aus welchem ihm seine eigne Gattin ohnmächtig in die Arme sank, zeigte ihm ferner die kalten, mißachtenden Mienen seiner Freunde, wie sie sich Einer nach dem Andern von ihm gewendet, und endlich das vergrämte unglückliche Gesicht seines älteren Collegen, des armen Pfeiffer ...

Fast sinnlos vor Wuth entschloß er sich zu einem Schritt, der, wenn er ihn gethan, als es noch Zeit war, als er ihn noch mit Ehren thun konnte, einen im Grunde gutmüthigen Mann wie ihn vor dem Versinken hätte bewahren können.

Er that ihn jetzt unter Bedingungen, wie seine hülflose Lage, die eines Untergehenden, ihm soufflirte. Er suchte zu erzwingen, was ihm verweigert worden, eilte zu einem der schneidigsten Advokaten und bereitete seiner Gattin eine Stunde der Aufregung, in welcher auch sie um den eiligen Besuch eines befreundeten Anwalts bat.

Und so saß denn in Folge dessen schon wenige Tage später eines Vormittags die schöne Frau in kokettem Morgengewand in ihrem Empfangszimmer einem mit Eleganz gekleideten Herrn von etwa fünfzig Jahren gegenüber, dessen Vortrag sie aufmerksam und in banger Spannung lauschte.

Als er schwieg, ließ sie die Stirn noch Sekunden lang in der schönen, das Taschentuch haltenden weißen Hand ruhen. Sie holte Athem aus tiefster Brust, schaute dann auf den Herrn, diesen überraschend, wie er, seine Rede vergessend, sich in den Anblick des schönen Weibes versenkt.

Es war der Rechtsanwalt Dr. Ballmann, Vorsitzender verschiedener gemeinnütziger Vereine, im Uebrigen ein Lebemann, den sie zu ihren eifrigsten Verehrern zählte.

Frau Eliza senkte das Auge wieder. Der Gegenstand ihrer Unterhaltung war ein peinlicher; noch peinlicher war, was sie eben fragen wollte.

»Sie glauben also, Herr Doctor, daß es gelingen würde, seine Beschuldigungen und somit auch seine Ansprüche zurückzuweisen?« Ihre Stimme klang so nervös.

Ballmann lächelte eigenthümlich, den Kopf wiegend: »Ich glaube es, gnädige Frau, denn die Gründe, auf die er sich beruft, sind so delikater Natur, sie visiren so hoch hinauf, daß man Anstand nehmen würde ... Zudem dürfte der Mangel an Zeugen« ...

Auch Ballmann schaute nicht auf. In der vor ihnen auf dem Tische liegenden gerichtlichen Zuschrift stand was Beide nicht aussprachen, und Beide hatten sie natürlich gelesen.

Der Zipfel des Taschentuchs bedeckte Stirn und Augen der jungen Frau. Sie schwieg sinnend, ihr Gefühl war schwer verletzt durch den Inhalt dieses Schreibens.

»Sie sind also entschlossen, gnädige Frau, in die von ihm beantragte Scheidung zu willigen, seine Ansprüche aber auf den Theil Ihres Vermögens, den er nach dem Gesetze verlangt, zurückzuweisen? ... Ich habe Sie recht verstanden?«

»Ich kann nichts sehnlicher wünschen, als das erstere.«

»Wie auch die Entscheidung ausfallen möge, das Kind, da es ein Mädchen, würde vom Richter Ihnen zugesprochen werden. Auch Sie wünschen das?«

Frau Eliza zuckte die Achsel.

»Ich muß es allerdings wünschen, obgleich ich in mir nichts finde von dem wahren und richtigen Beruf einer Mutter! ... Ich werde meine Pflicht thun!« setzte sie kalt hinzu.

Ballmann nahm das Gerichtsschreiben vom Tisch und schaute hinein. »Er greift in der Wahl seiner Zeugen sehr weit zurück. Er beruft sich auf das Zeugniß eines früheren prinzlichen Kutschers ...«

Frau Eliza senkte die Stirn tiefer in die Hand.

»Wir weisen natürlich dieses Zeugniß zurück. Der Mann ist, wie mir bekannt, wegen Geistesstörung durch einen Sturz vom Kutschersitz beim Durchgehen der Pferde (Eliza's Nerven zuckten schmerzend) aus dem Dienst entlassen. Die übrigen Zeugen scheinen mir ungefährlich. Wir haben aber in seinem Rechtsbeistand einen der rabbiatesten Mandatare, dem nichts über einen öffentlichen Scandal ... ich wollte sagen: über einen Eclat geht. Es trifft sich eigenthümlich genug, daß er vor kurzem in einer pomphaften Rede den auch in unser älteres deutsches Recht übergegangenen römischen Grundsatz verdammte, der dem Manne jede Verletzung der ehelichen Pflichten, ja sogar kraft des jus tori ihm die Bestrafung einer schuldigen Gattin gestattete. Er wird sich jetzt in der Lage sehen, ein Meisterstück der Dialectik zu leisten, um seinen Mohren weiß zu waschen. Ich bitte Sie nur, gnädige Frau, mir mit allen Details zur Hand zu gehen, die geeignet, den Kläger zu entwaffnen, d. h. ihn selbst zu belasten.«

Frau Eliza schaute auf, als bedürfe sie der Sammlung.

»Ich begreife wohl,« fuhr Ballmann mit seinem Lächeln fort, »daß es Ihr zartes weibliches Gefühl verletzen muß, Dinge von ohne Zweifel sehr delicater Natur zu berühren, aber mir, Ihrem Anwalt, dürfen Sie nichts verschweigen. Sie schulden mir die ganze intime – ich sage: die intimste Geschichte Ihrer Ehe von Anbeginn. Verschweigen Sie mir nichts, denn dem Laien erscheint oft unwesentlich, was vor dem Gesetz gerade von größter Bedeutung.«

»Sie zwingen mich zu etwas, lieber Doctor ...«

»Was unerläßlich, wenn ich mit Erfolg Ihre Sache führen soll!« betonte Ballmann, dem nichts willkommener sein konnte, als dieser Prozeß, der ihn als Verehrer und Hausfreund der schönen Frau zum Mitwisser ihrer geheimsten Geheimnisse machen sollte.

Er sah, wie sich Eliza's Antlitz färbte bei dem Gedanken an diese Beichte, und gerade ihm gegenüber, vor dem sie sich eine Niederlage bereiten mußte. Fest entschlossen, seine Vortheile auszubeuten, blickte er noch einmal in das Gerichtsschreiben, nickte und schüttelte den Kopf.

»Der Inhalt dieses Papiers läßt mich fast befürchten, daß ich einen Spion im eigenen Hause habe!« Eliza blickte argwöhnisch im Zimmer umher.

»So dürfte Ihr reizender Schmollwinkel dort vielleicht die verschwiegenste Stätte sein?« Ballmann deutete auf die gepolsterte Thür des Boudoirs. »Ihrem juristischen Beichtvater dürfte ein tête-à-tête erlaubt sein, zumal in der Phase, in die Sie jetzt zu Ihrem Gegner treten.«

Eliza erhob sich schnell. Schweigend schritt sie zur Thür. Zufrieden lächelnd folgte Ballmann. Die Thür schloß sich hinter ihnen.

Gleich darauf trat die Zofe ein, machte sich am Toilettentisch zu schaffen, horchte auf, schlich auf den Fußspitzen zu der Thür und legte das Ohr an das Schlüsselloch.

Zwei Stunden währte die Conferenz.

Als Eliza wieder in das Empfangszimmer trat, waren ihre Wangen geröthet von anhaltendem Sprechen, ihre Augen zeigten die Spuren von Thränen. Trauernd hingen die feinen weißen Spitzen ihres Morgengewandes.

Sie fuhr mit dem Taschentuch über das Antlitz, wankte zu einem Sessel und stützte den Elnbogen auf die Lehne.

»Also ich darf auf Ihren vollen Beistand rechnen?« fragte sie, ohne Ballmann anzuschauen, mit bewegter Stimme und schwer athmender Brust, »Sie nahmen mir anfangs jede Hoffnung, aber, nicht wahr, Sie werden Alles aufbieten ...«

»Was in den Kräften Ihres treusten Verehrers liegt!« Ballmann nahm ihre Hand, beugte sich über dieselbe und verließ das Zimmer.

Eliza stand noch Minuten lang, mit glanzlosen Augen vor sich in das Zimmer starrend; ihre Lippen, farblos wie auch nach jähem Wechsel wieder ihr Antlitz, flüsterten unverständlich:

»Wie elend, ein Weib zu sein! Selbst unsere Freunde werden unsere Feinde, wenn sie uns nutzen sollen!« ...

* * *


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