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11.

Der Krieg war zu Ende. Unter den glücklichen Müttern, die ihre Söhne wieder in ihre Arme schlossen, war auch Frau Holstein. Carl war unversehrt davon gekommen.

Er sah recht stattlich und kriegerisch aus. Man hatte ihn in Rücksicht auf den Feldzug und seine Eigenschaft als einziger Sohn entlassen und zufrieden legte er die Uniform ab.

Am Fenster stehend und hinüber schauend, wo jetzt Alles so anders, fragte er mit großem Interesse die Mutter, was aus Denen da drüben geworden sei.

Die Auskunft war ihm überraschend und beunruhigend. Lenning sei noch nicht zurück, Stella sei im Institut, man sehe sie aber viel öffentlich, denn die Mutter kümmere sich nicht um sie; dieselbe sei zuletzt in Cannes mit einem unbekannten Herrn gesehen worden. Die arme Frau Christel könne sich kaum ernähren mit ihrem Gemüsekram, sie habe den Winter hindurch gedarbt und sie, die Mutter, habe deshalb das arme verwachsene Frettchen zur Aushülfe in's Haus genommen.

Von Juliane wisse sie nichts, von Marion wolle sie nichts wissen; mit ihrer Diaconissen-Carrière habe es ein übles Ende genommen. Der Chef-Arzt des Lazareths habe sie mit Schimpf und Schanden aus demselben gejagt; wer könne wissen, was sie jetzt treibe.

Carl hatte von Frankreich aus mehrere Feldpostbriefe an Stella geschrieben, aber keiner war beantwortet worden. Die lange Trennung hatte sie ihm aber nur noch lieber gemacht. Sich wieder auf die Schulbank setzen, nachdem er dem Vaterlande so glänzende Siege erkämpfen geholfen, das widerstrebte ihm. Er brauchte die Prima nicht zu besuchen und die Mutter willigte darein, daß er in das Geschäft trete und unter des erprobten Blume Leitung im Comtoir arbeite.

Das war das nächste Ziel seines Strebens gewesen. Er war bald zwanzig Jahre und erschien sich als Mann. Er konnte überall von den großen Thaten sprechen, die nur Männer hatten ausführen können, und wer ihn reden hörte, der hielt ihn für gereift.

Die Mutter war glücklich, sie war stolz auf den Sohn. Blume sagte, er lasse sich recht gut an, sei nur noch zu zerstreut und müsse nach all' den Märschen erst die nöthige Ruhe finden.

Carl unterhielt sich gerne mit dem kleinen Frettchen. Er wußte, wo er es ohne Zeugen sprechen könne. In den Abendstunden, wenn man ihrer im Hauswesen nicht bedurfte, saß sie hinten in der allertiefsten Ecke des Gartens unter dem verwilderten Fliederzaun und summte ihre Melodien wieder, mit denen sie niemand belästigen wollte.

Dort plauderte Carl mit ihr, auf einem Baumstumpf sitzend, während sie strickte; er zählte ihr aus dem Kriege und sie mußte ihm erzählen, wie oft sie Stella gesehen. Er beauftragte sie auch mit geheimen Missionen, die sie ausführen sollte, wenn sie Abends zur Mutter gehe. Es war namentlich ein Brief an Stella sicher zu übergeben.

Schon während der ersten Tage seines Eintritts in das Comtoir begab er sich regelmäßig gegen Abend in die Stadt. Er hatte seine Kameraden in den Wirthshäusern zu suchen und die Mutter meinte, ihn, der so Großes und Schreckliches schon erlebt, nicht mehr fragen zu dürfen, wohin er gehe, warum er so spät heimkehre.

Sie wußte nicht, wie schwer die Mutterpflichten eines Compagnie-Chefs, namentlich im Felde, wenn er eine ganze Schaar von großen Kindern vor Unbesonnenheiten zu hüten hat!

Blume sagte, wenn sie doch einige Besorgniß äußerte, es werde sich ja hoffentlich Alles zurecht finden. So ein Krieg demoralisire Alles; es sei natürlich schwer, demonstrirte er seinen Collegen am Pult, die Hunderttausende, die zerstörend in Feindesland gehaust, wieder unter die bürgerliche Ordnung zurück zu führen. Wenn Einer, der sich so recht in der Vollkraft seiner Jugend fühle, im Kriege dafür belohnt werde, daß er so viel Menschen wie möglich umbringe, so sei es anfangs nicht so leicht, ihm einleuchtend zu machen, daß er Strafe und Prozeßkosten zahlen müsse, wenn er Jemandem eine Ohrfeige gebe ...

Frau Lenning sei wieder in ihre Villa zurückgekehrt, hörte Carl eines Tages an der Tafel die Mutter sagen. Das arme Mädchen, die Stella, sei recht zu bedauern. Seit der Mutter das Kind abgesprochen worden – der Richter müsse ja hierzu seine Gründe gehabt haben – glaube sie wahrscheinlich jedes Band zwischen ihr und demselben zerschnitten. Man habe sie in Monaco öfter am Spieltisch sitzen gesehen, immer in Gesellschaft desselben fremden Herrn. Es heiße, sie wolle ihre Villa verkaufen; sie sei offenbar in Geldverlegenheit, während ihr geschiedener Gatte im Kriege mindestens eine Viertelmillion Thaler gewonnen habe.

So ist Stella reich! dachte Carl. Aber gleichviel, ich liebe sie doch! Er suchte am Abend Frettchen wieder, um sie zu fragen, ob sie den Brief wirklich sicher abgegeben habe. Es sei noch immer keine Antwort da.

* * *

Eliza war in der That vor Kurzem zurück gekehrt, in ihrem ganzen Erscheinen eine Touristin. Der Nomadenzug, die angelsächsische Zigeunergewohnheit wohlsituirter amerikanischer und englischer Familien, mit Sack und Pack auf unserem Kontinent umherzuziehen, die Saison in den Hotels zu verbringen und mit dem Wechsel derselben weiter zu ziehen, diese Unruhe, die sie schon als Kind an der Seite der Mutter umhergetrieben, war in ihr wieder erwacht.

Nur die Verarmung der letzteren, die Aussichtslosigkeit hatte sie in ein ruhiges Leben gezwängt, ohne Befriedigung, ohne Glück. Sie hatte keine Veranlassung, sich in Deutschland heimisch zu fühlen; jetzt am wenigsten. Mit ihrem Gatten war sie auch von diesem Lande geschieden.

Jener hohe Gönner hatte schon bei Ausbruch des Krieges durch eine Vertrauensperson die Beziehung zu ihr gelöst, um nicht in den Skandal verwickelt zu werden, mit welchem der Scheidungsprozeß ihn bedrohte. Eine ziemlich anständige Abfindung hatte sie leicht getröstet; ihre Zukunft war gesichert, wenn auch nicht gerade glänzend.

Eliza hatte einen Abscheu vor diesem Krieg empfunden; sie hatte jenseits der Alpen gelebt. Der Zufall hatte sie einen interessanten Freund finden lassen, einen Spanier, einen feurigen jungen Mann von vierundzwanzig Jahren, der gleich ihr planlos durch die Welt reiste. Beide hatten sich so ganz in ihren Gewohnheiten und Neigungen verstanden, aber wie dies oft von Frauen geschieht, die nach unglücklichen, sie nicht befriedigenden Verhältnissen plötzlich gefunden, was sie so lange vergeblich ersehnt, hatte Eliza in überschwenglicher Weise ihm Alles gegeben, sich selbst und das, was sie vor der Reise als ihre Zukunft betrachtet.

Deutschland war damals bei ihrer Abreise vor dem Kriege von feindlicher Invasion bedroht gewesen, sie glaubte dort keine sichere Stätte für die erhaltene Summe; sie nahm sie deshalb mit sich nach Italien, deponirte sie dort bei einer Bank und kehrte nach Jahresfrist mit einem kaum nennenswerthen Rest zurück.

Der schöne Donato, dem sie in einer schwachen Stunde einen Einblick in ihre Vermögensverhältnisse gegeben, hatte nicht minder zerstörende Neigungen gehabt als sie; er hatte sich anheischig gemacht, ihr an der Spielbank wieder zu erobern, was sie so leidenschaftlich derselben geopfert, aber er hatte mit demselben Unglück gespielt. Eliza war danach im Frühjahr, ihn in Paris lassend, nach Deutschland zurückgekehrt, um ihr Besitzthum zu verkaufen. Donato wollte sie und zugleich günstige Nachrichten von seiner eigenen Familie aus Madrid erwarten.

Die ganze volle Befriedigung, die sie trotz alledem in ihrer Freundschaft mit diesem Manne fand, ließ kein Gefühl irgend welcher Reue in ihr keimen. Sie dankte dem Lauf des Krieges, der sie ihr Eigenthum unversehrt wieder finden ließ. Das Reiseleben, eine Gefühlswärme, die sie nie früher empfunden, das Bewußtsein, endlich eine verwandte, treue Seele zu besitzen, hatte sie nur schöner gemacht, und Dr. Ballmann, als er auf ihren Ruf zu ihr eilte, überschüttete sie mit Komplimenten.

Eliza nahm diese lächelnd hin und sprach mit ihm von Geschäften, von dem Verkauf der Villa.

Ballmann hatte Ansprüche auf ihre Dankbarkeit; er hatte ihren Prozeß gewonnen; aber zu seiner Enttäuschung war sie karg mit derselben, denn sie liebte.

Ballmann, schon durch Gerüchte einigermaßen instruirt, wußte, woran er war. Auch die Motive, die sie zur Veräußerung des hübschen Besitzthums trieben, waren dem klugen Advokaten durchsichtig genug. Er verabschiedete sich etwas kühl von ihr mit dem Gedanken, es sei besser, den Verkauf einstweilen nicht zu übereilen; sie werde schon wieder nach ihm schicken, wenn ihr voraussichtlich bald die Zeit zu lang werde.

Er beurtheilte sie richtig. Eliza hatte das Interesse für ihre alten hiesigen Verehrer nicht mehr. Donato war ihr Gott geworden. Sie gestand sich selber, daß sie zu jedem Opfer für ihn bereit sein würde. Sie ließ also ihre alten Hausfreunde, als sie sich wieder einfanden, unter dem Vorwande des Unwohlseins abweisen und war stolz darauf, daß sie es um seinetwillen thue. Das gab ihr ein Recht auch auf seine Treue.

Sie langweilte sich mit der alten Anna, die inzwischen das Haus gehütet, und das zwang sie doch wieder, wenigstens einige Kavaliere vorzulassen, die sich sehnten, sie wieder zu sehen.

Aber auch die fanden sie zerstreut; weder sie noch die schöne Frau fanden den alten Ton wieder. Sie empfing von ihnen die schönsten Präsente, aber sie ließ dieselben von Anna gleichgültig bei Seite tragen. Sie erhielt von einem ihrer alten Verehrer ein elegantes Coupé mit einem prächtigen Traber geschenkt und sie verkaufte es wenige Tage darauf an einen Pferdehändler und verlor dem Geber gegenüber kein Wort des Dankes. Sie empfing ein kostbares Geschmeide und warf es gleichgültig in ihre Kassette.

Stundenlang saß sie am geschlossenen Fenster, träumend schaute sie hinaus auf den Flor, in den der Frühling die Natur kleidete. Sie las und wußte nicht, was sie las. Dann wieder packte sie die Unruhe; die Angst stieg ihr vom Herzen auf. Sie warf sich auf den Divan und weinte, was sonst nie ihre Schwäche gewesen.

Dann wieder eilte sie an den Schreibtisch, bat ihre Freunde flehentlich, sie zu besuchen, denn sie sterbe vor Langerweile, warf sich dem ersten, der kam, in die Arme und klagte ihm, sie sei das unglücklichste Weib, um in seiner Gegenwart plötzlich wieder von Gewissensbissen hinsichts ihres Donato gepackt zu werden und entrüstet jede Galanterie von sich zu weisen, die sie doch selbst herausgefordert.

Dr. Ballmann ward der einzige, dem gegenüber sie eine gleichmäßige Stimmung beobachtete, wenn sie mit ihm von dem Verkauf des Hauses sprechen konnte, denn er sollte sie aus ihrer Verbannung von ihm, dem Vermißten, erlösen.

Ballmann aber zog absichtlich die Sache hin; einmal ließ er, von ihr gerufen, sich von ihr auf den Knieen beschwören, den Verkauf endlich zu ermöglichen, ein andermal kam er unaufgefordert zu ihr um eine Morgenstunde, in welcher er sie noch im Bette wußte, mit der Meldung, er habe ihr Eiliges zu sagen.

Sie empfing ihn auch in der vertraulichsten Weise. Ballmann sprach ihr von einem ernstlichen Kaufliebhaber und sie schlang freudig dankbar ihre Arme um ihn und nannte ihn ihren Erlöser. Dem schlauen Advokaten erschien es vortheilhaft, die Verhandlungen doch noch hinaus zu ziehen.

* * *


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