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Sechzehntes Kapitel

Wera ging auf ihr Zimmer und machte Licht. Sie stand dem Spiegel gegenüber und sah ihr blasses, wunderschönes Gesicht. Voller Erstaunen blickte sie es an, als sähe sie es zum erstenmal; um dieses Gesichtes willen so viel Trug und Lug, so viel Herzleid und Jammer! Alles nur, weil sie schön war! Wäre sie häßlich gewesen, so würde nichts von allem geschehen sein.

Nur um ihres schönen Gesichtes willen hatte er seine ruchlosen Hände nach ihr ausgestreckt; denn von ihrer Seele hatte er nichts gewußt, wo sie doch nur seine Seele geliebt hatte, diese unlautere, unheilige, häßliche Seele.

Wie Strähne gesponnenen Goldes glänzte ihr im Glase ihr Haar entgegen und plötzlich schämte sie sich, auf ihrem armen Haupte solchen Reichtum zu tragen. Wenigstens das konnte sie sich abreißen! Sie nahm eine Schere und schnitt die prachtvollen Flechten ab, daß nichts davon übrigblieb.

Gern wäre sie mit allem so verfahren, was er an ihr schön gefunden und geliebt hatte; aber sie wagte nicht, Hand an ihre gottgeschaffene Gestalt zu legen.

Dann entkleidete sie sich und zog ihr altes Bauerngewand an.

Jedes Stück des fremden Schmuckes ordnete sie sorgsam auf dem Tische; ihr Haar ließ sie am Boden liegen.

Er wurde gewiß bald kommen, um sie zu nehmen, um sich für alle seine Mühe den Lohn zu holen endlich!

Sie raffte sich auf, löschte das Licht, entriegelte die Tür und schlich hinaus.

Einen Augenblick blieb sie auf der Schwelle stehen. Hier hatte sie die glückseligsten Stunden ihres armseligen Lebens verträumt. – – Was war das? Wer seufzte so kläglich?

Sie war es selbst.

Sie machte die Tür hinter sich zu und verließ das Haus. Der Saal, in welchem sich noch immer die Gesellschaft befand, lag im Erdgeschoß; sie mußte daran vorüber. An einem der Fenster stand ein Mann und spähte in den Saal hinein. Natürlich war es Sascha.

Seine Augen suchten unter den vielen glänzenden Gestalten nach Anna Pawlowna. Dort leuchtete ihr rotes Haar. Sie trug noch ihr Kostüm; schimmernd tauchte aus dem düstern Purpur ihr Nacken auf. Sie sprach mit Boris Alexeiwitsch, heimlich, vertraulich, wie es schien leidenschaftlich erregt.

Durch Saschas verstörten Sinn schoß ein toller Gedanke. Was hatte sie damals zu ihm gesagt? Damals! Sie wollte mit ihm, dem Bauernsohn, mitten unter jene treten, daß alle wüßten, wie stolz sie sei auf seine Liebe. Diesen Triumph sollte sie haben.

Und er wandte sich dem Eingange zu.

Wera war stehengeblieben. War das nicht Sascha gewesen? Erst als sie schon bei ihm vorüber war, fiel es ihr ein. Was tat er so spät noch an dem Fenster? Auch mit ihm war es ja längst vorbei. Warum ließ er seinen Geist immer noch so gespenstisch umgehen?

Sie wollte ihm zurufen, zu ihr zu kommen, sie wäre nun wie er. Aber da sah sie ihn in das Haus treten und sie ging weiter; sie konnte nicht warten, bis er seinen Verstand wiedergefunden. Es wäre leicht möglich gewesen, daß sie unterdessen den ihren verlor.

Das Leben würde sie wohl noch einmal zusammenbringen.

So setzte sie denn ihren Weg fort in die Nacht hinein.

Immer noch war es schweigsam in den Lüften, immer noch stand regungslos das Gewitter am Himmel. Wera ward das Atmen schwer. Die Natur schien entgeistert zu sein, ihr Leben in den letzten Zügen zu liegen. Es war barmherzig von Gott, daß er seiner Schöpfung auch einmal Ruhe gönnte; sie mußte ja todmüde sein von all dem Jammer, den sie auf sich zu tragen hatte.

Ja, nun war alles vorüber, alles von ihr abgefallen; alles Glück, aber auch alle Schwäche. Sie war im Paradiese gewesen, das erste Weib zusammen mit der schönen, schimmernden Schlange.

Diese hatte mit dem glänzenden Apfel gelockt und gelockt, bis Wera danach die Hand ausgestreckt, bis sie davon genossen, worauf auch ihr die Erkenntnis geworden, eine Erkenntnis, die sie mit feurigem Schwert aus dem Paradiese vertrieb. Und sie erkannte, daß ihr recht geschehen; ihr Platz auf der Welt war eine Scholle, die das russische Volk mit seinen Tränen genäßt, mit seinem Blute gedüngt, mit seinen Leiden bepflanzt; sie aber hatte sich ein Elysium begehrt. Zur Scholle zurück kehrte sie wieder mit einer vom Schwert des Engels zu Tode verwundeten Seele. Auf dieser Scholle wollte Wera bleiben, sie mit ihren Tränen netzen, mit ihrem Herzblut düngen, mit ihren Leiden besäen, so lange, bis sie unter der Scholle zu ruhen kam. Wie wohl mußte es dem unsterblichen Menschen sein, wenn er zu Staub geworden!

Wera wanderte die Straße, die nach Moskau führte, wurde aber bald so müde, daß die Knie unter ihr zusammenzubrechen drohten. Sie setzte sich an der Straße hin, unter eine Birke, die ihre Zweige tief herabhängen ließ, wie in Mitleid mit der Verlassenen.

Nicht lange und es begann über ihr zu säuseln und zu sausen; schwache Blitze zuckten durch das schwarze Gewölk und nach einer Weile rollten dumpfe Donnerschläge.

Wera vermochte freier zu atmen. Da sah sie auf der Landstraße eine dunkle Gestalt heranwanken, hörte Stöhnen und lautes Sprechen. Jetzt lachte der Mann auf.

»Sascha!«

Er blieb stehen und starrte nach der Richtung, von wo der Ruf gekommen, sah indessen niemand und erkannte auch die Stimme nicht; und sie klang doch so voller Liebe, so voller Erbarmen. Horch! und jetzt wieder.

»Sascha! Mein armer, lieber Sascha, mein guter, alter Freund! Ich bin's: Wera, deine Spielgefährtin, deine Schwester. Komm zu mir.«

Sie stand auf, damit er sie sähe; aber er regte sich nicht. Da ging sie zu ihm, faßte seine Hand und führte ihn mit sich fort.

»Nun sage mir, was wieder geschehen ist.«

»Wieder geschehen – – «

»Warum bist du auf der Landstraße? Haben sie dich auch hinausgejagt?«

»Ja, hinausgejagt wie einen Hund.« Und er lachte wieder. Dann fragte er: »Was hast du dich in der Nacht auf der Landstraße herumzutreiben? Weißt du nicht, daß sich das gar nicht schickt? Bist du ihn jetzt schon überdrüssig geworden?«

»Ich werde dir alles sagen, aber zuerst will ich von dir hören. Ich bin jetzt für dich verantwortlich,« erwiderte Wera in ihrer klaren, festen Weise. »Was tatest du im Hause Anna Pawlownas? Ich war vorher selbst nicht recht bei Besinnung, sonst wäre ich dir gefolgt und hätte dich zurückgehalten; denn ich sah dich hineingehen. Was wolltest du bei ihr?«

»Sie küssen,« murmelte Sascha. »Vor aller Augen küssen! Sie wollte es damals tun, damals, weißt du? Damals war sie stolz darauf, mich zu lieben. Sie eine Prinzessin! Sie wollte es der ganzen Welt zeigen, die ganze Welt sollte darüber in Erstaunen geraten, was mit der Gottheit geschehen war, zu wem sie sich hinabgeneigt hatte. Deshalb ging ich heute zu ihr in den Saal, wo sie mit Boris Alexeiwitsch stand und flüsterte und Augen machte und –«

»Mit Boris Alexeiwitsch?«

»Ich glaube, es war Boris Alexeiwitsch. Warum sollte er es nicht gewesen sein?«

»Freilich, warum sollte er es nicht gewesen sein?«

»Er oder ein anderer.«

»Es ist gleich – – Du gingst hinein?«

»Ging hinein.«

»O Sascha, Sascha!«

»Ging hinein; gerade auf sie zu. Sie sah mich kommen, sah meine Augen und – –«

»Was tat sie?«

»Nichts; was hätte sie tun sollen? Sie wandte sich mit Abscheu von mir ab; mit Abscheu! – mit Abscheu! – mit Abscheu! – –«

Er sagte das Wort wohl zehnmal vor sich hin, bis ihm die Stimme versagte.

Wera umklammerte seine Hand, als ob sie sie zerbrechen wollte.

Nach einer langen Pause fragte sie ihn leise: »Und dann?«

»Nun und dann – – Dann ließ Boris Alexeiwitsch mich von den Dienern hinauswerfen.«

»O!«

»Ja, so war's – – Ließ Boris Alexeiwitsch mich von den Dienern hinauswerfen. Ich wehrte mich. Aber sie gaben mir einen Schlag auf den Kopf und warfen mich hinaus.«

»Und Anna Pawlowna?«

»Stand dabei und sah zu.«

»Nein! Nein!«

»Und sah zu!« schrie der Unglückliche auf.

Sie gingen weiter; bald darauf brach das Gewitter aus. Bei jedem Blitz blickten sie sich in ihre blassen, entstellten Gesichter. Wie in Flammen stehend, tauchten ihre schwankenden Gestalten aus der Finsternis auf, um sogleich wieder darin zu versinken.

Lange Zeit sprachen beide kein Wort, sahen sich an, wenn es blitzte und hörten auf den Donner, welcher knatterte und krachte, als ob der Himmel, von den Blitzen zerspalten, niederschmettern müßte.

Als das Gewitter vorüber war, ohne daß es zum Regen gekommen, begann Wera: »Wieder erinnere ich dich an die Winternacht, wo wir beide auch Hand in Hand die Landstraße hingingen. Als wir nach Eskowo kamen, läuteten die Osterglocken und wir nannten uns ›die Auferstandenen‹. Jetzt ist es Sommer und keine Glocken läuten und es wäre schön, wenn man von uns beiden, die wir auch jetzt noch die ›Auferstandenen‹ heißen, wie von Gestorbenen reden würde. Aber Sascha, Sascha, ich sage dir, durch den Tod, den jetzt unsere Seelen erleiden, werden wir bald unsere Auferstehung finden.«

Sie sprach zu ihm in der feierlichen Weise, die ihn in jener Osternacht so tief ergriffen hatte. Heute ward ihm wunderbar ruhig dabei.

»Ja, rede zu mir,« sagte er leise. »Damals faßten wir uns bei der Hand, um uns bald wieder loszulassen. Das war meine traurigste Zeit, wo du mir nicht die Hand geben wolltest; denn da war ich am schlechtesten und unwürdigsten. Nun du sie wieder gefaßt hast, wirst du sie immer halten.«

»Immer.«

»Das weiß ich. Ich sagte dir damals gleich: Du bist stark! Siehst du nun, daß ich recht hatte; denn du bist immer noch stark, wo ich ganz gebrochen bin. Wenn du deine Hand von mir abziehst, sinke ich zu Boden und kann zertreten werden von jedem, der des Weges kommt.«

»Gewiß nicht, denn du stehst auf, du erhebst dich, hoch, hoch.«

»Wodurch kann ich das?«

»Durch die Arbeit!«

»Du meinst, durch die Arbeit für das Volk?«

»Das meine ich.«

»Ach, Wera, wir können nichts tun.«

»Jetzt werden wir etwas tun.«

»Jetzt freilich.«

Wera drückte seine Hand und sagte: »Ich weiß, was du denkst. Es ist allerdings schlimm, daß wir erst jetzt etwas tun werden, erst jetzt, nachdem wir das erfahren haben, nachdem wir dadurch für unsere Arbeit vorbereitet worden sind. Aber vielleicht mußten wir es erst erfahren, vielleicht mußten wir erst vorbereitet werden, schwach wie wir beide waren. Ach Sascha, es ist furchtbar, daß unsere Tatkraft nicht aus unserer Liebe zum Volke kommen konnte, sondern aus unserem Haß hervorgehen mußte. Es ist nicht das Rechte, und wir wollen bitten, daß es nicht an uns gerächt werde.«

»Das wäre mir gleich. Wladimir Wassilitsch wird sich freuen.«

»Das wird er. Er hat bei uns erreicht, was er bezweckte.«

»Du wirst alles tun, was er dir aufträgt?«

»Alles.«

Sie schwiegen und sprachen auch nichts mehr bis sie in Moskau ankamen. Eben graute der Tag.

Sascha brachte Wera zum Palast der Prinzessin. Wera wollte mit Natalia Arkadiewna reden und sich dann sogleich zu Tania begeben, die Sascha unterdessen von ihrer Ankunft benachrichtigen sollte.

Das Haus war noch geschlossen. Sie mußten warten, bis es vollends Tag geworden und der Wortschick erwacht war. Da Wera bemerkte, daß der Anblick des Hauses Sascha von neuem in die höchste Auflegung versetzte, schickte sie ihn fort, in die Vorstadt. Noch eine Stunde mußte sie warten, bis sie zu Natalia Arkadiewna gelangen konnte.

Natalia Arkadiewna zeigte nicht die geringste Überraschung, Wera so unerwartet und so früh am Morgen zu sehen. Sie lag zu Bette und schien schwer zu leiden. Wera setzte sich zu ihr, beugte sich auf das Gesicht der Kranken hinab und sagte ihr alles, was vorgefallen.

»Du bist dir selbst treu geblieben,« erwiderte Natalia, ohne zu versuchen, Wera zu trösten.

Sie wollte aufstehen, war aber so schwach, daß sie wieder zurücksank.

»Ruhe dich, schone dich!« bat Wera.

»Ich darf nicht. Vom Exekutivkomitee ist mir ein Auftrag erteilt worden. Ich muß ihn ausführen.«

»Was ist es?«

»In Dawidkowo eine Bauernrevolte anzuzetteln.«

»Mußt du gehorchen?«

»Ich will gehorchen.«

»Laß mich statt deiner gehen.«

»Gregor Michailitsch liebt dich zwar; aber gehe nur statt meiner. Es mag die Buße für deine Liebe zu Boris Alexeiwitsch sein.«


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