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Dreizehntes Kapitel

»Du liebst mich nicht mehr!«

»Quäle mich nicht!«

»Warum bist du so kalt gegen mich?«

»Ich sage dir, du quälst mich.«

»Das ist nicht wahr. Es ist dir ganz gleichgültig, was ich dir sage.«

Anna Pawlowna zuckte die Achseln, lehnte sich in den Sessel zurück und schloß die Augen. Hoffentlich geht er jetzt, dachte sie. Doch er ging nicht. Er stand ihr gegenüber und verschlang sie mit den Blicken. Aber, ich könnte mich jetzt umbringen, und sie würde nicht aufsehen, dachte er, und hätte sie am liebsten auf die Probe gestellt.

»Wenn du mich nicht mehr liebst,« begann er endlich von neuem mit leiser, unsicherer Stimme, »so solltest du mir sagen: Ich liebe dich nicht mehr. Geh! Sage es, und ich werde gehen.«

Er wartete, Todesangst in seinen Blicken, die er nicht von ihr wandte. Wenn sie es wirklich sagte, wenn er wirklich gehen müßte, gehen, um niemals wiederzukommen. Was sollte er dann noch in der Welt?

Anna Pawlowna überlegte.

Vielleicht vermöchte ich jetzt frei von ihm zu werden. Aber ich will nicht. Konnte ich in den Irrtum verfallen, so will ich auch dafür büßen. Ich werde es doch nicht mehr lange ertragen. Um so besser! Ich bin ernstlich leidend.

Sie sah ihn an.

»Anna, Anna,« stammelte er, unter ihrem Blicke erbebend. »Wenn es wahr wäre, wenn du mich nicht mehr liebtest, würdest du es mir sagen, denn du kannst nicht lügen. Sage es mir! So wie es ist, ertrage ich es nicht länger. Es ist unserer nicht würdig, weißt du. Wenn du wüßtest, in welcher Verzweiflung ich lebe, wie ich langsam zugrunde gehe. Habe Erbarmen! Vielleicht wünschest du doch, daß ich gehe, und willst mir nur ersparen, es dich sagen zu hören. Denn du bist gut; ja, das bist du. Ich verspreche dir, daß ich mich aufraffen, daß ich stark sein will. Dieser Zustand kann nicht dauern, er ist eines Mannes unwürdig. Das mußt du doch einsehen! Vielleicht überlegst du es dir. Sieh; ich bin und bleibe ein Bauernsohn und du – – Freilich, du liebst das Volk. Aber du bist und bleibst eine vornehme Dame, eine Prinzessin. Allerdings diese Unterschiede werden jetzt aufhören, jetzt werden alle gleich werden, es wird keine Schande mehr sein, wenn eine Fürstin einen Bauernsohn liebt. Im Gegenteil! Aber du bereust es vielleicht doch; und was soll dann daraus werden? Wenn du mir nur die Wahrheit sagen wolltest! Die Wahrheit! Anna! Vielleicht ist es noch Zeit. Ich gehe fort und komme nicht wieder und – und lebe weiter; jammervoll, elend, aber doch würdiger und männlicher als jetzt. Du sollst kein Wort der Klage von mir hören. Sage es mir nur; sage mir jetzt nur die Wahrheit und ob ich gehen soll.«

Aber sie schwieg und hielt die Augen gesenkt.

»Bedenke,« fuhr Sascha nach einer Pause in höchster Aufregung fort, »bedenke, daß, wenn du es mir jetzt nicht sagst, es leicht zu spät werden könnte. Es sieht schlimm in mir aus. Ich erschrecke oft vor mir selbst, ich möchte etwas begehen, etwas Fürchterliches. Es läßt sich nicht ausdenken, wohin ein Mensch kommen, wohin Leidenschaft und Unglück ihn bringen kann. Es gibt eine solche Verzweiflung, wir vermögen solche finstere Gedanken zu denken, solchen schrecklichen Gewalten zu verfallen. Und wenn ich dich ansehe – – Weißt du, daß ich oft denke, ich möchte dich töten.«

»Ein sehr kluger Gedanke.«

Sie schlug die Augen zu ihm auf und sah ihn an, mit einem Blicke, als sähe sie ihn zum erstenmal. Dann erhob sie sich, nickte ihm freundlich zu, streckte ihm die Hand hin und sagte: »Eine kleine Weile wird es wohl noch auszuhalten sein. Habe Geduld mit mir.«

»Anna!«

Nach diesem Gespräch kamen für Sascha noch einige glückliche Tage. Anna Pawlowna schien einen festen Entschluß gefaßt zu haben, und war seit langer Zeit wieder umgänglich, gesellig, auf Augenblicke sogar heiter. Diese Stimmung der Prinzessin veränderte das Leben im Landhause vollständig; denn Anna Pawlowna ließ nun sofort nach allen Seiten hin Einladungen ergehen, und das Haus füllte sich mit Gästen. Sascha mußte ein Zimmer im Dienerhause beziehen, denn es kamen mehr Menschen, als sich in der Villa beherbergen ließen. Bei Tafel saß er fortan ganz unten neben Wera und ward von niemandem beachtet. Das war ihm lieb. Diese eleganten Damen und Herren, die sich benahmen, als ob sie in Kunzewo zu Hause wären, und kein Wort Russisch sprechen zu können schienen, flößten ihm einen heftigen Widerwillen ein. Anfänglich war er, wie gesagt, mit seiner obskuren Stellung ganz zufrieden, denn Anna Pawlowna benahm sich nach wie vor gütig gegen ihn, ganz besonders gütig. Wenn er sie sah, in strahlender Schönheit, die Herrlichste von allen, so schwellte sein noch immer gläubiges Herz ein Gefühl des Glückes und Stolzes, daß ihm war, als zersprenge es ihm die Brust.

Immer wieder berauschte sich so der Ärmste; denn immer wieder gönnte Anna Pawlowna ihm ein heimlich geflüstertes Wort, einen verstohlenen Blick. Das täuschte ihn so vollständig, daß keine Regung von Furcht oder Eifersucht in ihm aufkam.

Stumm saß er neben Wera, von der er wie durch einen Abgrund getrennt war. Sie sprachen niemals miteinander und schienen einander gar nicht zu kennen. Wera bedurfte ihrer ganzen Kraft, um nicht ihren Empfindungen zu erliegen; denn Boris Alexeiwitsch hatte plötzlich eine neue Taktik eingeschlagen. Er kümmerte sich nicht mehr um sie und gab sich, gerade wie Anna Pawlowna, mit ganzer Seele den Zerstreuungen des gesellschaftlichen Lebens hin. Er ließ alle seine Talente spielen, sprühte von Witz und war in Erfindungen von gesellschaftlichen Zerstreuungen unerschöpflich. Anna Pawlowna mußte seine Grazie bewundern und sich das Geständnis machen, daß er liebenswürdig sei. Ihre Phantasie fing an, sich eine Gegenfigur zu Sascha zu schaffen, welche mehr und mehr, ihr selbst unbewußt, die schönen, schlaffen Züge und eleganten Manieren ihres Vetters annahm. Zum Unglück war Sascha immer da, wie zum Vergleiche bereit.

Wera litt unsäglich. Doch war es nicht Eifersucht, was sie empfand, wenn sie sah, wie Boris nur Augen und Sinn für andere hatte, für diese schönen vornehmen Frauen, die so laut lachten und so leise flüsterten, so leuchtende Blicke mit ihren Kavalieren wechselten und sich so sicher bewegten. Was sie am meisten quälte, war tiefe Scham, daß er zu ihr das heilige Wort Liebe hatte aussprechen können, daß er früher in derselben Weise vertraulich mit ihr plaudern, ihr dieselben strahlenden Blicke hatte zuwerfen können, wie jetzt den anderen. Und sie war doch so ganz anders als jene!

Aber waren es wirklich dieselben Blicke?

Sie wollte ihm nicht unrecht tun; und so saß sie denn, ihn beobachtend und kein Auge von ihm wendend. Zu gleicher Zeit kam sie sich so unwürdig, so tief gesunken vor, in ihrem Stolze so ganz gebrochen und um nichts besser als Sascha, den sie doch verachtete.

Boris wußte genau, wie es um sie stand und erleichterte ihr nichts. Seine Leidenschaft für sie nahm mit jedem Tage zu; aber je heftiger sie wurde, um so kaltblütiger ging er vor. Während sie scheinbar gar nicht mehr für ihn existierte, berechnete er bereits im stillen, wie lange ihr Widerstand noch dauern könnte, wann sie sich ihm würde ergeben müssen.

Mit Entzücken bemerkte er, wie alle Versuche seiner Freunde, Weras Gunst zu gewinnen, abgewiesen wurden, mit einer Haltung und Miene, die einer Königin würdig war. Und plötzlich nahm ihr ganzes Wesen etwas Vornehmes an. Sie hörte auf, sich in ihrem Kleide zu bewegen, als ob sie noch immer das russische Kostüm trüge und sich der neuen Tracht wie einer Maske schämte. Sie benahm sich mit natürlichem Anstand und einer Würde, die etwas Imponierendes hatte. Im Ausland hätte er sie in jedem Salon einführen können.


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