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Drittes Kapitel

Die Kammerfrau trat in das Speisezimmer und die Prinzessin fuhr aus ihrer Vision auf.

»Laß uns allein!« rief sie der Vertrauten zu.

Die Lampe war angezündet worden, sie nahmen an dem Teetisch Platz; Anna Pawlowna schenkte ihm ein und legte ihm vor, was ihn so aufregte, daß er keinen Bissen zu essen vermochte. Während er trank, saß sie ihm gegenüber und sah ihn unverwandt an. Sie empfand, wie jede Minute sie der Erfüllung ihres Geschickes näher brachte.

Welche Komödie das Leben ist, dachte sie. Es macht müde und das Herz bleibt leer. Ich muß diese Leere ausfüllen, der leeren Brust ein Herz geben, eines anderen Herz! Wie – das Herz eines Bauern? Und das sollte keine Posse sein?! Dem Vater ließ ich die Knute geben und den Sohn möchte ich küssen. Ich bin toll! Aber das Herz ist mir wie gestorben und will doch auch einmal leben. Man ist doch schließlich auch ein Geschöpf! Aus diesem Nichts in jenes Nichts überzugehen, ohne jemals etwas empfunden zu haben, es wäre zu sinnlos.

Als er endlich mit seiner Tasse fertig war, nahm sie das Gespräch wieder auf: »Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Sie sind viel zu vertrauensvoll, viel zu kindlich dem Leben gegenüber. Das ist sehr hübsch, aber sehr unpraktisch. In der Welt muß man weltklug sein. Ich hatte keine Ahnung, daß es einen Mann gäbe wie Sie. Mir sind Sie übrigens am liebsten so wie Sie sind, aber ich bin nicht die Welt. Das Leben kann sehr schmutzig sein und Sie sind so rein, so unberührt.«

Was für eine Frau! dachte Sascha; was für eine Frau! Sie ist unglücklich, sie möchte aufhören zu leben und sie denkt an mich! Wie ist das nur möglich? Wer bin ich, daß sie an mich denkt? Ein Mensch, nicht wert, ihre Füßchen zu küssen! Und sie ist unglücklich, sie so schön, so gut, so mächtig – –

Darüber kam er nicht heraus, Anna Pawlowna fuhr fort: »Wer mit Ihnen lebt, muß ein besserer Mensch werden. Ich kann begreifen, daß Wladimir Wassilitsch glaubt, Sie vor mir warnen zu müssen.«

»Warum?« stammelte Sascha, heftig atmend. »Mich vor Ihnen warnen – –«

»Nun ja. Als ob Wladimir Wassilitsch nicht versucht hätte, Ihnen Argwohn gegen mich einzuflößen. Was hat er Ihnen von mir gesagt? Daß ich nur Ihretwegen zu den Euren gehöre, daß ich mit Ihnen spiele, daß ich Sie einschläfern, Sie unglücklich machen würde?«

»Das alles hat er mir gesagt,« bekannte Sascha voller Verzweiflung. Er fühlte, daß er den Mann, der ihm das alles von Anna Pawlowna gesagt, der ihn vor Anna Pawlowna gewarnt hatte, haßte, daß er diesen Mann töten könnte, und wenn er sein bester Freund, sein Bruder wäre.

»Wie? Und Sie lassen sich trotzdem – –«

Sie verstummte und sah ihn an, mit einem Blicke, der ihn wie eine Flamme traf. Als handelte es sich um Tod und Leben, begann Sascha zu reden: »Sie wissen, was für ein Fanatiker Wladimir Wassilitsch ist, und Sie wissen, wie ich an Sie glaube. Es ist ein schrecklicher Irrtum Wladimirs, Ihnen zu mißtrauen, ein großes Unrecht! Welch andere Absichten als die besten, als die allerbesten könnten Sie haben? Bedenken Sie doch die Gefahren, denen Sie sich unsertwegen aussetzen! Und wir würden Sie nicht einmal beschützen können. Natürlich würde ich es versuchen, aber was könnte ich helfen? Sie tun so viel für uns, Sie opfern so viel, Sie würden gern noch mehr für uns tun. Es kann aber natürlich alles nur langsam geschehen und die Unseren sind so unvernünftig. Das hat gar nicht meine Billigung, ich bin sehr traurig darüber. Es ist nicht das Rechte, es hilft dem Volke nichts, das Volk wird dadurch nur noch unglücklicher werden. Es ist alles sehr schlimm. Sie sind so klug, Sie sollten – – Ach, ich kann mich so schlecht ausdrücken, ich bin so unbeholfen. Sie haben ganz recht: ich bin unmännlich. Ich weiß so wenig, ich habe gar keine Kenntnisse. Alles verwirrt mich. Ich habe die besten Absichten, aber ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich nicht verachten. Sie verachten ja auch das Volk nicht; ach nein, gar nicht! Ich weiß, daß Sie das Volk sogar lieben.«

»Ich liebe Sie!«

Sie sagte es laut und fest, ohne sich zu rühren.

Sascha fuhr in die Höhe, wollte auf sie zu, taumelte, blieb stehen, starrte sie an, murmelte: »Ach, Anna Pawlowna, was haben Sie gesagt?«

»Die Wahrheit!«

Das Zimmer kreiste um Sascha. Er zitterte und hielt sich am Stuhle fest. Endlich brachte er mit Anstrengung hervor: »Nun ja, Sie sind sehr schon. – – Ich kann nichts denken! – – Sehr schön! – – Ich weiß, Sie lügen nicht. Das kann man gar nicht, wenn man so schön ist. Da muß man auch gut sein. Ich weiß nicht, was Sie sagten; aber das schadet nichts. Reden Sie nur weiter. Sie haben eine solche süße Stimme. – – Ach, Anna Pawlowna, ich bin ja aber eines Bauern Sohn!«

Anna Pawlowna erhob sich und ging auf ihn zu.

»Ich habe das nicht vergessen. Ich glaube, gerade deshalb muß ich Sie lieben. Sie kennen die Männer nicht, mit denen ich so lange leben mußte, an deren einen ich verkauft ward. Da ist alles so matt, so verbraucht, so entnervt. Zuletzt wird man ebenso. Es steckt an, man wird mit vergiftet. Fort mit ihnen! Wir wollen sie wegwerfen und über sie lachen. Ja und wir wollen sie verachten, denn sie verdienen nichts Besseres. Sie aber liebe ich!«

»Soll ich mich töten?« stammelte Sascha. »Sagen Sie es mir; es wäre vielleicht das beste. In meinem Kopf wirbelt es durcheinander. Mein Gott, ich werde doch nicht den Verstand verlieren?«

Feierlich sprach sie: »Sie sind eines Bauern Sohn – immer will ich daran denken! Meine Väter haben Ihre Väter mißhandelt, Sie sollen sie an mir rächen! Ihre Väter waren unsere Knechte, Sie sollen mein Herr sein! Ich habe viel zu sühnen. Aber Sie wissen nicht, wie eine Frau alles wieder gutzumachen vermag. Sie kennen nicht die heilende Macht einer Frau. Und kämen Sie zu mir mit zerrissenen Gliedern, meine liebkosende Hand würde Ihre Wunden heilen. Und wäre ich eine Bettlerin, ich würde Sie reich machen, Krösusschätze über Sie schütten. Was ich bin und habe, gehört Ihnen und den Ihren. Aber nicht ich bin es, welche gibt, sondern Sie. Sie geben mir, Sie! Ach Sascha, ich möchte diesen Glanz von mir werfen und ein Bauernweib werden. Befehlen Sie es mir! Es muß schön sein, sich von Ihnen befehlen zu lassen. Ich mochte vor sie alle hintreten und ihnen sagen: Das ist er, den ich liebe, den ich verehre, der mich zu sich erhebt, der mich gut und sich gleich macht, der mich zu einem Ebenbilde Gottes erschafft. Was für Gesichter sie machen würden, diese Puppen! Ach ich bin sinnlos!«

»Ich wußte nicht, daß es so etwas auf der Welt gibt,« rief Sascha außer sich. »Niemand hat mich bis jetzt geliebt. Und Sie – – Ich kann es nicht fassen! Sehen Sie doch nur, was für Hände ich habe. Und Sie – solche Händchen!«

Ei beugte sich herab und küßte leidenschaftlich die schlanken blassen Finger.

»Erschrecken Sie nicht, wenn ich wild bin. Es liegt wohl in meiner Natur. Aber so treten Sie mich doch mit Füßen! – – Ich will nichts denken, als das eine Wort, das Sie gesagt haben. Nein, sagen Sie es nicht wieder, ich muß Sie sonst – – Ach, Sie haben so weiße Zähne und so rote Lippen! Und was für Haar! So weich, so seidig, so duftig! Ich will es auflösen und Sie sollen mich damit in Banden schlagen, wie – – Ich habe den Namen vergessen.«

»Sie hieß Lillith. Aber sei still.«


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