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Zwölftes Kapitel

Es begann in Moskau heiß zu werden, die meisten der vornehmen Familien befanden sich bereits auf ihren Gütern und Landsitzen. Die prächtige Stadt verödete, das Leben zog sich in die Vorstädte und in die ärmeren Quartiere zurück; in der grellen Sommersonne, unter dem glühenden Himmel, den während des Tages meist eine gelbliche Dunstwolke umqualmte, glich Moskau mit seinen bunten strahlenden Kuppeln mehr noch als sonst einer orientalischen Stadt. Auch Anna Pawlowna hatte mit einem großen Teil ihrer Dienerschaft ihr Landhaus in Kunzewo bezogen. Gern wäre Wera zurückgeblieben, aber Wladimir hatte ihr befohlen, der Prinzessin zu folgen und dieselbe auf Schritt und Tritt zu bewachen; denn nach wie vor hegte er gegen die Wahrhaftigkeit ihrer Gesinnungen starken Verdacht. Sascha war nicht mitgenommen worden, bewohnte sein altes Quartier bei Marja Carlowna, befand sich jedoch häufig in Kunzewo. Ein beständiger Gast in dem Landhause war Boris Alexeiwitsch, der elend aussah, sich von seinem Kammerdiener nicht mehr frisieren ließ und auf sein Taschentuch aus feinstem Batist kein Parfüm mehr goß.

Seltsamerweise machte die Fürstin Danilowski keinerlei Anstalten, Moskau zu verlassen, was sonst um diese Zeit stets geschehen war. Sie lebte bei geschlossenen Läden in einer fortwährenden Dämmerung, trug weiße, dünne Gewänder, ließ ihr Haar frei herabhängen und ernährte sich von Limonade, Schlagsahne und Konfekt. Da ihre sämtlichen Bekannten Moskau verlassen hatten, so gab sie sich ganz dem Studium von Alexander Herzen und Michael Bakunin hin, las Moleschott und Schopenhauer, deklamierte Leopardi und schickte alle Tage nach Wladimir Wassilitsch, der sich auch zuweilen bei ihr einfand, kurze Zeit blieb und stets eine große Summe mit sich fortnahm, die für nihilistische Zwecke sofort nach allen Himmelsrichtungen versandt wurde.

Auf allen Gemütern schien die Schwüle des heißen Sommers zu lasten; die lange Reihe schöner Tage wirkte allmählich ermattend auf die Geister. Anna Pawlowna schloß sich fast ganz von den andern ab; sie war ernstlich leidend, dabei herrlicher als je. Etwas Eigentümliches, nicht zu Erklärendes hatte sich über ihre majestätische Schönheit gelegt. Ihre Bewegungen waren matt, ihr Blick hatte etwas Seelenloses. Sie zeigte sich erst bei Tafel, die am späten Nachmittag in der Gartenhalle und stets mit einem gewissen Zeremoniell abgehalten wurde. Am Büfett präsidierte der französische Haushofmeister, hinter Anna Pawlownas Lehnsessel stand ein Kammerdiener, zwei Lakaien servierten. Auch wenn keine Gäste anwesend waren, erschien die Prinzessin in Dinertoilette und Boris Alexeiwitsch in weißer Krawatte. Wera, in einem schwarzseidenen Kleide, das die Prinzessin für sie von ihrem Pariser Schneider hatte anfertigen lassen, aber mit ihrer alten ländlichen Haartracht, von welcher Boris Alexeiwitsch entzückt war, speiste regelmäßig mit. Sie sah in dem modernen Anzug ungemein stattlich aus – »fast vornehm«, wie Boris Alexeiwitsch es nannte.

Aber sie bewegt sich schlecht, kritisierte er im stillen. Schade, daß sie so gar nicht eitel ist, daß es so ganz unmöglich ist, ihr einen Begriff von ihrer Schönheit beizubringen. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen! Sie sieht sich doch im Spiegel, sie ist doch schließlich auch ein Weib. Mit diesem Kopf würde jede andere Wunder vollbringen – nun, ein Wunder hat sie an mir vollbracht. Ein creme-weißes Mousselinkleid müßte ihr prachtvoll stehen. Ich muß mich doch hinter meine Cousine stecken; aber mit der ist jetzt nichts anzufangen.

Wera sprach bei Tische nur dann, wenn sie angeredet wurde. Sie litt wahre Qualen, schämte sich ihres seidenen Kleides und trug es lediglich, weil es Anna Pawlownas Wunsch war, und weil Wladimir ihr befohlen hatte, sich den Wünschen der Prinzessin schweigend zu fügen. Die mit Silber überladene Tafel, das kostbare Service, die vielen Speisen und teuren Weine flößten ihr Abscheu ein. Sie genoß so wenig als möglich und bei jedem Bissen war ihr, als beginge sie einen Diebstahl an dem Volke.

Bei diesen Mahlzeiten bemühte sich Anna Pawlowna nicht im geringsten, ihre Stimmung zu verbergen. Ihr Gesicht sagte immer von neuem deutlich: Ich bin dieses Lebens überdrüssig.

So führte denn Boris Alexeiwitsch die Unterhaltung allein. Er tat es mit vielem Geschick und Takt, mit so vieler Anmut, daß es ihm gelang, alle über die peinliche Situation, die Anna Pawlowna durch ihr seltsames Wesen verursachte, hinwegzubringen; zum erstenmal in ihrem Leben zollte die Prinzessin ihm Anerkennung. Eine merkwürdige Wandlung vollzog sich in Wera. Seit dem Augenblick wo Boris ihr zugeflüstert hatte, daß er glücklich sei, mit ihr sterben zu dürfen, war ihr Leben ein beständiger qualvoller Kampf gegen Gewalten, welche mehr und mehr Macht über sie gewannen. Es war ein Meisterstreich des großen Virtuosen in der Kunst der Verführung gewesen, ihr zu sagen, daß er mit ihr sterben wollte, da er nicht mit ihr vereint leben konnte. Es war der einzige Gedanke, dessen sie sich in jeder Minute klar bewußt war. Er hatte mit ihr sterben wollen! Alles andere ging unter in diesem einen; eine ganze Welt, die sie in sich aufgebaut, ging darüber zugrunde, wurde dadurch in Trümmer geschlagen. Er wollte mit ihr sterben! Es lähmte, es brach ihre Kraft, es zermalmte ihre Seele, es zerstörte fast ihre Sinne. Er wollte mit ihr sterben. Er mußte ein reiner Mensch sein.

Dieser Glaube an ihn wurde immer stärker. Sie richtete sich daran auf, sie beruhigte damit alle Gewissensqualen, alle Angst und alle Zweifel. Er ist ein reiner Mensch!

Ich bin doch im Grunde ein guter Kerl! glaubte schließlich auch Boris Alexeiwitsch von sich selbst, gewann mehr und mehr eine hohe Meinung von seinen sittlichen Eigenschaften und bildete sich allen Ernstes ein, daß er bisher vollständig im unklaren über sich geblieben war. Nun hatte seine Leidenschaft zu Wera, hatte seine Liebe ihn zu dem entwickelt, was er eigentlich immer gewesen.

Nach dem Diner fuhr die kleine Gesellschaft gewöhnlich eine Stunde spazieren; darauf trennte man sich, um spät abends noch einmal zusammenzukommen, wo dann auf der Terrasse der Tee eingenommen wurde, den Wera bereiten durfte. Wenn er nicht vorlas, setzte Boris sich ans Klavier und begann zu spielen, zu phantasieren.

Boris spielte vortrefflich. Er war ein Verehrer Chopins, dessen virtuose Kunst und leidenschaftliche Natur mit seinem eigenen Wesen verwandt war. Aber Wera verstand den genialen Komponisten nicht. Ihr ward bei Chopin unsäglich beklommen zumute, gerade wie in ihrem eleganten Seidenkleide. Sobald Boris das merkte – und ihm entging nichts, was sie betraf – schlug er auf dem Klavier eine ganz andere Sprache an, eine Sprache, von der er wußte, daß Wera sie verstand: volkstümliche Melodien, Lieder und Gesänge. Alle waren wehmütig und sehnsuchtsvoll, in allen liebte das russische Mädchen und der russische Jüngling, liebten und litten. Es war immer dasselbe Thema, das er hundertfach variierte; überzeugt, damit zu Weras Herzen zu sprechen.

Ebenso umsichtig, wie bei seinem Klavierspiel, benahm er sich bei der Wahl seiner Lektüre. Onegin war längst gelesen und hatte auf Wera einen überwältigenden Eindruck gemacht. Da Boris Verse, bei denen er sein weiches volles Organ in allen Klangfarben spielen lassen konnte, vortrefflich las, so hätte er am liebsten nur Gedichte vorgetragen: Puschkin und Lermontoff. Aber er bemerkte, daß Wera den Gedichten nicht dieselbe Aufmerksamkeit schenkte, wie den Erzählungen. Sie wollte ein Begebnis hören, sich an Personen halten und nicht sich von Stimmungen beeinflussen lassen. Mit einem Wort, sie wollte miterleben und mitleiden. So griff Boris denn zu Turgenieff und hätte gar nicht klüger wählen können. Denn Wera, die sich als Kind ablehnend gegen Saschas Märchen verhalten hatte, lauschte jetzt mit der Leidenschaft eines Kindes den Erzählungen des russischen Meisters. Sie hörte das »Tagebuch eines Jägers«, die »Frühlingsfluten«, »Faust« und »Rauch«; zuletzt gar nicht mehr in der Wirklichkeit lebend, so daß sie zuzeiten ihr eigenes Dasein vollkommen vergaß.

Erwachte sie dann aus diesem Traumleben, so war der Jammer groß. Blaß und verstört ging sie umher, sah Menschen und Dinge mit erstaunten, fremden Augen an, wußte nicht, was mit dem Leben beginnen. Es war ein Glück, daß Boris sie scharf bewachte und stets mit einem neuen Betäubungsmittel zur Hand war. Er bezweckte bei dieser Methode, Wera davon abzuhalten, über sich selbst nachzugrübeln. So ward sie allmählich ihrer eigenen Seele entfremdet.

Niemals sprach er mit Anna Pawlowna über sie. Überhaupt hatte sich zwischen ihm und seiner Cousine ein seltsames Verhältnis herausgebildet, das besonders stark in Saschas Anwesenheit hervortrat. Bisher hatten die beiden Verwandten nichts Gemeinsames gehabt; das war nun anders geworden. Sie empfanden auf einmal, daß sie zusammengehörten, daß sie durch ein unlösliches Band miteinander verbunden waren, weniger durch ihre Bluts- als vielmehr durch ihre Standesverwandtschaft. Sie entdeckten, daß sie vielfach nicht nur dieselben Ansichten, sondern auch dieselben Neigungen hatten; zwar vermieden sie es, beisammen zu sein, doch ihre Blicke begegneten sich zuweilen mit einem sonderbaren Ausdruck. Saschas Name wurde niemals zwischen ihnen genannt. Boris haßte den Bauernsohn, ein Gefühl, das von diesem aufrichtig erwidert wurde. Gar zu gern hätte der elegante Edelmann den plumpen und groben Plebejer lächerlich gefunden und in den Augen seiner schönen Cousine lächerlich gemacht. Aber in Saschas Haltung, seinem Benehmen, seinem Blick, selbst in dem Klange seiner Stimme lag seit kurzem etwas, das dem blasierten, hochmütigen Herrn unwillkürlich Respekt einflößte.

Anna Pawlowna beobachtete die beiden kaltblütig, aber mit einer gewissen Neugier. Was wird aus der Geschichte werden? Wie wird sie sich dabei benehmen? Wird er seinen Zweck erreichen? Natürlich! Wann wohl? Sehr bald! Und dann – was wird dann? Vielleicht tötet sie sich (wenn sie nicht ihn tötet) und er – – Er fällt in eine andere Passion. Wer wird die nächste sein? Eigentlich ist es doch erbärmlich. – Aber sie tat nichts, um Wera über Boris aufzuklären. Zuweilen fuhr es ihr freilich durch den Sinn: Ich sollte dieses Mädchen retten. Sie nahm sich vor, mit Wera oder mit Boris zu reden; doch es blieb bei der Absicht. Sie hatte zu viel mit sich selbst zu tun, um sich um andere kümmern zu können. Und schließlich – – War sie etwa weniger stolz gewesen als Wera? Und schließlich war auch sie geworden, was andere waren.

Dennoch hatte diese seltsame Frau Stunden, wo sie sich zu überreden suchte, daß sie Sascha immer noch liebe; Stunden, wo sie sich zu belügen vermochte, wo sie die Lüge glaubte. Dann sah sie in ihm, in seiner Leidenschaft für sie, in ihrer Liebe zu ihm ihre einzige Hoffnung, ihr Heil und ihre Rettung. Dann schickte sie nach ihm, dann ging sie in der Nacht ihm entgegen, schlich sich mit ihm ins Haus, demütigte sich vor ihm, klagte sich bei ihm an, bat ihn um Verzeihung, um Erbarmen, überschüttete ihn mit leidenschaftlichen Liebkosungen, zwang ihn durch ihre Liebesgewalt, machte ihn selig, trunken, halb von Sinnen; ihn und sich selbst.

Solchen Stunden der Raserei folgten Tage der Entrüstung, der Verzweiflung, der Ermattung.

Einmal kam sie für einige Zeit nach Moskau, bezog ihren Palast, ließ alle Gemächer öffnen, empfing ihren Liebhaber am hellen Tage, vor aller Augen, fuhr mit ihm aus, gebot der Dienerschaft, ihm zu begegnen, als ob er der Prinz wäre.

Sie ist toll, dachte Boris und zuckte die Achseln.

Indessen allmählich bereitete sich in dem Verhältnis Anna Pawlownas die Katastrophe vor.

Sie hatte ihn lange nicht gesehen, lange nicht, weder nach ihm geschickt noch an ihn geschrieben; sie beabsichtigte Gäste einzuladen und ließ es ihn wissen – – durch ihre Kammerfrau! Diese Person sagte ihm, daß es jetzt der Prinzessin unmöglich sei, ihm zu begegnen, daß er auch nicht schreiben sollte, daß er sich gedulden möchte. Und Sascha »geduldete« sich.

Er hatte nichts in Moskau zu tun; denn selbst die Dynamitfabrikation mußte fürs erste eingestellt werden. Er war ruhelos. Seine Wirtin Marja Carlowna war seine erklärte Feindin geworden und gönnte ihm kein Wort und keinen Blick. Sie sah elend aus, als ob sie krank wäre; Sascha scheute sich vor ihr. Er beschäftigte sich mit nichts, rührte kein Buch an und mied seine Gesinnungsgenossen wie und wo er nur konnte. Selbst die »Sache« war ihm gleichgültig geworden. Stundenlang schlenderte er in Moskau umher, in den Straßen, durch die er einmal mit der Prinzessin gefahren war; stundenlang stand er vor ihrem Palast, den er einmal mit ihr bewohnt hatte und blickte zu den verschlossenen Fenstern auf, bis er mit einem tiefen Seufzer zur Besinnung kam. Dann lief er fort. Er besuchte Teeschenken und öffentliche berüchtigte Lokale, in denen er bald eine bekannte Persönlichkeit ward; doch ließ er sich mit niemandem in ein Gespräch ein.

Jeden Tag begab er sich zu Wladimir, oder vielmehr zu Colja, mit dem er große Freundschaft schloß. Die beiden hatten einander nichts zu sagen, aber sie verstanden sich. Tania behandelte er mit scheuer Ehrfurcht, als wäre sie ein lebendig gewordenes Heiligenbild; mit Natalia Arkadiewna hätte er gar zu gern über die Prinzessin gesprochen, wagte es indessen nicht, da Natalia ihm mit tiefster Nichtachtung begegnete, was ihn sehr betrübte. Wladimir wich er aus, denn er fürchtete dessen abscheuliche Weise zu lächeln, ohne jedoch noch daran zu denken, ihn um seines Lächelns willen erwürgen zu wollen. Wladimir übrigens war auch so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, daß er Sascha gar nicht beachtete.

Einmal besuchte dieser sogar die Fürstin, die ihn aus Neugier zwar empfing, ihn aber äußerst geringschätzig behandelte, so daß er sich voller Zorn und Scham entfernte. Manchen Tag verließ er sein Zimmer gar nicht, blieb im Bett liegen, trank fortwährend Tee, der stark mit Rum vermischt war, und führte leidenschaftliche Gespräche mit Anna Pawlowna. Das setzte er so lange fort, bis er in ein dumpfes Hinbrüten und schließlich in eine völlige Betäubung verfiel. Plötzlich konnte er sich aufraffen, hastig seine Kleider anziehen und hinaus nach dem Bahnhof stürzen, ganz gleich, ob es Mittag oder Mitternacht war. Ging gerade kein Zug nach Kunzewo ab, so lief er den weiten Weg dahin zu Fuß. Unterwegs dachte er sich aus, wie er Anna Pawlowna entgegentreten, was er ihr sagen, auf welche Weise er sich ihr gegenüber benehmen wollte. Er studierte seine Rede Wort für Wort ein. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, seine Pulse schlugen rasch und unregelmäßig, und je näher er Kunzewo kam, desto mehr nahm sein Fieber zu. Er fühlte, wie seinem Gedächtnisse jedes Wort entschwand, wie seine Gedanken sich verwirrten. Erblickte er endlich ihr Haus, so verließ ihn jede Fassung. Er blieb stehen, überlegte, ob er nicht umkehren sollte. Einigemal tat er dies auch wirklich; kehrte wirklich wieder zurück – um am nächsten Tage von neuem unterwegs zu sein. Oder er umschlich das Haus, in der Hoffnung, eine Gelegenheit zu erspähen, um ungesehen in ihr Zimmer zu schlüpfen. Vielleicht auch, daß Anna Pawlowna im Park spazierenging und er ihr begegnen konnte. Fand er den Mut, das Haus zu betreten, so bildete er sich ein, daß die Diener ihm ins Gesicht lachten und hinter seinem Rücken Grimassen schnitten. Da jedoch Anna Pawlowna ihrer ganzen Dienerschaft auf das strengste befohlen hatte, ihm mit größter Ehrerbietung zu begegnen, so wagte niemand eine andere Miene als die der größten Dienstfertigkeit zu zeigen, was ihn bei seiner Stimmung vollständig zu Boden drückte. Allein schon das Zeremoniell des Anmeldens verursachte ihm ein unangenehmes Gefühl; die französische Einrichtung der Zimmer, die herrlichen Bilder, die hohen Spiegel, die Samt- und Seidenmöbel brachten ihn immer von neuem in Verwirrung. Das Parfüm, welches das ganze Haus durchdrang, versetzte ihm den Atem. Jetzt erst begann er als echter Nihilist den Luxus und Reichtum zu hassen, jetzt erst wünschte er den ungeheuren Besitz der einzelnen aufgehoben, in seinem Herzen Anna Pawlowna einen schweren Vorwurf machend, daß sie ihre Schätze noch nicht von sich geworfen hatte.

Es kam vor, daß sie ihn warten ließ – antichambrieren! Das ging über seine Begriffe. Früher hatte sie ihn tagelang vor ihrer Tür stehen lassen können und er hätte es ganz natürlich gefunden.

Ließ sie ihn dann eintreten in ihr kleines Kabinett, das ein Nest von Gold und Atlas war, mit Blumen gefüllt, von Wohlgerüchen duftend, so bemächtigte sich seiner jedesmal eine fast wilde Erregung. Er hätte sie am liebsten mit sich fortgeführt, mit sich fortgerissen aus dieser Pracht. Und sie selbst in ihrem weißen Spitzen-Negligé oder in helle Seide gekleidet, ein funkelndes Geschmeide um den Hals – alle Besinnung verließ ihn. Wie ein blutiger Schleier legte es sich vor seine Augen, daß er nichts sah. Sie sagte etwas, etwas ganz Alltägliches, Gleichgültiges, Kaltes. Er hätte laut aufschreien mögen. Aber er bezwang sich. O, er war stolz, er wollte ihr zeigen, daß auch er – – Was wollte er? Nichts, gar nichts! Es war ja alles Tollheit.

Er trat auf sie zu, aber er konnte nicht reden. Was hätte er ihr auch sagen sollen? Sie mußte ja alles wissen; sein ganzes Elend und daß er von Sinnen kam. Ach, wie schön sie war? Diese Lippen – – er durfte sie nicht mehr anrühren. Weshalb nicht? War er plötzlich ein anderer geworden, liebte er sie plötzlich weniger, hatte sie plötzlich eine andere Seele bekommen? Ich habe sie geküßt und ich will sie wieder küssen, immer, immer wieder! Das war der Ausgangspunkt aller seiner Reflexionen, das einzige, was er klar und deutlich begriff. Doch er wollte ja wohl »auch« stolz sein. Und er war es, fünf Minuten lang! Dann lag er zu ihren Füßen und beschwor sie, ihn nicht von sich zu stoßen, flehte sie an, ihn zu ihren Füßen zu dulden, schluchzte, weinte, verzweifelte.

Sie stand vor ihm mit starrem Gesicht. Ihre Hand war kalt, ihr Blick war stier. Aber sie duldete, daß er sein Gesicht in ihr Haar drückte. Er lachte und jubelte, schluchzte und weinte vor Glückseligkeit! Dann erst gewahrte er ihre Entgeisterung. Und nun brach er aus in Vorwürfe, in Anklagen, in Drohungen. Der Sohn der wilden Steppe ward in ihm lebendig; fast erhob er seine Hand gegen sie.

Sie ertrug seinen Zorn, seine Wut, wie sie seine Liebe und Zärtlichkeit ertragen hatte, bis ihm vor ihr zu grauen begann und er wie ein Rasender davonstürzte.

Sie erlaubte ihm, in Kunzewo zu bleiben. Kam er, so schickte sie ihn niemals fort; aber auch niemals forderte sie ihn zum Bleiben auf. Sie behandelte ihn als den, der er war, also als ihren Liebhaber, nur daß er sich nicht die geringste Liebkosung herausnehmen durfte. Bei Tafel saß er neben ihr, die wenig aß und häufig auf seine großen, roten Hände blickte, wie er den Fisch mit dem Messer zerlegte und dieses in den Mund führte. Aber als er einmal über Hitze in einem Zimmer klagte, ließ Anna Pawlowna ihm die großen, kühlen Gemächer des Prinzen anweisen. Und Boris Alexeiwitsch mußte sich wieder einmal gestehen, daß er diese Frau niemals auslernen würde.


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