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Viertes Kapitel

Eine volle Woche blieb er bei ihr – –

Und das Götterbild neigte sich, neigte sich tief herab.

Der arme Sterbliche, um derentwillen es aus seiner olympischen Höhe niederstieg, wußte nicht, wie ihm geschah. Er stand da und sah es vor sich gehen, und seine arme Seele tat den ungeheuren Sturz mit; tief hinab in den Abgrund.

Denn das unsägliche Entzücken, das ihn beim ersten Neigen ihres stolzen Hauptes ergriffen, verwandelte sich in einen namenlosen Schmerz, da er sein Idol zu seinen Füßen sah.

Ihr Kuß brannte auf seinem Munde, und als ob sie ihm die Seele aus dem Leibe geküßt hätte, stand er vor ihr wie leblos.

Wieder mußte er Marja Carlownas gedenken, Marja Carlownas, die schlecht war und von der er sich abgewendet hatte. Am liebsten hätte er das auch jetzt getan. Am liebsten hätte er seine Wange an die Anna Pawlownas gelegt, daß ihre Tränen zusammengeflossen wären, hätte dann stumm Abschied genommen und wäre davongegangen, irgendwohin in die weite Welt, die nun für ihn nichts Hohes mehr besaß, denn sein Höchstes war ihm genommen: sein Glaube an die Heiligkeit der Frau.

Und Marja Carlowna hatte keinen Mann, dem sie Treue gelobt und den sie hinterging.

Die Frühlingsnacht erhellte mit mattem Schimmer das Zimmer, wo sich die beiden bleich und stumm gegenüberstanden, einander mit Entsetzen in die Augen blickend. Denn die Frau begriff, was in dem Manne vorging und daß sie in ihm eine Welt zerstört hatte, die keine Gottheit wieder aufbauen konnte.

Ihr Blick wurde starr und wild. Sie öffnete die Lippen, sie wollte etwas sagen, einen Schrei ausstoßen, aufstöhnen. Aber sie konnte keinen Laut hervorbringen. Sie wollte ihn fortstoßen, sie wollte fliehen, aber sie blieb stehen wie angefesselt. Hätte sie eine Waffe bei sich gehabt, so hätte sie sich vor seinen Augen getötet. Sie glaubte den Verstand verlieren zu müssen. Der Gedanke, daß er sie verachten könnte, brachte sie von Sinnen, denn sie liebte ihn!

Sie rief, schrie es ihm zu.

Sie war es sich klar bewußt. Während sie sich von ihm verworfen fühlte, erwachte in ihr eine Liebe, eine Leidenschaft, der sie weder Halt gebieten konnte, noch wollte.

»Aber ich liebe dich ja!«

Es war ein Zauberwort, das, von ihrem Mund gesprochen, jeden Widerstand lähmte, jede Kraft brach. Dann flüsterte sie: »Und sieh, ich war so unglücklich; ich lebte dahin, stumpf und dumpf. Alles in mir war tot. Habe Erbarmen mit mir! Ich fühle in mir eine solche Sehnsucht nach Glück. Du weißt nicht, was es heißt, sich mit tödlicher Sehnsucht hinschleppen zu müssen. Der Mensch verkommt dabei. Du bist rein und stark, du kannst nicht wissen, zu welchen Gedanken man gelangt, bei einem Leben, wie ich es führe. Alles in mir ist leer, öde, kalt. Ich friere, mein Herz friert.«

Sie schmiegte sich an ihn. Er fühlte, wie sie zitterte, wie sie erschauerte, und er umschlang sie. Plötzlich rief er, aufstöhnend: »Und Ihr – –«

Sie fiel ihm angstvoll ins Wort: »Still! Von ihm darfst du nicht reden; auch nicht an ihn denken. Er gehört zu jener Klasse von Männern, die wie Gift sind; jede Berührung mit ihnen verpestet. Auch mich hat er verdorben. Das ist nun vorbei. Ich habe dich, du wirst mich besser machen. Es ist so schön, daß ich dich liebe, gerade dich! Es liegt Versöhnung darin. Wir wollen uns dem Volke zuwenden. Mit vereinten Kräften wollen wir an seiner Befreiung arbeiten. Alles was ich besitze, gehört dir – gehört dem Volke, Du sollst glücklich werden.«

Sie drängte ihr Gesicht an seines und er küßte sie mit geschlossenen Augen. Dann entriß er sich ihren Armen.

»Ich muß fort.«

»Es geht heute kein Zug mehr.«

»Ich darf nicht länger bleiben.«

»Aber du liebst mich?«

»Ja! Ja! Ja!«

»Du bist glücklich?«

»Ja.«

»Morgen mußt du wiederkommen, du kommst doch?«

»Morgen – –«

»So geh!«

Er ging; aber sie rief ihn noch einmal zurück.

»Ich begleite dich durch den Park. Es wird uns niemand sehen; und wenn auch – –«

Sie ging ins Schlafzimmer, aus dem sie, einen schwarzen Schleier um den Kopf, gleich wieder heraustrat. Sie schien nicht mehr dieselbe Anna Pawlowna, die sie vordem gewesen. Selbst ihr Gang, ihre Bewegungen waren anders; freier und leichter. Anders war ihre Stimme; inniger und weicher, anders der Ausdruck ihres Gesichts; heiter und jugendlich, die Augen strahlend in einem sanften Glanz, die Lippen von Saschas Küssen gerötet.

Er sah nichts als ihre Schönheit. Auch für ihn war sie gänzlich verwandelt.

Sie hatte den Kelch mit dem Zaubertrank an seine Lippen gesetzt; nun er davon einen Tropfen genossen, würde er unersättlich sein. Sie mochte sich hüten! Auch er war ein anderer geworden.

Als ob sie das empfände, sagte sie: »Weißt du, daß ich mich vor dir fürchten könnte, du großes Kind! Wenn du mich ansiehst, wie eben jetzt, fürchte ich mich vor dir. Was hast du eigentlich für Augen? Sind sie grau oder blau? Laß mich sehen!«

Sie faßte seinen Kopf mit beiden Händen, bog ihn zu sich herab und sah ihm ernsthaft forschend in die Augen.

»Ich glaube, sie sind wie die meinen, und meine Augen sind grün,« entschied sie und lachte. »Unsere Augen passen zusammen, überhaupt gefällt mir dein Gesicht. Und am meisten gefällt mir, daß du nicht schön bist. Aber dein Mund ist schön. Deine Lippen könnten einem antiken Bacchus gehören. Jetzt gehören sie mir.«

Und sie küßte ihn.

Dann löschte sie das Licht und beide verließen das Haus leise und heimlich. Draußen hing sie sich an seinen Arm.

»Was meinst du, wenn wir beide fortgingen und gar nicht wiederkämen? Ich habe genug gelebt und wäre mit dem Ende meines Lebens zufrieden. Ist denn gar kein Fluß in der Nähe? Du dürftest mich freilich nur bis ans Ufer begleiten.«

Sie sagte das lächelnd, aber hätte er diesen Augenblick ihr in die Augen sehen können, er würde sich vor ihrem Lächeln entsetzt haben. Stumm ging er neben ihr.

Alles ringsum war still.

»So rede doch!« rief Anna Pawlowna plötzlich mit Heftigkeit. »Sage mir, woran du denkst, was du fühlst. Frage mich, ob ich nicht träume.«

»Was solltest du träumen?«

»Was?«

»Du liebst mich.«

»Nun ja, aber du dachtest doch Übles von mir; du verachtest mich doch; vorhin tatest du's. Lüge nicht!«

»Wir wollen nicht davon reden, es ist geschehen; ich habe jetzt keine Gedanken.«

»Du wirst dir Gedanken machen; vielleicht heute noch, morgen gewiß. Du wirst über alles nachdenken und mich dann von neuem verachten. Du wirst es! So seid ihr Männer. Nein, so bist du. Deswegen eben liebe ich dich.«

»Deswegen?«

»Begreifst du das nicht?«

»Nein. Was ist an mir Besonderes? Aber ich glaube dir; dir glaube ich alles. Mich verachte ich, mich muß ich verachten; aber dich – –« Und mit plötzlichem Schiecken: »Wenn du nun aufhörtest, mich zu lieben?«

»Darüber sei ohne Sorge. Du kennst mich noch nicht. Ich bin nicht wie andere Frauen. Warum siehst du mich so an?«

»Natürlich bist du nicht wie andere Frauen. Wer ist wohl so schön wie du? Und welche Frau, die so schön ist, wird einen Mann lieben wie mich? Ich bin ein Bauer gewesen, ich bin es noch. Freilich, deshalb liebst du mich ja, du liebst mich, weil du das Volk liebst, das ist es. Ich habe es ihnen immer gesagt, daß du das Volk liebst.«

»Wem hast du das von mir gesagt?«

»Wladimir Wassilitsch und den anderen. Du weißt, daß sie dir mißtrauen.«

»Ich weiß es. Was kümmert das uns, dich und mich?«

»Nichts. Sie werden dich noch kennen lernen.«

»Willst du es ihnen sagen? Meinetwegen darfst du es. Meinetwegen mögen sie wissen, daß ich deine Geliebte bin.«

»Keiner würde mir das glauben. Du darfst aber nicht so von dir sprechen.«

»Warum nicht? Ich bin, was ich mich nenne: deine Geliebte. Es ist keine Schande, oder hältst du es dafür? Ich bin stolz darauf. Sagtest du etwas?« Aber er hatte nichts gesagt.

Sie nahmen keinen Abschied und vermieden es, sich anzusehen.

Langsam kehrte Anna Pawlowna nach Hause zurück.

Nein, dachte sie, nein, ich bereue es nicht. Er ist gut, und ich mache ihn glücklich. Mein Dasein hat einigen Wert erhalten, ich werde ein neues Leben beginnen. Übrigens liebe ich ihn. Wer hätte das gedacht.

Sie blieb stehen und horchte auf seine Schritte. Er ging schnell davon; es klang beinahe, als entflöhe er.


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