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Zwölftes Kapitel.
Von neuem auf der Suche

Am folgenden Tage, dem 27. August, nahm Benito vor Sonnenuntergang Manuel zur Seite und sagte zu ihm:

»Die Nachforschungen, die wir gestern angestellt haben, sind vergeblich gewesen. Wenn wir heute unter denselben Bedingungen wieder begännen, hätten wir vielleicht auch nicht mehr Glück.«

»Es bleibt uns aber doch weiter nichts übrig,« antwortete Manuel.

»Ja,« fuhr Benito fort, »aber falls der Leichnam Torres' nicht wiedergefunden wird, kannst du mir vielleicht sagen, wieviel Zeit erforderlich ist, bis er an die Oberfläche kommt.«

»Wenn Torres,« antwortete Manuel, »lebend in den Strom gestürzt wäre und nicht infolge eines jähen Todes, so müßten wir fünf bis sechs Tage rechnen. Da er aber erst nach dem tödlichen Stoß verschwunden ist, so werden vielleicht zwei bis drei Tage hinreichen, bis er zum Vorschein kommt.«

Diese vollkommen richtige Antwort Manuels erheischt eine Erläuterung.

Jeder Mensch, der ins Wasser fällt, ist imstande, sich im Wasser zu halten, unter der Bedingung, daß das Gleichgewicht zwischen der Dichtigkeit seines Körpers und der des Wassers hergestellt werden kann. Hier ist wohlverstanden die Rede von einer Person, die nicht schwimmen gelernt hat. Wenn sie unter dieser Bedingung sich ganz untertauchen läßt und nur Mund und Nase aus dem Wasser hebt, wird sie treiben.

Aber in der Regel ist dies nicht der Fall. Die erste Bewegung eines Menschen, der ins Wasser fällt, ist, daß er versucht, möglichst viel von seinem Leibe außer Wasser zu bringen: er hebt den Kopf und die Arme, und da nun diese Teile seines Leibes nicht mehr vom Wasser getragen werden, so verlieren sie nicht diejenige Gewichtsmenge, die sie verlieren würden, wenn sie völlig unter Wasser blieben. Das Gewicht wird gesteigert, und der Mensch versinkt völlig.

Das Wasser dringt durch den Mund in die Lungen, nimmt den Platz der Luft ein, die sie erfüllte, und der Körper fällt auf den Grund.

Dagegen verhält es sich bei einem Menschen, der schon tot ist, wenn er ins Wasser fällt, ganz anders, und die Schwimmbedingungen sind bei weitem günstiger, da er nicht mehr die oben erwähnten Bewegungen machen kann, und da das Wasser nicht so völlig seine Lungen angefüllt hat, weil er nicht mehr zu atmen versuchte, so wird sein Körper schneller wieder auftauchen.

Manuel hatte also recht, wenn er zwischen dem Sturz eines noch Lebenden und dem Sturz eines schon Toten einen Unterschied machte. Im ersten Fall dauert es notgedrungen länger, bis die Leiche wieder erscheint, als im zweiten.

Das Wiederauftauchen einer längere oder kürzere Zeit im Wasser liegenden Leiche wird allein bedingt durch die Zersetzung, die Gase zur Entwicklung bringt, welche die Ausdehnung des Zellgewebes herbeiführen. Das Volumen vermehrt sich, ohne daß das Gewicht zunimmt, und da der Körper nun weniger wiegt als das Wasser, das er verdrängt, so steigt er empor und befindet sich jetzt in den zum Schwimmen erforderlichen Bedingungen.

»Obwohl die Umstände also günstig sind,« schloß Manuel, »da Torres nicht mehr lebte, als er in den Strom fiel, so kann er doch, selbst wenn die Zersetzung nicht durch Verhältnisse, die man nicht voraussehen kann, verzögert wird, vor drei Tagen nicht wieder emportauchen.«

»Wir können aber keine drei Tage warten!« antwortete Benito. »Du weißt, wir können nicht warten. Wir müssen also aufs neue auf die Suche gehen, aber auf andere Weise.«

»Was willst du tun?« fragte Manuel.

»Selber auf den Grund tauchen,« antwortete Benito. »Suchen mit den eigenen Augen – suchen mit den Händen.«

»Hm! Ja! Hundertmal tauchen! Tausendmal tauchen!« rief Manuel. »Ich denke wie du. Heute müssen wir aufs genaueste nachforschen und nicht mehr blindlings handeln, mittels Stangen oder Schleppnetzen, die nur wie Tastwerkzeuge arbeiten! Ich denke auch, daß wir selbst drei Tage lang unmöglich warten können! Aber wenn wir tauchen, heraufkommen, wieder hinuntergehen, so können wir dabei immer nur kurze Sekunden suchen! Nein! Das wäre ungenügend, das wäre unnütz und wir riskieren, auch ein zweitesmal mit leeren Händen zurückzukehren!«

»Kannst du mir ein anderes Verfahren vorschlagen, Manuel?« fragte Benito.

»Höre mich an. Ein Umstand – eine Schicksalsfügung fast – kann uns zu Hilfe kommen!«

»Sprich! so sprich!«

»Als ich gestern durch Manaos ging, habe ich gesehen, daß am Ufer des Rio Negro an einem Quai Ausbesserungsarbeiten gemacht werden. Diese Arbeiten unter Wasser werden mittels Skaphander ausgeführt. Wir wollen einen solchen Taucherapparat leihen oder kaufen, um welchen Preis es sei, und dann können wir unter günstigeren Bedingungen unsere Nachforschungen fortsetzen!«

»Teile das Araujo, Fragoso und unsern Leuten mit, und dann vorwärts!« antwortete Benito sogleich.

Der Lotse und der Barbier wurden von dem gefaßten Entschlusse und dem Plane Manuels benachrichtigt. Es wurde ausgemacht, daß sie beide sich mit den Booten und den Indianern nach dem Becken des Amazonas begeben und dort auf die beiden jungen Männer warten sollten.

Manuel und Benito gingen ohne Zeitverlust an Land und eilten nach dem Quai von Manaos. Dort boten sie dem Unternehmer der Hafenarbeiten eine so hohe Summe, daß der Mann sofort bereit war, ihnen den Apparat für den ganzen Tag zur Verfügung zu stellen.

»Wollen Sie einen meiner Arbeiter,« fragte er, »der Ihnen helfen könnte?«

»Geben Sie uns Ihren Werkführer und ein paar seiner Kameraden zur Bedienung der Luftpumpe mit,« antwortete Manuel.

»Aber wer soll den Skaphander anziehen?«

»Ich,« antwortete Benito.

»Benito, du!« rief Manuel.

»Ich will es!«

Es wäre vergeblich gewesen, etwas dagegen zu sagen. Eine Stunde später war das Floß, das die Pumpe und alle erforderlichen Instrumente trug, an dem Strande, wo die Boote seiner harrten.

Die Zusammensetzung dieser Taucherapparate, die es ermöglichen, unter Wasser zu gehen und eine Zeitlang unter Wasser zu bleiben, ohne daß die Lungentätigkeit in irgend einer Weise beeinträchtigt wird, ist hinlänglich bekannt.

Wenn der Taucher an einem Flecke zu arbeiten hat, liegt das Floß über ihm still; wenn er auf dem Grunde hin und her zu gehen hat, folgt das Floß seinen Bewegungen, oder er folgt denen des Floßes, je nachdem wie das zwischen ihm und der Bedienung ausgemacht ist.

Diese sehr vervollkommneten Skaphander sind nicht mehr mit den Gefahren verbunden, wie früher. Der Mann, der untergetaucht ist, gewöhnt sich leicht an den übermächtigen Druck, dem er ausgesetzt ist. Wenn eine Gefahr in diesem Falle zu befürchten gewesen wäre, so hätte es höchstens ein etwaiges Zusammentreffen mit einem Kaiman in der Tiefe des Stromes sein können.

Wie jedoch Araujo bemerkt hatte, war nicht eine dieser Amphibien am vergangenen Tage gesehen worden, denn diese Tiere ziehen bekanntlich das schwarze Wasser der Nebenflüsse des Amazonas vor.

Uebrigens steht dem Taucher im Falle irgend welcher Gefahr die Schnur einer auf dem Floß angebrachten Klingel zur Verfügung, und beim leisesten Anschlag kann er sofort heraufgezogen werden.

Benito, der seine Ruhe nicht einen Moment verlor, wenn er zu einem Entschluß gelangt war und an seine Ausführung ging, zog den Skaphander an. Sein Kopf verschwand unter der Metallkugel; seine Hand ergriff eine Art Fangeisen, mit dem er das Kraut oder alle angetriebenen Massen dieses Beckens durchsuchen konnte, und auf ein Zeichen ließ man ihn hinab.

Die Männer vom Floß, an diese Arbeit gewöhnt, setzten sofort die Luftpumpe in Bewegung, während die Indianer der Jangada das Floß nach Araujos Weisungen langsam mit ihren langen Stangen in der erforderlichen Richtung vorwärts bewegten.

Die zwei Pirogen – in der einen Fragoso, in der andern Manuel, mit je zwei Rudern – begleiteten das Floß und hielten sich bereit, sofort vor oder zurückzugehen, wenn Benito den Leichnam Torres' finden und an die Oberfläche des Amazonas bringen würde.


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