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Drittes Kapitel.
Auge in Auge

Allein in diesem Gemach, wo niemand sie sehen und hören konnte, sahen sich Joam Garral und Torres eine Zeitlang an, ohne ein einziges Wort zu sprechen.

Zögerte der Abenteurer zu sprechen? Begriff er, daß Joam Garral auf das Ansuchen, das ihm gestellt würde, nur mit einem verächtlichen Stillschweigen antworten würde?

Ohne Zweifel! Daher fragte auch Torres nicht erst, sondern trat von vornherein mit Behauptungen auf und stellte sich auf den Standpunkt eines Anklägers.

»Joam Garral,« sagte er, »Sie heißen nicht Garral, sondern Dacosta.«

Als Torres ihm diesen verbrecherischen Namen gab, vermochte Joam Garral ein leichtes Erschauern nicht zu unterdrücken, aber er antwortete nichts.

»Sie sind Joam Dacosta,« fuhr Torres fort, »und waren vor 23 Jahren in den Bureaus des Generalgouverneurs von Tijuco angestellt. Sie sind es, der in dieser Raub- und Mord-Affaire verurteilt wurde.«

Keine Antwort. Joam Garrals seltsame Ruhe mußte den Abenteurer verwundern. Täuschte sich dieser, indem er seinen Wirt anklagte? Nein! Denn Joam Garral sah nicht empor bei dieser furchtbaren Beschuldigung. Jedesfall fragte er sich, wo Torres wohl hinauswolle.

»Joam Dacosta,« fuhr dieser fort, »ich wiederhole es, Sie sind derjenige, der in jener Diamantensache verfolgt, des Verbrechens überführt und zum Tode verurteilt wurde und dann wenige Stunden vor der Hinrichtung aus dem Gefängnis von Villa Rica entrann. Wollen Sie antworten?«

Ein langes Schweigen folgte dieser direkten Frage. Noch immer schwieg Joam Garral. Seine Ellbogen ruhten auf einem Tischchen, und ohne den Kopf zu senken, sah er seinen Ankläger fest an.

»Werden Sie antworten?« wiederholte Torres.

»Was für eine Antwort erwarten Sie von mir?« fragte Joam Garral einfach.

»Eine Antwort,« versetzte Torres langsam, »die mich davon abhält, den Polizeichef von Manaos zu holen und ihm zu sagen: Ein Mann ist hier, dessen Identität leicht festzustellen sein wird, der selbst nach 30jähriger Abwesenheit wiederzuerkennen ist, und dieser Mann ist der Anstifter des Diamantendiebstahls von Tijuco, der Helfershelfer der Mörder der militärischen Eskorte, es ist der Verurteilte, der sich der Vollstreckung entzogen hatte, es ist Joam Garral, dessen wahrer Namen Joam Dacosta ist.«

»Also,« sagte Joam Garral, »hätte ich nichts von Ihnen zu fürchten, Torres, wenn ich Ihnen die Antwort gäbe, die Sie erwarten?«

»Nichts, denn dann hätten weder Sie noch ich ein Interesse daran, von dieser Sache zu reden.«

»Weder Sie noch ich?« antwortete Joam Garral. »Mit Geld kann ich also Ihr Schweigen nicht erkaufen?«

»Nein, was für eine Summe Sie mir auch bieten mögen!«

»Was wollen Sie dann?«

»Joam Garral,« antwortete Torres, »dies ist mein Vorschlag. Antworten Sie nicht voreilig mit einer runden Weigerung und denken Sie daran, daß Sie in meiner Gewalt sind.«

»Wie lautet dieser Vorschlag?« antwortete Joam Garral.

Torres sammelte sich einen Augenblick. Die Haltung dieses Schuldigen, dessen Leben er in der Hand hielt, war wohl dazu angetan, ihn zu überraschen. Er war auf einen heftigen Ausbruch, auf Bestürmungen und Tränen gefaßt gewesen. Vor ihm stand ein Mann, der der schwersten Verbrechen überführt worden war, und dieser Mann blieb völlig ruhig.

Torres kreuzte die Arme und sagte:

»Sie haben eine Tochter, diese Tochter gefällt mir, und ich will sie zur Frau haben.«

Ohne Zweifel war Joam Garral von seiten dieses Menschen auf alles gefaßt, und diese Forderung brachte ihn nicht im geringsten aus der Ruhe.

»Mithin,« sagte er, »will der ehrbare Torres in die Familie eines Diebes und Mörders eintreten?«

»Ich bin alleiniger Richter über das, was mir zu tun beliebt,« antwortete Torres. »Ich will der Schwiegersohn Joam Garrals werden und werde es.«

»Sie vergessen aber, Torres, daß meine Tochter Manuel Valdez heiraten wird.«

»Sie lösen eben das Verhältnis mit Manuel Valdez.«

»Und wenn meine Tochter sich weigert?«

»Sie werden ihr alles sagen und – ich kenne sie – sie wird sich fügen,« antwortete Torres unverschämt.

»Alles?«

»Alles, wenn es sein muß. Vor die Wahl gestellt zwischen ihrer eigenen Neigung und der Ehre ihrer Familie, dem Leben ihres Vaters, wird sie nicht zaudern.«

»Sie sind ein recht erbärmlicher Schuft, Torres!« sagte ruhig Joam Garral, den die Kaltblütigkeit nicht verließ.

»Ein Schuft und ein Mörder passen zusammen und werden sich verstehen.«

Bei diesen Worten erhob sich Joam Garral und trat auf den Abenteurer zu, ihm fest ins Gesicht sehend.

»Torres,« sagte er, »wenn Sie verlangen, in die Familie Joam Dacostas aufgenommen zu werden, so wissen Sie, daß Joam Dacosta unschuldig ist an dem Verbrechen, wegen dessen er verurteilt worden ist.«

»Was Sie sagen!«

»Und ich setze hinzu,« fuhr Joam Garral fort, »in diesem Falle besitzen Sie den Beweis für seine Unschuld und behalten es sich vor, seine Unschuld an dem Tage zu verkünden, wo Sie der Mann seiner Tochter geworden sind!«

»Spielen wir mit offenen Karten, Joam Garral,« erwiderte Torres mit gesenkter Stimme, »und wenn Sie mich gehört haben, werden wir sehen, ob Sie mir noch Ihre Tochter zu versagen wagen.«

»Ich höre, Torres.«

»Nun ja,« sagte der Abenteurer, mit den Worten zögernd, ganz, als täte es ihm leid, daß er sie von den Lippen lassen müsse, »ja, Sie sind unschuldig! Ich weiß es, denn ich kenne den wahren Schuldigen und bin imstande, Ihre Unschuld zu beweisen.«

»Und der Elende, der das Verbrechen begangen hat ...?«

»Ist tot!«

»Tot!« rief Joam Garral, der bei diesem Wort wider Willen erblaßte, gleich als sei ihm alle Möglichkeit, sich je zu rechtfertigen, genommen.

»Tot!« antwortete da Torres, »aber dieser Mann, den ich lange Zeit nach dem Verbrechen gekannt habe, ohne zu wissen, daß er ein Verbrecher sei, hat mit eigner Hand einen ausführlichen Bericht über diese Diamantengeschichte geschrieben, um sie bis in die geringsten Einzelheiten zu überliefern. Als er sein Ende herannahen fühlte, ergriff ihn die Reue. Er wußte, wohin Joam Dacosta geflüchtet war, unter welchem Namen der Unschuldige ein neues Leben begonnen hatte. Er wußte, daß er reich war, daß eine glückliche Familie ihn umgab, aber er wußte auch, daß ihm selber das Glück fehlen mußte. Nun, dieses Glück wollte er ihm wiedergeben, indem er ihm den guten Namen, auf den der Unschuldige ein Anrecht hatte, zurückerstattete. Aber der Tod kam ... er beauftragte mich, seinen Kameraden, da er selbst es nicht mehr ausführen konnte – er übergab mir die Beweise für die Unschuld Dacostas, damit ich sie ihm bringen sollte, und starb.«

»Den Namen dieses Mannes!« rief Joam Garral in einem Tone, dem er nicht mehr Gewalt anzutun vermochte.

»Den werden Sie erfahren, wenn ich zu Ihrer Familie gehöre!«

»Und die Schrift?«

Joam Garral hätte sich auf Torres werfen können, um ihn zu durchsuchen und ihm den Beweis für seine Unschuld zu entreißen.

»Die Schrift ist wohl verwahrt,« antwortete Torres, »und Sie erhalten sie erst, wenn Ihre Tochter meine Frau ist. Verweigern Sie sie mir noch?«

»Ja,« erwiderte Joam Garral, »aber wenn Sie mir diese Schrift geben, gehört mein halbes Vermögen Ihnen.«

»Die Hälfte Ihres Vermögens!« rief Torres. »Ich nehme es an unter der Bedingung, daß es Minhas Mitgift ist.«

»Und auf diese Weise ehren Sie den Willen eines Sterbenden, eines Verbrechers, den die Reue gerührt hat und der Ihnen aufgetragen hat, soviel an ihm war, die Untat, die er verübt hatte, wieder gut zu machen!«

»Auf diese Weise!«

»Nochmals, Torres!« rief Joam Garral. »Sie sind ein großer Schuft.«

»Mag sein.«

»Und da ich kein Verbrecher bin, so passen wir nicht zusammen und werden uns nicht verstehen.«

»Also weisen Sie mich ab?«

»Ein für allemal.«

»Dann ist es Ihr Ruin, Joam Garral. Bei der bereits angestellten Untersuchung spricht alles für Ihre Schuld. Sie sind zum Tode verurteilt, und Sie wissen, bei Verurteilungen von Verbrechen dieser Art besitzt die Regierung kein Recht, die Strafe in eine andere umzuwandeln. Wenn ich Sie anzeige, werden Sie verhaftet! Sind Sie verhaftet, werden Sie hingerichtet – und ich zeige Sie an.«

So sehr Joam Garral Herr über sich selber war, vermochte er sich nicht mehr zu bezwingen. Er wollte über Torres herfallen.

Eine Gebärde dieses Schurken dämpfte seine große Wut.

»Nehmen Sie sich in acht,« sagte Torres, »Ihre Frau weiß nicht, daß sie die Frau Joam Dacostas ist, Ihre Kinder wissen nicht, daß Sie die Kinder Joam Dacostas sind, und Sie werden es verraten!«

Joam Garral blieb stehen. Er gewann alle Herrschaft über sich selbst wieder, und seine Züge hatten wieder ihre gewohnte Ruhe.

»Diese Unterredung hat schon zu lange gedauert,« sagte er, nach der Tür gehend, »ich weiß, was mir zu tun bleibt!«

»Nehmen Sie sich in acht, Joam Garral!« sagte ein letztes Mal Torres, der nicht glauben konnte, daß sein schändliches Ansuchen abgeschlagen war.

Joam Garral gab ihm keine Antwort. Er stieß die Tür auf, die nach der Veranda führte, gab Torres ein Zeichen, ihm zu folgen, und alle beide gingen nach dem Mittelteil der Jangada, wo die Familie beisammen war.

Benito, Manuel und alle andern hatten unterm Eindruck tiefer Besorgnis sich erhoben.

Sie konnten wahrnehmen, daß Torres ein drohendes Wesen hatte und seine Augen vor Wut funkelten.

Dagegen fiel es außerordentlich auf, daß Joam Garral völlig Herr über sich war, ja lächelte.

Beide blieben vor Yaquita und den Ihren stehen. Niemand wagte sie anzureden.

Torres brach dieses peinliche Schweigen, indem er in dumpfem Tone und mit seiner gewohnten Unverschämtheit sagte:

»Ein letztes Mal, Joam Garral, fordere ich von Ihnen eine letzte Antwort!«

»Dies ist meine Antwort!«

»Yaquita,« sagte er, »besondere Umstände zwingen mich, in unseren Abmachungen betreffs der Hochzeit Minhas und Manuels eine Aenderung vorzunehmen.«

»Endlich!« rief Torres.

Ohne ihm zu antworten, ließ Joam Garral einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Abenteurer fallen.

Aber bei diesen Worten fühlte Manuel sein Herz zum Zerspringen schlagen. Ganz bleich, hatte das junge Mädchen sich erhoben, als suche sie Hilfe bei ihrer Mutter.

Yaquita öffnete ihr die Arme, um sie zu schützen, sie zu verteidigen.

»Mein Vater!« rief Benito, der zwischen Joam Garral und Torres getreten war, »was willst du damit sagen?«

»Ich will damit sagen,« antwortete Joam Garral, die Stimme erhebend, »daß es zu lange wäre, wollten wir mit der Trauung Minhas und Manuels bis zu unserer Ankunft in Para warten! Die Trauung wird hier und zwar gleich morgen stattfinden, auf der Jangada, durch Padre Passanha, wenn nach einer Rücksprache, die ich mit Manuel nehmen werde, er nicht einer andern Meinung sein wird.«

»Mein Vater! – mein Vater!« rief der junge Mann.

»Warte noch, ehe du mich so nennst, Manuel,« antwortete Joam Garral im Tone unsäglichen Leidens.

In diesem Moment warf Torres, der die Arme gekreuzt hatte, einen Blick bodenloser Frechheit über die ganze Familie.

»So ist dies Ihr letztes Wort?« fragte er, die Hand nach Joam Garral ausstreckend.

»Nein, es ist nicht mein letztes Wort.«

»Was dann?«

»Dies, Torres! Ich bin hier Herr! Sie werden, wenn es Ihnen gefällig ist, und auch, wenn es Ihnen nicht gefällig ist, die Jangada in diesem Augenblick verlassen!«

»Ja, im Augenblick!« rief Benito. »Oder ich werfe Sie über Bord!«

Torres zuckte die Achseln.

»Keine Drohungen!« sagte er. »Die sind unnütz. Es paßt mir selber, zu gehen und zwar unverzüglich. Aber Sie denken noch an mich, Joam Garral! Wir werden uns binnen kurzem wiedersehen!«

»Wenn es nur auf mich ankäme,« antwortete Joam Garral, »würden wir uns eher, als Sie selber es wünschen, wiedersehen! Ich werde morgen bei dem Gerichtsherrn Ribeiro, dem ersten Beamten der Provinz, sein. Er ist von meiner Ankunft in Manaos schon benachrichtigt. Wenn Sie es wagen, suchen Sie mich dort auf!«

»Beim Gerichtsherrn Ribeiro!« rief Torres, sichtlich aus der Fassung gebracht.

»Beim Gerichtsherrn Ribeiro,« antwortete Joam Garral.

Mit einer Gebärde tiefster Verachtung wies Joam Garral auf die Piroge und erteilte vier von seinen Leuten die Weisung, ihn unverzüglich nach dem nächsten Punkt der Insel zu bringen.

Der Erbärmliche verschwand endlich.

Noch zitternd, achtete die Familie das Schweigen ihres Oberhauptes.

Aber Fragoso, der den Ernst der Lage nur halb begriff und sich von seinem gewohnten Frohsinn hinreißen ließ, trat zu Joam Garral.

»Wenn morgen Fräulein Minha und Herr Manuel auf der Jangada getraut werden –«

»Wird gleichzeitig Ihre Trauung stattfinden, mein Freund,« unterbrach ihn Joam Garral mit Milde.

Dann winkte er Manuel und trat mit ihm in das Zimmer.

Die Unterhaltung Joam Garrals und Manuels dauerte eine halbe Stunde, die der Familie wie ein Jahrhundert dünkte.

Endlich öffnete sich die Tür wieder.

Manuel kam allein heraus.

Seine Augen strahlten von edelsinnigem Entschluß.

Er trat zu Yaquita und sagte: »Meine Mutter!« und zu Minha: »Meine Frau!« und zu Benito: »Mein Bruder!«

Dann wandte er sich zu Lina und Fragoso und sagte zu allen:

»Auf morgen!«

Er wußte alles, was zwischen Joam Garral und Torres vorgegangen war. Er wußte, daß Joam Garral auf die Unterstützung des Richters Ribeiro rechnete. Ohne Wissen der Seinen hatte Joam Garral mit diesem seit einem Jahre korrespondiert und ihn endlich aufzuklären und von seiner Unschuld zu überzeugen vermocht.

Er wußte, daß Joam Garral entschlossen diese Reise nur zu dem einzigen Zweck unternommen hatte, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, dem er zum Opfer gefallen war, zu erzielen, um auf seinem Schwiegersohn und seiner Tochter nicht die Last der furchtbaren Lage ruhen zu lassen, die er so lange für sich hatte dulden müssen und können!

Ja, Manuel wußte alles dies, aber er wußte auch, daß Joam Garral oder vielmehr Joam Dacosta unschuldig war, daß sein Unglück selber ihm diesen Mann teurer und heiliger gemacht hatte.

Was er nicht wußte, war, daß der tatsächliche Beweis für die Unschuld des Fazendero vorhanden war, und daß er sich in Torres' Händen befand.

Joam Garral hatte die Benutzung dieses Beweises dem Richter vorbehalten wollen: denn dieser Beweis mußte ihn von aller Schuld befreien, wenn der Abenteurer die Wahrheit gesagt hatte.

Manuel beschränkte sich darauf, mitzuteilen, daß er zu Padre Passanha gehen wolle, um ihn zu bitten, daß er für die zwei Trauungen alle Vorkehrungen treffen möge.

Am 24. August – es fehlte kaum noch eine Stunde an der für die Trauung festgesetzten Zeit – legte eine große Piroge, die vom linken Ufer des Stromes abgestoßen war, an der Jangada an.

Ein Dutzend Ruderer hatte das Boot schnell von Manaos hergeführt. Es trug ein paar Beamte und den Chef der Polizei, der sich auswies und an Bord stieg.

In diesem Augenblicke traten Joam Garral und die Seinen, zur Feier bereit, aus dem Hause.

»Joam Garral?« fragte der Polizeichef.

»Der bin ich.«

»Joam Garral,« fuhr der Beamte fort, »Sie hießen früher Joam Dacosta. Diese beiden Namen hat einundderselbe Mann geführt. Ich verhafte Sie.«

Bei diesen Worten waren Yaquita und Minha, starr vor Entsetzen, stehen geblieben und vermochten kein Glied zu rühren.

»Mein Vater ein Mörder!« rief Benito, der zu Joam Garral hinstürzen wollte.

Mit einem Wink gebot sein Vater ihm Schweigen.

»Ich werde mir nur eine Frage erlauben,« sagte Joam Garral mit fester Stimme zu dem Polizeichef. »Ist der Haftbefehl gegen mich, kraft dessen Sie mich verhaften, von dem Gerichtsherrn von Manaos, dem Richter Ribeiro, erlassen worden?«

»Nein,« antwortete der Polizeichef, »er ist mir mit dem Befehl, ihn auf der Stelle zu vollführen, von dem Nachfolger zugestellt worden. Der Richter Ribeiro erlitt gestern abend einen Schlaganfall und ist noch in der Nacht um zwei Uhr gestorben, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben.«

»Tot!« rief Joam Garral, von dieser Nachricht auf einen Augenblick niedergeschmettert. »Tot! – Tot!«

Aber gleich darauf hob er den Kopf und wandte sich an seine Frau und seine Kinder.

»Der Richter Ribeiro,« sagte er, »wußte allein, daß ich unschuldig war, meine Lieben! Der Tod dieses Richters kann für mich verhängnisvoll werden, aber dies ist für mich noch kein Grund zu verzweifeln.«

Und indem er sich zu Manuel wandte, setzte er hinzu:

»Bei der Gnade Gottes! Jetzt muß es sich zeigen, ob die Wahrheit vom Himmel zur Erde herniederkommen kann!«

Der Polizeichef hatte seinen Beamten einen Wink gegeben, die vortraten, um Joam Garral festzunehmen.

»Aber so sprich doch, mein Vater!« rief Benito, wahnsinnig vor Verzweiflung. »Sag ein Wort, und wir verschaffen uns unser Recht, wenn's sein muß, mit Gewalt gegen dieses Versehen, dem du hier zum Opfer fällst!«

»Hier ist nicht die Rede von einem Versehen, mein Sohn!« antwortete sein Vater. »Joam Dacosta und Joam Garral sind eine Person. Ich bin in der Tat Joam Dacosta! Ich bin der Ehrenmann, der aus richterlichem Irrtum vor 29 Jahren an Stelle des wahren Schuldigen unschuldig zum Tode verurteilt worden ist. Daß ich völlig unschuldig bin, meine Kinder, das schwöre ich vor Gott, ein für alle mal, bei Euerm und Eurer Mutter Haupt!«

»Jeder Verkehr zwischen Ihnen und den Ihren ist Ihnen verboten!« sagte setzt der Polizeichef. »Sie sind mein Gefangener, Joam Garral, und ich werde meinen Befehl in all seiner Strenge ausführen.«

Joam Garral beruhigte mit einer Handbewegung seine Kinder und seine entsetzten Diener.

»Laßt die menschliche Gerechtigkeit sich vollziehen,« sagte er, »und harret der göttlichen Gerechtigkeit!«

Hocherhobenen Hauptes stieg er in die Piroge.

Es schien in der Tat, als ob von allen, die dieser Szene beiwohnten, Joam Garral der einzige sei, den dieser so unvermutet herniedergezuckte Blitzschlag nicht niedergestreckt hatte.


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