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Zweites Kapitel.
Alte Geschichten

Aber Fragoso setzte ohne Unterbrechung das Gespräch mit den Worten fort:

»Wie! Sie sind aus Tijuco, aus der Hauptstadt des Diamantendistrikts selbst?«

»Ja!« sagte Torres. »Stammen Sie vielleicht selbst aus dieser Provinz?«

»Nein, ich bin aus den Provinzen am Strande des Atlantischen Ozeans im Norden Brasiliens,« antwortete Fragoso.

»Sie kennen dieses Diamantenland wohl nicht, Herr Manuel?« fragte Torres.

Ein Kopfschütteln des jungen Mannes war die ganze Antwort.

»Und auch Sie, Herr Benito,« wandte sich Torres an den jungen Garral, den er augenscheinlich in dieses Gespräch hineinziehen wollte, »Sie haben auch noch nie das Verlangen gehabt, sich diesen Diamanten-Distrikt anzusehen?«

»Nein,« antwortete Benito trocken.

»Ach, ich hätte dieses Land gern einmal gesehen!« rief Fragoso, der, ohne es zu wollen, hiermit Torres zu Hilfe kam, »ich hätte sicher über kurz oder lang einen Diamanten von großem Wert gefunden!«

»Und was hättest du mit diesem wertvollen Diamanten gemacht, Fragoso?« fragte Lina.

»Verkauft hätte ich ihn!«

»Dann wärest du jetzt reich?«

»Sehr reich!«

»Nun, wenn du vor drei Wochen bloß reich gewesen wärest, hättest du nicht die Idee mit der Liane gehabt ...«

»Und in diesem Falle,« rief Fragoso, »wäre nicht die reizende, kleine Frauensperson gekommen und hätte mich – ei, ganz entschieden, der liebe Gott hat es so gut gemacht.«

»Sehen Sie, lieber Fragoso,« sagte Minha, »weil Sie so meine liebe Lina zur Frau bekommen! Einen Diamanten für einen andren, Sie verlieren nicht bei dem Tausch.«

»Wieso, Fräulein Minha,« rief Fragoso galant, »ich gewinne im Gegenteil dabei!«

Torres wollte jedesfalls dieses Gesprächsthema nicht fallen lassen, denn er begann wieder:

»In Tijuco ist in der Tat mancher plötzlich reich geworden, aber das hat auch manchem den Kopf verdreht! Haben Sie noch nicht von dem berühmten Diamanten von Abante gehört, dessen Wert auf über zwei Millionen Kontos Reïs 7 Milliarden 500 Millionen Francs nach der ohne Zweifel stark übertriebenen Schätzung von Romé del'Isle. geschätzt worden ist? Die Minen von Brasilien haben diesen Stein gezeitigt, der eine Unze wog. Und drei Verurteilte – ja! Drei zu lebenslänglichem Exil Verurteilte haben ihn durch Zufall im Fluß von Abante 90 Meilen von Serro do Frio, gefunden!«

»Da war mit einem Schlage ihr Glück gemacht?« fragte Fragoso.

»Ei nein!« antwortete Torres. »Der Diamant wurde dem Generalgouverneur ausgehändigt. Da der Wert des Steines erkannt worden war, ließ ihn König Johann VI. von Portugal durchbohren und trug ihn bei großen Feierlichkeiten am Halse. Die Verurteilten wurden begnadigt, das war alles. Geriebene Kerle hätten dabei schon ihren Vorteil sich zu sichern verstanden!«

»Wie Sie zum Beispiel?« fragte Benito trocken.

»Ja ... wie ich! Warum nicht?« antwortete Torres. »Haben Sie jemals den Diamanten-Distrikt besucht?« setzte er hinzu, sich diesmal an Joam Garral wendend.

»Niemals,« antwortete Joam und sah Torres an.

»Das ist bedauerlich,« fuhr dieser fort, »und Sie sollten eines Tages diese Reise machen. Sehr interessant, versichre ich Ihnen! Der Diamanten-Distrikt ist eine Enklave in dem riesigen Kaiserreich Brasilien, etwas wie ein Park von 12 Meilen Umfang, und durch die Bodenbeschaffenheit, die Vegetation und die von hohen Bergen umschlossenen Sandgebiete sehr verschieden von der Provinz ringsum. Aber wie ich Ihnen gesagt habe, ist dies das reichste Fleckchen der Welt, von 1807 bis 1817 betrug die jährliche Produktion etwa 18 000 Karat? Der Karat = 212 Milligramm. Ja, da war was zu machen, nicht nur für die Gräber, die die kostbaren Steine bis in die Gipfel der Berge hinauf suchten, sondern auch für die Schmuggler, die sie paschten! Jetzt ist die Sache nicht mehr so leicht, und die 2000 Schwarzen, die von der Regierung zur Minenarbeit verwendet werden, müssen schon Wasserläufe ableiten, um den Diamantenstaub daraus zu heben. Das war früher bequemer.«

»In der Tat,« sagte Fragoso, »da ist die gute Zeit vorbei.«

»Aber was immer noch leicht ist, das ist, sich den Diamant auf verbrecherische Weise zu verschaffen, will sagen durch Diebstahl. Im Jahre 1826 – ich war damals acht Jahre alt – ereignete sich in Tijuco selber ein furchtbares Drama, welches zeigt, daß die Verbrecher vor nichts zurückschrecken, wenn sie durch einen kühnen Streich ein Vermögen gewinnen wollen. Aber das interessiert Sie ohne Zweifel nicht.«

»Im Gegenteil, Torres, fahren Sie fort,« antwortete Joam Garral mit seltsam ruhiger Stimme.

»Meinetwegen,« fuhr Torres fort. »Es handelte sich darum, Diamanten zu stehlen, und eine Handvoll solcher niedlicher Steine ist manchmal eine Million, manchmal zwei wert!«

Und Torres, dessen Gesicht die niedrigsten Regungen der Begierde ausdrückte, machte fast unwillkürlich eine sehr bezeichnende Gebärde, indem er die Hand öffnete und schloß.

»Folgendermaßen trug sich das zu,« erzählte er weiter. »In Tijuco besteht der Brauch, nur einmal im Jahre die gesammelten Diamanten zu expedieren. Sie werden in zwei Sorten geteilt nach ihrer Größe, nachdem man sie mittels 12 Sieben, die ungleiche Löcher haben, gesondert hat. Diese zwei Sorten werden in Säcke getan und nach Rio de Janeiro geschafft. Da sie aber einen Wert von mehreren Millionen haben, können Sie sich wohl denken, daß sie gut eskortiert werden. Ein vom Verwalter ausgesuchter Beamter, vier Soldaten zu Pferde vom Regiment der Provinz und 10 Mann zu Fuß, bilden die Bedeckung. Sie gehen zuerst nach Villa-Rica, wo der Generalkommandant sein Siegel auf die Säcke drückt, und der Konvoi setzt den Weg nach Rio de Janeiro fort. Ich füge hinzu, daß vorsichtshalber dieser Aufbruch völlig geheim gehalten wird. Im Jahre 1826 nun ersann ein junger Angestellter namens Dacosta, der höchstens 22 bis 23 Jahre alt war und seit einigen Jahren in den Bureaus des Generalgouverneurs arbeitete, den folgenden Streich. Er verständigte sich mit der Schmugglerbande und teilte ihnen den Tag mit, an dem der Konvoi aufbrach. Diese Missetäter, die in der Ueberzahl und gut bewaffnet waren, taten nun ihre Schritte. Jenseits von Villa Rica fiel in der Nacht vom 22. Januar die Bande unvermutet über die Soldaten, die die Diamanten eskortierten, her. Sie verteidigten sich tapfer, wurden aber niedergemacht, bis auf einen, der, obwohl schwer verwundet, entfliehen konnte, und von dem furchtbaren Ueberfall Bericht erstattete. Der Angestellte, der sie führte, wurde ebenso wenig verschont, wie die Soldaten der Eskorte. Er fiel unter den Schüssen der Verbrecher, wurde weggeschleppt und jedesfalls in irgend einen Abgrund geworfen, denn sein Leichnam wurde nicht gefunden.«

»Und jener Dacosta?« fragte Joam Garral.

»Je nun, sein Verbrechen brachte ihm keinen Nutzen. Infolge verschiedener Umstände fiel der Verdacht sofort auf ihn. Er wurde angeklagt, diese ganze Sache eingefädelt zu haben. Vergebens behauptete er, unschuldig zu sein. Seine Stellung ermöglichte es ihm, genau den Tag zu kennen, an dem der Aufbruch des Konvoi stattfinden sollte. Er allein konnte die Verbrecherbande benachrichtigt haben. Er wurde angeklagt, verhaftet, prozessiert und zum Tode verurteilt. Eine derartige Verurteilung bedingte eine Hinrichtung innerhalb 24 Stunden.«

»Der Unglückliche wurde also hingerichtet?« fragte Fragoso.

»Nein,« antwortete Torres. »Er war in das Gefängnis von Villa Rica gebracht worden, und in der Nacht, wenige Stunden noch vor der Hinrichtung – ob er nun allein handelte oder von mehreren seiner Helfershelfer unterstützt wurde – gelang es ihm, zu entfliehen.«

»Seitdem hat man nichts mehr von diesem Manne gehört?« fragte Joam Garral.

»Nichts mehr!« antwortete Torres. »Er wird Brasilien verlassen haben und führt jetzt ohne Zweifel ein frohes Leben von dem Ertrag des Diebstahls, den er jedesfalls zu verwerten gewußt hat.«

»Möge er im Gegenteil ein Jammerdasein geführt haben!« antwortete Joam Garral.

»Und möge Gott Reue über sein Verbrechen in ihm erweckt haben!« setzte Padre Passanha hinzu.

In diesem Augenblick hatte die Gesellschaft sich erhoben. Die Mahlzeit war beendet, und alle gingen hinaus, um die Abendluft zu atmen. Die Sonne senkte sich dem Horizont zu, aber eine Stunde mußte es noch währen, bis es Nacht wurde.

»Solche Geschichten sind nicht amüsant,« sagte Fragoso, »und unser Verlobungsdiner hatte besser angefangen!«

»Aber daran sind Sie schuld, Signor Fragoso,« antwortete Lina.

»Wieso ich?«

»Freilich! Du hast immer wieder von dem Distrikt und den Diamanten angefangen, wo wir doch damit gar nichts zu tun haben.«

»Das stimmt allerdings!« antwortete Fragoso, »aber ich dachte doch nicht, daß das zu so etwas führen würde!«

»Du bist also der Hauptschuldige.«

»Und bin auch am schwersten bestraft worden, da ich dich beim Nachtisch nicht habe lachen hören!«

Die ganze Familie ging jetzt nach dem Vorderteil der Jangada. Ohne zu sprechen, gingen Manuel und Benito nebeneinander her.

Ebenso schweigsam, folgten ihnen Yaquita und ihre Tochter, und alle verspürten eine unerklärliche Traurigkeit, wie wenn sie eine ernste Gefahr im Herannahen gesehen hätten.

Torres verhielt sich in der Nähe Joam Garrals, der mit gebeugtem Haupte in tiefe Gedanken versunken zu sein schien.

Jetzt legte er ihm die Hand auf die Schulter.

»Joam Garral,« sagte er, »kann ich Sie auf eine Viertelstunde sprechen?«

Joam Garral sah Torres an.

»Hier?« antwortete er.

»Nein! Unter vier Augen!«

»Kommen Sie!«

Beide gingen nach dem Hause und traten hinein. Die Tür schloß sich hinter ihnen.

Es wäre schwierig zu beschreiben, was jeder empfand, als Joam Garral und Torres weggegangen waren. Was konnte zwischen diesem Abenteurer und dem ehrbaren Fazendero von Iquitos für ein Verhältnis bestehen? Es war wie die Drohung eines furchtbaren Unglücks, das über dieser ganzen Familie zu schweben schien.

Niemand wagte zu fragen.

»Manuel,« sagte Benito, ergriff den Arm seines Freundes und zog ihn mit sich, »was auch kommen mag, morgen in Manaos verläßt dieser Mensch die Jangada!«

»Ja! – Unbedingt!« antwortete Manuel.

»Und wenn durch ihn – ja! durch ihn, meinem Vater ein Unglück geschieht .... dann töt' ich ihn!«


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