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Vorbereitungen zur Schlacht

Lautes Schreien und Rufen, aufgeregtes Hin- und Herlaufen herrschte im Lager der Räuber. Endlich hatten sich alle gesammelt, und das wagemutige kleine Heer setzte sich in geordneten Abteilungen in Bewegung.

Erst jetzt war es Maxim, der Pferd und Waffen zurückerhalten hatte, möglich, seinem Retter zu danken. Er ritt zum Fürsten heran.

»Nikita Romanyitsch«, sagte er, »wahrlich, heute hast du mir's für den Bären vergolten.«

»Nichts zu danken, Maxim Grigorjitsch«, erwiderte Sserebrjanyi, »dazu sind wir ja auf der Welt, daß wir einander helfen!«

»Fürst«, meinte Perstenj, der ebenfalls neben Sserebrjanyi einherritt, »wie ich dich so beobachtet habe die ganze Zeit, da mußte ich unwillkürlich denken: schade, wirklich jammerschade, daß dich nicht so ein wackerer Bursche sehen konnte, den ich dort unten an der Wolga zurückließ. Wenn es auch kein guter Mensch, ja sogar einer meines Handwerks ist, – aber du hättest Gefallen an ihm gefunden, und auch er hätte dich ins Herz geschlossen. Du mußt mir das nicht übel nehmen, aber in der Tat seid ihr beide von einem Schlag. Als du vom heiligen Rußland sprachst und deine Augen blitzten, da mußte ich immer wieder an Jermak Timofeitsch denken. Auch er liebt seine Heimat von ganzem Herzen, wenn er auch ein Räuber ist. Mehr als einmal hat er mir versichert, daß er sich schäme, so unnütz dahinzuleben und daß er eine heiße Sehnsucht in sich trüge, seiner geliebten Heimat auch einmal einen guten Dienst erweisen zu können! Ach, wenn er doch jetzt mit uns gegen die Tataren ziehen könnte! Er allein zählt dir für hundert andere. Wenn er ruft: Mir nach, Burschen! dann kommt es dir vor, als wärest du selbst größer und stärker; nichts hält dich dann mehr zurück, ja, es ist, als ob alles vor dir zurückwankte. Wahrhaftig, Nikita Romanyitsch, ich will dich nicht beleidigen, aber du bist ihm ähnlich!«

Perstenj versank in tiefes Sinnen. Sserebrjanyi ritt behutsam vorwärts, nach allen Seiten ins Dunkel spähend. Maxim schwieg. Dumpf hallten auf dem einsamen Wege die Schritte der Räuber wider. Der Sternenhimmel hing schweigend über der schlummernden Erde.

So bewegte sich der Zug lange Zeit in der Richtung vorwärts, die ihnen der zwischen Chlopko und Poddubnyi geführte Tatar wies. Plötzlich ertönten von weitem seltsame gleichmäßig-monotone Laute. Es konnten weder menschliche Stimmen sein, noch Hörner, noch Guslas; klang es doch fast ähnlich wie das klirrende Rauschen des Windes, wenn er durch Schilf und Röhricht streicht, ähnlich wie das feine Klingen eines Glases oder das Schwingen einer Saite.

»Was ist das?« fragte Nikita, sein Pferd anhaltend.

Perstenj nahm die Mütze ab und hielt das Ohr lauschend fast bis an den Sattel geneigt.

»Warte, Fürst, laß mich erst genau hinhorchen!«

Die Töne klangen in regelmäßigen Abständen, bald in hellen Schwingungen, bald wieder dumpf wie das Rauschen des Windes herüber ... Mit einem Male brachen sie unvermittelt ab, als hätte der Steppenwind plötzlich umgeschlagen und sie nach einer anderen Richtung fortgetragen.

»Aus«, sagte Perstenj lachend. »Der muß eine Lunge haben, fast eine halbe Stunde lang hat er geblasen, ohne abzusetzen!«

»Ja, was ist das denn nur?« fragte der Fürst.

»Das war die Tschebusga«, antwortete Perstenj. »Das ist für sie dasselbe, was für uns das Horn oder die Holunderpfeife ist. Es müssen wohl Baschkiren Einer der vielen Tatarenstämme, die damals ständig in Rußland einfielen. sein. Der Chan führt ja alles mögliche Tatarengesindel mit sich, Leute aus Kasan, Astrachan und noch anderen Gegenden. Horch, jetzt fangen sie wieder an zu blasen!«

Von ferne hörte man jetzt wieder zuerst Laute, die dem Heulen des Windes glichen, dann in langgezogene, schwermütig-weiche Töne übergingen und zuletzt in herben, abgerissenen Weisen ausklangen, die fast dem Wiehern der Steppenpferde glichen.

»Aha«, meinte Perstenj, »dieses Stück ist ja sehr viel kürzer geraten; wahrscheinlich ist ihm der Atem ausgegangen, dem dummen Kläffer.«

Aber da ließen sich schon wieder neue, viel stärkere Klänge vernehmen. Jetzt schien es, als wenn viele Glöckchen unaufhörlich ertönten.

»Diese Laute bringen sie mit der Kehle hervor. Von weitem denkt man, weiß der Teufel, was das nur sein mag, aber jetzt hört man's ganz deutlich, wie sie das machen, die verfluchten Heiden.«

Die wehmütig langgezogenen Töne wechselten bald mit lustigen, wilden Weisen, aber es war keine russische Melancholie und auch keine russische Fröhlichkeit, die aus ihnen klang; in ihnen spiegelte sich die wilde Großzügigkeit des Nomadenvolkes wider, das ruhelose Hinundherziehen ihrer Pferdeherden, die mutig-abenteuerlichen Überfälle, das unstete Wandern der einzelnen Volksstämme von Ort zu Ort, von Land zu Land, und die Sehnsucht nach einer unbekannten, verlorenen Heimat ...

»Fürst«, meinte Perstenj, »das Lager muß ziemlich nahe sein. Hinter jenem Hügel da wird man wohl schon die Lagerfeuer sehen können. Wenn es dir recht ist, will ich ein wenig auskundschaften, woran wir sind; ich kenne die Tataren gut, für mich ist es nichts Neues. Wie oft sind sie mir an der Wolga in den Weg gekommen! Die Leute könnten ja so lange ausruhen und sich etwas umsehen in der Gegend.«

»Geh mit Gott!« sprach der Fürst.

Perstenj sprang vom Pferde und verschwand in der Dunkelheit.

Die Räuber machten halt, prüften ihre Waffen und legten sich nieder, ohne die Schlachtordnung zu ändern. Tiefes Schweigen herrschte unter der ganzen Schar. Alle begriffen den Ernst des Vorhabens und die Notwendigkeit eines unbedingten Gehorsams.

Inzwischen wurden die Klänge der Tschebugsa nach wie vor zu ihnen herübergetragen. Der Mond und die Sterne erhellten das weite Land. Alles war still und feierlich; nur hie und da wiegte ein leiser Windhauch die silbern glänzenden Steppengräser.

So verging fast eine Stunde; Perstenj war noch immer nicht zurückgekehrt. Der Fürst wurde schon ungeduldig, als sich plötzlich etwa drei Schritt vor ihm aus dem Grase eine menschliche Gestalt hob. Nikita griff zum Schwert.

»Sachte, sachte, Fürst! Ich bin's ja!« raunte ihm Perstenj lachend zu. »Genau so, wie jetzt hierher, bin ich zu den Tataren herangekrochen und habe mir alles genau angesehen; jetzt kenne ich ihr Lager genau so gut wie unsere Truppe. Wenn du gestattest, Fürst, so nehme ich mir jetzt zehn wackere Burschen; mache den Tataren erst einmal die Pferde scheu und bringe dadurch das Lager in Verwirrung, und du kannst, wenn es dir recht ist, zu gleicher Zeit mit lautem Geschrei von zwei Seiten auf sie einstürmen. Ich will selbst ein Tatar sein, wenn wir dann nicht die Hälfte von ihnen töten! Das ist übrigens nur so die Einleitung, die ich dir hier vorschlage, Fürst; in derartigen nächtlichen Überfällen haben wir besondere Übung; sowie die Sonne aufgeht, dann hast nur du allein zu bestimmen, und wir alle wollen dir aufs Wort gehorchen.«

Sserebrjanyi wußte, wie findig und tapfer Perstenj in allem war und überließ es ihm daher ganz, nach seinem Gutdünken zu handeln.

»Burschen«, sagte Perstenj zu den Räubern, »wir hatten uns etwas miteinander überworfen. Aber ihr wißt ja selbst, das Sprichwort sagt, wer Vergangenes nachträgt, der verliere sein Auge. Gibt es unter euch zehn Mann, die gewillt sind, sich mit mir zusammen an das Tatarenlager heranzumachen?«

»Wähle, wen du für geeignet hältst«, antworteten die Räuber, »wir sind alle bereit.«

»Habt Dank, Kinder! Wenn ihr mir schon die Wahl laßt, dann würde ich folgende von euch mitnehmen: dich Poddubnyi und dich, Chlopko, Djatellj, und Leßnikoff, Rescheto, Stepka, Mischka, Schestopjor und Nakowalenj und dich, Ssarantsch! Was drängst du dich heran, Mitjka, dich habe ich nicht genannt, bleib du beim Fürsten! Du bist für unser Vorhaben nicht der Richtige. Nun nehmt die Schwerter ab, Burschen, mit ihnen kriecht sich's schlecht; ihr habt an den Dolchen genug. Aber eins, Kinder, – wenn ihr mitkommt, so müßt ihr aufs Wort gehorchen. Daß mir keiner einen einzigen Schritt tut ohne meinen ausdrücklichen Befehl! Wer nicht hört, mit dem werde ich nicht lange spaßen!«

»Gut, gut«, antworteten die von Perstenj Gewählten. »Wie du's befiehlst, so werden wir's auch genau ausführen. Wenn wir uns schon für eine gute Sache einsetzen, so wollen wir dir nicht Altes nachtragen!«

»Siehst du dort jenen Hügel, Fürst?« fuhr der Ataman fort. »Wenn ihr den erreicht habt, könnt ihr auch schon ihre Lagerfeuer sehen. Ich würde euch nun raten, dort so lange zu warten, bis ihr mein Zeichen hört. Sowie ich die Pferde aufgescheucht habe und unser Geschrei und Gejohle zu euch dringt, so stürzt euch auf die verdammten Heiden! Diese aber können uns nicht ausweichen; ihre Pferde sind davongejagt, von der einen Seite greifen wir sie an und auf der anderen ist Sumpf und ein kleiner Fluß.«

Der Fürst versprach, sich ganz nach Perstenjs Rat zu richten. Inzwischen ging der Ataman mit seinen zehn Draufgängern den Klängen der Tschebusga nach, und bald verschwanden alle im hohen Steppengras. Man hätte denken können, daß sie dort regungslos versteckt liegen geblieben waren, wenn nicht das Gras sich hin und wieder leicht gegen die Windrichtung bewegt hätte.

Nach einer halben Stunde waren Perstenj und seine Gefährten schon ganz nahe bei den Kibitkas, den runden filzbedeckten Hütten der Tataren angelangt.

Perstenj hob vorsichtig den Kopf etwas über das Gras empor. Etwa fünfzig Schritt vor ihnen loderte ein Wachfeuer, das einige Baschkiren grell beleuchtete, die mit untergeschlagenen Beinen rings um das Feuer saßen, einer im bunten Rock, der andere im Hammelpelz und wieder weitere in zerlumpten Kaftans aus Kamelhaaren. Rings um sie herum ragten ihre in die Erde gesteckten Lanzen empor, deren lange Schatten bis zu Perstenj fielen.

Ein Tabun von einigen tausend Pferden weidete unter der Aufsicht einiger Baschkiren in dichten Rudeln.

Etwa hundert Schritt weiter beleuchteten andere Lagerfeuer zahllose filzbedeckte Kibitkas.

Nicht allzu sorgfältig bewachten die Baschkiren ihren Tabun. Waren sie doch den weiten Weg von der Wolga bis nach Rjasanj gezogen, ohne auf Widerstand zu stoßen, und wußten sie doch nur zu genau, daß die Heere aufgelöst und keine Feinde zu befürchten waren. Vor den Wölfen aber glaubten sie sich am besten durch den Lärm zu schützen, den sie mit der Tschebusga vollführten. Ihrer Viere saßen da, das Ende einer Art von langer, aus Kletten geschnitzter Flöte zwischen den Zähnen und bliesen, mit den Fingern die Töne abwechselnd, aus voller Lunge drauflos, solange sie Atem hatten. Andere unterstützten sie mit gurgelnden Kehllauten. Das flackernde Feuer beleuchtete ihre knochigen, vor Anstrengung blauroten Gesichter.

Einige Minuten ergötzte sich Perstenj an diesem Anblick und überlegte, ob er sich gleich mit dem Dolch auf diese Baschkiren stürzen und, ohne sie zur Besinnung kommen zu lassen, alle niederstechen sollte, oder ob es geratener war, vorher die Pferde durcheinander zu jagen und sich erst dann gegen die Feinde zu wenden.

Beide Möglichkeiten reizten ihn gleich stark.

›Das ist ein Tabun‹, – dachte er, den Atem anhaltend, ›wenn man den richtig durcheinanderwirbelt, so reißt er in der Verwirrung alle Hütten um und bringt ein solch heilloses Durcheinander ins ganze Lager, daß die Tataren Freund und Feind nicht richtig auseinanderhalten können. Andererseits aber sitzt diese Teufelsbrut da so verlockend ahnungslos da, daß einem das Herz im Leibe lacht! Wie sie drauflosblasen! Man kann sich ihnen getrost bis auf zwei Schritte nähern.‹

»Rescheto«, flüsterte er dem neben ihm liegenden Gefährten zu, »bist du heiser oder kannst du schön schrill pfeifen?«

»Du etwa nicht?« erwiderte Rescheto.

»Ich hab's ein bißchen in der Kehle!«

»Nun gut, dann kann ich ja pfeifen. Ist es schon so weit?«

»Nein, nein, warte, noch ist es zu früh. Krieche so nahe an den Tabun heran, wie möglich, solange die Pferde dich nicht bemerken; sowie sie aber die Ohren spitzen, dann brülle so schrecklich wie du kannst und versuche, die Tiere direkt auf die Kibitkas zu hetzen!«

Rescheto nickte und verschwand im hohen Gras.

»Nun, Burschen«, raunte Perstenj seinen anderen Kameraden zu, »kriecht mit mir an die Heiden heran, aber ganz vorsichtig! Seht, ihrer sind zwanzig, und wir sind nur neun; auf jeden von euch kommen zwei, ich will die übrigen vier besorgen. Sowie ihr hört, daß Rescheto loskreischt, so schreit auch ihr alle so laut ihr könnt und stürzt euch direkt auf sie. Seid ihr bereit?«

»Ja«, flüsterten die Räuber leise.

Der Ataman holte tief Atem und zog behutsam seinen langen Dolch aus dem Gürtel.


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