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Nächtliche Prozession

Während der erregten Aussprache zwischen Maxim und seinem Sohne hatte der Zar in inbrünstigem Gebet gewacht. Schon rann ihm der Schweiß vom Gesicht, und die roten Male, die ihm die früheren heftigen Berührungen mit der Erde in die hohe Stirn gebrannt hatten, traten durch die neuen Andachtsübungen wieder schärfer hervor. Ein plötzliches Geräusch hinter seinem Rücken veranlaßte ihn, sich umzusehen. Da erblickte er seine alte Wärterin, die Mamka Onufrewna. Alt war diese Mamka, schon der Großfürst Wassilij Iwanowitsch seligen Angedenkens hatte sie aus Werch mitgebracht. Dann hatte sie lange Jahre Jelena Glinskij, Iwans Mutter, gedient; Iwan selbst hatte in ihren Armen den ersten Schrei getan, und auch auf ihren Armen den Segen des sterbenden Vaters empfangen. Jetzt mochte sie schon an die hundert Jahre zählen. Ihr Rücken war tief gebeugt; die Haut ihres welken Gesichts so von Runzeln und Falten zerfurcht, daß es der Baumrinde glich, und ebenso wie das Moos die alte Rinde überwuchert, so bedeckten ganze Büschel grauer Haare ihr Kinn. Schon längst besaß sie keinen einzigen Zahn mehr, und die glanzlosen Augen schienen gänzlich erloschen; ihr Kopf zuckte in krampfartigen Bewegungen hin und her. Mit der knochigen Hand stützte sie sich auf einen Krückstock. Lange betrachtete sie Iwan und bewegte die farblosen Lippen, als kaute sie unentwegt an irgend etwas und murmelte vor sich hin.

»Nun«, sagte sie endlich mit tonloser, dumpfer Stimme, »du betest, Väterchen? Bete, bete, Iwan Wassiljewitsch! Wahrlich, Sünden genug hast du abzubeten. Selbst wenn es nur die alten Sünden wären, die auf dir lasten! Gott der Herr ist barmherzig, er würde dir vielleicht verzeihen, aber es vergeht kein Tag, an dem du nicht ein neues Verbrechen auf dich lädst und oft genug noch viel mehr.«

»Genug, Onufrewna«, erwiderte Iwan, sich erhebend, »du weißt nicht, was du redest!«

»Ich wüßte nicht, was ich rede? Ist denn etwa mein Verstand schon vor mir gestorben?«

Ihre stumpfen Augen begannen plötzlich zornig zu funkeln.

»Was hast du heute während des Mahles wieder angerichtet? Weshalb hast du den alten Bojaren vergiftet? Du dachtest wohl, ich würde es nicht erfahren? Wie? Weshalb ziehst du die Augenbrauen hoch? Warte nur, bis dein letztes Stündlein geschlagen hat! Ja, warte nur! Dann werden sich deine Sünden wie Tausende und Abertausende von Pud an deine Seele hängen und dich nachziehen in den tiefsten Abgrund der Hölle. Die Teufel aber werden sich auf dich stürzen und dich mit ihren spitzen Forken aufspießen!«

Und wieder fing die Alte an, zornig die Lippen zu bewegen.

Das inbrünstige Gebet hatte den Zaren auf religiöse Dinge vorbereitet. In seiner leicht erregbaren Phantasie hatte er sich schon mehr als einmal das Bild zukünftiger Vergeltung vorgestellt, aber seine Willenskraft war immer wieder der Furcht vor den Qualen nach dem Tode Herr geworden. So redete sich Iwan immer und immer wieder ein, daß diese Furcht, ja alle Gewissensbisse vom Feinde der Menschheit in ihm hervorgerufen würden, um den Gesalbten des Herrn von seiner hohen Sendung abzulenken. Den Listen des Teufels setzte er das Gebet entgegen, aber gar zu oft zerbrach er unter den grauenvollen Bildern, die seine Phantasie ihm vorspiegelte. Dann packte ihn dumpfe Verzweiflung wie mit eisernen Krallen; in seiner furchtbaren Nacktheit sah er das Unrecht seiner Handlungen vor sich, und die Abgründe der Hölle taten sich in schrecklicher Deutlichkeit vor ihm auf. Das aber währte meist nicht lange. Nur allzubald schämte er sich wieder seiner Verzagtheit.

In diesem Augenblick aber schüttelte ihn der Gedanke an die Qualen der Hölle, verstärkt durch das heraufziehende Unwetter und die prophetische Stimme der Onufrewna, wie im Fieber. Er ließ sich erschöpft auf den Bettrand nieder. Seine Zähne schlugen aufeinander.

»Nun, Väterchen?« sprach Onufrewna mit etwas sanfterer Stimme, »was ist dir? Du bist doch nicht krank? Doch, doch, du scheinst mir krank zu sein. Ich habe dich auch so erschreckt. Das schadet aber nichts, du beruhigst dich schon wieder. Und wie groß deine Sünden auch sind, Gottes Barmherzigkeit ist noch größer. Aber tue Buße und sündige hinfort nicht mehr! Sieh, ich bete für dich, Tag und Nacht bete ich für deine Seele, und ich will noch mehr beten als bisher! Mit Freuden gäbe ich meine Seligkeit preis, wenn du dafür in den Himmel kämst!«

Iwan blickte seine Mamka an; es schien ein Lächeln um ihre Lippen zu spielen, ein Lächeln, das zu diesen herben Zügen nicht passen wollte.

»Hab' Dank, Onufrewna, hab' Dank! Es ist mir jetzt leichter; geh mit Gott!«

»Leichter? Leichter ist dir's? Wo ist denn mit einem Male deine Furcht geblieben? So mutig plötzlich? Und schon willst du mich fortjagen? ›Geh mit Gott!‹ – Höre mal, allzusehr verlaß dich nicht auf Gottes Langmut. Für deine Sünden reicht vielleicht selbst Gottes Geduld nicht aus. Warte nur, Väterchen, wenn der Herr sich erst von dir wendet! Dann werden sich die Teufel freuen und sich deiner ganz bemächtigen. Warte nur! Sieh, jetzt fängst du wieder an zu zittern; du solltest einen Sbitenj Ein heißes Getränk aus Wasser, Honig und Gewürz. trinken. Ja, Sbitenj würde dir wirklich guttun, Väterchen! Auch dein Vater, Gott hab' ihn selig, pflegte des Nachts Sbitenj zu sich zu nehmen, und deine Mutter, sie ruhe in Frieden, schätzte den Sbitenj sehr. Mit Sbitenj haben sie auch die verruchten Schuiskij vergiftet!«

Die Alte schien ganz zu vergessen, wo sie war. Ihre Augen wurden trübe; sie begann wieder mit den Lippen zu kauen und den Kopf unentwegt hin und her zu wiegen. Plötzlich klopfte es am Fenster; Iwan zuckte zusammen; die Alte bekreuzigte sich mit zitternder Hand.

»Ach, sieh doch nur«, sagte sie, »es regnet ja in Strömen! Und da blitzt es auch schon! O, und der Donner! Gott steh uns bei!«

Das Gewitter zog näher und näher, bald zuckte Blitz auf Blitz, folgte Schlag auf Schlag.

Bei jedem Krachen fuhr Iwan zusammen.

»Ach, wie es dich schüttelt, Väterchen! Warte nur einen Augenblick, ich lasse dir gleich einen Sbitenj aufbrühen!«

»Ist nicht nötig, laß nur, Onufrewna! Mir ist wieder ganz gut.«

»Ganz gut? Ganz gut – sagst du? Dabei hast du keinen Tropfen Blut im Gesicht. Du solltest dich hinlegen und dich ordentlich zudecken! Was ist das aber auch für ein Bett! Nichts als nackte Bretter! Welch ein Einfall! Ist das etwa für einen Zaren geeignet? Für einen Mönch mag es ganz gut sein, aber bist du denn ein Mönch?«

Iwan antwortete nicht, er schien angestrengt auf irgend etwas zu lauschen.

»Onufrewna!« sagte er endlich mit schreckerfüllter Stimme, »wer geht da draußen auf dem Flur? Ich höre Schritte!«

»Jesus Christus steh dir bei, Väterchen! Wer sollte zu dieser Stunde hier sein? Du bildest es dir wohl ein!«

»Nein, nein, es ist doch jemand dort! Er kommt näher! Kommt hierher! Geh, sieh nach, Onufrewna!«

Die Alte öffnete zitternd die Tür. Ein kalter Windzug schlug ins Zimmer. In die Tür trat Maljuta.

»Wer ist da?« fragte Iwan aufspringend.

»Nun, wer denn anders als dein roter Hund, Väterchen!« erwiderte Onufrewna, Maljuta mit wütenden Blicken messend. »Der Grischka Skuratoff! Wie er dich erschreckt hat, der Verruchte!«

»Ach, du bist es, Lukjaniyitsch!« begrüßte der Zar ihn, erleichtert aufatmend. »Das ist recht! Woher so spät?«

»Aus dem Kerker, Väterchen Zar! Wir haben bis jetzt gefoltert, ich bringe die Schlüssel.«

Maljuta verneigte sich tief vor dem Zaren und warf einen scheelen Blick auf die Alte.

»Die Schlüssel?« grollte diese. »Dich selbst werden sie mit glühenden Schlüsseln bearbeiten, drüben, in der andern Welt! Solch ein Teufel, wie du bist! Wenn auch allen Sündern vergeben würde, du wirst dem ewigen Feuer nicht entgehen. Ja, du, Grischka, wirst glühendes Eisen lecken für all deine Schandtaten. Warte nur, du Teufelsantlitz, du wirst noch an mich denken, wenn man dich in siedendes Pech steckt!«

Ein Blitz beleuchtete die drohende Alte, schrecklich anzusehen mit ihrer hocherhobenen Krücke und den zornig funkelnden Augen. Selbst Maljuta flößte sie Furcht ein. Iwan aber fühlte sich durch die Gegenwart seines Günstlings ermutigt.

»Hör' doch nicht auf sie, Lukjaniyitsch!« sagte er. »Tu, was dir befohlen wird, und achte nicht des Weibergeschwätzes! Und du, alte Närrin, mach' jetzt, daß du fortkommst! Laß uns allein!«

Onufrewnas Augen blitzten wieder auf.

»Alte Närrin?« wiederholte sie, »ich eine alte Närrin? Ihr werdet schon an mich denken in der andern Welt! Alle beide! Ja, alle deine Kumpane, Wanja, werden ihren Lohn schon hier empfangen, Grjasnoi, Baßmanoff und auch Wjasemskij, jeder nach seinen Taten. Jenen aber«, fuhr sie fort, drohend mit der Krücke auf Maljuta weisend, »wird die Strafe nicht mehr in diesem Leben erreichen. Für seine Sünden gibt es keine Vergeltung hier auf Erden, sie harrt seiner im tiefsten Pfuhl der Hölle; dort ist ihm schon ein Platz bereitet; die Teufel aber warten auf ihn und freuen sich auf seine Ankunft. Und auch für dich, Wanja, ist dort ein Platz bereitet, ein großer, warmer Platz!«

Mit schlürfenden Schritten verließ die Alte, gestützt auf ihren Krückstock, das Zimmer.

Iwan war leichenblaß. Maljuta sprach kein Wort. Das Schweigen währte unerträglich lang.

»Nun, Lukjaniyitsch«, sprach endlich der Zar, »haben die Koltyscheffs gestanden?«

»Noch immer nicht, Herr. Aber ich werde ihnen schon die Zungen lösen.«

Iwan erkundigte sich nun nach allen Einzelheiten des Verhörs. Das Gespräch über die Koltyscheffs hatte seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben. Es schien ihm, als könnte er jetzt einschlafen. Er schickte Maljuta fort, legte sich nieder und fiel auch wirklich bald in leisen Schlummer.

Ein unerwartet heftiger Donnerschlag schreckte ihn hoch.

Das Zimmer war durch die vor den Heiligenbildern glimmenden Öllämpchen matt erleuchtet. Ein Mondstrahl, der durch das niedrige Fenster glitt, spielte auf den buntbemalten Kacheln der Ofenbank. Hinter dem Ofen zirpte ein Heimchen; im morschen Gebälk nagte eine Maus.

In dieser Stille wurde es dem Zaren erneut unheimlich zumute.

Plötzlich schien es ihm, als höbe sich langsam, langsam der Fußboden, und der Bojar, den er bei Tische vergiftet, stieg daraus hervor und blickte ihn unverwandt an.

Solche Gesichte hatte Iwan häufig. Er schrieb sie den Listen der Hölle zu und schlug auch jetzt wieder angstvoll ein Kreuzeszeichen, um das Gespenst zu bannen. Aber die Erscheinung wich nicht. Der tote Bojar fuhr fort, ihn von der Seite mit vorwurfsvollem Blick zu messen. Die Augen des Greises waren ebenso aus den Höhlen getreten, das Gesicht genau so blau wie bei Tisch, als er den vom Zaren gesandten Becher geleert hatte.

›Wieder eine Versuchung der Hölle!‹ dachte Iwan. ›Aber ich werde nicht den Listen des Teufels unterliegen; ich werde den Feind der Menschheit besiegen.‹ – »Gott ist auferstanden, seine Feinde aber mögen verderben!«

Der Tote kam langsam ganz aus dem Boden hervor und näherte sich dem Zaren.

Iwan wollte aufschreien, aber die Stimme versagte ihm. In seinen Ohren tönte und dröhnte es unaufhörlich.

Der Tote verneigte sich tief.

»Gegrüßet seist du, Iwan!« sprach er mit dumpfer, menschenähnlicher Stimme. »Ich verneige mich vor dir, der du mich schuldlos getötet hast.«

Diese Worte hallten in Iwans Seele so deutlich wider, daß er nicht zu unterscheiden vermochte, ob sie die Erscheinung gesprochen, oder ob seine eigenen Gedanken eine so deutlich für ihn wahrnehmbare Form gefunden hatten.

Jetzt hob sich auch noch an einer anderen Stelle der Fußboden, und es blickte ihm daraus das bleiche Antlitz des Danila Adascheff entgegen, den Iwan vor vier Jahren hatte hinrichten lassen.

Auch Adascheff kam allmählich ganz aus dem Fußboden hervor, verneigte sich vor dem Zaren und sprach:

»Gegrüßet seist du, Iwan! Ich verneige mich vor dir, der du mich schuldlos getötet hast!«

Hinter Adascheff erschien die Bojarinja Maria, die mit ihren Kindern hingerichtet worden war. Mit ihren fünf Söhnen hob auch sie sich langsam aus dem Fußboden hervor. Alle verneigten sich vor dem Zaren, und jeder einzelne sprach:

»Gegrüßet seist du, Iwan! Ich verneige mich vor dir!« Dann erschienen Fürst Kurljateff, Fürst Obolenskij, Nikita Scheremeteff und viel andere mehr, die Iwan alle hatte erschlagen oder hinrichten lassen.

Das ganze Gemach füllte sich mit toten Gestalten. Alle verneigten sich vor dem Zaren und sprachen:

»Gegrüßet seist du, Iwan! Wir verneigen uns vor dir!«

Immer mehr und mehr stiegen hervor, Mönche und zitternde Greise, Nonnen in ihren wallenden schwarzen Gewändern, alle bleich und blutbefleckt. Krieger, die mit dem Zaren um Kasan gekämpft hatten, mit schrecklichen Wunden, die ihnen nicht in heißem Ringen, sondern von verachteter Henkershand geschlagen waren; Jungfrauen mit zerrissenen Gewändern; Frauen mit Säuglingen, die Iwan die blutbefleckten Händchen entgegenstreckten und lallten:

»Gegrüßet seist du, Iwan, der du uns schuldlos getötet hast!«

Dichter und immer dichter füllte sich das Gemach mit Toten.

Die Worte der Gestalten tönten in tausendfältigem Echo in ihm wider. Ihre Totengesänge und Sterbegebete schienen direkt vor seinen Ohren zu erklingen; seine Haare standen zu Berge.

»Im Namen des lebendigen Gottes!« stieß er hervor, »wenn ihr böse Geister seid, vom Feinde der Menschheit gesandt, so weichet von hinnen! Seid ihr aber wirklich die Seelen der von mir Erschlagenen – nun, so wartet bis zum Jüngsten Tage, dann wird Gott der Herr mit uns allen abrechnen!«

Bei diesen Worten wimmerten die Gestalten auf und wirbelten um Iwan herum, wie dürres Herbstlaub, das der Sturm vor sich herjagt.

Immer kläglicher tönten die Totengesänge, während draußen der Regen ans Fenster peitschte, und inmitten des Sturmgeheuls schien es Iwan, als hörte er fernen Trompetenschall und eine Stimme, die gebieterisch rief:

»Iwan, Iwan! Ins Gericht! Ins Gericht!«

Der Zar schrie schrill auf. Die Wächter eilten aus den anstoßenden Räumen in das Schlafgemach des Zaren.

»Steht auf!« stieß er angsterfüllt hervor: »Wer könnte jetzt noch schlafen! Der Jüngste Tag ist angebrochen; die letzte Stunde hat geschlagen! Alle zur Kirche, schnell, mir nach!«

Die Höflinge jagten fort. Alle Glocken der Sloboda ertönten. Die Opritschniks, von denen manch einer sich eben erst zur Ruhe begeben hatte, hörten den wohlbekannten Ruf, sprangen hastig von ihrem Lager hoch und kleideten sich so schnell wie möglich an. Viele hatten noch bei Wjasemskij gezecht und kecke Lieder gesungen. Als sie die Glocken hörten, sprangen auch sie eilig auf, warfen die schwarzen Kutten über die goldglitzernden Kaftans und bedeckten die Köpfe mit hohen Kapuzen.

Die ganze Sloboda kam in Bewegung. Die Kirche der Mutter Gottes war hell erleuchtet. Die aus ihrer Ruhe aufgestörten Bewohner der Sloboda eilten zum Zarenpalast und sahen hinter den Fenstern viele, viele Lichter, die aus einem Gemach ins andere huschten, um dann eine lange, lange Kette zu bilden: die nächtliche Prozession setzte sich in Bewegung und führte in Schlangenwindungen durch die äußeren Gänge, die den Palast mit dem Gotteshaus verbanden.

Alle Opritschniks in gleichen schwarzen Kutten und Kapuzen trugen flackernde Harzkerzen in der Hand. Ihr Schein spielte eigenartig auf den geschnitzten Säulen und den farbigen Ornamenten an den Wänden. Der heftige Sturm schlug die Kutten auseinander, und in Mondschein und Fackellicht schimmerten die mit Gold und Edelsteinen besetzten Gewänder darunter hervor. Allen voran schritt, als Abt angetan, der Zar, schlug sich an die Brust und jammerte laut schluchzend:

»O Gott, vergib mir armem Sünder! Erbarme dich über mich elendes Geschöpf! Erbarme dich über mein schuldiges Haupt! O Herr: schenke den Frieden denen, die ich schuldlos getötet!«

In der Vorhalle der Kirche brach Iwan ohnmächtig zusammen. Eine Greisin, die auf den Stufen kauerte, streckte dem Zaren die zitternden Hände entgegen.

»Steh auf, Väterchen!« sprach Onufrewna. »Ich helfe dir. Schon lange warte ich hier auf dich. Komm, Wanja, laß uns zusammen beten!«

Zwei Höflinge halfen dem Zaren wieder auf. Er trat in die Kirche. Immer neue Gruppen von Opritschniks, wie die andern in schwarze Kutten und hohe Kapuzen gehüllt, strömten mit brennenden Fackeln von allen Seiten herbei. Immer mehr und mehr nahmen die hohen Kirchenpforten auf, und die Gesichter der riesenhaften Heiligen an der Decke und an den Wänden blickten zürnend auf ihr frevelhaftes Tun nieder.

Die Gefangenen in den Kerkern fuhren erschreckt aus dem Schlafe empor, daß ihre Ketten klirrten, und lauschten gespannt den Klängen.

»Es ist der Zar, der die Messe hört!« sagten sie. »O barmherziger Gott, erweiche sein Herz, erfülle seine Seele mit Milde!«

Die kleinen Kinder in den Häusern der Sloboda, die friedlich neben ihren Müttern geschlummert hatten, wachten erschreckt auf und fingen kläglich an zu weinen. Noch lange konnte manche Mutter ihr Kindlein nicht beruhigen, bis sie wohl schließlich sagte: »Still, sei ganz still, sonst hört es Maljuta!«

Und bei diesem Namen hielt das Kind inne und schmiegte sich angstvoll an die Mutter. In dem nächtlichen Schweigen aber hörte man noch lange die Psalmen der Opritschniks und das ununterbrochene Geläut der Glocken.


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