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Maljutas Rache

Die Sonne ging auf, aber sie bescherte Maljuta keinen glücklichen Tag. Als er nachts aus dem Schlafgemach des Zaren nach Hause zurückgekehrt war, hatte er den Sohn nicht mehr vorgefunden, und es war ihm klargeworden, daß Maxim für immer der Sloboda den Rücken gekehrt hatte. Wutentbrannt sandte er sofort nach allen Himmelsrichtungen Reiter nach ihm aus und ließ die Knechte, die Maxims Fortgang verschlafen hatten, in den Kerker werfen.

Die Brauen finster hochgezogen, die Zähne fest zusammengebissen, ritt er den Weg entlang und zermarterte sich das Gehirn, ob er dem Zaren die Flucht seines Sohnes melden oder verheimlichen sollte.

Da hörte er hinter sich Pferdegetrappel und laute, fröhliche Stimmen. Der Zarewitsch kehrte mit Baßmanoff und einer Schar anderer verwegener junger Leute von seinem Morgenritt heim. Die lockere Erde war vom Regen durchweicht, so daß die Rosse bis an den Knöchel in den Schmutz sanken. Als der Zarewitsch Maljuta gewahr wurde, gab er seinem Renner die Sporen und trabte so dicht an ihn heran, daß er ihn von oben bis unten mit Schmutz bespritzte.

»Ich begrüße dich ehrerbietig, Bojar Maljuta!« rief der Zarewitsch aus, sein Pferd vor ihm anhaltend. »Wir haben soeben deine Reiter getroffen. Es scheint, dein Maxim ist der Sloboda ganz und gar überdrüssig geworden, da er sich bei Nacht und Nebel aus dem Staube gemacht hat. Oder hast du ihn gar selbst nach Moskau geschickt, damit er dort eine Bojarenmütze erstehen sollte, und hast dich jetzt nur eines andern besonnen?«

Bei diesen Worten brach der Zarewitsch in höhnisches Lachen aus.

Maljuta war der Sitte gemäß vom Pferde gestiegen, stand entblößten Hauptes vor ihm und wischte sich mit der flachen Hand den Schmutz aus dem Gesicht. Seine Augen schienen giftigen Pfeilen gleich den Zarewitsch zu durchbohren.

»Weshalb wischt er sich eigentlich den Schmutz aus dem Gesicht?« bemerkte Baßmanoff, der sich beim Zarewitsch einschmeicheln wollte, »einen jeden andern würde es ja verunstalten, aber an ihm fällt es weiter gar nicht auf!«

Baßmanoff hatte diese Worte nur halblaut zum Zarewitsch hin gesprochen, Skuratoff aber hatte genug verstanden. Als die ganze Gesellschaft lachend und scherzend mit dem Zarewitsch davongetrabt war, setzte Maljuta seine Mütze, die er noch immer in der Hand hielt, wieder auf, bestieg sein Pferd und ritt langsam zum Palast des Zaren.

›Gut!‹ dachte er, ›laßt mir nur noch ein wenig Zeit!‹ Seine bleichgewordenen Lippen verzerrten sich zu einem giftigen Lächeln; in seinem durch Maxims Flucht schon ohnehin erbitterten Herzen aber reifte ein furchtbarer Plan, der die unvorsichtigen Beleidiger vernichtend treffen sollte.

 

Als Maljuta in den Palast trat, saß Iwan allein in seinem Gemach. Sein Antlitz war bleich wie der Tod, seine Augen brannten. Er hatte die schwarze Kutte mit einem gelben Leibrock vertauscht, der mit Streifen besetzt, mit himmelblauem Stoff abgefüttert und durch acht seidene Bänder mit langen Troddeln zusammengehalten war.

Weder die nächtlichen Gesichte und das unentwegte Gebet, noch der Mangel an Schlaf hatten seine Kräfte erschöpft, sondern ihn nur in einen Zustand äußerster Erregbarkeit versetzt. Alle Qualen, die ihn in der Nacht gepeinigt hatten, erschienen ihm jetzt wieder als Versuchungen des Satans. Der Zar schämte sich seiner Furchtsamkeit.

›Der Feind des Namens Christi‹ – dachte er – ›versucht mich ohne Unterlaß; aber er soll dennoch nicht über mich triumphieren! Ich will ihm zeigen, daß ich ihm gewachsen bin.‹

Und er nahm sich von neuem fest vor, die Verräter heimzusuchen und seine Widersacher dem Tode preiszugeben, ja, selbst wenn ihrer Tausende und Abertausende wären.

Und er begann in Gedanken alle Menschen seiner Umgebung durchzugehen und unter ihnen Verräter festzustellen. Jeder Blick, ja, jede Bewegung erschien ihm jetzt im höchsten Grade verdächtig.

Maljuta fand seinen Gebieter in einem Zustande, der dem Fieberwahne glich.

»Herr«, sprach Skuratoff nach kurzem Schweigen, »du läßt die Koltyscheffs foltern, damit sie weitere Verräter nennen. Verlaß dich ganz auf mich, ich werde sie schon so weit bekommen, wie ich will; eins aber werde ich nicht erreichen: ich kann sie nicht dazu bringen, deinen allergefährlichsten Gegner zu nennen!«

Der Zar blickte seinen Günstling verwundert an. In Maljutas Zügen lag etwas Fremdes, Ungewohntes.

»Ja, so ist es, Herr«, fuhr dieser mit veränderter Stimme fort, »das Auge sieht es und das Ohr hört es, aber man bringt dennoch den Namen nicht über die Lippen.«

Der Zar blickte Maljuta abermals erstaunt an.

»Schon manch einen Verbrecher hast du ins Jenseits befördern lassen, und doch hast du den Verrat nicht ausrotten können. Und so viele du auch immer hinrichten lassen wirst, wenn auch noch zehnmal, ja hundertmal soviel wie bisher, der Verrat wird dennoch bestehen bleiben!«

Der Zar hörte und hörte und konnte sich noch immer nicht erklären, was Maljuta meinte.

»Und deshalb, Zar, wirst du den Verrat nie ganz ausrotten können, weil du wohl die Zweige und Äste abhauen, aber den Stamm unversehrt stehen läßt!«

Noch immer begriff der Zar Maljuta nicht, blickte ihn aber mit wachsender Spannung und Erregung an.

»Sieh, Zar, wie soll ich dir's nur sagen, – denke zum Beispiel daran, wie die Bojaren damals, als du auf den Tod lagst – Gott erhalte dir noch lange Jahre die Gesundheit – sich gegen dich verschworen hatten, da war auch einer unter ihnen, der sie aufhetzte, nämlich dein Bruder Wolodimir Andreitsch!«

›Ah!‹ dachte der Zar, ›jetzt verstehe ich, was meine nächtlichen Gesichte bedeuten sollten. Der Feind der Menschheit wollte meinen Verstand verdunkeln, damit ich davor zurückschrecken sollte, die Ränke des Bruders zunichte zu machen. Es soll ihm nicht gelingen! Ich will auch des Bruders nicht schonen!‹

»Sprich!« sagte er zornbebend, »sprich, was du von Wolodimir Andreitsch weißt!«

»Nein, Herr, nicht Wolodimir Andreitsch meine ich! Um ihn handelt es sich nicht. Er führt nichts mehr gegen dich im Schilde. Auch die Bojaren halten nicht mehr zu ihm. Schon lange hat er aufgegeben, dir nach der Herrschaft zu trachten! Nein, Zar, den meine ich nicht!«

»Wer könnte es sonst nur sein?« fragte der Zar erstaunt; um seine Mundwinkel zuckte es krampfhaft.

»Sieh, Zar! Wolodimir Andreitsch hat es aufgegeben, deinen Thron zu unterwühlen, aber nicht die Bojaren! Sie haben nun einmal ihren Kopf für sich. Ist es ihnen nicht gelungen, den einen auf den Thron zu setzen, nun, dann versuchen sie es eben mit ...«

Maljuta stockte.

»Mit wem?« stieß Iwan hervor, und seine Augen flammten auf.

Maljuta wurde leichenblaß.

»Ach, Herr, es ist nicht gut, alles auszusprechen, für unsereinen gilt es, denke dir dein Teil – aber halte die Zunge fein hinter den Zähnen!«

»Wer ist es?« schrie Iwan aufspringend.

Maljuta zögerte noch immer.

Der Zar packte ihn mit beiden Fäusten bei der Kehle, zog sein Gesicht ganz dicht an das seine heran und krallte sich mit seinen Augen in ihn hinein.

Maljutas Knie wankten.

»Zar!« flüsterte er zitternd, »erzürne nicht über ihn, er ist ja sicher nicht von selbst darauf gekommen ...!«

»Rede!« wiederholte Iwan mit heiserer Stimme und packte Maljuta fester bei der Kehle.

»Er wäre ja nie auf den Gedanken gekommen«, fuhr Maljuta dem Blicke des Zaren ausweichend fort, »man muß ihn aufgestachelt haben! Die ihm am nächsten stehen, sind gewiß schuld an allem. Und er – ein sündiger Mensch wie wir alle – dachte, etwas früher oder später, das kommt wohl auf dasselbe hinaus!«

Der Zar fing endlich an zu verstehen. Er wurde noch bleicher. Seine Hände, die noch immer Maljuta umkrallt hielten, sanken kraftlos herab.

Maljuta richtete sich auf. Er begriff, der Augenblick war gekommen, den entscheidenden Schlag zu wagen.

»Zar!« brachte er hastig hervor, »suche nicht den Verrat in der Ferne. Dein Widersacher sitzt dir am Tische gegenüber, er trinkt mit dir aus einem Becher, er ißt mit dir von einer Schüssel, er trägt mit dir das gleiche Kleid!«

Maljuta hielt inne und wagte es, seine blutunterlaufenen Augen auf den Zaren zu richten.

Iwan schwieg. Seine Arme hingen schlaff herab. Jetzt endlich hatte er Maljuta voll und ganz begriffen.

In diesem Augenblick tönten vom Hofe her fröhliche Rufe.

 

Als Maljuta zum Zaren kam, war auch der Zarewitsch mit seinen Gefährten auf den Hof geritten, wo ihn Kaufleute aus Moskau erwarteten, um ihm Salz und Brot darzubieten und ihm eine Bitte vorzutragen.

Als sie den Zarewitsch erblickten, fielen sie alle auf die Knie.

»Nun, was habt ihr, Leute von der Elle?« fragte der Zarewitsch in seiner hochmütigen Art.

»Ach, Väterchen«, erwiderten ihre Sprecher, »wir sind gekommen, um dir unser großes Leid zu klagen. Ach, verleih uns doch deinen Schutz! Hab' Erbarmen mit uns Elenden! Die Opritschniks richten uns noch ganz zugrunde, nehmen uns Weib und Kind!«

»Sieh an!« sagte der Zarewitsch, sich mit höhnischem Lächeln an Baßmanoff wendend, »sie möchten am liebsten alles ganz für sich allein behalten, ihre Waren und selbst ihre Weiber! Was plärrt ihr mir deswegen so viel vor? Macht, daß ihr von hier fortkommt! Will mal sehen, vielleicht lege ich bei Väterchen Zar ein gutes Wort für euch ein, ihr Dummköpfe!«

»Ach, du unser Vater und Beschützer! Gott schenke dir ein langes Leben!« riefen die Kaufleute aus.

Der Zarewitsch saß noch auf dem Pferde. Neben ihm stand Baßmanoff. Die Bittsteller knieten vor ihm nieder. Ihr Anführer hielt dem Zarewitsch eine goldene Schüssel mit Salz und Brot hin.

Maljuta hatte vom Fenster aus alles beobachtet.

»Herr!« flüsterte er dem Zaren zu, »es muß ihn wohl einer von denen, die um ihn sind, aufgestachelt haben. Sieh nur, wie ihm das Volk bereits als seinem Herrscher huldigt.«

Und wie selbst der Zauberer im ersten Augenblick zusammenzuckt beim Anblick der bösen Geister, die er beschworen, so entsetzte sich Maljuta über den Ausdruck, den die Züge des Zaren unter seinem Eindruck annahmen.

Alles Menschliche war aus Iwans Antlitz gewichen. Noch nie hatte ihn Maljuta so furchtbar gesehen.

Qualvolle Minuten verstrichen. Plötzlich huschte ein Lächeln über des Zaren Züge.

»Grischa«, sprach er, Skuratoff beide Hände auf die Schulter legend, »wie hattest du doch gleich gesagt? Ich lasse die Zweige und Äste abhauen und lasse den Stamm unversehrt? Grischa«, fuhr er fort, indem er langsam jedes einzelne Wort betonte und Maljuta mit einer grauenvollen Vertraulichkeit in die Augen blickte, »würdest du es auf dich nehmen, den Verrat mit der Wurzel auszurotten?«

Eine boshafte Freude zuckte kaum merklich um Maljutas Mund.

»Um deinetwillen, Herr, will ich auch das tun«, flüsterte er, an allen Gliedern bebend.

Iwans Gesichtsausdruck änderte sich blitzartig schnell. Das Lächeln wich; seine Züge nahmen eine kalte unerbittliche Starrheit an. Sein Antlitz schien wie aus Marmor gehauen.

»Es ist keine Zeit zu verlieren!« sagte er schroff und gebieterisch. »Daß mir niemand etwas davon erfährt! Er geht heut zur Jagd. Heut noch mag man ihn im Walde finden. Man wird sagen, er sei vom Pferde gestürzt und habe sich totgefallen. Kennst du den Teufelssumpf, Maljuta?«

»Ja, Herr!«

»Dort mag man ihn finden!«

Der Zar wies seinem Günstling die Tür. Maljuta verließ das Zimmer. Draußen erst atmete er freier auf.

Lange blieb Iwan regungslos sitzen. Dann schritt er langsam zu den Heiligenbildern und sank zu heißem Gebet in die Knie.

Von allen Leuten Maljutas war der tollkühnste und listigste Mattwej Chomjak, sein Reitknecht. Er fürchtete keine Gefahr, liebte das ungestüme Leben und stand an Roheit und Wildheit nur noch seinem Herrn nach. War hier ein Dorf in Brand zu stecken, dort einem Bojaren ein Brief zu unterschieben, auf Grund dessen man ihn hinrichten konnte, sollte hier eine Frau entführt werden – immer wandte man sich an Chomjak. Denn Chomjak brannte die Dörfer nieder, unterschob gefälschte Briefe und schleppte statt einer Frau womöglich gleich mehrere herbei.

An Chomjak wandte sich auch jetzt wieder Maljuta. Was sie miteinander berieten, erfuhr niemand. Aber an dem gleichen Morgen, an dem sich die Jagdtreiber sorglos in die Umgebung Moskaus verteilten und die Aufmerksamkeit der auf Anstand befindlichen Jäger ganz durch die zu erwartende Beute in Anspruch genommen war, trabten auf einem fernabgelegenen dunklen Seitenweg Chomjak und Maljuta einher, und zwischen ihnen, an den Sattel gebunden, mit gefesselten Händen ein dritter, dessen Gesicht bis zum Kinn mit einer großen Kapuze verhüllt war. Alle drei entfernten sich immer weiter von dem Jagdrevier; kein einziger sprach ein Wort. An einer Biegung des Weges schlugen sich an die zwanzig bewaffnete Opritschniks zu ihnen und, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, trabten alle tiefer und immer tiefer in den Wald hinein.

Inzwischen ging die Jagd munter vonstatten und niemand war die Abwesenheit des Zarewitsch aufgefallen, außer zwei Reitknechten, die gerade jetzt, von Dolchstichen durchbohrt, in einer nahen Waldschlucht ihr Leben aushauchten.

Etwa dreißig Werst von der Sloboda entfernt befand sich im tiefen Dickicht ein undurchdringliches Moor, das im Volksmunde Teufelssumpf genannt wurde. Viel wunderliche Dinge erzählte man sich von diesem Ort. Die Holzhauer vermieden es ängstlich, sich ihm im Dämmerlicht zu nahen und versicherten, daß in schwülen Sommernächten kleine blaue Flämmchen über das Wasser huschten; das aber seien die Seelen all derer, die die Räuber ermordet und in den Teufelssumpf geworfen hätten.

Sogar am hellichten Tage hatte das Moor etwas düster Geheimnisvolles. Hohe Bäume, die am unteren Teil des Stammes gänzlich ihrer Zweige beraubt waren, hoben sich aus dem trüben, schwärzlichen Gewässer empor und erblickten sich in demselben wie in einem blindgewordenen Spiegel verzerrt wieder, wobei sie menschlichen Mißgestalten und phantastischen Tieren ähnlich sahen. Nie hörte man hier eine menschliche Stimme, nur hier und da strichen Schwärme wilder Enten über die Fläche hin; im Geröhre ertönte der Klageruf des Wasserhuhnes; ein einsamer Rabe kreiste wohl über den Wipfeln der Bäume und sein unheimliches Gekrächze hallte in vielfältigem Echo wider. Aus weiter, weiter Ferne vernahm man zuweilen den Schlag der Axt, das Krachen eines gefällten Baumes und den dumpfen Aufprall.

Wenn aber die Sonne hinter den Wipfeln verschwand, und durchsichtige Nebel aus dem Moor emporstiegen, begann das eintönige Quaken der Frösche, erst leise und vereinzelt, dann lauter und immer lauter, zuletzt in vollem Chore, so daß ihre Stimmen ein ununterbrochenes dumpfes Getöse bildeten, an das sich das Ohr bald so gewöhnte, daß es dazwischen das ferne Heulen des Wolfes und das Geschrei des Uhus zu unterscheiden vermochte. Dichter und dichter sank die Dunkelheit herab, alle Gegenstände verloren allmählich ihr früheres Aussehen und schienen veränderte Gestalt anzunehmen. Wasser, Zweige, Nebelstreifen – alles ging ineinander über und verschmolz mit den unheimlichen Lauten zu einem Ganzen. Der Teufelssumpf war der Zufluchtsort der bösen Geister.

Nach diesem verruchten Ort lenkten Maljuta und die anderen Opritschniks ihre Pferde. Zur gleichen Zeit, als sie ihre Rosse zu immer größerer Eile antrieben, versammelten sich nicht weit vom Teufelssumpf im tiefen Walde andere Gesellen von wenig vertrauenerweckendem Aussehen.


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