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Die Entführung

Während des Gastmahles ging in der Nähe des Morosoffschen Hauses etwas ganz Ungewöhnliches vor sich. Beim Eintritt der Dämmerung hatten sich nach und nach vereinzelt immer mehr Opritschniks gezeigt, bald am Gartenzaun, bald an der Hofmauer, ja schließlich auf dem Hofe selbst.

Morosoffs Leute hatten nicht weiter auf sie geachtet. Als es ganz dunkel geworden war, war das ganze Haus von Opritschniks umstellt.

Wjasemskijs Reitknecht hatte den Festsaal verlassen, angeblich um das Pferd seines Herrn zu tränken; aber er ging nicht zum Pferdestall, sondern blickte sich auf dem Hofe behutsam nach allen Seiten um, schlich sich bis zum Hoftor und tat einen bestimmten Pfiff. Irgend jemand tastete sich vorsichtig zu ihm heran.

»Seid ihr alle zur Stelle?« fragte der Reitknecht.

»Alle!« lautete die Antwort.

»Wie viele seid ihr?«

»Fünfzig!«

»Gut, so wartet auf das Zeichen!«

»Ist es nicht bald so weit? Das lange Warten ist uns über.«

»Darüber hat der Fürst zu entscheiden. Übrigens, damit du es weißt, Chomjak, der Fürst hat streng verboten, das Haus zu plündern oder in Brand zu stecken.«

»Streng verboten? Das wäre ja noch besser! Ist er etwa mein Herr?«

»Heute ja, weil Maljuta dich ihm zur Verfügung gestellt hat.«

»Ich werde ihm ja auch sonst gehorchen, aber ich will ihm einen Gefallen erweisen und nicht gerade Morosoff! Ich werd' ihm schon dazu verhelfen, die Bojarinja zu entführen, das Weitere aber soll er getrost mir überlassen!«

»Nimm dich in acht, der Fürst liebt nicht zu spaßen!«

»Was fällt dir ein!« erwiderte Chomjak mit einem bösen Lächeln. »Der Fürst soll sich gefälligst um seine Angelegenheiten kümmern und mir nicht den ganzen Spaß verderben!«

 

Zu der gleichen Zeit, als im Dunkeln diese Worte ausgetauscht wurden, hatte Morosoff gerade Sserebrjanyi allein gelassen, um sich zu seiner Frau zu begeben.

Die Bojarinja war noch nicht zur Ruhe gegangen. Den Kokoschnik hatte sie bereits abgelegt; ihre dichte Flechte fiel über ihre weiße Schulter herab. Sie war im Begriff, sich zu entkleiden und saß in tiefes Sinnen versunken da. Ihre Gedanken weilten in vergangenen Tagen. Sie dachte an ihre erste Bekanntschaft mit Sserebrjanyi, ihre Hoffnungen und Verzweiflung, dann an Morosoffs Vorschlag und den heiligen Schwur, den sie ihm geleistet. Deutlich erinnerte sie sich, wie sie vor ihrer Hochzeit nach der Sitte aller Waisen das Grab der Mutter aufgesucht; vor das Kreuz eine Schale mit rotgefärbten Eiern gestellt und in Gedanken mit der Verstorbenen den Osterkuß getauscht und den Segen der Mutter zu ihrem Ehebund erfleht hatte. Damals hatte sie fest geglaubt, ihre erste Liebe überwinden zu können und an der Seite des alten Morosoff das Glück zu finden ... und jetzt? Jelena dachte an die furchtbaren Minuten beim Gastmahl und ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie merkte nicht, wie die Tür sich öffnete, der Bojar eintrat und regungslos auf der Schwelle vor ihr stehen blieb. Sein Antlitz drückte Trauer und harte Entschlossenheit zugleich aus.

Mehrere Minuten blickte er sie schweigend und unverwandt an. Sie war noch so jung, so unerfahren und so gänzlich unfähig sich zu verstellen, daß er einen Augenblick lang Mitleid mit ihr empfand.

»Jelena!« sagte er ruhig, »weshalb wurdest du heute beim Gastmahl so verwirrt?«

Jelena zuckte zusammen und starrte den Mann mit weitaufgerissenen angstvollen Augen an.

Sie wollte sich ihm zu Füßen werfen und ihm alles bekennen, aber dann dachte sie wieder, daß er vielleicht noch keinen Verdacht gegen Sserebrjanyi hegte, und schreckte davor zurück, diesen der Rache ihres Mannes preiszugeben.

»Rede, weshalb wurdest du plötzlich so verwirrt?« fragte Morosoff abermals.

»Ich fühlte mich nicht wohl!« flüsterte Jelena.

»So, so, du fühltest dich nicht wohl, aber nicht dein Körper war krank, sondern deine Seele, ja deine Seele! Du verdirbst deine Seele, Jelena! Als heute früh Wjasemskij mit seinen Opritschniks in unser Haus kam, las ich gerade in der Heiligen Schrift. Weißt du, was da von dem Weibe, das die Ehe bricht, gesagt ist?«

»O Gott, steh mir bei! – Druschina Andreitsch, hab' Erbarmen mit mir! Ich bin nicht so schuldig, wie du glaubst! Ich habe dir nicht die Treue gebrochen!«

Morosoff runzelte finster die Stirn.

»Lüge nicht noch, Jelena! Versuch' dich nicht reinzuwaschen, vergrößere nicht deine Schuld durch hinterlistige und falsche Worte. Du meinst, du hättest mir nicht die Treue gebrochen, weil du mir überhaupt von Anfang an nicht treu gewesen bist!«

»Druschina Andreitsch! Um Gottes willen, höre mich an!«

»Ja, du bist mir niemals treu gewesen! Als du die meine wurdest, als du in der großen Falschheit deines Herzens das Kreuz küßtest, da liebtest du im stillen einen anderen! ... – Ja, du liebtest einen anderen!« fuhr er mit lauterer Stimme fort. »Dmitrijewna! Dmitrijewna! Weshalb hast du mir nicht gesagt, daß du einen anderen liebtest?«

Jelena schluchzte fassungslos vor sich hin.

»Als ich dich in der Kirche sah, eine schutzlose Waise, an jenem Tage, als sie dich wider Willen Wjasemskij ausliefern wollten, da beschloß ich in meinem Herzen, dich von dem verhaßten Mann zu befreien, aber ich verlange deinen heiligen Eid, daß du mein graues Haupt nicht entehren würdest. Weshalb schwurst du mir den Eid? Weshalb hast du mir damals nicht alles gestanden? Mit Worten neigtest du dich zu mir, aber dein Herz gehörte dem anderen. Glaubst du, ich hätte dich zu meiner Gattin begehrt, wenn ich um deine Liebe gewußt hätte? Irgendwo weitab von Moskau hätte ich dich verborgen gehalten oder dich in ein Kloster gebracht, nie aber hätte ich dich zum Weibe genommen, niemals! Wahrlich, es wäre für dich besser gewesen, Abschied zu nehmen von der Welt, als einem ungeliebten Manne zu folgen! Mit meinem guten Namen hast du dich umgeben, wie mit einer schützenden Mauer, um dich über mich lustig zu machen mit deinem heimlichen Liebhaber! Du dachtest, Morosoff ist alt und schwach, ihn kann man leicht betrügen!«

»Nein, Herr! Das habe ich nie gedacht, nie und nimmer!« rief Jelena schluchzend aus. »Nie habe ich die Absicht gehabt, dich zu betrügen! Außerdem war er damals in Litauen!«

Bei dem Worte »er« flammte Morosoff jäh auf, aber er beherrschte sich; ein bitteres Lächeln spielte um seine Züge.

»So, so, also nicht damals habt ihr euch eure Liebe gestanden, sondern erst später nach seiner Rückkehr, erst nachts am Gartenzaun, an dem gleichen Tage, als ich ihn wie einen Sohn aufgenommen und geehrt habe. Sage, Jelena, glaubtet ihr wirklich, daß ich euch nicht entdecken, daß ich meine Ehre beflecken lassen würde, unfähig, ein ehebrecherisch Weib zu strafen und ihren Verführer, meinen allergrimmigsten Feind? Glaubte dieser unreife Bube, daß ihm sein schändliches Vorhaben gelingen würde?«

Jelena blickte schreckerfüllt zu ihrem Manne empor. In seinen Zügen lag finstere Entschlossenheit.

»Druschina Andreitsch«, stieß sie entsetzt hervor, »was willst du tun?«

Der Bojar zog unter seinem Gewande eine Waffe hervor.

»Um Gottes willen, was hast du vor!« schrie sie zurückweichend.

Morosoff lachte bitter.

»Für dein Leben brauchst du nicht zu zittern!« sagte er kalt; »dich werde ich nicht töten! Da, nimm das Licht und geh voran!«

Er betrachtete die Waffe von allen Seiten und ging zur Tür. Jelena rührte sich nicht von der Stelle. Morosoff blickte zurück.

»Leuchte mir!« wiederholte er in gebieterischem Tone.

In diesem Augenblick hörte man vom Hofe Lärm. Mehrere Stimmen redeten hastig durcheinander. Morosoffs Leute riefen sich gegenseitig etwas zu. Das Getöse wurde immer lauter. Es schien, als ob eine große Menge von Menschen unten in das Haus eindringen wollte. Plötzlich krachte ein Schuß. Jelena glaubte, daß Sserebrjanyi auf Morosoffs Geheiß getötet worden sei. Die Entrüstung gab ihr ihre Kräfte wieder.

Morosoff achtete ihrer Worte nicht, er lauschte, den Kopf vorgeneigt; seine Züge drückten Erstaunen aus.

»So töte mich doch!« flehte Jelena verzweifelt. »Ich will und kann ihn nicht überleben. Ja, ich habe dich betrogen, habe deiner gelacht! So töte mich doch!«

Morosoff blickte Jelena an, und wenn ihn einer in diesem Augenblick gesehen hätte, er würde im Zweifel gewesen sein, ob mehr Entrüstung oder mehr Mitleid in diesen Zügen lag!

»Druschina Andreitsch!« rief jetzt von unten eine Stimme. »Verrat! Verrat! Die Opritschniks wollen zu deinem Weibe vordringen! Sei auf der Hut, Druschina Andreitsch!«

Es war Sserebrjanyis Stimme. Als Jelena den bekannten Klang hörte, wollte sie zur Tür stürzen. Morosoff stieß sie heftig zurück und schob einen schweren Eisenriegel vor die Tür.

Eilige Schritte stürmten die Treppe herauf, dann hörte man Säbelklirren und lautes Fluchen, dann einen schrillen Schrei und das dumpfe Fallen eines Körpers. Die Tür drohte heftigen Schlägen nachzugeben.

»Bojar«, schrie Wjasemskij, »öffne, sonst schlag ich dir das ganze Haus in Stücke!«

»Das kann ich nicht glauben, Fürst«, erwiderte Morosoff mit Würde, »man hat noch nie gehört, solange das heilige Rußland steht, daß ein Gast die Ehre seines Wirtes mit Füßen tritt, daß er mit Gewalt in die Gemächer seiner Frau eindringen will. Mein Met war stark, er ist dir zu Kopfe gestiegen, Fürst. Geh, leg' dich nieder! Ich will's dir morgen nicht nachtragen. Eines aber vergesse ich nicht, daß du mein Gast bist!«

»Öffne!« wiederholte der Fürst, wie irrsinnig an der Tür rüttelnd.

»Afanaßij Iwanowitsch! Vergiß nicht, wer du bist! Bedenke, daß du kein Räuber bist, sondern ein Fürst und ein Bojar!«

»Was Fürst! Was Bojar! Ich bin ein Opritschnik! Hörst du, Bojar, ein Opritschnik bin ich! Dein Weib gefällt mir, hörst du, Bojar! Ich schrecke nicht vor der Tat zurück, und wenn ganz Moskau darüber in Flammen aufgeht, ich muß sie haben!«

Plötzlich war das ganze Zimmer hell erleuchtet. Morosoff blickte zum Fenster; die Wohnungen seiner Dienstleute standen in Flammen.

Im gleichen Augenblick stürzte die Tür krachend ein und, von der Feuersbrunst hell erleuchtet, drang Wjasemskij, einen zerbrochenen Säbel schwingend, ins Zimmer. Sein schneeweißes Atlasgewand war zerrissen und blutüberströmt; man sah, daß er nicht ohne heißes Ringen bis hierher vorgedrungen war; Morosoff, der dicht vor ihm stand, zielte nach ihm, aber seine zitternde Hand fehlte, so daß die Kugel in den Türpfosten schlug; der Fürst stürzte sich auf Morosoff.

Nur kurz wehrte der ungleiche Kampf. Ein heftiger Stoß mit dem Schwertknauf schlug den alten Bojaren zu Boden. Wjasemskij stürzte sich auf die Bojarinja. Kaum aber hatten seine blutbefleckten Hände sie berührt, als sie mit einem lauten Aufschrei bewußtlos zusammenbrach. Der Fürst packte sie und raste mit ihr die Treppen hinunter, daß ihre aufgelöste Flechte die Stufen entlangfegte. An dem Tore standen schon Rosse bereit; Wjasemskij warf sich in den Sattel und jagte mit der Ohnmächtigen von dannen; mit klirrenden Waffen flogen seine Knechte hinterdrein.

 

In Morosoffs ganzem Hause herrschte das Grauen. Alle Wohnungen seiner Dienerschaft brannten lichterloh. Von den Schlägen der Angreifer niedergestreckt, lagen die Leute schwerverwundet umher und schrien jämmerlich um Hilfe. Jelenas Mädchen rannten kreischend hin und her. Chomjak und seine wilden Genossen plünderten nach Herzenslust und schleppten kostbares Gerät, Gold und wertvolle Gewänder auf einen großen Haufen zusammen. Chomjak selbst stand in feuerrotem Kaftan auf diesem Haufen von Gold und Silber und überschrie mit schriller Stimme den Lärm um ihn her.

»Holla! Geht das hier lustig zu!« rief er, sich vergnügt die Hände reibend. »Das Gastmahl lob' ich mir!«

»Chomjak«, fragte ein Opritschnik, »die Diener haben Morosoff im Kahne fortgebracht. Sollen wir ihnen nachsetzen?«

»Ach, hol' sie der Teufel! Auf ihn kommt es jetzt nicht an! Hallo! Jetzt macht aber alle, daß ihr aus dem Hause herauskommt, sonst erstickt ihr noch im Qualm!«

»Chomjak«, rief ein anderer, »was sollen wir mit Sserebrjanyi machen?«

»Rührt ihn auch nicht mit dem kleinen Finger an! Bewacht ihn mir gut! Laßt kein Auge von ihm! Wir wollen doch seine Gnaden mit allen Ehren nach der Sloboda geleiten. Ihr habt doch alle gesehen, wie der Fürst Afanaßij Iwanowitsch angegriffen und zugerichtet hat?«

»Ja, das haben wir gesehen!«

»Und werdet ihr darauf auch vor dem Zaren das Kreuz küssen?«

»Ja, das wollen wir! Wir werden alle das Kreuz küssen!«

»Nun seht ihr. Jetzt darf ihm keiner auch nur ein Haar krümmen, aber laßt uns nur erst zuhause sein! Grigorij Skuratoff wird ihm schon die Ohrfeige bezahlen und ich die Peitschenhiebe, die er mir angedeihen ließ.«

Noch lange plünderten und lärmten die Opritschniks, und als sie endlich, die Pferde mit kostbarer Beute schwerbeladen fortzogen, lag noch lange die blutrote Lohe über der Stelle, wo einst Morosoffs Haus gestanden, und die unten vorbeifließende Moskwa spiegelte den Feuerschein wider wie geschmolzenes Gold.


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