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Die Blutbesprechung

Als die Nachbarn von dem Überfall der Opritschniks auf Morosoffs Haus erfuhren und seinen Besitz in Flammen stehen sahen, eilten sie herbei, um das Feuer zu löschen und die Tore zu schließen. »Gott sei uns gnädig!« riefen, angstvoll das Zeichen des Kreuzes schlagend, diejenigen aus, an denen Wjasemskij mit seiner ganzen Meute in wilder Jagd vorbeihetzte. »Herr, erbarme dich unser, verschone uns vor dem Verderben!«

Und als das Rossegetrappel leiser geworden und das Geklirr der Waffen und Panzer endlich in weiter Ferne erstorben war, atmeten sie erleichtert auf: »Dem Herrn sei ewig Lob und Dank! Es ist vorübergegangen!« Und wieder schlugen sie inbrünstig ein Kreuz.

Wjasemskij aber flog in wahnsinniger Hast dahin, so daß sein Gefolge weit hinter ihm zurückblieb. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, noch vor Morgengrauen ein Dorf zu erreichen, in dem neue Pferde seiner harrten. Von dort aus wollte er Jelena auf sein Landgut bei Rjasanj bringen. Kaum aber hatte er an die fünf Werst zurückgelegt, als er bemerkte, daß er vom Wege abgeirrt war. Zugleich fühlte er, daß die Wunden, auf die er in der Hitze des Kampfes nicht geachtet hatte, anfingen, ihm unerträgliche Schmerzen zu bereiten.

»Bojarinja«, sagte er, sein Roß anhaltend, »mein Gefolge ist zurückgeblieben, wir müssen warten.«

Jelena war allmählich wieder zu sich gekommen. Als sie die Augen aufschlug, hatte sie als erstes den Wald und den Weg erkannt, dann den fernen Feuerschein gesehen und gespürt, daß sie auf dem Rücken eines Pferdes lag und von starken Armen gehalten wurde. Dann waren ihr nach und nach die Geschehnisse dieses Tages wieder eingefallen, und mit einem Aufschrei des Entsetzens gewahrte sie plötzlich Wjasemskij.

»Bojarinja«, sprach Afanaßij mit einem bitteren Lächeln, »bin ich dir so fürchterlich? Verfluchst du mich? Nicht mich verdamme, Jelena, sondern dein Schicksal! Es muß dir wohl von Anbeginn so bestimmt gewesen sein, daß du mir dereinst angehören solltest!«

»Fürst«, flüsterte Jelena schaudernd, »wenn du schon kein Gewissen mehr hast, so besinne dich doch wenigstens auf deine Bojarenehre, schrick vor der Schande zurück!«

»Ich habe keine Ehre, ich kenne keine Schande! Alles, alles hab' ich für dich geopfert, Jelena!«

»Fürst, so denke an das Jüngste Gericht, verdirb nicht deine Seele!«

»Zu spät, Bojarinja! Sie ist längst verloren! Oder glaubst du, daß derjenige, der die Gastfreundschaft lohnt, wie ich es tat, seine Seele noch retten kann? Nein, Bojarinja! Heute habe ich sie auf ewig verloren! Gestern noch war es Zeit, heute aber gibt es keine Hoffnung mehr für mich, keine Vergebung! Und was hilft mir auch des Himmels Seligkeit, wenn ich dich nicht besitzen soll?«

Wjasemskijs Kräfte nahmen zusehends ab; er fühlte seine Erschöpfung, versuchte aber immer noch ihrer Herr zu werden. Schon begann der Fieberwahn seine Sinne zu umnebeln.

»Jelena!« stöhnte er, »ich verblute, mein Gefolge ist weit zurück; nirgends ist Hilfe zu erwarten. Vielleicht muß ich schon in einer kurzen Stunde in das ewige Verderben eingehen ... Liebe mich doch, liebe mich doch für diese einzige Stunde meines Lebens, damit ich nicht ganz umsonst dem Satan meine Seele verschrieben habe! Jelena!« fuhr er mit letzter Kraft fort, »so liebe mich doch, du Mörderin meiner Seele!«

Blutüberströmt wollte Wjasemskij sie an sich reißen, aber die Kräfte verließen ihn, die Zügel entsanken seinen Händen, er wankte und stürzte vom Pferde herab. Jelena klammerte sich an der Mähne des Rosses fest, das, des Reiters ledig, davonjagte. Zuerst versuchte sie das Tier zum Stehen zu bringen, aber es schlug nur wütend aus und stürmte mit seiner Last quer in den Wald hinein. Lange flogen sie so dahin. Jelena gab sich willenlos drein. Das Tier jagte unaufhaltsam weiter; die Äste zerrissen Jelenas Kleid, die Zweige peitschten ihr ins Gesicht. Als sie auf eine vom Mond beschienene Waldlichtung kamen, schien es ihr, als wenn im weißlichen Nebeldunst Gestalten sich bewegten und sie zu sich heranlocken wollten. Von ferne vernahm sie ein eintönig brausendes Geräusch, das durch ein vielfältiges Echo zurückgeworfen wurde. War es das höhnische Gelächter eines Waldgeistes oder etwas anderes – es wurde lauter und immer lauter. Jelenas Herz krampfte sich angstvoll zusammen, und sie klammerte sich noch fester an die Mähne des Pferdes. Wie mit Absicht lief das Tier gerade auf das Geräusch zu. Da schimmerte auch schon ein matter Lichtschein zwischen den Bäumen, ein silberglänzendes Gespenst schien unaufhörlich die großen Flügel zu regen ... Das Pferd machte plötzlich halt, Jelena fühlte sich nur noch gleiten, gleiten ...

Als sie allmählich wieder zu sich kam, lag sie auf weichem Rasen. Eine wohltuende Frische wehte um ihre heißen Wangen. Die Luft war von Harzgeruch erfüllt; das Rauschen ließ sich noch immer vernehmen, aber es hatte nichts Schreckliches mehr an sich, sondern lullte und schläferte sie ein wie ein altes Wiegenlied.

Mühsam schlug sie endlich die Augen auf. Ein großes, vom Wasser getriebenes Rad drehte sich rauschend dicht vor ihren Augen; Schaumspritzer sprühten weit umher.

Im Mondlicht funkelnd, riefen diese blinkenden Tropfen in ihr die Erinnerung wach an die Perlen, mit denen ihre Mädchen sie im Garten geschmückt hatten, als Sserebrjanyi am Zaun vorbeiritt.

›Bin ich zu Hause im Garten?‹ dachte sie. ›Ja, wirklich, ich bin im Garten!‹ – »Ihr Mädchen! Paschenjka! Dunjascha! Wo steckt ihr?«

Statt eines frischen Mädchengesichtes aber beugte sich ein zerfurchtes, aschgraues Antlitz so dicht über sie herab, daß der lange schneeweiße Bart sie fast berührte.

»Der Herr muß dich wirklich in seinen besonderen Schutz genommen haben, Bojarinja«, sprach jetzt der fremde Greis, sie neugierig betrachtend. »Wäre das Roß nur ein klein wenig weiter nach links gelaufen, ihr wäret alle beide mitten ins tiefe Wasser geraten! Aber das Pferd kennt ja auch den Weg genau«, fuhr er zu sich selbst gewandt fort, »ist es doch heute Gott sei Dank nicht zum ersten Mal in der Mühle.«

Das Erscheinen des Alten hatte Jelena zuerst Furcht eingeflößt. Alte Geschichten von bösen Waldgeistern fielen ihr wieder ein, die tiefen Runzeln und der lange Bart des Fremden waren ihr unheimlich, in seiner Stimme aber lag wiederum etwas Beruhigendes, Vertrauenerweckendes, und so faßte sie sich ein Herz und warf sich dem Greis flehend zu Füßen:

»Ach, Großväterchen, Großväterchen«, rief sie jammernd aus, »schütze mich, verbirg mich!«

Der Müller hatte sofort begriffen, um was es sich handelte. Das Pferd, das vor seinen Augen Jelena abgeworfen hatte, gehörte Wjasemskij. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es die Bojarin Morosoff, dieselbe, die er mit Zauberkünsten für Wjasemskij gewinnen sollte. Haßte sie doch Afanaßij Iwanowitsch, und wenn sie ihn jetzt um Schutz anflehte, so mußte sie anscheinend dem Fürsten auf dessen eigenem Pferd entflohen sein. Der Alte erwog einen Augenblick lang alle Möglichkeiten.

»Um Gottes willen, Bojarinja!« sagte er, »wie sollte ich dich schützen können. Mächtig ist Fürst Afanaßij, und seine starken Arme reichen weit, er wird mich töten, mich hilflosen Alten!«

Jelena blickte ihn voller Entsetzen an.

»So weißt du also«, sagte sie, »so weißt du wirklich, wer ich bin?«

»So manches ist mir kund, Jelena Dmitrijewna! Vieles hat mir in meinem langen Leben das Wasser zugeraunt, manch Verborgenes das Rauschen der Bäume zugeflüstert.«

»Ach, Großväterchen, wenn dir so vieles kund ist, so weißt du auch, daß Wjasemskij dir nichts mehr anhaben kann, daß er jetzt schon einsam am Wegesrand sein Leben ausgehaucht hat. Nicht vor ihm brauchst du dich zu fürchten, Großväterchen, höchstens vor den Opritschniks und den Dienern des Fürsten. Ach, um der heiligen Mutter Gottes willen, verbirg mich doch vor ihnen!«

»Ach, ach«, ächzte der Greis, mühsam nach Atem ringend, »Afanaßij liegt sterbend am Wegesrand, sagst du? Nein, nein, nicht durch das Schwert ist ihm der Tod beschieden; Afanaßij wird aufstehen, zur Mühle eilen und zu mir sprechen: ›Wo ist mein Täubchen geblieben, die einzige Sehnsucht meines Herzens?‹ Und was für Auskunft soll ich ihm dann geben? Er ist nicht der Mensch, der sich mit leeren Ausreden zufrieden gibt! Er wird mich in Stücke hauen!«

»Großväterchen, da hast du mein Geschmeide! Ich will dir noch mehr geben, wenn du mich rettest!«

Die Augen des Müllers begannen zu funkeln. Er nahm das Perlengeschmeide aus Jelenas Hand und ließ es im Mondlicht spielen.

»Ach, Bojarinja! Du mein weißer Schwan!« sagte er mit beglückter Miene. »Der allgütige Gott und alle Heiligen von Moskau mögen dir beistehen! Nicht leicht wird es für mich sein, dich vor den Leuten des Fürsten zu verbergen, wenn sie, was Gott verhüten möge, doch hier nach dir suchen sollten. Aber ich will mit meinem Leben dich zu beschützen suchen; Gott wird schon mit uns sein!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als in der Stille der Nacht entferntes Pferdegetrappel ertönte.

»O Gott, sie kommen, sie kommen!« stieß Jelena angsterfüllt hervor. »Liefere mich ihnen nicht aus, ich flehe dich an, Großväterchen!«

»Ja, ja, Bojarinja, komm schnell!«

Der Müller führte Jelena hastig in die Mühle.

»Verbirg dich hier gut hinter den Säcken!« sagte er, schloß eilig die Tür hinter ihr zu und lief darauf zum Pferde.

»Ach, mein Gott, wo lasse ich nur das Pferd, damit sie es nicht finden!«

Er ergriff das Tier am Zügel, führte es schnell hinter die Mühle, wo seine Bienenstöcke standen, und band es hinter dichtem Gebüsch an einem Baume fest.

Inzwischen war der Klang der Pferdehufe und aufgeregtes Stimmengewirr immer näher gekommen. Der Müller schloß sich in seine Kammer ein und löschte das Licht aus. Bald erschienen in der Waldlichtung vor der Mühle Wjasemskijs Leute; zwei von ihnen gingen zu Fuß und trugen auf einer aus geflochtenen Zweigen hergestellten Bahre ihren bewußtlosen Herrn. Vor der Mühle machten sie halt.

»Endlich sind wir wohl richtig angelangt?« fragte der Anführer.

»Ja, ja, hierher muß auch das Roß gelaufen sein!« erwiderte ein anderer, »ich habe die Spur genau verfolgt. Hier wohnt der Hexenmeister, er soll sich gleich einmal die Wunde unseres Herrn ansehen. Laßt seine Gnaden zur Erde herunter, aber vorsichtig. Fließt das Blut immer noch?«

»Ja, es läßt nicht nach!« antworteten die Träger, »dreimal hat der Fürst auf dem Wege die Augen aufgeschlagen, aber immer wieder haben die Sinne ihn verlassen. Wenn der Müller das Blut nicht bald stillen kann, steht uns der Fürst nicht wieder auf; er verblutet uns bis auf den letzten Tropfen!«

»Aber wo steckt denn der verdammte Hexenmeister? Schafft ihn so schnell wie möglich herbei!«

Die Opritschniks klopften an die Mühle. Lange blieb ihr Pochen und Rufen ohne Antwort. Endlich hörte man in der Kammer ein heftiges Husten, und in der über der Tür befindlichen kleinen Öffnung erschien der Kopf des Alten.

»Wen führt der Herr noch zu so später Stunde her?« fragte der Müller, so arg krächzend, als wollte er sich die Seele aus dem Leibe husten.

»Schnell, Hexenmeister, komm heraus, du mußt Blut stillen! Der Bojar Fürst Wjasemskij ist schwer verwundet!«

»Welcher Bojar?« fragte der Müller, als wäre er schwerhörig.

»Ach, du alter Halunke! Fragst erst noch viel. Burschen, schlagt ihm die Türe ein!«

»Halt! So wartet doch ein bißchen, liebe Leute! Ich komme ja schon! Weshalb wollt ihr die Tür einschlagen! Ich komme ja schon von selbst heraus!«

»Ach, nun verstehst du mit einem Mal, du tauber alter Hahn!«

»Nichts für ungut, Väterchen!« flehte der Müller, eilig herunterkletternd. »Ich höre etwas schwer, manchmal versteh ' ich auch rein gar nichts. Und außerdem, was soll ich's euch verhehlen, dachte ich, es wären am Ende Räuber, weil ihr solch ein Gepolter gemacht habt. Ich hab' mich wirklich sehr erschreckt!«

»Schwatze nicht so viel, Alter! Komm lieber her und sieh dir die Wunde an! Kannst du das Blut stillen?«

»Laßt sehen, liebe Leute! Ach du meine Güte! Wer hat den Ärmsten denn so zersäbelt? Ein klein wenig tiefer, und die Stirnader wäre getroffen worden! Nun, Gott hat ihn davor bewahrt! Ach, und hier die Wunde an der Schulter! Sie klafft ja fast bis zum Knochen auf! Ach, ach, weiß Gott, das muß ein geübter Kämpfer gewesen sein, der seine Gnaden so zugerichtet hat!«

»Kannst du das Blut stillen, Alter?«

»Ach, schwer, sehr schwer wird das halten, liebe Herren! Das Schwert muß nämlich verzaubert gewesen sein!«

»Hört ihr, Kinder, das Schwert war verhext! Hab' ich's euch nicht gleich gesagt? Wie hätte Sserebrjanyi auch sonst allein ihrer sieben zuschanden hauen können!«

Der Müller horchte auf und merkte sich jedes einzelne Wort.

»Ach, seht doch, wie das Blut strömt!« fuhr er fort, »wie könnte man's nur stillen! Wäre das Schwert nicht verzaubert, so wäre es ja eine Kleinigkeit für mich! Aber so ... und vielleicht mag es auch jetzt noch gehen, aber ich habe solche Angst ... Wenn ich nämlich zu besprechen anfange, dann bleibt mir am Ende die Sprache weg ...«

»Das schadet ja nichts, Alter! Besprich nur schnell das Blut!«

»Das schadet nichts? – sagst du, mein Bester – ja, dir schadet es freilich nicht, aber was soll ich dann anfangen?«

»Gib mal den Geldbeutel her, den wir bei Morosoff erbeutet haben!« sagte der Opritschnik zu einem der Diener.

»Hier hast du eine Handvoll Gold, Alter. Wenn du das Blut stillst, kriegst du noch eine ganze Handvoll, wenn aber nicht, dann ist es um dich geschehen!«

»Hab' Dank, Väterchen, vielen Dank! Der Herr möge dir's lohnen und alle Heiligen! Was bleibt mir anders übrig, ihr lieben Herren, ich will es versuchen, und wenn's auch um meinen Kopf geht. So, nun tretet beiseite, liebe Herren, die Sache fürchtet der Menschen Antlitz!«

Die Opritschniks traten zur Seite. Der Müller neigte sich über Wjasemskij, verband ihm die Wunden, flüsterte ein Vaterunser, legte seine Hand auf den Kopf des Fürsten und begann zu murmeln: »Es reitet der Greis auf einem Braunen, er reitet gefährliche Wege, reitet an Höhlen und tiefen Abgründen vorbei. Du aber, Mutter Herzblut, halt ein, halt ein, rinn in die Adern zurück! Ein alter Mann gebietet dir: halt ein und lenkt dich wieder in deine Bahn. So wie das Pferd vor Durst vergeht, so sollst du, Blutstrom, versiegen! Halt ein! Halt ein! Mächtig ist mein Spruch!«

Je länger der Greis vor sich hinraunte, desto langsamer floß das Blut, und bei den letzten Worten hörte es ganz auf zu tropfen. Wjasemskij schlug aber noch immer nicht die Augen auf.

»Tretet herzu, ihr lieben Herren«, sprach der Müller, »kommt jetzt ruhig heran. Das Blut ist gestillt und der Fürst wird am Leben bleiben, aber mir wird ganz schlecht. Ich merke schon, wie mir langsam die Zunge erstarrt!«

Die Opritschniks drängten sich um den Fürsten. Der Mond beleuchtete sein totenblasses Antlitz; die Wunden hatten wirklich aufgehört zu bluten.

»Er hat wahrhaftig das Blut gestillt! Er scheint wirklich etwas zu können, der Alte!«

»Da hast du noch eine Handvoll Gold!« sagte der Führer der Opritschniks. »Wir haben aber noch ein Anliegen an dich! Höre, Alter! An den Spuren haben wir gemerkt, daß das Pferd des Fürsten diesen Weg hier entlanggelaufen sein muß und mit ihm höchstwahrscheinlich die Bojarinja. Wenn du sie gesehen hast, dann sage es gefälligst!«

Der Müller machte große Augen, als begriffe er gar nicht.

»Hast du das Roß mit der Bojarinja gesehen?«

»Ich habe weder mit den Ohren etwas gehört, noch mit den Augen etwas gesehen, ihr lieben Herren; ich begreife nicht, von welchem Roß und von welcher Bojarinja ihr da redet!«

»So, so! Dann bring uns mal Licht, damit wir die Spuren im Sande weiter verfolgen können!«

»Das hat jetzt keinen Zweck mehr!« meinte einer der Opritschniks, »selbst wenn hier Spuren vorhanden waren, so haben unsere Pferde sie alle zertrampelt. Jetzt könnten wir unmöglich etwas finden.«

»Du hast recht, es lohnt sich gar nicht, erst nachzusehen! So, Alter, nun öffne uns deine Kammer, damit wir den Fürsten absetzen können.«

»Sofort, meine Lieben, sofort! Ach, ach, daß ich auch so alt und hinfällig bin, sonst würde ich gleich nach der Postherberge laufen, um Bier und guten Wein für euch zu holen.«

»Hast du denn gar nichts im Hause?«

»Nichts, meine Herren, auch nicht das geringste! Wo sollte ich, armer Schlucker, das auch hernehmen? Weder Wein noch sonstige Nahrung, nicht einmal Futter für eure Pferde! In der Postherberge, da ist es wohl etwas anderes. Ich sage euch, da gibt es einen Wein, den man selbst an der Tafel des Zaren trinken könnte. Ja, ja, ihr Herren, es wird euch ein bißchen eng hier bei mir werden, und zu brechen und zu beißen habe ich auch nichts; ihr seid ja aber Kriegsleute, da tut ihr's schon mal ohne Abendessen. Eure Pferde können ja grasen. Mit dem Grase ist es allerdings hier so eine eigene Sache, wenn das Pferd davon frißt, schwillt es oft plötzlich auf wie ein Berg, sage ich euch, stärker, immer stärker, und schließlich da platzt es!«

»Der Teufel soll dich holen, du alter Gauner! Du willst wohl, daß all unsere Pferde platzen!«

»Davor wolle Gott euch gnädig bewahren! Man kann ja die Pferde schließlich fest anbinden, damit sie das Gras nicht fressen; eine Nacht ist schnell herum! Und ihr, meine lieben Herren, kommt nur in meine Kammer, erweist mir schon die hohe Ehre! Ich habe allerdings weder Heu noch Stroh da, ihr müßt schon mit der blanken Diele vorlieb nehmen. So wie in der Herberge kann ich hier natürlich nicht aufwarten. Aber vergeßt ja nicht, vor dem Einschlafen ein Gebet zu sprechen, das den nächtlichen Spuk bannt, es ist hier nämlich nicht ganz geheuer!«

»Ach, du alter Teufelsgevatter! Scher' dich zum Kuckuck mit deinem ganzen Nachtquartier! Das wäre mir eine nette Aufnahme hier! Kommt, Burschen, wir wollen lieber in die Herberge reiten! Ist es noch weit von hier, Alter?«

»Gar nicht mehr weit, ganz nah, liebe Herren! Hier, diesen Pfad müßt ihr einschlagen, dann kommt ihr bald auf den Fahrweg, biegt dann nach links um und habt kaum noch eine Werst bis zur Postherberge!«

»Auf, laßt uns dorthin reiten!« riefen die Opritschniks.

Wjasemskij war noch immer bewußtlos. Die Träger hoben die Bahre auf und trugen ihren Herrn behutsam fort. Die Opritschniks schwangen sich in die Sättel und ritten hinterdrein.

Als der ganze Trupp sich entfernt hatte und keine menschliche Stimme mehr im Walde zu hören war, trat der Müller zur Mühle heran und schloß die Tür auf.

»Bojarinja! Sie sind endlich fort! Komm jetzt herüber in die Kammer! Ach, du verängstigte kleine Biene, wie hast du dich stillhalten müssen. Komm in die Kammer, mein weißer Schwan! Komm, mach dir's bequem!«

Er schüttete in einer Ecke der Kammer frisches Heu auf, steckte einen Kienspan an und stellte vor Jelena einen Holznapf mit Honigwaben und legte ein kleines Stück Brot dazu.

»So, nun iß auf deine Gesundheit, Bojarinja«, sagte er, sich tief vor ihr verneigend.

»Warte einen Augenblick, ich will dir gleich noch etwas Wein holen!«

Bald kam er mit einer großen Flasche und einem irdenen Becher wieder.

»Auf dein Wohl, Bojarinja!«

Als Wirt leerte er den Becher zuerst. Der Wein machte ihn vergnügt.

»Trink nur, Bojarinja«, sagte er, »wir brauchen uns jetzt vor keinem Menschen zu fürchten. Die suchen ihre Herberge – ob sie sie finden, ist eine andere Sache, hierher kommen sie jedenfalls nicht. Hab' ich sie doch einen Weg gewiesen – ha, ha, ha! Aber weshalb trinkst du denn gar nichts, Bojarinja? Ach, du hast recht, der Wein taugt auch nicht viel! Spuck darauf! Ich hole dir gleich anderen!«

Der Alte lief wieder in die Mühle zurück und kehrte diesmal mit einer kleineren Flasche und einem silbernen Becher wieder.

»Das ist ein Weinchen, sage ich dir, ein Weinchen, ein feiner Tropfen! Auf dein Wohl, Bojarinja! Diesen Wein nebst Becher hat mir ein wackerer Mann verehrt, man nennt ihn Perstenj, ha, ha, ha! Hier im Walde, sage ich dir, wohnen noch mehr solcher wackeren Leute, und ich bin mit ihnen allen gut Freund! Ach, Bojarinja, du ißt ja nichts und trinkst auch nichts! Halt, jetzt weiß ich etwas! Ich will doch einmal sehen, ob ich dich nicht zum Trinken bekomme! Höre Bojarinja! Trinke auf die Gesundheit – ha, ha, ha – von wem meinst du wohl – auf die Gesundheit – – auf die Gesundheit des – – Fürsten – – Sserebrjanyi! Gott schenke ihm Gesundheit und langes Leben! Den Wjasemskij hat er ordentlich zugerichtet. So, und diesen Schluck auf den Bojaren Druschina Andrejewitsch, ha, ha, ha! Ja, auf dein Wohl, Bojarinja! Ich halte dich zwei, drei Tage hier ganz still verborgen und dann gehst du, wohin du magst, zum Druschina Andrejewitsch oder auch – zum Fürsten Sserebrjanyi. Das ist deine Sache, das geht mich nichts an! Auf deine Gesundheit, Bojarinja!«

Der brennende Kienspan, den der Müller in die Wand gesteckt hatte, warf einen hellen Schein auf sein durchfurchtes Gesicht; seine grauen Augen waren vom Trinken trübe geworden, und doch ging ihr Blick Jelena durch und durch. Ein Schauder packte sie von neuem, so daß sie in ihrer Angst ein Gebet vor sich hinzuflüstern begann.

»Ha, ha, ha!« lachte der Müller, »bete nur, Bojarinja, bete nur! Ich fürchte mich nicht davor, mich kann man so leicht nicht durch ein Gebet erschrecken und selbst mit Weihrauch nicht ausräuchern; ich selbst kann ja Gebete sprechen. Ich bin auch nicht der erste beste; mich kennen sie alle, der Wassergeist und der Waldgeist und die Nixen und die Hexen und die Kobolde; alle kennen sie mich genau! Soll ich sie mal schnell rufen? Schikalu! Likalu! Schikalu! Likalu!«

»Gott steh mir bei!« flüsterte Jelena zitternd.

»Schikalu! Likalu! Nun? Kommen sie noch immer nicht? Warte, ich will sie schon gleich herbeischaffen! Bdu! Bdu! Bdu!«

Der Alte erhob sich und verließ halb hin- und hertänzelnd, halb taumelnd die Kammer.

In ihrer Herzensangst riegelte Jelena schnell die Tür hinter ihm zu.

Noch lange hörte sie draußen den Müller vor sich hinlallen.

»Alle kennen sie mich«, wiederholte er mit prahlerischer, aber bereits unsicherer Stimme, »alle, der Wassergeist und der Waldgeist und die Nixen und die Hexen und die Kobolde! Ich bin ja auch nicht der erste beste! Alle, alle kennen sie mich! Bdu! Bdu! Bdu!«

Es hörte sich an, als wenn der Alte noch immer hin- und hertänzelte und im Takte mit den Füßen aufstampfte. Dann verstummte er, und bald ertönte auch schon sein lautes Schnarchen, das sich mit dem Rauschen des Mühlrades die ganze Nacht hindurch zu einem eintönigen Geräusch vereinigte.


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