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Der Aufruhr der Räuber

Etwa anderthalb Werst von dem Gebüsch entfernt, in dem Maxim überfallen worden war, saß um Weinfässer mit ausgeschlagenen Böden eine große Schar bewaffneter Leute. Becher kreisten von Hand zu Hand. Die lodernden Lagerfeuer beleuchteten scharfgeschnittene Gesichter, zerzauste Bärte und die verschiedenartigste Kleidung. Auch uns wohlbekannte Gestalten sah man dort; den Andrjuscha sowohl wie den Waßjka und auch den rothaarigen Bänkelsänger. Einer aber fehlte: der alte Korschun weilte nicht mehr unter ihnen. Gar oft gedachten die Räuber seiner, wenn sie die Becher leerten.

»Ach«, meinte einer, »was machen sie wohl jetzt mit unserem armen Großvater?«

»Das ist nicht schwer zu erraten«, antwortete ein anderer.

»Man dreht ihn auf der Winde herum oder schaukelt ihn auf dem Wippgalgen. Aber verraten wird uns der Alte nicht; ich glaube, er beißt sich eher die Zunge ab.«

»Nein, der bringt kein Sterbenswörtchen hervor, und wenn man ihn in Stücke zerreißt, er verrät uns nicht.«

»Schade um den alten Graubart! Unser Ataman ist auch der Rechte. Selbst kommt er heil und gesund heraus, und den Alten läßt er im Stich.«

»Was ist das überhaupt für ein Ataman? Ist er etwa dafür Ataman, daß er um irgend eines Fürsten willen seine Leute für nichts und wider nichts ins Verderben jagt?«

»Ja, wißt ihr, immer hockt er bei dem Fürsten; auch jetzt sitzen sie dauernd in einem Zelt zusammen. Sage nichts gegen den Fürsten. Wenn es dem Ataman zu Ohren käme, dann sei dir Gott gnädig!«

»Na, und wenn's ihm zu Ohren kommt! Ich sage es ihm auch direkt ins Gesicht, daß er kein guter Ataman ist. Korschun, ja, der war der geborene Ataman. Ja, ja, aber er war Perstenj ein Dorn im Auge. Deswegen hat er ihn auch mit Absicht hereingelegt.«

»Ja, Kinder, vielleicht hat er ihn wirklich mit Absicht ausgeliefert.«

Ein dumpfes Raunen ging unter den Räubern um.

»Mit Absicht, mit voller Absicht hat er ihn preisgegeben«, sagten mehrere.

»Und was ist denn das für ein Fürst?« fragte einer. »Weshalb wird er hier festgehalten? Wartet der Ataman etwa auf Lösegeld?«

»Nein, auf Lösegeld wartet er kaum!« antwortete der rothaarige Sänger. »Der Zar, seht ihr, hatte es auf den Fürsten abgesehen, wollte ihn hinrichten lassen, und so ist der Fürst vom Zaren fort und läßt uns sagen: ›Ihr wackeren Leute, ich will euch gegen die Sloboda führen. Ich weiß genau, wo der Schatz verborgen ist. Alle Opritschniks wollen wir erwürgen, den Schatz aber unter uns teilen!‹«

»Ach, das hätte er wirklich gesagt? Weshalb führt er uns denn nicht gegen die Sloboda? Schon drei Tage lungern wir tatenlos hier herum.«

»Er führt uns deshalb nicht, weil unser Ataman ein altes Waschweib ist.«

»Nein, das kannst du nicht sagen. Ein Waschweib ist Perstenj wirklich nicht.«

»Nun, wenn kein Waschweib, dann ist er noch viel schlimmer; dann führt er uns an der Nase herum.«

»Womöglich«, meinte einer, »will er den Schatz für sich allein behalten und wir sollen nichts davon zu riechen bekommen.«

»Ja, ja, Perstenj möchte uns verschachern, wie er den alten Korschun verschachert hat.«

»Da hat er aber in uns die Richtigen gefaßt!«

»Und den Alten befreien will er nicht.«

»Was brauchen wir ihn dazu? Wir können auch ohne ihn Korschun befreien! Und auch ohne seine Hilfe können wir uns des Schatzes bemächtigen.«

»Der Fürst allein soll uns führen!«

»Jetzt wäre die Zeit gerade günstig! Der Zar soll zur Wallfahrt sein; in der Sloboda sind kaum halb so viel Opritschniks wie sonst!«

»Stecken wir wieder die Sloboda in Brand!«

»Und erwürgen alle ihre Bewohner!«

»Fort mit Perstenj! Der Fürst soll uns führen!«

»Ja, der Fürst soll uns führen!«

»Ja, der Fürst soll uns führen!« klang es von allen Seiten.

Dem Grollen des Donners gleich setzten sich diese Worte von Gruppe zu Gruppe fort bis zu den entferntesten Lagerfeuern. Alles erhob sich, ereiferte sich, um zuletzt vor dem Zelt zusammenzuströmen, in dem Sserebrjanyi in hitzigem Wortwechsel mit Perstenj saß.

»Ich kann es nicht ändern, Fürst«, sagte der Ataman, »und wenn du noch so sehr rast und wütest. Ich lasse dich nicht wieder fort! Ich habe dich wahrhaftig nicht aus dem Kerker geholt, damit du deinen Kopf wieder freiwillig zum Henker trägst.«

»Über meinen Kopf habe ich allein zu bestimmen«, erwiderte der Fürst. »Was hatte es für einen Sinn, mich aus dem Kerker zu befreien, wenn du mich hier auch wie einen Gefangenen hältst?«

»Ach, Fürst, die Zeit vermag vieles. Der Zar wird sich vielleicht inzwischen eines Besseren besinnen. Vieles kann geschehen, und wenn sein Grimm vorüber ist, dann geh' mit Gott, wohin es dich zieht.«

»Was ist denn anderes zu tun«, fügte er hinzu, da er den wachsenden Zorn des Fürsten bemerkte, »es muß dir wohl so bestimmt sein, noch etwas auf der schönen Welt zu leben. Du hast deinen Kopf für dich, Nikita Romanyitsch, ich aber auch; da haben sich zwei harte Schädel getroffen, Fürst!«

In diesem Augenblick hörte man die Stimmen der Räuber direkt vor dem Zelt.

»Nach der Sloboda! Auf, nach der Sloboda!« schrien die trunkenen Abenteurer wild durcheinander.

»Wir wollen den roten Hahn aufsetzen!«

»Nicht nur einen Hahn, sondern gleich eine ganze Herde!«

»Korschun auslösen!«

»Ja, den Alten befreien!«

»Weinfässer hervorrollen!«

»Gold ausgraben!«

»Opritschniks erwürgen!«

»Die ganze Sloboda erwürgen!«

»Wo ist der Fürst? Er soll uns führen!«

»Ja, der Fürst soll uns führen! Und wenn er's nicht tut, an die Esche mit ihm!«

»Und Perstenj gehört auch dahin.«

»Ja, knüpft Perstenj auf!«

Der Ataman sprang hastig von seinem Platze auf.

»Das also haben sie ausgeheckt. Ich höre schon die ganze Zeit, daß sie so viel murmeln und raunen. Sieh doch, was ihnen einfällt, dieser Teufelsbande! Jetzt bringt sie kein Mensch mehr zur Vernunft. Nun, Fürst, es bleibt dir nichts anderes übrig, da hast du deinen Willen. Geh zu ihnen hinaus und sage, daß du sie gegen die Sloboda führen willst!«

Sserebrjanyi brauste entrüstet auf.

»Ich soll sie gegen die Sloboda führen? Eher könnt ihr mich in Stücke zerreißen!«

»Ach, Fürst, stelle dich jetzt nur so, als wolltest du ihnen den Willen tun. Sie sind heute außer Rand und Band; morgen werden sie eher vernünftig mit sich reden lassen.«

»Fürst!« schrien mehrere Stimmen, »so komm doch, hörst du nicht, wir rufen dich!«

»Geh' zu ihnen hinaus«, wiederholte Perstenj mit Nachdruck, »wenn sie ins Zelt dringen, ist's um so schlimmer!«

»Nun gut«, sagte Sserebrjanyi, aus dem Zelt tretend, »wollen doch einmal sehen, wie sie mich dazu bringen, sie gegen die Sloboaa zu führen!«

»Aha!« schrien die Räuber, »endlich kriecht er aus dem Bau!«

»Führe uns gegen die Sloboda, sei unser Ataman, sonst werfen wir dir einen Strick um den Hals.«

»Ja, ja, das tun wir!« brüllten einige.

»Wir grüßen dich untertänigst«, riefen andere, »sei unser Ataman, sonst knüpfen wir dich auf!«

»Weiß Gott, wir knüpfen dich auf!«

Perstenj, der Sserebrjanyis hitzigen Sinn kannte, trat auch zu ihm heraus.

»Hört mal, Kinder«, sprach er, »ihr habt wohl Bilsenkraut gegessen, daß ihr euch die Kehlen so ausschreien könnt. Der Fürst ist ja bereit, euch zu führen, wohin ihr wollt, noch ehe der Tag graut. Jetzt aber gestattet seiner Gnaden, sich erst auszuschlafen, und ihr legt euch auch nieder. Ihr seid ja ganz aus dem Häuschen!«

»Was hast du uns noch zu befehlen!« brüllte eine Stimme, »bist du etwa noch unser Ataman?«

»Hört doch, Kinder«, schrien andere, »er will sich nicht absetzen lassen.«

»Dann an die Esche mit ihm!«

»An die Esche! An die Esche!«

Perstenj überblickte die ganze Menge und stieß überall auf feindliche, finstere Gesichter.

»Ach, ihr Dummköpfe, ihr Toren«, sagte er, »denkt ihr wohl, ich risse mich danach, euer Ataman zu sein! Setzt doch über euch, wen ihr wollt; ich dränge mich nicht danach, ich spuck' auf euch alle!«

»Gut!« schrie irgendeiner.

»Wahr gesprochen!« fügte ein anderer hinzu.

»Ja, ich spuck' auf euch alle«, fuhr Perstenj fort. »Meint ihr etwa, ich kriege nicht wieder solche Kerle zusammen, wie ihr seid? Eine überaus große Ehre, euer Ataman zu sein. Wenn ich will, brauche ich nur an die Wolga zurückzugehen, da hole ich mir aber andere Burschen!«

»Das könnte dir so passen, Brüderchen; wir lassen dich nicht fort, sonst verrätst du uns auch noch, wie du den alten Korschun verraten hast. Nein, wir lassen dich nicht, bleibe hier und füge dich dem neuen Ataman!«

Wildes Gejohle übertönte Perstenjs Stimme. Ein riesiger Räuber trat jetzt auf Sserebrjanyi zu, einen gefüllten Becher in der Hand.

»He, Gevatterchen!« sagte er, ihm mit seiner breiten Pfote plump auf die Schulter patschend. »Deinen Kopf hast du verspielt, mein Lieber, nun bist du einer von uns, deshalb wollen wir beide Brüderschaft trinken.«

Weiß Gott, was Sserebrjanyi getan hätte; vielleicht wäre der Becher dem Räuber aus der Hand geflogen und die trunkene Menge hätte ihn zur Strafe in Stücke gerissen, wenn nicht zu seinem Glück neue Rufe und Schreie die Aufmerksamkeit aller abgelenkt hätten.

»Seht doch, seht«, scholl es von allen Seiten, »sie haben einen Opritschnik eingefangen, da bringen sie ihn! Seht doch nur, seht!«

Aus der Tiefe des Waldes kamen einige Burschen in zerrissener Kleidung, mit Knütteln bewaffnet, den gefesselten Maxim zwischen sich. Der Räuber, dem der Überfallene einen so wuchtigen Hieb versetzt hatte, ritt auf Maxims Pferd. Allen voran Chlopko, pfeifend und hin- und hertänzelnd. Der verwundete Bujan schleppte sich mühsam hinterdrein.

»Heda, Brüder«, trällerte Chlopko vor sich hin, schnalzte mit der Zunge und purzelte fast hintenüber, klatschte sich in die Hände und drehte sich wie ein Kreisel, »das ist ein feiner Bissen!«

Diesem Anblick vermochte der rothaarige Sänger nicht zu widerstehen. Er ergriff seine Balalaika, um den Kameraden zu begleiten.

Beide fingen nun an, abwechselnd um Maxim herumzuwirbeln und mit den Füßen den Takt zu schlagen.

»Seht doch die Teufel da«, sagte Perstenj zu Sserebrjanyi, »sie begnügen sich nicht damit, einen Opritschnik einfach totzuschlagen, sondern quälen ihn erst langsam zu Tode. Ich kenne jene beiden, wenn die erst einmal einen vorhaben, so steht die Sache faul. Der arme Bursche wird jedenfalls nichts zu lachen haben!«

In der Tat war die Erbeutung eines Opritschniks für die ganze Bande ein wahres Fest. Sie wollten nun an Maxim alles auslassen, was die ganze Opritschnina ihnen angetan hatte. Einige Leute mit rohem Ausdruck machten sich gleich daran, die Vorbereitungen zur Hinrichtung zu treffen. Sie rammten vier Pfähle in die Erde, befestigten daran Querstangen und begannen bereits Nägel glühend zu machen.

Maxim sah ihnen ruhig zu. Er erschrak nicht vor den Qualen, die ihm bevorstanden. Es war ihm traurig, wehrlos mit gefesselten Händen sterben zu müssen, ohne in seiner letzten Stunde das Wiehern der mutigen Schlachtrosse und das Geklirr der Waffen zu vernehmen, statt dessen hörte er nur wildes Gejohle und das trunkene Gelächter roher Henker. ›So haben mich meine Ahnungen doch betrogen‹, dachte er. ›ein solches Ende habe ich nicht erwartet. Aber Gottes Wille geschehe‹.

Da bemerkte er plötzlich Sserebrjanyi, erkannte ihn sogleich wieder und wollte auf ihn zueilen. Der rothaarige Sänger aber packte ihn beim Kragen.

»Das Bett ist bereits für dich zurechtgemacht!« sagte er, »ziehe deinen Kaftan aus, dann darfst du dich hinlegen.«

»Bindet mir die Hände los«, antwortete Maxim, »ich kann mich sonst nicht bekreuzigen.«

Chlopko schnitt mit seinem Dolch die Stricke entzwei, mit denen Maxims Hände gefesselt waren.

»Bekreuzige dich, aber nicht allzu lange«, schrie er, und bereits, während Maxim betete, rissen Chlopko und der Rothaarige ihm die Kleider vom Leibe und fingen an, Hände und Füße an die Stangen zu binden. Da trat Sserebrjanyi vor.

»Burschen!« rief er mit einer Stimme, die gewohnt war, auf dem Schlachtfelde zu befehlen, und die trotz des Brüllens und Lärmens bis zu den ganz entfernt stehenden Räubern durchdrang, »wollt ihr alle, daß ich euer Anführer sei? Vielleicht sind auch solche unter euch, die mich nicht wünschen?«

»So ist's richtig«, schrie einer, »du willst wohl gar ein Verhör mit uns anstellen? Frage lieber nicht zu lange!«

»Wenn man dir die Führerschaft anbietet, so nimm sie gefälligst an!«

»Nimm die Ehre, solange du noch heile Knochen hast!«

»So reicht mir den Tschekan des Atamans!« befahl Sserebrjanyi.

»Das ist recht, bravo!« schrien die Räuber, »so werden wir uns im Guten einig.«

Perstenjs Tschekan wurde herbeigebracht. Nikita ging direkt auf den rothaarigen Sänger zu.

»Binde den Opritschnik los!« sagte er bestimmt.

Der Rothaarige sah ihn verblüfft an.

»Binde ihn augenblicklich los«, donnerte Sserebrjanyi ihn an.

»So einer also bist du«, erwiderte der Rothaarige, »trittst für einen Opritschnik ein? Sitzt dir denn selbst der Kopf so fest?«

»Verruchter«, schrie der Fürst zornig, »rede nicht drein, wenn ich befehle!«

Und den Tschekan schwingend, spaltete er ihm den Schädel. Der Rothaarige brach lautlos zusammen.

Die Räuber wurden stutzig. Der Fürst gab ihnen keine Zeit zur Besinnung.

»Binde du ihn los«, sagte er zu Chlopko, den Tschekan auch über seinem Kopf schwingend. Chlopko warf einen Blick auf den Fürsten und beeilte sich, Maxims Fesseln zu lösen.

»Hört, Burschen«, fuhr Nikita fort, »dieser Jüngling ist keiner von denen, die euch so viel Unrecht zugefügt haben; er ist ein ebenso großer Feind der Opritschnina, wie ihr es seid. Gott bewahre euch davor, ihn auch nur mit dem kleinen Finger anzurühren. Und jetzt haben wir keine Zeit zum Schwatzen; nehmt die Waffen, stellt euch in Reihen von je hundert zusammen; ich will euch führen.«

Sserebrjanyis feste Stimme, seine gebieterische Haltung und die unerwartete Entschlossenheit machten einen starken Eindruck auf die Räuber.

»Ei, ei«, raunten sie sich leise zu, »mit dem ist nicht zu spaßen.«

»Bravo, das ist der richtige Ataman«, meinte ein anderer. »Der weiß doch, was er will!«

»Vor dem muß man auf der Hut sein, nicht erst lange mit ihm reden. Seht doch, wie er den Sänger erledigt hat!«

Es wäre jetzt auch keinem einzigen der Räuber mehr eingefallen, Sserebrjanyi vertraulich auf die Schulter zu klopfen oder ihm Brüderschaft anzubieten.

»Bravo, Fürst!« flüsterte Perstenj, Nikita mit Wohlgefallen betrachtend, »siehst du, wie du ihnen den Kopf zurechtgesetzt hast! Nun gib ihnen nicht erst Zeit, zu sich zu kommen. Führe sie den Weg nach der Sloboda, und was dann weiter wird, das überlasse getrost dem Herrn!«

Unendlich schwierig war Sserebrjanyis Lage. Als Anführer der Räuber hatte er es vermocht, Maxim zu retten und etwas Zeit zu gewinnen; aber alles war von neuem verloren, wenn er sich jetzt weigerte, die lärmende Horde zu führen. So beschloß er, sich ganz Gottes Willen zu überlassen.

Schon begannen die Räuber sich zum Aufbruch bereit zu machen und stellten dabei fest, daß noch irgendein Fedjka Poddubnyi unter ihnen fehlte, der am Morgen mit seiner Abteilung ausgezogen und bis jetzt noch nicht zurückgekehrt war, als plötzlich einer ausrief: »Ach, da ist ja auch Fedjka! Da kommt er ja schon mit seinen Genossen!«

Poddubnyi war ein hagerer, einäugiger Gesell; unzählige Narben bedeckten sein Gesicht. Sein Kittel war zerrissen, er schleppte sich nur mühsam vorwärts. Seine Knie wankten wie bei einem Menschen, der vollkommen erschöpft ist.

»Nun«, fragte ein Räuber, »es scheint Hiebe gesetzt zu haben?«

»Ja, Hiebe schon, aber nicht wir haben sie bezogen«, versetzte Poddubnyi. »Wißt ihr, Burschen, viele Sünden habe ich auf mein Gewissen geladen; aber jetzt ist mir, als hätte ich die Hälfte davon abgebüßt!«

»Wieso?«

Poddubnyi wandte sich an seine Leute.

»Bringt den Gefangenen her!«

Ein gefesselter Mann in gestreiftem Kaftan wurde zum Feuer geführt. Hoch oben auf dem Kopfe thronte eine hohe Mütze mit zurückgebogenen Rändern. Seine platte Nase, die hervortretenden Backenknochen, die schmalen Schlitzaugen verrieten deutlich, daß es kein Russe sein konnte. Einer von Poddubnyis Gefährten brachte Lanze, Köcher und Bogen, die sie dem Gefangenen abgenommen hatten, herbei.

»Das ist ja ein Tatar!« riefen die Räuber einstimmig.

»Jawohl, ein Tatar!« bestätigte Poddubnyi stolz, »und was für einer! Es war keine Kleinigkeit, mit dem Kerl fertig zu werden, solche Kräfte hat er. Hätten wir nicht Mitjka mitgehabt, so wäre er uns vielleicht wieder entwischt.«

»Erzähle, erzähle alles«, riefen die Räuber.

»Ja, Brüder, das war so: Wir zogen morgens den Weg nach Rjasanj entlang, faßten einen Kaufmann ab und durchsuchten ihn. Er aber sagte: ›Ach, gute Leute, bei mir ist nichts zu finden. Ich komme soeben von Rjasanj; dort wimmelt der ganze Weg von Tataren. Sie haben mich ganz ausgeplündert, so daß ich nicht einmal weiß, wie ich mich bis nach Moskau durchschlagen soll.‹«

»Dieses Räuberpack!« rief einer voller Entrüstung aus.

»Was habt ihr denn mit dem Kaufmann gemacht?« fragte ein anderer.

»Nun, wir haben ihm etwas Zehrgeld mit auf den Weg gegeben und ließen ihn dann laufen«, antwortete Poddubnyi. »Dann stießen wir auf einen Bauern, der uns erzählte, daß erst gestern die Tataren sein Dorf überfallen und in Asche gelegt hätten. Bald sahen wir selbst von weitem einen großen Pferdetabun. Als Nomadenvolk führten die Tataren große Herden wilder Steppenpferde mit sich. Es mögen wohl an die tausend Tiere gewesen sein. Und weiterhin kamen uns Männer mit heulenden Frauen und Kindern entgegen, die uns vorjammerten, daß die Tataren auch ihr Dorf niedergebrannt, die Kirche beraubt, die Heiligenbilder zertrümmert, ja, die heiligen Meßgewänder zu Satteldecken entweiht hätten.«

»Ach, die Verfluchten«, riefen die Räuber empört aus, »daß die Erde sie nicht verschlingt, das verruchte Gesindel!«

»Den Popen«, fuhr Poddubnyi fort, »haben sie an den Schweif eines ihrer Pferde gebunden!«

»Den Popen? Und da hat sie nicht der Blitz zerschmettert, die elenden Schurken?«

»Das weiß Gott allein.«

»Gibt es in Rußland nicht Arme genug, um dieses verruchte Tatarenvolk zu verdrängen?«

»Ja, das ist es ja. Es gibt nicht genug starke Arme! Alle Regimenter sind aufgelöst, es sind eben nur ungeschulte Leute übrig geblieben! Den heidnischen Schuften ist es aber grade so recht, daß keiner da ist, um ihnen ordentlich das Fell zu gerben!«

»Ich wollte ihnen schon zusetzen!«

»Und ich erst!«

»Wie habt ihr denn den Gefangenen gemacht?«

»Ja, das war so. Hören wir da plötzlich Pferdegetrappel auf dem Wege, und ich sage zu meinem Burschen: ›Wir wollen uns schnell ins Gebüsch auf die Lauer legen und sehen, wer da des Weges kommt!‹

Wir verstecken uns und sehen: es sprengen an die dreißig Leute herbei, alle mit Dolchen, Lanzen, Bogen und Pfeilen.

›Kinder‹, flüsterte ich den Meinen zu, ›da sind sie ja, die Schufte! Schade, daß unser so wenig sind, sonst könnten wir ihnen gleich den Hals abschneiden.‹ Plötzlich fiel dem einen von ihnen irgendein Sack, den er bei sich führte, herunter; er hielt sein Pferd an, stieg ab, um den Sack aufzuheben und ihn wieder an den Sattel zu schnallen; seine Kameraden waren inzwischen schon weit fort. ›Burschen! Warum wollen wir uns den entgehen lassen?‹ flüsterte ich leise. Kaum gesagt, hatten wir uns auch schon auf den Tataren gestürzt. Der aber schüttelte uns nur so von sich ab. Wir stürzten erneut auf ihn los und flogen wieder nach allen Seiten; er griff außerdem zur Lanze. Da sagt Mitjka: ›Geht mal etwas beiseite, steht mir nicht im Wege!‹ Wir machten ihm Platz, er entriß dem Tataren die Lanze, packte ihn beim Kragen und beugte ihn zur Erde. Dann steckten wir ihm einen Knebel in den Mund und banden ihn wie einen Hammel.«

»Bravo Mitjka! Bravo!« riefen die Räuber.

»Was hatte denn der Tatar im Sack?« fragte nun Chlopko.

»Da, guckt hinein, Burschen!«

Poddubnyi band den Sack auf und zog ein Stück kostbaren Ornates, zwei bis drei der Mutter Gottes geweihte Bilder und ein goldenes Kreuz hervor.

»Dieser Schurke!« schrien alle zornig. »So hat er die Kirche geschändet!«

Sserebrjanyi machte sich die Entrüstung der Räuber zunutze.

»Burschen!« sagte er, »ihr seht, wie die verruchten Tataren des Christenglaubens spotten. Ihr seht, wie dieses Heidenvolk das heilige Rußland vernichten will. Sagt, Kinder, sind wir auch schon zu Heiden geworden, daß wir es ruhig mitansehen, wie die heiligen Bilder geschändet werden? Dürfen wir es zulassen, daß die Ungläubigen Rußlands Dörfer einäschern und unsere Glaubensgenossen hinmorden?«

Ein dumpfes Gemurmel ging durch die Menge.

»Burschen!« fuhr Nikita fort, »gibt es einen unter uns, der nicht viele Sünden auf dem Gewissen hätte? Laßt uns unsere Vergehen wieder gutmachen und Gottes Verzeihen erkämpfen, indem wir alle, wieviele unser sind, gegen die Feinde der heiligen Kirche, gegen die Verwüster der russischen Erde ziehen!«

Diese Worte übten eine starke Wirkung auf die ganze große Schar aus. In so manchem verstockten und harten Herzen regte sich die heiße Liebe zur Heimat. Die Alten nickten beifällig; die Jungen blickten einander an. Laute Rufe übertönten das allgemeine Stimmengewirr.

»Wirklich«, rief einer, »es geht nicht länger so weiter, daß die Kirchen Gottes entweiht werden!«

»Nein, es geht nicht so weiter, unmöglich!« wiederholte ein anderer.

»Zweimal stirbt man nicht, und um den einen Tod kommt man doch nicht herum«, fügte ein dritter hinzu.

»Es ist besser, man stirbt auf dem Schlachtfelde, als am Galgen!«

»Glaubt mir«, meinte ein alter Räuber, »der Tod auf dem Schlachtfelde ist ein schönes Ende!«

»Was ihr denkt, ist mir gleich!« rief ein junger Wagehals, hervortretend: »Ich ziehe jedenfalls mit gegen die Tataren!«

»Und ich auch!«

»Ich auch!« – »Ich auch!« – »Ja! Ich auch«, schrien viele Stimmen durcheinander.

»Man sagt euch nach«, fuhr Sserebrjanyi fort, »daß ihr Gott vergessen habt und weder Herz noch Gewissen mehr besitzt. Jetzt gilt es zu zeigen, daß die Menschen das zu Unrecht behaupten. So beweist denn, daß ihr bereit seid, nicht schlechter als die Schützen und Opritschniks für das heilige Rußland und die Kirche einzustehen!«

»Das wollen wir zeigen! Ja, das wollen wir tun!« riefen alle wie aus einem Munde.

»Die verdammten Heiden sollen nicht weiter das heilige Rußland verhöhnen!«

»Wir wollen die Ungläubigen vernichten!«

»Führe uns gegen die Tataren!«

»Ja, führe uns, führe uns! Wir wollen den alten heiligen Glauben verteidigen!«

»Und Kinder!« fuhr der Fürst fort, »wenn wir die Ruchlosen verjagt haben und der Zar sieht, daß wir seinen Opritschniks nicht nachstehen, dann erläßt er uns vielleicht auch unsere Sünden und sagt sich: ›Was brauche ich weiter meine Opritschnina, wenn ich auch ohnehin treue Diener habe!‹«

»Ja, das wird er sagen!« riefen die Räuber. »Wir wollen mit unserm Leben für ihn eintreten!«

»Bin ich etwa freiwillig unter die Räuber gegangen?«

»Na, ich etwa?« fiel ein anderer ein. »Nur des Zaren Opritschnina hat uns dazu gebracht!«

»So wollen wir denn gern unser Leben für das heilige Rußland hergeben!« rief der Fürst.

»Ja, das wollen wir!« wiederholten die Räuber.

»Und nun, Kinder«, fuhr Sserebrjanyi fort, »wenn wir gegen die Feinde Rußlands ziehen, so laßt uns vorher auf die Gesundheit des Zaren trinken. So füllt denn eure Becher und reicht auch mir einen!«

Dem Fürsten wurde ein Pokal gebracht. Alle Räuber füllten ihre Becher.

»Hoch lebe unser erhabener Zar, Iwan Wassiljewitsch, Herrscher aller Reußen!« rief Sserebrjanyi aus.

»Hoch lebe unser erhabener Zar!« wiederholten die Räuber.

»Es lebe Rußland!« sagte Sserebrjanyi.

»Es lebe Rußland!« fielen die Räuber ein.

»Tod und Verderben allen Feinden Rußlands und der rechtgläubigen christlichen Kirche!« fuhr der Fürst fort.

»Ja, Tod und Verderben den Tataren, Tod und Verderben allen Feinden der heiligen Kirche«, riefen die Räuber durcheinander.

»Führe uns gegen die Tataren, die es wagen, unsere Kirchen in Brand zu stecken! Führe uns, ja, führe uns!« klang es von allen Seiten.

»Wo ist der Tatar? Auf den Scheiterhaufen mit ihm!« schrie einer.

»Ja, auf den Scheiterhaufen!«

»Ins Feuer!« wiederholten andere.

»Halt, Burschen, wartet noch ein wenig!« rief Sserebrjanyi.

»Wir wollen ihn erst gehörig ausfragen. Antworte!« sagte der Fürst zu dem Tataren gewandt.

»Sind eurer viele? Wo ist euer Lager?«

Der Tatar machte ein Zeichen, daß er nichts verstünde. »Warte, Fürst«, sagte Poddubnyi, »wir werden ihm schon die Zunge lösen. Gib mal etwas Glut her. So, kannst du jetzt reden?«

»Ja, ja«, rief der Tatar angstvoll aus.

»Seid ihr viele?«

»Viele, Väterchen, sehr viele.«

»Wieviel?«

»Zehntausend, Väterchen, jetzt zehntausend, morgen hunderttausend.«

»Dann seid ihr erst die Vorhut, wer führt euch?«

»Der Chan!«

»Der Chan selbst?«

»Nein, nicht selbst, Chan morgen; jetzt erst Fürst Schichmat-Schirinskij.«

»Wo ist sein Lager?«

Der Tatar tat wieder, als verstünde er nicht.

»Chlopko! Etwas Glut!« rief Poddubnyi.

»Lager sehr nah!« antwortete der Tatar hastig. »Nicht zehn Werst!«

»Zeig' den Weg!« befahl Sserebrjanyi.

»Jetzt kann nicht sehen Weg. Morgen kann!«

Poddubnyi brachte einen glühenden Holzscheit an die gefesselten Hände des Tataren.

»Nun, findest du jetzt den Weg?«

»Kann, Väterchen, kann!«

»Gut«, sagte Sserebrjanyi, »jetzt stärkt euch, Burschen. Gebt auch dem Tataren zu essen, und dann wollen wir gleich aufbrechen und dem Feinde zeigen, was russische Kraft vermag!«


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