Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Neunzehntes Bild

Das Roß Bayart wird ertränkt.

Die Brüder fielen im Beisein ihrer Mutter dem Könige zu Fuße, er hob sie gnädig auf und alle waren sehr erfreut, besonders ihre Mutter Aja. Hierauf nahm Reinold das Roß Bayart und gab es in die Hände Karls. Der König ließ ihm sogleich zwei Mühlsteine an den Hals binden, und es, wie er gelobt hatte, von der großen Brücke ins Wasser stürzen. Bayart sank unter, kam aber bald wieder in die Höhe und sah nach seinem Herrn Reinold; dann arbeitete er sich mit Schwimmen ans Ufer, schlug die Mühlsteine von sich und ging zu Reinold und liebkosete ihm. Der König sagte: »Reinold, gebt mir das Roß zurück«; Reinold nahm es, und gab es dem Könige, der ließ ihm zwei Mühlsteine an den Hals henken und an jedem Fuße einen und so wurde es von neuem in das Wasser geworfen. Es sank wieder unter, kam aber bald wieder oben, sah Reinold an, stieg ans Ufer und schlug alle Steine von sich, so daß sich alle über die Stärke Bayarts verwundern mußten. Bayart stand wieder bei Reinold und liebkoste ihm, wie zuvor, wodurch Reinold sehr gerührt war. Adelhart sagte: »Bruder, verflucht mußt du sein, wenn du das Roß wieder aus deiner Hand gibst! O Bayart, wird dir nun so gelohnt, daß du deinen Herrn und uns alle so oft errettet hast?« Aber Reinold sagte: »Brüder, sollt ich um des Rosses willen die Gunst des Königs verscherzen?« nahm Bayart wieder und übergab ihn dem Könige mit den Worten – »Wenn das Roß noch einmal wiederkömmt, kann ich es Ew. Majestät nicht wieder fangen, denn es geht meinem Herzen gar zu nahe.« Da wurden dem Bayart wieder zwei Mühlsteine an den Hals gebunden und an jedem Fuß zwei, und er wurde zum drittenmal von der Brücke hinuntergestürzt. Reinold aber mußte fortgehn, damit ihn das Roß nicht wieder sähe und dadurch neue Kraft bekäme. Bayart blieb diesmal länger unter Wasser, dann kam er aber doch wieder mit dem Kopfe hervor und streckte ihn weit von sich, weil er seinen Herrn Reinold suchte; da er ihn aber nirgends gewahr werden konnte, verließen ihn nach und nach die Kräfte, er sank unter und kam nicht wieder ans Tageslicht.

Alle Brüder weinten und Reinold war im innersten Herzen betrübt; er verschwor es, zeit seines Lebens wieder Sporen an den Füßen zu tragen, oder ein ander Pferd zu besteigen, zugleich wollte er das ganze Ritterleben aufgeben. Die Brüder blieben bei Hofe, er aber ging nach Montalban, wo er seiner Hausfrauen Clarisse den Tod Bayarts erzählte; sie fiel in Ohnmacht, als sie diese Nachricht hörte, wurde aber dadurch wieder etwas getröstet, daß die Brüder nun völlig mit König Karl ausgesöhnt wären. Hierauf schlug Reinold seinen ältesten Sohn Emmrich zum Ritter und gab ihm die Veste Montalban, auch den übrigen Söhnen schenkte er Land und Leute, dann küßte er sie alle nach der Reihe und verließ sie in der dunkeln Nacht.


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