Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Sechzehntes Bild

Reinold errettet seinen Bruder Ritsart.

Als Roland von seiner Wallfahrt zurückkam, traf er in einem Walde den Ritsart, der dort jagte. Roland ritt auf ihn zu und sagte, daß er sich gefangen geben müsse. Ritsart wollte sich ihm anfangs widersetzen, aber da ihm Roland versprach, ihn gegen König Karl zu schützen, so ergab er sich in sein Geleit und zog mit ihm nach Paris.

Malegys, der im Walde verborgen war, brachte diese Kundschaft sogleich den Brüdern auf Montalban, sie machten sich bereit, Ritsart zu erlösen; Malegys aber ging nach Paris, um zu sehen, wie es mit Ritsart werden würde.

Malegys kam als ein kranker Pilgrim mit geschwollenem Bein und einem dicken Bauche, dazu in einen rauhen Mantel gehüllt, ganz alt und unansehnlich zu König Karl und begehrte um Gottes Barmherzigkeit willen eine Mahlzeit von ihm. Karl aber schlug ihn derbe mit einem Stecken und sagte: »Ich traue keinem Pilgrim mehr, seit mich Malegys betrogen hat.« Da gebärdete sich Malegys gar kläglich und fing als ein kranker Mann an zu weinen und zu schluchzen, so daß es König Karl wieder gereute, daß er einen heiligen Pilgrim geschlagen hatte, der noch überdies krank war. Er ließ ihn also an einen Tisch niedersetzen und Speise und Trank reichen, dazu bediente er ihn selbst, aus demütiger Reue. Malegys dachte in seinem schalkhaften Sinne: »Ich sollte dir wohl gerne deinen Schlag wieder vergelten«; als ihm daher der König einen so schmackhaften Bissen in den Mund stecken wollte, ergriff er gar behende mit den Zähnen dessen Finger und biß ihn tüchtig. Der König setzte sich vor Schmerzen abseits und sagte: »Du schelmischer Pilgrim, warum tust du mir also? Du hättest mir beinahe den Daumen abgebissen, wenn ich dich hätte gewähren lassen.« – Malegys sagte: »Verzeihen mir Ew. Majestät, ich war so gar sehr hungrig, daß ich nicht recht acht darauf gab, ob es die Speise oder Euer Daumen war, daher geschah es ohne meinen Vorsatz.«

Indem kam Roland mit dem gefangenen Ritsart in den Saal; König Karl war sehr ergrimmt, als er ihn sah, und schwur, ihn sogleich aufhängen zu lassen. Roland aber wollte es nicht zugeben, weil er ihm sicheres Geleit zugesagt hätte; ebenso waren auch die übrigen Genossen dagegen. Der König fragte alle nach der Reihe herum, ob keiner es über sich nehmen wolle, den Ritsart aufzuhängen, aber alle schlugen es ab. Da tat sich einer her, genannt Rype von Rypemont, der sagte, daß er es sich unterstehen wolle, wenn die Genossen ihm alle angeloben wollten, deshalb keine Rache an ihm zu nehmen. Alle sagten es ihm zu, außer Ogier, der unwillig im Saale auf und ab ging. Der König wurde ergrimmt, daß dieser es nicht auch versprechen wollte, gleich den andern; Ritsart sah indes den Malegys in einer Ecke sitzen, er näherte sich dem Ogier und sagte: »Ogier, gebt nur Euer Wort, denn ich sehe dort Malegys sitzen, und so komme ich gewiß nicht an den Galgen.« Ogier gab also auch sein Versprechen, und Karl setzte nun den Tag fest, an welchem Ritsart zu Falkalon sollte aufgehängt werden.

Malegys begab sich indessen in großer Eile nach Montalban zurück, und sagte den Brüdern den Tag an, und daß sie sich rüsten sollten. Sie ritten also aus, und lagerten sich nahe bei in einem Walde, von wo sie den Galgen genau sehen konnten. Sie stiegen ab und setzten sich in das Gras, wo Malegys ihnen die Geschichte erzählte, wie er dem König Karl in Finger gebissen habe, und indem sie noch sprachen, überfiel sie eine Schläfrigkeit, so daß sie alle einschliefen.

Der Zug mit Ritsart kam indessen zum Galgen, und Rype spottete seiner und sagte, daß er nun weiter auf keine Hülfe zu hoffen habe. Ritsart aber schaute sich sehr betrübt nach seinen Brüdern und Malegys und Bayart um, daß sie ihm helfen sollten, und da er keinen von ihnen allen gewahr ward, brach er in Tränen aus und ergab sich in sein Schicksal, denn sie schliefen alle im Walde, außer Bayart, der noch munter war. So mußte nun Ritsart wie ein Verbrecher auf die Leiter steigen, und als er fast oben war, sah ihn Bayart aus dem Walde heraus. Das Pferd fing ein großes Geschrei an und wütete und tobte so lange, bis Reinold aufwachte. Der sagte: »Ei, du böser Schalk, das bin ich an dir ungewohnt«, und wollte es schlagen, aber da sah er seinen Bruder oben beim Galgen und schnell stieg er auf Bayart und weckte die übrigen, und alle rannten mit voller Gewalt aus dem Walde heraus. Reinold schlug unter das Volk, so daß sie flohen oder umkamen, und Ritsart war wieder frei, und Rype ward genommen und an den Galgen gehangen, weil er sich unterstanden hatte, den Ritsart aufzuhängen.

Ritsart war so froh und guten Muts, daß er sich noch die Rüstung des Rype anzog und auf sein Pferd stieg, um sich vom König Karl den versprochenen Lohn auszahlen zu lassen. Reinold mußte lachen, da er seinen Bruder noch so gutes Mutes sah, er folgte ihm von ferne mit Malegys und den übrigen Brüdern.

Karl sah mit Ogier grade aus dem Fenster, als sie in der Ferne einen Ritter über den Plan reiten sahen, den sie für Rype hielten. Karl war sehr erfreut, weil er glaubte, Ritsart sei nun gewiß und wahrhaftig gehangen, aber Ogier ward zornig und ging fort, um ihm entgegenzureiten und mit ihm handgemein zu werden. Karl versammelte seine Ritterschaft, weil er fürchtete, daß Ogier den Rype umbringen würde, ritten ihm also allesamt nach. Aber Ritsart gab sich dem Ogier zu erkennen, als sie zusammen kamen, und der war nun zufrieden. Indem kam König Karl mit seinem Gefolge näher, und lobte den vermeintlichen Rype, daß er sein Versprechen so wacker ausgeführt habe. Darüber wurde Ritsart zornig und sagte: »Ich bin nicht Rype, der hängt am Galgen, sondern Ritsart!« und rennte mit seinem Speer auf Karl zu und gab ihm einen guten Stoß auf die Brust. Darüber wurde ein Gefecht und Reinold kam mit seinem Gefolge heran und alle wurden miteinander handgemein. Reinold sprang von Bayart und ergriff König Karl und warf ihn hinter sich aufs Pferd, in der Meinung, ihn mit sich nach Montalban zu nehmen. Als die übrigen sahen, daß König Karl gefangen war, setzten sie dem flüchtigen Bayart nach und das Gefecht ward noch hitziger; Reinold aber sah zurück und sah, daß seine Brüder mitten unter den Feinden kämpften, er warf daher den König Karl wieder von sich, so daß er weit ins Feld hinein flog, und meinte, das Herz im Leibe wäre ihm gesprungen; und so ritt Reinold wieder unter die Feinde und focht tüchtig, bis er seine Brüder salviert hatte. Dann ritten sie alle nach Montalban.


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