Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Dreizehntes Bild

König Ivo ein Verräter.

Es nahte sich jetzt das Pfingstfest, an dem König Karl immer seine Edle und Fürsten zu versammeln pflegte; er mußte sich daher zu dieser Feierlichkeit eine neue Krone verfertigen lassen, damit er in seinem Schmucke und dem schicklichen Glanze erscheinen könne. Dann lud er alle zum Feste ein, vorzüglich aber den König Ivo von Tarragon. Als sie erschienen waren, wurde jeglichem sein Sitz angewiesen, und eine überaus schöne Musik erklang; König Ivo aber aß mit König Karl an einem besondern Tische, so daß ihm also dadurch eine große Ehre widerfuhr.

Nachdem man die Tafel aufgehoben hatte, nahm Karl den König Ivo bei der Hand, und beide gingen im Garten spazieren. Karl sagte: »Mein König, es wird Euch bewußt sein, wie Euer Eidam meinen Sohn Karlmann erschlagen hat, es ist mir unmöglich, den Mörder in meine Gewalt zu bekommen; so Ihr ihn mir aber ausliefern wollt mit seinen Brüdern, will ich Euch eine große Summe Goldes dafür verehren.«

König Ivo freute sich, als er diesen Vorschlag hörte, denn er liebte das Gold über die Maßen, dazu so schmeichelte ihm das Vertrauen und die Freundschaft König Karls, auch hatte er nun schon die treuen und redlichen Dienste der Haimonskinder vergessen, so daß er dieserwegen den Handel einging, und die vier Brüder ohne Wehr und Waffen nach Falkalon zu liefern versprach. Hierauf umarmten sich beide Könige von Herzen, und Ivo zog sogleich nach Montalban, Karl aber schickte viel Volks nach Falkalon, um die Brüder gefangenzunehmen, und sie sich tot oder lebendig überliefern zu lassen, damit die verdrüßlichen Händel ein Ende gewinnen möchten.

Reinold war mit seinen Brüdern auf die Jagd gezogen, und er ritt nun mit ihnen nach seinem Schlosse Montalban zurück. Aber plötzlich überfiel ihn eine große Traurigkeit, so daß er den Kopf sinken ließ, und gebückt und bekümmert auf seinem Pferde saß. Die Brüder wurden besorgt und fragten ihn, was ihm fehle, daß er sich also in Gedanken verliere. Reinold antwortete: »Ach, meine lieben Brüder, ich kann es euch nicht sagen, wie es geschieht, daß ich allen meinen Mut so plötzlich verliere, so daß ich sagen möchte, mir ist wie einem schwachen Greisen zu Sinne, der das Ende seines Lebens wünscht. Der Wald hier, in dem ich so oft gejagt habe, kömmt mir so finster und traurig vor, ich freue mich auf nichts und fürchte innerlich ein Übel, das uns bevorsteht.« – Die Brüder sagten: »Du bist müde, Reinold, denn wir haben den ganzen Tag gejagt.«

Indem kamen sie aus dem Walde und Reinold gewahrte viel Volks auf den Zinnen seiner Burg. »Heiliger Gott!« rief er aus, »wie viel Volks seh ich da oben? Was mögen sie wollen, und wo mag mein Gemahl und mein Vetter Malegys sein?« Ein Bote kam ihnen entgegen und sagte ihnen, daß König Ivo auf dem Schlosse wäre, worüber sich Reinold sehr erfreute, denn er gedachte nicht, daß ihm sein Schwiegervater einen solchen Possen spielen könne.

Reinold wollte den König Ivo küssen, aber dieser sagte: »Laß das, mein Sohn, ich kann das Küssen jetzt nicht vertragen, denn ich habe einen Fluß am Haupte.« Reinold erkundigte sich nun nach der Ursach seines Besuchs, und Ivo sagte ihm, daß er bei König Karl gewesen wäre, und zwischen ihm und den vier Brüdern einen Frieden geschlossen hätte. Reinold freute sich sehr, als er diese Neuigkeit erfuhr, denn er wünschte nun endlich in Sicherheit leben zu können; die andern Brüder aber setzten ein Mißtrauen in die Rede des Königs. Reinold wollte mit tausend Mann aufbrechen, um doch einigen Schutz zu haben, wenn Karl gegen sein Wort handeln sollte, aber Ivo sagte ihm, daß der Vertrag so gemacht wäre, daß sie ohne alle Waffen und barfüßig nach Falkalon auf Eseln reiten sollten, dann sollten sie vor König Karl auf die Kniee fallen und so würde er ihnen dann vergeben. Darüber wurde Reinold auch nachdenklich und er antwortete: daß er darüber erst mit seiner Hausfrauen Clarisse und mit seinen Brüdern ratschlagen wolle; worüber Ivo erschrak, denn er fürchtete, daß ihm seine List nicht gelingen werde.

Clarisse fiel ihrem Gemahl Reinold um den Hals und weinte und beschwur ihn, daß er nicht wegreisen möchte, weil ihr ihr Herz irgendein Unglück weissage. Reinold fragte: »Was sollte mir begegnen? Euer Vater hat einen guten Frieden geschlossen, und wir werden hinfüro in aller Sicherheit leben können.« »Ach«, antwortete Clarisse, »ich sehe wohl, Ihr kennt meinen Herrn Vater noch nicht, denn ich muß Euch sagen, er ist sehr geldgeizig und hat Euch ganz gewiß an den König Karl verraten.« Hierauf wurde Reinold zornig und sagte: »Ihr seid eine sehr schlechte Tochter, daß Ihr also von Eurem leiblichen Vater reden dürft, nein, nun will ich ihm um so mehr vertrauen und kühnlich nach Falkalon zu König Karl ziehn; denn warum soll mich Ivo, mein zweiter Vater, verraten? Hab ich ihm doch von jeher nichts als lauter Gutes erwiesen und treue und redliche Dienste geleistet, das wird er nicht also geschwinde vergessen können, daß er mich verraten sollte, will mich also stracks auf den Weg machen.«

Clarisse wurde sehr betrübt, da sie ihren Herrn so entschlossen sah; sie rief heimlich Ritsart zu sich und sagte: »Ritsart, ich halte dafür, daß euch allen vieren großes Unglück begegnen wird, nimm deshalb diese vier Schwerter, aber laß meinen Herrn Reinold nichts davon merken, darunter ist eins, Florenberg, das an Vortrefflichkeit seinesgleichen sucht.«

Ritsart nahm die Schwerter und verbarg sie unter seiner Kleidung, und nun zogen die Brüder aus auf vier Eseln und barfuß und in wollenen Hemden. Es war am frühen Morgen, und Reinold fing an mit lauter Stimme ein Lied zu singen, um sein trauriges Herz etwas zu erheitern, welches ihm aber sein Bruder, der betrübte Adelhart, heftig verwies.

So zogen sie fort und kamen gen Falkalon. Schon in der Ferne sahen sie viel Volks stehen, das bewaffnet war und auf sie wartete. Da wurde Reinold betrübt und sagte: »Ach, meine Brüder, ich sehe nun wohl ein, daß uns mein Schwiegervater Ivo verraten hat, denn dort sind viele gewaffnete Leute, die auf uns warten, dazu haben wir keine Rüstung und Waffen, auch kein Pferd als unsre Esel.« Indem kamen die Feinde näher, und der Anführer der Schar rennte mit seinem Speere voraus, um Reinold niederzustechen, indem er rief: »Ergib dich nun, stolzer Reinold, denn dein Schwiegervater hat dich um eine große Summe Goldes dem Könige verkauft.« Reinold ließ sich schnell von seinem Esel zur Seiten ab, aber der Speer traf ihn doch, so daß er für tot auf der Erden lag. Darüber wurden die Brüder sehr bekümmert, aber Reinold richtete sich bald wieder auf: da ging Ritsart zu ihm und gab ihm das Schwert Florenberg in die Hand und sagte: »Sieh, mein Bruder, das hat mir deine Hausfrau Clarisse zu unserm Schutze gegeben«; gab auch den andern Brüdern jedem ein Schwert und behielt auch für sich eins. Als Reinold das Schwert sahe sagte er: »O Bruder, nun ich meinen Florenberg in der Hand habe, bin ich voll guten Muts, und ich will nicht mehr Reinold heißen, wenn ich alle diese fürchte.«

Das Volk war indessen mit seinen Anführern angerückt, und es entstand ein blutiges Treffen; alle vier Brüder gebrauchten sich so tapfer, wie es nur je die größten Helden haben tun können, vorzüglich aber Reinold, der mehr Taten tat, als sonst ein Mensch zu tun imstande ist. So dauerte das Gemetzel bis in die Nacht; da zogen die Brüder die Harnische der Erschlagenen an und stiegen auf die Pferde.

Am Morgen erneuerte sich der Kampf, und Writsart wurde im Gedränge gefangengenommen, denn das Pferd war ihm unter dem Leibe zu Tode gekommen. Eine Schar führte den Gefangenen weg um ihn König Karln zu überliefern; Adelhart wurde es zuerst inne, daß ein Bruder fehle und sagte es dem Reinold; dieser wurde wütend und drang darauf, daß man Writsart wieder frei machen müsse; aber Adelhart sagte: »Lieber Bruder, es ist uns für dieses Mal unmöglich, wenn wir ihnen nachsetzen, wird uns die Menge umzingeln und überwältigen; immer noch besser, daß der eine verlorengeht, als wir alle.« Aber Reinold wurde zornig und sagte: »Sollen wir es dulden, daß ein Bruder von uns gehenkt werde? daß man nachher sage: ,Sehet, das sind die Brüder, die so lange gegen König Karl gestritten haben, und es doch am Ende haben leiden müssen, daß man einen von ihnen gehenkt hat‘? Nein, lieber will ich mein Leben daransetzen, denn fürwahr, das wäre uns eine sehr schlechte Ehre.«

Er ritt also durch das Gedränge und traf auf die Schar, die seinen Bruder Writsart wegführte; der eine von ihnen sah sich um und sagte: »Seht, da kömmt Reinold und gebärdet sich nicht wie ein Mensch, sondern wie ein wahrer Teufel, lasset uns alle davonfliehen!« Reinold kam herangesprengt und hieb die ersten nieder, die übrigen flohen, und so war Writsart wieder frei; worauf Reinold sagte: »Bruder, ich habe Euch diesmal wieder frei gemacht, aber ich sage es Euch, es geschieht nicht wieder; warum lasset Ihr Euch so gar leichtlich fangen?« Writsart sagte: »Bruder Reinold, es war nicht meine Schuld, mein Pferd war tot, dazu so hatten sie mir im Handgemenge mein Schwert zerschlagen.« »Nun, es soll Euch für diesmal vergeben sein«, sagte Reinold; und so ritten sie wieder in den Kampf hinein.

Die Schlacht dauerte fort, aber es kam zu den Feinden eine Verstärkung. Ritsart war schwer verwundet, und so mußte endlich Reinold mit seinen Brüdern die Flucht ergreifen.


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