Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Funfzehntes Bild

Reinolds Kampf mit Roland.

Roland wurde sehr zornig auf König Ivo, daß er nun sein Wort doch nicht gehalten habe, die Brüder auszuliefern; es war ihm lieb, daß sie auf die Art errettet waren, aber er wollte durchaus eine Rache an Ivo nehmen. Er zog daher mit den Genossen vor das Kloster, in welches Ivo geflohen war und hielt es belagert, in der Meinung, Ivo aufzuhängen, sobald er ihn in seiner Gewalt haben würde. Ivo vernahm die traurige Botschaft und schrieb einen überaus kläglichen Brief an Reinold, seinen Schwiegersohn, daß er ihm helfen möchte, weil er sonst eines schmählichen Todes sterben müsse. Reinold wollte sich nichts um den Verräter kümmern. Clarisse, seine Hausfrau, saß mit ihrem jüngsten Söhnlein, das sie Adelhart genannt hatte, grade neben ihm, als dieser klägliche Brief ankam, und sie weinte über das Unglück ihres Vaters so heftig und so von Herzen, daß Reinold dadurch über die Maßen gerührt wurde und sogleich seinen Harnisch anzog, und auf Bayart stieg, um den Verräter zu retten.

Als er vor das Kloster kam, war es schon erobert, und Roland machte eben Anstalt, den König Ivo aufzuhängen. Reinold ritt schnell hinzu, nahm im zornigen Mute seinen Schwiegervater hinter sich aufs Pferd und floh mit ihm davon. Roland verfolgte ihn, weil er seinen Raub nicht fahrenlassen wollte, hatte aber kein so gutes Pferd als Bayart war, deshalb entkam ihm Reinold. Darüber wurde er sehr ergrimmt und schalt Reinold einen Verräter, und die beiden Ritter setzten sich einen Tag fest, um ihre Sache auszukämpfen.

Reinold brachte daher seinen Schwiegervater nach Montalban, und wollte dann bald wieder zurück, weil er mit Roland einen Streit halten müsse. Clarisse weinte sehr, als sie diese Nachricht hörte, denn Roland war ein Mann, der, wenn er gepanzert war, weder von Schwert noch Spieß verwundet werden mochte. Aber Reinold ließ sich nicht irremachen und reiste ab.

Er bezeugte sich erst demütig gegen Roland, weil er sein Vetter war, da aber Roland trotzig war, sagte er: »Ihr müßt nicht etwa glauben, daß ich mich vor Euch fürchte, nein wahrlich nicht, und wenn gleich Eurer fünfe wären«, und zog gleich seinen Harnisch an und stieg auf Bayart. Sie stießen heftig aufeinander und mit solcher Gewalt, daß Roland samt seinem Pferde zu Boden stürzte, welches ihm sonst noch in keinem Kampfe mit keinem Ritter begegnet war. Er erstaunte selber darüber, und raffte sich wieder auf, aber die übrigen Genossen litten es nicht, daß der Kampf fortgesetzt wurde.

So ritt Reinold mit frohem Herzen nach Montalban zurück, und Roland tat eine Wallfahrt zum heiligen Jakob von Compostella.


 << zurück weiter >>