Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

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Neun und zwanzigstes Kapitel.

Mechthilde erzählt eine Geschichte.

Catharine stand gewöhnlich in der dunkeln Nacht auf, und sah aus dem Fenster der Burg, um sich an den wunderbaren Gestalten der Wolken zu ergötzen, die dazwischen glänzenden Sterne zu sehn und zu hören, wie der feuchte Nachtwind über die einsame Haide ging.

So stand sie auch nachdenkend in der einen Nacht, und sahe von ferne her sich ein Lichtlein bewegen, das gleichsam gebückt auf der Erde schlich. Sie heftete ihre Aufmerksamkeit darauf, und sie glaubte auch 228 darunter Figuren in der Ferne zu bemerken, die hin und wieder schwankten.

Es war Mitternacht vorüber und die heiligste Stille lag über der Natur ausgebreitet, da hörte sie ganz deutlich fernab ein klägliches Gewinsel, wie einen traurigen Todtengesang. Sie wußte nicht, was das Alles zu bedeuten habe, und ein stilles Grauen bemeisterte sich ihrer.

Nun kam der Zug näher, er stand jetzt unten an der Burg. Es war ein schwarzes Gefolge, voran ging eine betrübte, jämmerliche Gestalt, wie die des Todes, und trug ein kleines Laternlein in der Hand, und das Licht brannte bläulich. Dann folgte ein Sarg und ein Chor von schwarzen eingehüllten Figuren, die so kläglich sangen, daß schon ihr bloßer Ton den Menschen hätte wahnsinnig machen können, so höchst trübselig war es anzuhören.

Jetzt wurde der Leichnam in die Erde gesenkt, und der dröhnende Todtengesang schwieg auf einen Augenblick still, da faßte sich Catharine ein Herz, und redete die fremden Leidtragenden an und fragte: Wen begrabt ihr da? Der Tod nahm seine Laterne vom Boden auf, und hielt sie in die Höhe, so daß sie ganz deutlich sein nacktes Gebiß und seine leeren Augenhöhlen sehn konnte, und antwortete: Wir begraben hier Catharinen, die Frau des Blaubart; Ihr müßt es aber noch Niemand sagen.

Catharine fing an zu zittern, sie erwiederte mit bebender Stimme: Diese Frau lebt ja noch. – Nein, sagte der Tod und winselte, sie ist gestorben, wir begraben sie hier. Catharine war verrückt geworden, 229 und schrie zum Fenster hinaus: Ihr irrt Euch, lieben Leute, denn ich bin es ja selber.

Nun, seht ihr, sagte der Tod, daß wir eine ganz falsche Leiche hatten, ich dacht' es gleich; kommt, wir wollen uns nun die rechte holen. – Und nach diesen Worten sprangen sie Alle sehr ämsig nach der Burg zu, und die kleinen Gestalten wurden plötzlich ungeheuer groß, und der Tod konnte mit dem Kopfe zum Fenster hineinreichen. Catharine lief wahnsinnig zurück, und verbarg sich in ihr Bette; kein Schlaf kam in ihre Augen, sie lag in einer Fieberhitze.

Am Morgen reiste Peter fort, und gab seiner Gattin den Schlüssel, um sie zu erforschen. Du willst gehn? rief sie aus; o bleibe hier, ich kann jetzt nicht ohne Dich seyn, ich sterbe, noch eh' Du zurückkömmst. Ich kann es Dir nicht beschreiben, welche Schrecken mich umgeben, aber ich weiß es gewiß, Du siehst mich nicht wieder.

Wie ist Dir, Catharine? fragte Peter.

Wunderlich, entsetzlich, antwortete sie. Wo ich hinblicke, seh' ich Gräber, wider meinen Willen drängen sich gräuliche Empfindungen zu mir hinan. Schatten gehn um mich herum, die ich nicht kenne, sie winken mir, sie gebieten mir, und ich darf nicht auf ihre Befehle hören. O bleibe hier, damit ich nicht mitten unter den Gräßlichkeiten umkomme.

Peter schien selber beklemmt zu werden, er wandte sein Haupt scheu von der Seite und sagte: Nein, ich kann nicht hier bleiben, Catharine, aber sehr bald komme ich zurück.

Er ging und ließ Catharinen trostlos zurück; sie hatte ihn mit der Furcht angesteckt, und es währte 230 eine geraume Zeit, bis er die trüben Vorstellungen aus seinem Gemüthe verbannen konnte. Catharine irrte durch alle Gemächer des Schlosses, sie glaubte immer, sie müsse dem Tode zu enteilen suchen, der ihr nachstrebe und sie als seine Beute mit sich führen wollte. Sie hörte ihn an den Thüren rasseln, wie er die Klinken bewegte, um zu ihr zu kommen. Sie traf auf die alte Mechthilde, und bat diese um ihre Gesellschaft; Mechthilde war nicht im Stande, ihre Angst zu vermindern, es wurde Abend und Nacht, und Catharine zitterte immer noch.

Ein Gewinsel schlich um die Burg, und in der Luft erklang es, wie ein fernes Glockenläuten; Catharine fuhr zusammen und hörte dann nachdenkend darauf hin. O Mechthilde! rief sie aus, was ist das?

Nichts, antwortete Mechthilde ganz kaltblütig.

Nein, es ist wohl nichts, sagte Catharine dann; komm, setze Dich zu mir nieder, und verkürze mir durch Erzählungen die trübseligen Stunden, damit ich die Zeit hintergehe. Nimm ein wunderbares Mährchen und Gedicht der Phantasie, womit wir die schwermüthige Wirklichkeit übertäuben.

Ich weiß nichts, sagte Mechthilde.

Du mußt erzählen, fuhr Catharine auf, Du mußt.

Weil Ihr denn also wollt; aber Ihr müßt meinem schlechten Vortrag verzeihen.

Mechthilde fing an:

Es wohnte ein Förster einmal in einem dicken, dicken Walde; der Wald war so dick, daß der Sonnenschein nur immer in kleinen Stückchen hinunterfallen konnte; wenn das Jagdhorn geblasen ward, so klang dies fürchterlich. In der dichtesten Gegend des 231 Forstes lag nun gerade das Haus des Jägers. – Die Kinder wuchsen in der Wildniß auf und sahen gar keine Leute, als ihren Vater, denn die Mutter war schon seit lange gestorben.

Um eine gewisse Jahrszeit traf sich's immer, daß der Vater sich den ganzen Tag im Hause eingeschlossen hielt, und dann hörten die Kinder ein seltsames Rumoren um das Haus herum, ein Winseln und Jauchzen, in Summa: ein Gelärm, wie vom leibhaftigen Satanas. Man brachte dann die Zeit in der Hütte mit Singen und Beten zu, und der Vater warnte die Kinder, ja nicht hinauszugehn.

Es traf sich aber, daß er auf eine Woche, in die der Tag gerade fiel, verreisen mußte. Er gab die strengsten Befehle; aber das Mädchen, theils aus Neugier, theils weil sie den Tag aus Unachtsamkeit vergessen hatte, geht aus der Hütte heraus. – Nicht weit vom Hause lag ein grauer, stillstehender See, um den uralte verwitterte Weiden standen. Das Mädchen setzt sich an den See, und indem sie hineinsieht, ist es ihr, als wenn ihr fremde, bärtige Gesichter entgegensehn; da fangen die Bäume an zu rauschen, da ist es, als wenn es in der Ferne geht, da kocht das Wasser und wird immer schwärzer und schwärzer; – mit einemmale ist es, als wenn so Frösche darin umher hüpfen, und drei blutige, ganz blutige Hände tauchen sich hervor, und weisen mit dem rothen Zeigefinger nach dem Mädchen hin. –

Sie erschrickt und weiß sich nicht zu lassen, sie will fortlaufen, aber sie wird am Boden festgehalten, und indem sieht sie sich um, und ein kleiner Zwerg, 232 mit einem ungeheuern Kopf, steht freundlich hinter ihr und sagt:

Liebst Du mich?
Liebst Du mich?
Komm mit mir.
Geh mit mir.

Und dabei machte er die wunderlichsten Gebehrden, so daß man nicht sagen konnte, ob es fürchterlich, oder ob es lächerlich war. Indem sich das Mädchen noch bedachte, schwimmt eine alte Frau oben auf dem See, die ihr zuruft, sie solle nicht mit dem Ungeheuer gehn, denn es würde sie erwürgen, damit es sich aus ihren schönen Knochen Spielsachen für sich und seine Kinder machen könnte.

Die Kleine sehnte sich nach ihrem Vater, aber er war nicht da; sie sah nach der Hütte, es war so finster geworden, daß sie sie mit den Augen nicht wiederfinden konnte. Da war sie allein und ganz ohne Hülfe, und wußte nicht, was sie thun sollte.

Traue Keinem! traue Keinem! sang es kläglich vom Baume oben herab, sie sind Beide Wütheriche, sie sind Mann und Frau, und sie haben ihre eigenen drei Kinder gefressen, nur die Hände sind übrig geblieben. Es war ein weißer Vogel, der so rief, er sah fast aus, wie ein Storch, nur daß er ein ordentliches menschliches Antlitz trug, mit einem langen Barte. Hilf mir! schrie das Mädchen und weinte. Klettre zu mir herauf, sagte der Vogel. Die Alte drohte ihr, der Zwerg wollte sie zurückhalten, aber sie faßte ein Herz, und stieg auf den Baum zum wunderbaren Vogel hinauf. Willkommen! sagte derselbe. Sie setzte sich auf einen Zweig und der graue See unten 233 verschwand, und die verwitterten Weiden tanzten rund umher, und auf dem Boden des Sees lag die Alte und konnte sich vor den drei blutigen Händen nicht retten, die ihr unaufhörlich nachliefen und sie gewaltig ängstigten.

Plötzlich ward der Vogel zum Zwerg, der unten gestanden hatte, und die alte Seemutter fing darüber heftig an zu lachen. Nun konnte sich das Kind nicht mehr halten, verrückt sprang und fiel es den hohen Baum hinunter, und fing an zu laufen; die Alte schickte die blutigen Hände nach, um es fest zu halten. Das Mädchen schrie und weinte, und rannte nach der Hütte zu, wo es seinen Vater drinnen beten hörte und sagen: Wäre nur meine arme Tochter hier! – Gottlob, daß ich hier bin! schrie sie auf und stürzte in die Hütte; aber der Vater war nicht darin, sondern an den Wänden saßen ganz fremde eisgraue Männer umher, und ein Todtengerippe, mit bunten Bändern geschmückt, sprang in der Stube lustig hin und her, woran sich die Alten sehr ergötzten. Das Mädchen rannte wieder hinaus, und Wald und Alles war verschwunden, und der Vogel stand riesengroß da und riß sich Federn aus, aus denen Eulen wurden. Das Kind sah durch's Fenster in die Stube hinein, und wie erschrak sie, als sie sich drinnen mit dem Todtengerippe tanzen sah, sie aber stand draußen als eine steinalte Frau. – –

Genug, genug, schrie Catharine auf, der Kopf schwindelt mir schon, ich weiß mich nicht mehr zu lassen. Welchen ungeheuern Unsinn häufst Du zusammen, um mich in eiskaltes Entsetzen unterzutauchen? Sprich von Wirklichkeiten, damit ich nur wieder zu mir kommen kann.

234 Soll ich Euch von mir selber erzählen? sagte Mechthilde.

Ja, ja, rief Catharine, nur nicht jene Schrecklichkeiten.

Ach meine eigne Geschichte, fuhr Mechthilde fort, ist schrecklich genug. Wenn Ihr es mir auch jetzt nicht anseht, so gab es doch eine Zeit, in der ich liebte, in der ich wieder geliebt ward.

Sprich nicht so, sagte Catharine; o welche melancholischen Rückerinnerungen! Was ist denn der Mensch? Was ist denn die Liebe?

Hört nur weiter, sagte Mechthilde. Mein Liebhaber ward mir ungetreu, er wollte mich nicht wieder kennen, ich war durch ihn Mutter gewesen. O meine Verzweiflung überstieg damals alle Grenzen! Wenn ich noch jetzt daran denke, o so tritt mir alles Blut kalt vom Herzen zurück. Ich sah ihn, und schüttete heimlich ein starkes Gift in sein Getränk. Es währte nicht lange, so spürte er die Wirkungen meiner Rache! Wie er sich wand, wie er endlich bewußtlos zu meinen Füßen niedersank, wie alle seine lieben verführerischen Züge entstellt waren! Ach, nun kam plötzlich die Reue in mein zerrissenes Herz, und es war zu spät! Ich wußte mich selber nicht mehr zu lassen, er knirschte mit den Zähnen und krampfte sich auf dem Boden umher, und so starb er.

Mechthilde fuhr wie rasend auf. – Ach! wo ist er? rief sie laut. Soll ich ihn noch wiedersehn? Werden nun so plötzlich alle meine Träume erfüllt, wie ich es niemals denken konnte?

Sie stürzte auf Catharinen zu und schloß sie in ihre Arme; dann wurde sie still und nachdenklich, und 235 ging so aus dem Zimmer, als wenn sie sich auf etwas besänne.

Catharine war wieder allein. Sie konnte unmöglich einschlafen; nach allen diesen Erschöpfungen der Phantasie dachte sie an den Schlüssel und an das verbotene Zimmer. Eine unbeschreibliche Lüsternheit ergriff sie, sich mit etwas neuem Wunderbaren zu sättigen; sie konnte sich nicht länger zurückhalten, sie ging und schloß auf.

Bei einem matten Kerzenschimmer lag eine weibliche Leiche auf einem Paradebette, schwarze verhüllte Gestalten saßen als Wächter umher und scheuchten die Fliegen zurück; die Figuren aus den Wandtapeten standen auf und winkten ihr, daß sie still seyn und nicht die heilige Ceremonie stören sollte. Sie schlich leise näher und erkannte sich selber, denn sie lag im Sarge, und einer von den Eingeschleierten stand auf und schlug sein Gewand zurück, es war der schreckliche Tod, den sie schon vorher gesehn hatte. – Sieh, sagte er feierlich und nahm sie bei der Hand, nun haben wir Dich ja doch eingeholt, da ist kein Entrinnen nütze.

Sie sank nieder und blieb todt im Gemache liegen.



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