Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

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Die sieben Weiber des Blaubart.

Erstes Kapitel.

Moralität.

So oft ich über dieses Wort nachgedacht habe, habe ich immer empfunden, daß das Denken darüber mit vielen Schwierigkeiten verbunden sey. Ein Mann, der viel Erfahrung in tausend Sachen hat, hat mich versichern wollen, daß man sich sogar bei'm vielen Denken leicht der Gefahr aussetze, über alle diese Grübeleien konfus zu werden, und plötzlich, ohne daß man wisse, wie es geschehe, unmoralisch zu handeln. Ja, fügte er hinzu, es giebt so wunderbare Seiten in dieser Wissenschaft, so seltsame Ansichten, daß einem raffinirenden Kopfe gerade das höchst moralisch vorkommen kann, was der gewöhnliche Dilettant der Moralität schändlich nennen würde, und wie es bei allen übrigen Künsten geht, daß man nur dadurch Kenner wird, indem man den einseitigen Enthusiasmus verliert, so auch hier. Der Mann, den ich hier nicht nennen will, weil seine Bescheidenheit darüber erröthen würde, schwur mir zu, die ganze Welt nenne ihn blos deswegen den elendesten Egoisten, weil er im Grunde gar zu uneigennützig sey, und er sey schon zuweilen darauf gekommen, etwas von seiner strengen Tugend nachzulassen, damit ihn die Menschen nur besser verstehn möchten.

90 So mag es hin und wieder gar Manchem gehn; zu großer Glanz wird wieder Finsterniß, indem er die gewöhnlichen Augen blendet. Viele Leute üben die großen Tugenden aus, und müssen dann nothwendig die kleinen vernachlässigen, denn man kann nicht alles in allem seyn. Ich weiß hundert meiner Bekannten, die von Tag zu Tag darauf warten, das Vaterland zu retten, eine Erfindung zu machen, die der ganzen Erde wohlthätig ist, einen Telegraphen zu entdecken, der vom Volke hinaus bis zur Regierung reiche, um beide mit einander sich über ihre wahre Lage besprechen zu lassen; aber dergleichen Leute können sich unmöglich mit jenen Bagatellen von Tugenden abgeben, die nur den Subaltern kleiden. Wo die übrigen Erdbewohner Berge und Thäler sehn, können sie nicht einmal Hügel bemerken, weil ihr Standpunkt zu erhaben ist.

Es giebt noch tausend andere Rücksichten und Gründe und Ursachen, warum es mit der ganzen Moralität in der Welt nicht so recht fort will. Der Leser kann unmöglich verlangen, daß ich hierüber zu weitläuftig seyn sollte, denn Niemand anders, als er, würde es mit der Langenweile entgelten müssen: denn ich sehe mich hier genöthigt, die Ehre zu haben, zu versichern, daß es mir so ziemlich einerlei ist, was ich schreibe, wie es denn jedem redlichen Schriftsteller seyn muß, und indem ich mich über die Tugend recht weitläuftig ausließe, fände ich vielleicht Gelegenheit, mich selber noch zu bessern. Außer des Lesers Langenweile giebt es aber noch eine andre und viel bessere Ursach, warum ich hier abbreche; der Leser wird sie weiter unten erfahren.

91 Der größte Theil der bewohnten Welt hat nun auch eingesehn, daß die Moralität zwar an sich etwas Vortreffliches sey, daß sich jeder Mensch auch kennen lernen müsse, eben so, wie er Recensionen lesen muß, um im Stande zu seyn, ein Urtheil zu fällen, oder um sich wenigstens vor allem Moralischen zu hüten. Die Moralität ist nichts weiter, als das unbeholfene eiserne Geld der Spartaner, das allen Handel unmöglich machte, das sich nicht fortbringen läßt, denn die Akademiciens in Sparta mußten sich ihre Pension immer durch einen Wagen mit sechs Pferden abholen lassen; das Schlimmste aber ist, daß die Nachbarn diese eisernen Münzsorten gar nicht für Münzen wollen gelten lassen, daß sie ihnen immer nur wie Eisen vorkamen. Dieses eiserne Geld findet man daher nur noch in den Antikensammlungen, wo man so manches Unnütze aufbewahrt, und die aufgeklärte Welt gebraucht jetzt allenthalben das gestempelte Gold, oder das Papiergeld der Klugheit, und Handel und Wandel, Wissenschaften und Künste, Gewerbe und Fabriken und Philosophie treiben und blühen seit der Zeit, daß es den Gärtnern allenthalben die größte Freude macht.

Es wäre aber wirklich zu bedauern gewesen, wenn die Moralität so ganz hätte in Vergessenheit kommen sollen; es wurde daher darauf gedacht, sie irgendwo unterzubringen, wo man ihrer gleich und ohne Umstände habhaft werden könne, wenn man in müßigen Stunden einen Trieb nach ihr empfinde. Da sahen die Klügsten unter dem Volke die nichtsthuende, leichte, gewandte Landstreicherin Poesie einhertanzen, die mit einem zierlichen Korbe voll Blumen über die Erde 92 ging und Augenpracht und süßen Duft einem Jeden anbot. Gleich war der Entschluß gefaßt. Wozu, sagte man, soll sie in unsern fleißigen Zeiten allein müßig gehn? Könnte die leichtsinnige Dirne nicht spinnen, oder sich in einer Fabrik unterbringen, wo es immer noch an Händen und Füßen fehlt? Man fange sie und bringe sie vor uns.

Die Poesie sträubte sich und wollte bald fortspringen, bald fortfliegen, aber die rüstigen Arme der Geschäftsmänner waren ihr zu mächtig, sie mußte sich ergeben und ward nun vor den Rath geführt. Man gab ihr erst ihres Müßiggehens wegen derbe Verweise, da sie nun aber doch einmal nicht anders zu brauchen sey, so solle sie wenigstens Alles, was von Moralität da herum liege, mit in den Blumenkorb legen und sich nicht unterstehen, eine Rose zu verschenken, ohne auch zugleich ein Stückchen Moral mit abzubrechen. Die Poesie schüttelte den Kopf, aber die Richter kümmerten sich wenig darum, denn das Urtheil war einmal gesprochen, sie waren froh, die Moralität nun ganz los zu seyn, und hin und wieder läuft noch einer zur Poesie hin, um zu sehn, ob sie auch dem Befehle gehorcht. Die Poesie tanzt nun nicht mehr, sie hat schwere Last zu tragen und ist in der Ferne nicht von den alten Semmelweibern zu unterscheiden, die mit ihrem Korbe von einem Dorfe zum andern wandern.

Seit der Zeit ist es für den Schriftsteller eine wahre Freude, zu arbeiten, denn er kann sich darauf verlassen, und es ist ihm nun erst möglich gemacht, Nutzen zu stiften. Nebenher, daß er irgend eine schöne Liebesgeschichte erzählt, macht er dem Leser das 93 Ermorden leid, oder warnt ihn, nicht zu stehlen, und bringt ihm überhaupt auf eine geschickte Weise irgend eins der zehn Gebote bei, wobei der beste Spaß noch der ist, daß der Leser es gar nicht recht merkt, sondern in aller Unschuld meint, Alles sey der liebe pure Kunstgenuß, und es gehöre so zur Sache, und es ihm also auch wirklich leicht ist, sich auf eine Minute zu bessern.

Sehr natürlich sind also die Schriftsteller zu verwerfen, die sich unterstehn, etwas ohne moralische Anwendung zu schreiben, denn wozu kann das nützen? Was helfen mir die fingirten Prinzessinnen, und Castelle, und Liebe und alle Rührung, da ich doch vorher weiß, daß es nicht wahr ist, wenn nicht irgend ein Satz darin liegt, der mich bessern kann? Ja, wo soll denn überhaupt die Tugend hin, wenn sie in den Erfindungen der Romanschreiber kein Quartier mehr findet? Wenn man alle Poesie zusammenschmelzen wollte, muß aus jedem Kunstwerke ein moralischer Satz als caput mortuum zurückbleiben, und die Scheidekünste, die die Kunstrichter bei allen Büchern anwenden, beweisen, wie bald sich die luftige Erfindung und die wässerige Einkleidung verflüchtigen lassen, und die trockne Erde, die Moral, das Element der Kunst zurückbleibt.

Außer der Moral muß auch noch die poetische Gerechtigkeit beobachtet werden, und hierin lassen sich oft sonst löbliche Schriftsteller zu Fehlern verleiten, weil sie nicht das Criminalgesetzbuch der Kunst genug im Kopfe haben. Es wundert mich um so mehr, da diese Gesetze so einfach sind; denn da es ohne Tod und Ermorden in den Büchern nicht hingeht, so muß der Schuldige seinen Tod verdienen, und der Unschuldige, der stirbt, muß wenigstens dem Mörder so viel 94 Gelegenheit zur Reue und Zerknirschung vor dem Gnadenstoß auf dem letzten Blatte geben, daß der Leser selbst die Hinrichtung beschleunigt wünscht. In allen diesen Sachen hat sich der sonst vortreffliche Peter Lebrecht in seinem Stücke: Ritter Blaubart, vergangen; denn weder poetische Justizpflege, noch Moralität herrschen hinlänglich darin. Die Richter des heimlichen Gerichts, die Recensenten, die über Beides wachen, werden es ihm schon vorrücken, daß er seiner Phantasie zu sehr gefolgt ist, denn wenn man sein Mährchen verflüchtigen wollte, so würde gerade gar nichts Anschauliches zurückbleiben. Ich führe dies nur zum Exempel an, wie selbst sonst große Männer gar zu leicht den wahren Weg verfehlen können.

Ich mache nun den Uebergang zu gegenwärtiger Geschichte. Der Leser wird schon merken, daß Viel darin umkömmt, und die Personen thun mir schon jetzt im Voraus mehr leid, als ihm, aber es ist nicht zu ändern, denn es ist nichts weiter, als ein großes Opferfest, das angestellt wird, um den Leser zu bessern. Es muß also dabei bleiben, und alle Anstalten sind auch schon dazu getroffen. Ich muß fast lachen, wenn ich daran denke, wie die Charaktere, die nun auftreten werden, sich im Anfang nichts weniger vermuthen, als daß man sie umbringen wird; aber warum sind auch Leser und Leserinnen so schlimm, daß man sich solche Executionen vorzunehmen genöthigt sieht?

Der Leser darf also nicht besorgen, nicht hinlängliche Lehren zu bekommen, denn wo es nur die Gelegenheit im Mindesten mit sich bringt, werd' ich es nicht unterlassen, ihn auf seine Laster aufmerksam zu machen. Der Ton soll auch nicht zu sanft seyn, 95 sondern eine gewisse Härte kriegen, damit ich es in einem folgenden Buche desto bequemer habe, und schon säuberlicher mit ihm verfahren kann. Weil also das ganze Werk so viel Moral erfordert, so muß ich darauf bedacht seyn, sie weise zu vertheilen, und darum wollte ich mich nicht schon im ersten Kapitel mit Anmerkungen darüber erschöpfen.

Ich nenne übrigens diese Geschichte eine wahre Geschichte, weil sie wirklich wahr ist, so wahr, wie irgend etwas Anderes, das man lesen kann. Es ist Alles aus Documenten und geheimen Papieren gezogen, und ich würde auch diese abdrucken lassen, wenn ich's mit manchen Familien verderben wollte. Manche der Nachkommen Blaubarts haben immer noch etwas von ihrem Vorfahren an sich, und manche Ehescheidungen und Wiederverheirathungen sind nur ein Naturfehler. Alle diese Leute würden sehr böse auf mich werden, wenn ich so die Wahrheit geradezu, ohne alle Umschreibung, sagte. Ich hoffe aber, meine Leser sollen mir auf's Wort glauben, was ich erzähle, wie es eigentlich mit Blaubarts Geschichte zusammenhängt.

Doch es ist endlich Zeit, diese Geschichte selber anzufangen.



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