Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

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Zwei und zwanzigstes Kapitel.

Peter unter den Schäfern.

Der verwundete Peter ward von dem Schäfer und seiner Frau in die Hütte aufgenommen, wo sie seine Wunden verbanden und freundlich für ihn Sorge trugen. Unter ihrer Pflege erholte er sich bald, besonders da die Tochter Magdalene, ein gutes, unschuldiges Mädchen, fleißig für ihn Sorge trug. Er fühlte, daß man in dieser Lage ein recht angenehmes Leben führen könne, und sagte: O wohl hat der alte Horatius Flaccus Recht, wenn er sagt: Beatus ille, qui procul negotiis etc. – Ich habe bisher diese stille Lebensart immer verachtet, aber ich finde, daß sie angenehmer ist, als ich mir vorstellen konnte. Hier lebt 203 sich's so ruhig fort, kein Unfall stört uns, der Schäfer treibt seine Heerde aus und kömmt am Abend sicher zurück, er verschließt sie in den Ställen und legt sich dann selber ohne Furcht zu Bette. Kein Feind macht ihn besorgt, kein plötzlicher Ueberfall reißt ihn vom Schlafe. Niemand beneidet ihn, er haßt Niemand, seine frommen Lämmer spielen unschuldig um ihn her, und er kennt sie alle; ein Tag vergeht wie der andere, und er nimmt jede Gabe des Himmels mit inniger Dankbarkeit an. O wenn es mir vergönnt wäre, ein solches Leben zu führen! all' dem wilden und ungestümen Ritterwesen Lebewohl zu sagen, und in der ruhigen Einsamkeit das zu finden, was ich seit so lange vergebens gesucht habe! Dann nähm' ich hier ein Weib, wie ein Bauer, und freute mich meiner gesunden Kinder; so würde ich alt, die Zeit ginge mir schnell vorüber, ohne daß ich ihre Flüchtigkeit bedauerte; dann trüge ich keine Wunden, keine Stöße und Hiebe davon; dann müßte mich der unkluge Bernard in Ruhe lassen, der offenbar nur meinen Untergang will. – Vielleicht aber, wenn ich ein Schäferleben führte, möchte ich von Neuem das tolle Ritterwesen wieder anfangen. Das Unzufriedene steckt schon im Menschen, und davon wird ihn keine Arznei befreien können.

Er sprach viel mit Magdalenen und lernte ihre Schäferlieder; dann sprach er mit dem alten Martin von der Bebauung des Landes und der Viehzucht, und ward so unvermerkt mit jedem Tage gesunder und froher.

Löwenheim suchte seine Braut in der weiten Welt und konnte sie nirgend finden, nirgend hatte 204 man sie gesehn, Keiner wußte Nachricht von ihr zu geben. Er durchirrte Wälder, Dörfer und Städte, aber alle seine Nachforschungen waren vergeblich.

Adelheid war in der dunkeln Wolke aufgefahren, und alle Besinnung hatte sie sehr bald verlassen. Sie erwachte wieder zum Leben, und fand sich in einem goldenen Wagen, den schneeweiße Schwäne durch den Luftraum zogen. Wolken segelten unter ihr hinweg, und sie sah die Welt mit ihren Städten, Thürmen und Schlössern weit unten in einem weißen Nebel eingeschleiert. Ihr Blick schwindelte, als er so ungeheuer tief hinabfiel, und sie hielt sich ängstlich auf ihrem Sitze fest.

Nach einiger Zeit senkte sich der Wagen, warme Lüfte umflossen sie und schmeichelten ihrer Wange. Ihr Herz that sich auf, und eine unbeschreibliche frohe Empfindung erfüllte ihre ganze Brust, alle Leidenschaften, alle Unruhe, alle Beängstigungen verschwanden wie das Dunkel vor der Sonne, sie fühlte, daß sie sich einem glücklichen Aufenthalte nähere.

Und vor ihren Augen lag eine liebliche Insel da, von hellem Grün bekleidet, von süßmurmelnden Bächen durchflossen, mit schattigen Gebüschen und Wäldern, durch welche süße Töne irrten und ein hellerer Himmel den elysischen Aufenthalt umfing. Die Schwäne ließen sich sanft nieder, und Adelheid stieg vom Wagen. Ohne Furcht durchirrte sie die einsamen Gänge und Gebüsche, eine ferne, liebeathmende Melodie zog sie mit Gewalt nach. Ein Gesang rieselte durch die Blumen hin, und die unbeständigen Schmetterlinge saßen auf den Rosen still und aufmerksam, und wiegten ihre breiten himmelblauen Flügel nach dem Takte 205 des Gesanges, die Nachtigallen hielten sich schweigend, die Blätter rauschten nicht.

Adelheid kam näher und ging bei silbernen Lilien vorüber, die größer waren, als sie, und wie zum Gespräche ihre prächtigen Häupter gegen einander neigten. Jetzt sah sie eine dämmernde Laube vor sich, von Geisblatt durchschlungen und von Rosen durchwachsen, die wie rothe Sonnen durch das dunkelgrüne Laub blickten. Eine Gestalt, wie die eines freundlichen Engels, saß auf dem Rasen, und Blumen aller Art keimten zu ihren Füßen hin, liebliche Genien standen umher. Es war Almida, die in ihrem Lande die Frühlingsfeier beging; sie sang aus der Laube heraus:

        Blumen küssen
        Sich mit Tönen;
        Zu den Füßen
        Ihrer Schönen
Liegen seufzend, liegen schmachtend
    Alle glückliche Geliebten,
    Die die Edle nie betrübten,
Nur nach Gegenliebe trachtend.

        Es tönt im Haine,
        Im Sonnenscheine
        Fliegt muthig hin
        Gesang mit Scherz und fröhlichem Sinn

    Durch rauschend Gebüsch
    Gehn Quellen so frisch,
Und sprechen heimlich in grüner Nacht
Von Liebe, von des Frühlings Pracht. 206

    Geht der Abend durch die Wiesen,
    Seh' ich Mondschein golden fließen,
Auf des Baches Wellen flimmern,
Bleiche Schatten magisch schimmern.
O so finde ich den trauten
    Gatten tief im Tannenwald,
Wandeln einsam dann, und Lauten
    Klingen ungesehn, es schallt
Liebeston aus allen Klüften,
Und uns wiegen in den Lüften
Lieb' und trunkne Phantasei,
    Nachtigallenmelodei,
Mondenschein und Zauberei.

Als Adelheid näher kam, stand die Fee auf und ging ihr entgegen. Adelheid war vom Glanz der Schönheit geblendet, aber die Fee schloß sie liebreich in die Arme. Sie sagte zu ihr: Ich habe Dich gerettet, Adelheid, um Dich Deinem Geliebten zurückzugeben.

Schweigend gingen sie nach dem Palaste, und süße Melodien folgten ihnen allenthalben gleich Dienern, alle Papageien auf den Bäumen neigten sich, und rothgesprenkelte Vögel mit grünen Schwingen flogen gleich Herolden vorauf.

Im Palaste setzten sie sich in Sessel nieder, und Adelheid erquickte sich an schönen Früchten, die von Genien in kristallenen und goldenen Schalen aufgetragen wurden; dann schlief sie, von der lieblichsten Musik und von dem Geschwirre der Bäume eingewiegt, die vor dem Fenster standen und einen grünen, kühlenden Schatten im Gemache verbreiteten.

207 Jetzt war es Abend geworden. Die Sonne ging so schön unter, wie es Adelheid noch nie gesehen hatte, das Purpurroth erfüllte den ganzen weiten Himmel und regnete in Westen mit goldnen Strahlen nieder, die beglänzten Bäume schüttelten voll Freude ihr Haupt, alle Nachtigallenzungen wurden gelöst, und die süßen Gesänge gaukelten und scherzten durch die Lindenblüthen, die weißen Nachtschmetterlinge erwachten, der Mond zog roth herauf.

Als er höher stieg, begann auf der Insel das Fest und die Andacht der Geister. Ein runder Platz war zubereitet, den schöne Palmen umgaben, von einem Baum zum andern waren Blumenkränze gehängt, die süß dufteten und hin und wieder wankten, scherzend von der leisen Abendluft angerührt. Golden sah der Mond durch die Baumgipfel herab, und ein heiliges Feuer brannte auf einem Altar in der Mitte des Platzes. Alle Feen und Geister faßten sich bei den zarten Händen und tanzten umher, indem sie ihre wunderbaren Gesänge absangen, und der Schimmer des Feuers und das Licht des Mondes seltsamlich auf ihren Antlitzen wechselte. Dann standen Alle plötzlich still, das Opfer war niedergebrannt, die Bäume fingen an zu klingen und melodische Töne erzitterten fernab unter der Erde. Nun erhob sich das Spiel der Gewässer und Bäche, die sich alle gleich lustigen, springenden Brunnen in die Höhe richteten, und plätschernd und rieselnd die lauen Lüfte kühlten, und in schönen Bogen golden im Mondschein funkelten. Hierauf verliefen sich die Geister in die Dunkelheit des Waldes, einige flogen in die Luft empor, einige kletterten die springenden 208 Bäche hinan, und sanken mit dem Wasser unter. Adelheid war allein geblieben.

Die tiefe Nacht des Tannenwaldes lockte sie an sich, um da ihren Begebenheiten, ihrem Gefühle recht nachzuempfinden. Wie von einer Traumwelt ward sie von den dichten Schatten empfangen, ganz in der Ferne hörte sie leise Lieder gehn, tausendfarbige Schimmer hingen in Blumenkränzen oben in den dunkeln, zackigen Tannen. Adelheid war ihrer Erinnerungen nicht mehr mächtig, ihre Besinnung versank in den wunderbaren Erscheinungen, sie hörte kaum noch die leisen Tritte der Geisterwelt um sich her, den flötenden Gesang, der alle Blätter einschläferte, das Geplauder der Nachtigall, kaum sah sie noch die Regenbogenschimmer, den Mond und die glänzenden Quellen; sie wollte sich niederlegen und schlafen, um von ihren Empfindungen auszuruhn, als sie in der Ferne einen dunkeln Schatten wandeln sah; er kam näher; sie erkannte ihren Geliebten, nun war ihr Glück zum innigsten Gefühl geworden. Beide dankten in ihren Entzückungen der wohlthätigen Fee, Beide fragten sich erstaunt, wie sie dorthin gekommen. Die Königin kam jetzt zurück, sie sanken zu ihren Füßen nieder und flehten: O Gütige, da Du uns Deines Schutzes gewürdigt hast, so laß uns nun auch hier bleiben; wie werden wir von jetzt das Leben auf der Erde aushalten können? Laß uns in Deinem Glanze wohnen, diese liebe friedliche Luft einathmen, diese Lieder um uns spielen.

Nein, sagte die Fee mit der süßesten Stimme, Ihr müßt zurück, aber nach Eurem Tode treffen wir uns Alle hier wieder an. Ihr werdet auf der Erde, 209 in irdischen Träumen gefangen, Alles, was Ihr hier seht, für Traumgestalt halten, aber die Erinnerung dieser Empfindungen wird mit Euch gehn, und auf Euer ganzes künftiges Leben eine stille Heiterkeit verbreiten.

Sie schieden, und Löwenheim kam mit seiner Braut am Morgen zur Erde und zu seinem Schlosse zurück.



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