Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Der Kopf.

Unter solchen weisen Gesprächen hatten sie den Weg zurückgelegt, und Bernard bestellte den Ritter in der künftigen Woche wieder auf denselben Platz im Walde; dann zeigte er ihm den Weg nach seinem Schlosse.

Peter kam mit vielen neuen Gedanken auf seiner Burg an, er überdachte sein künftiges Schicksal, das er sich selber ausgewählt hatte. Er überlegte, ob er sich auch die rechten Loose ausgesucht habe, und war doch mit sich selber unzufrieden, wie denn der Mensch nie mit seinem Schicksale zufrieden ist, es mag ihn unvermuthet treffen, oder er mag es vorher wissen. Er ließ alle Güter des Lebens vor sich vorübergehn, und verwünschte am Ende die wunderliche Einrichtung 117 des menschlichen Verhängnisses, daß es dem armen Menschen nicht gegönnt sey, Alles durch einander und zu gleicher Zeit zu genießen.

Er war sehr unruhig und wartete mit vieler Sehnsucht auf den Tag, an welchem er den alten Bernard wiedersehn sollte; denn dieser hatte ihm versprochen, ihn zu der wunderbaren Frau zu führen, die eigentlich die Zügel seines Verhängnisses lenke. Er machte tausend Plane, er wünschte nichts so sehnlich herbei, als die Zukunft, um seine Feinde besiegt zu sehn, sein Gebiet vergrößert, seine Reichthümer vermehrt und seinen Ruhm durch das Land ausgebreitet. Wie viel Bilder entwickelten sich aus seinem Gehirne! Er vergaß in seinen Aussichten sein ganzes gegenwärtiges Leben.

Endlich erschien der bestimmte Tag. Ohne Begleiter ging er wieder nach dem Waldplatze, und fand schon den alten Bernard, der unter einer Eiche saß und auf ihn wartete. Sie gingen stillschweigend neben einander hin, und Peter war auf etwas Großes und Seltsames gespannt.

Sie verließen bald den großen Weg und gingen durch ein einsames Felsengewinde; sie kamen in eine Gegend, in der Peter noch nie gewesen war, steile Hügel lagen umher, einzeln Gesträuch war wild und unordentlich dazwischen gewachsen, kein Fußsteig führte durch das Labyrinth und man hatte keine Aussicht umher, sondern ging immer zwischen den Felsen hindurch, bald wie durch kleine Grotten und Hallen, bald stieg man wieder empor, bald senkte sich der Weg.

Jetzt standen die Wanderer vor einer schwarzen 118 Felsenmauer, vor der ein zottiger großer Hund lag und Wache zu halten schien. Bernard näherte sich, sprach einige unverständliche Worte und schmeichelte ihm, worauf sich der Hund freundlich spielend zur Erde niederwarf und aus Lustigkeit seinen schwarzen Pelz durcheinander schüttelte. Dann rührte der Alte die Felsenwand an und plötzlich zeigte sich dicht über dem Boden eine kleine Oeffnung; Bernard stieg hinein und Peter mußte ihm folgen.

Wie auf Stufen stieg man inwendig in die Dunkelheit des Felsens hinab, der Weg war naß und schlüpfrig und Peter hielt sich an dem kalten vorragenden Gestein in der Höhlung. Nach einer langen Wanderschaft standen sie in einem großen, geräumigen Saal, der aus Kristallen, Muscheln und glänzenden Steinen zusammengesetzt war; ein ungewisses röthliches Licht schimmerte herein und belebte die wunderbaren Gestalten der Felsen und Mauern, man konnte keine Oeffnung entdecken, durch die der Lichtstrahl in diesen unterirdischen Dom herunterzitterte. Wie kleine Quellen lief es die Wände hinab und unter dem Fußboden hinweg und dadurch erklang ein seltsames Getön, wie Harfensaiten, die vom Winde angerührt werden. Der singende Regen goß sich von allen Wänden herab und verschwand im Boden. Das unbegreifliche Licht und die wunderlichen Töne machten auf den Ritter einen seltsamen Eindruck.

Nach einer kurzen Ruhe ging Bernard weiter. Die Höhle schien weiter keine Oeffnung zu haben, und doch entdeckte sich jetzt ein Gang im Hintergrunde, der unermeßlich schien und ohne Gränzen, als Peter näher trat. Eine sonderbare Finsterniß, durch die einzelne 119 Lichtstrahlen zuckten, blendete ihn, und er konnte nur tappend, langsam und mit Mühe seinen Weg fortsetzen.

Plötzlich war es, als wenn er Wälder rauschen hörte, als wenn feine Stimmen von oben hereinfielen. Bernard stand still und sagte, daß es nichts als der Klang der Luft sey, die in solchen Tönen durch die unterirdischen Gemächer ziehe. Sie stiegen nun auf breiten Stufen aufwärts und traten in ein großes Gemach, das schöner als das erste mit Kristallen und Steinen ausgelegt war. Das Licht fiel durch eine große Glasthür, durch die man Felsen und blinkendes Gestein und nasses Moos wahrnahm. Peter war von der seltsamen Wanderung ganz betäubt, ihn setzte nichts mehr in Erstaunen, er überließ sich ganz seinem Führer und den Eindrücken der Gegenstände.

Wir müssen nur die Hausfrau aufsuchen, sagte Bernard und trat aus der Glasthür heraus. Peter folgte ihm. Die Felsenwand lag hoch und kraus dicht vor ihnen, sie stiegen zwischen den Steinen hinauf und standen nun in einem wunderlichen Thale, das von beiden Seiten mit schroffen, unermeßlich hohen Felsenwänden eingefaßt war, die blendend weiß da standen, und zwischen denen die Sonne herunterschien. Ein einsamer Wind wehte dazwischen und die großen Eichenwälder oben sahen von unten aus, wie kleines, kaum bemerkbares Moos, das grünlich auf dem Rande der Mauer schimmerte. Bernard zog ein Birkenblatt aus der Tasche und pfiff darauf so laut, daß der schneidende Ton kreischend durch das Thal hinlief und sechsfach wiederhallte. Plötzlich, ohne daß man begreifen konnte, wo sie her kam, stand eine kleine, 120 eingeschrumpfte, weißliche Figur vor ihnen, die sie freundlich grüßte und mit ihnen in das Gemach zurückstieg. Sie setzte sich in eine Nische und nahm eine Art von Scepter in die Hand. Was wollt Ihr? fragte sie dann mit einem schnarrenden Tone.

Bernard erzählte ihr nun, daß der vor ihr stehende junge Ritter Peter Berner sey, den sie schon immer geliebt habe und daß er sich jetzt den weiten und beschwerlichen Weg nicht habe verdrießen lassen, um sie näher kennen zu lernen. Die Alte wurde mit jedem Worte freundlicher, sie lobte den Ritter und versprach ihm viel Glück. Sie erzählte, daß sie eben jetzt auf der Jagd gewesen sey, die sie am meisten vergnüge, so theurer Gesellschaft wegen aber wolle sie ihren lustigen Zeitvertreib gerne aufschieben.

Peter dankte auf eine so galante Weise, als es ihm nur möglich war, er sagte ihr Schmeicheleien über ihre Schönheit, ihre vortreffliche Wohnung, über ihre Art sich auszudrücken, und die freundliche Alte war mit Allem sehr zufrieden. Sie sagte endlich: Aber wir wollen nur auf das eigentliche Thema unserer Rede kommen. Ich habe Euch, Ritter, nämlich rufen lassen, um Euch noch glücklicher zu machen. Ihr seyd tapfer und brav, aber es mangelt Euch Weisheit und Verstand; Euer Kopf ist geschickt, den Helm zu tragen und manchen Schwertstreich des Feindes auszuhalten, aber nicht klugen Rath zu ersinnen, und deswegen muß ich Euch darin beistehn. Ihr seyd jetzt jung und es steht vorauszusehen, daß Ihr mit den zunehmenden Jahren immer dummer werdet, denn Ihr habt eine unvergleichliche Anlage dazu.

121 Peter war im Begriff, böse zu werden, er nahm sich aber noch zusammen, um zu sehn, was aus dem Allen folgen würde.

Ihr habt Euch darum, fuhr die Alte fort, so ganz ohne Vernunft ein höchst elendes Unglück ausgesucht, und blos deswegen muß nun Euer ganzes Schicksal eine andre Richtung nehmen. Damit Ihr also in Zukunft nicht ähnliche Streiche macht, muß ich Euch einen Freund mitgeben, der für Euch denkt, da Euch diese Arbeit zu beschwerlich wird.

Sie schlug mit ihrem Stabe an die Wand, und sie that sich auf, wie ein Schrank. Bedächtig nahm sie einen kleinen bleiernen Kopf heraus und gab ihn Petern, der ihn mit Erstaunen betrachtete. Der soll Euch rathen, sagte die Alte; fragt ihn, so oft Ihr wollt, er wird der Antwort wegen nie in Verlegenheit seyn; er weiß immer vorher, was Ihr im Kriege zu thun oder zu lassen habt, er kennt jede Gefahr; hört daher auf seinen Rath und laßt ihn vor allen Dingen ein eignes verschlossenes Zimmer bewohnen, damit er nicht von Narren gestört und so sein Verstand unnöthigerweise verschwendet werde. Nehmt diesen goldenen Schlüssel; damit könnt Ihr die Thür verschließen, wo er wohnt, und wenn Ihr damit den Kopf berührt, wird er antworten.

Peter betrachtete den bleiernen Kopf genau und glaubte etwas Moquantes in seiner Physiognomie zu bemerken. Die Alte aber sagte, er solle sich dadurch nicht irre machen lassen, diesen spöttischen Zug hätten alle kluge Leute. Peter bedankte sich für den erhaltenen bleiernen Staatsminister und versprach, ihn in großen Ehren zu halten, ihn auch nicht gar zu oft 122 um Rath zu fragen, damit sich sein Verstand nicht etwa abnütze. Die Alte entließ ihn hierauf sehr gnädig.

Er trat mit seinem Führer, der indessen kein Wort gesprochen hatte, den Rückweg an; Beide waren stumm und Peter war nur besorgt, seinen rathschlagenden Kopf gesund und wohlbehalten aus den engen Felsengewinden herauszubringen. Der Rückweg war fast noch beschwerlicher, als der Hinweg; sie kamen endlich tappend und stolpernd in das klingende Gewölbe, und von da gingen sie die schmale und schlüpfrige Steintreppe hinauf. Endlich mußten sie still halten. Bernard klopfte laut an die Mauer; eine unfreundliche Stimme fragte: Wer da? Gut Freund, sagte der Führer, und der Hund, der die Stimme kannte, eröffnete den Felsen.

Sie standen wieder im Freien, der Hund war vergnügt, und nachdem ihm Bernard lange geschmeichelt hatte, brachte er den Ritter wieder nach dem Platz im Walde, wo sie sich getroffen hatten. Sie nahmen zärtlichen Abschied und Peter ging auf sein Schloß zurück.



 << zurück weiter >>