Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel.

Anfang der Geschichte.

Nichts ist gewöhnlicher, als eine Geschichte auf eine recht wunderliche Weise anzufangen; je verworrener sie gleich im Anfang ist, je interessanter. Man 96 darf erst gar nicht begreifen, wer wohl unter den auftretenden Personen der Held der Geschichte seyn könnte, sondern dieser entzieht sich unsern Augen auf die künstlichste Weise, und wechselt, wenn das Buch recht unterhaltend seyn soll, wie Proteus, in jedem Augenblicke seine Gestalt. Eben darum hat der Leser auch einen Pfiff erfunden, der gewissermaßen nöthig ist: er schlägt nämlich künstlicherweise die letzte Seite auf, und wird nun gewahr, wer der Held der Geschichte ist, ob er am Leben bleibt, und wen er heirathet; dadurch ist er nachher im Stande, sich über alle Finten des Verfassers hinwegzusetzen und ohne sonderliche Unruhe das ganze Buch zu Ende zu lesen. So sucht der Autor den Leser und der Leser den Autor zu überlisten, und der Letztere scheint nach meiner Meinung den Sieg davon zu tragen. Denn es giebt kein besseres Mittel, alle Verwickelungen und gespannte Situationen, alle Todesgefahren des Helden, und alle unübersteiglichen Schwierigkeiten gegen die Heirath zu verachten, als sich von der letzten Seite den Schlüssel zu allen Räthseln zu holen, und so das Buch zu lesen, um gewiß nicht erschüttert zu werden. Der Dichter mag dann den Leser mit noch so vieler Kunst in medias res versetzen, der Leser weiß doch, daß Alles nur Spaß ist, und daß er schon aus dem Ganzen, aus Plan und Anlage klug werden wird.

Ich habe keine solche künstliche Anstalten getroffen, weil ich gesonnen bin, die Gemüthsruhe des Lesers auf keine Weise zu stören. 97



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