Ludwig Tieck
Die sieben Weiber des Blaubart
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Mechthildens Geschichte.

Werd' ich ihn jemals wiedersehn? war der erste Gedanke, den Friederike am folgenden Morgen dachte. Aber wo? Wo ist die Möglichkeit? Er ist schon todt, und die ganze Folgezeit meines Lebens ist dürr und wüste; immer werd' ich ihn beweinen, aber nie sein tröstend Antlitz wiedersehn. – Wie? oder sollte er jetzt ein Gefangener meines Gemahls sein? Sollte dahin sein Gebot zielen, jenes Zimmer nicht zu betreten? Vielleicht liegt Ferdinand dort und schmachtet nach meinem Anblicke. Warum sollt' ich mich denn zurückhalten? – Aber er würde mir in diesem Falle den Schlüssel nicht selbst gegeben haben. – Ich weiß nicht, was ich denken, wie ich mir rathen soll. Ich muß es wagen. Und doch, – wenn ich nun dort seinen Leichnam finde, wenn alle Hoffnungen, alle Wünsche dort zerrissen zu meinen Füßen lägen, – o dieses beängstigte, schweraufathmende Herz! Nein, ich kann nicht mehr.

Sie irrte hin und her durch alle Gemächer, immer noch unentschlossen, ob sie das verbotene Zimmer mit dem goldenen Schlüssel eröffnen solle. Sie traf auf Mechthilden, und setzte sich zu ihr. Heute, fing sie an, heute, Mechthilde, erzähle mir Deine Geschichte, wie Du mir versprochen hast, denn ich bin grade in der Stimmung.

Viel läßt sich von meiner Geschichte nicht sagen, antwortete die Haushälterin, es ist die Geschichte von vielen tausend Menschen, die auch nach dem Glücke 161 strebten und im Kampfe unterlagen. Es ist etwas so Alltägliches, daß man gar nicht mehr davon reden sollte; es ist thöricht, sich über dasjenige zu verwundern, was sich von selbst versteht. Du bist heute in der Stimmung, zu hören, ich aber nicht, zu erzählen; wir wollen indessen den Versuch machen.

Mein Vater war kein Ritter, ich bin nur von bürgerlicher Herkunft. Von meiner Erziehung, von meinen Jugendjahren weiß ich Dir nichts zu sagen. Ein Tag verging wie der andre, dieselben Spiele, dieselben Gedanken kehrten wieder, die Zeit floß so unmerklich dahin, daß ich mich wunderte, als ich zusammenrechnete, und fand, daß ich schon sechszehn Jahr alt war. Einen Morgen werde ich nie vergessen, wenn auch Alter und Schwäche mein Gedächtniß einst matt machen und alle Erinnerungen ausbleichen sollten. Ich war gewohnt, immer früh aufzustehn, um die Blumen meines kleinen Gartens zu begießen. Wunderlich war's, daß ich an diesem Morgen weit früher munter war: es war im Sommer. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die frühe Lerche stieg empor, und jauchzte ihr fröhliches Lied, das sonderbar in meinem Herzen wiederklang. Ich kannte mich in der neuen seltsamen Empfindung nicht wieder, und stand noch so träumend, als das Morgenroth immer glühender und glühender ward, und nun der holdselige Tag selber emporstieg, von Flammen und Glanz getragen. Wie die schönste Entzückung fuhr es durch die ganze Natur hin, rothe Wolken küßten sich, und die goldenen Wiederscheine flimmerten in den hellgrünen Bäumen. Ganz in der Ferne schimmerten Birken, von der sanften Luft gefächelt, und mein ganzes Herz that sich den Strahlen 162 auf, wie die Blumen zu meinen Füßen. Wie freut' ich mich auf mein Leben! Wie dankt' ich dem Himmel inniglich für dies schöne frohe Daseyn! Ich fühlte mich zum ersten Male so ganz glücklich in der Welt, ich wünschte mir und allen Geschöpfen alles Gute, und konnte an Haß und Feindschaft, an Neid und Zwietracht gar nicht glauben. – O könnten wir dieses schöne Gefühl durch unser ganzes Leben behalten, wie selig würden wir seyn! Aber die menschliche Natur wickelt sich aus diesem Gefühl wieder heraus, um dann in todter Dürre zu verschmachten.

Ich konnte nicht begreifen, wie sich mein Gemüth verändert hatte. So wohl mir war, so war ich doch still und nachdenklich; ich ging im einsamen Walde spazieren, und suchte den dichtesten Schatten, um mich tief in den Abgrund meiner Empfindungen zu versenken. Es war, als wenn wohlwollende heilige Geister mir zur Seite gingen, und leise von uralten, längst vergangenen Dingen sprächen, und dadurch in mir die tiefsten Ahndungen weckten. Plötzlich ward ich in meinen Träumen gestört; am Rande eines kleinen Bachs lag ein Jüngling und schlief, sein Schwert lag neben ihm im Grase. Er war noch sehr jung, seine Brust hob sich sanft, seine Wangen waren mit dem schönsten Roth gefärbt, über das der grüne Waldschatten hin und her zitterte. Ich stand und betrachtete ihn lange, ich konnte nicht wieder umkehren, ich sah ihn und sah ihn auch nicht, alle meine Besinnung war wie in eine tiefe Ferne geworfen. Endlich ging ich. Die Bäume traten zwischen uns und verdeckten mir seinen Anblick. Ich stand wieder still. Wie, wenn ihn jetzt eine Schlange stäche? sagt' ich 163 zu mir selber, und ich könnte ihn von dem tödtlichen Wurme erretten! Ich kehrte zurück, und er schlief noch wie vorher, keine Schlange ließ sich merken.

Ich mußte aber nach Hause gehn. Wie unruhig war ich in den engen Wänden unserer Wohnung! Wie widrig war mir jedes Geschäft! Ich fuhr zusammen, wenn mein Vater durch einen Zufall meinen Namen nannte, mir war, als hätte ich etwas Außerordentliches, ja Entsetzliches zu fürchten.

Nach kurzer Zeit ward mein Vater mit einem fremden Edelmanne bekannt, den er auch bald in unser Haus führte. Wie erschrak ich, als es derselbe war, den ich im Walde gesehn hatte! Nun standen die geliebten Augen offen, die verschlossen waren; wenn er mich ansah, wußte ich mich vor Verwirrung nicht zu lassen. Wie liebt' ich ihn! Ich hätte etwas thun mögen, um es ihm zu zeigen, ihn aus einer Gefahr erlösen, seinetwegen Schmerzen dulden.

Wir wurden bald mit einander bekannter, und es war meine größte Wollust, mit jedem Tage vertrauter mit ihm sprechen zu dürfen, ihm Alles zu sagen, was ich dachte und empfand. Er war so gut, er kam mir mit jeder Stunde liebenswürdiger vor; o ich hätte mein Glück mit keiner Königin ausgetauscht.

Laß mich nun davon schweigen, wie ich mich vergaß, und schwach, nur allzu schwach wurde, und wie er diese Schwäche mißbrauchte. Meine unschuldige Liebe war verschwunden, ich fühlte mich schwanger, und war in Todesangst, was mein Vater sagen würde. Seinem Zorne auszuweichen, wär' ich gern gestorben; es kostete mir daher nicht viel Ueberwindung, zu 164 entfliehen, das väterliche, mir so bekannte Haus auf immer zu verlassen.

Ich wohnte in einer einsamen Hütte, mein Gatte besuchte mich täglich, von meinem Vater hatte ich keine Nachrichten. Ich ward Mutter. O wie gut war ich damals! Wenn ich jener Zeit gedenke, – ach! muß es denn Alles so vorübergehn, was in uns ist – darf nichts zurückbleiben?

Plötzlich verließ mich mein Geliebter, ich hoffte mit jedem Tage, er sollte zurückkehren, an jedem Tage glaubt' ich, nun müßte er kommen; oft hört' ich ihn reden, oft vernahm ich den Klang seiner lieben Stimme. Ich Unglückliche täuschte mich selber, eben so, wie er mich getäuscht hatte.

Mein Kind lächelte mich an, und sah ihm so ähnlich, aus jedem Zuge redete Er zu mir. Ich konnte mich nicht mehr lassen. Ich machte mich auf, und durchstreifte die ganze Gegend; hier, dacht' ich oft, in diesem Hause muß er sein, und er war nicht dort. Ich hörte endlich, er habe sich verheirathet, er lache meiner und spotte über meine Schwäche. Erst konnt' ich es nicht glauben, aber es war wirklich. Nun gab ich mich verloren, ich verachtete mich von dem Augenblicke; alles Edle und Große schien mir Erdichtung, alle Schönheit Traum, ich sah die nackte Erde vor mir, alles Schmucks beraubt.

Ich war der Gegend nahe, in der mein Vater wohnte. Unwiderstehlich trieb mich ein wehmüthiges Gelüste, die Stellen wieder zu besuchen, wo ich als Kind gespielt hatte. Ich sah sie wieder, aber Alles kam mir so verändert vor. Ich ließ mir einfallen, in mein väterliches Haus zu treten; alles Geräth war 165 anders gestellt, meinen Vater fand ich sehr krank im Bette. Er kannte mich anfangs nicht, und erhob ein entsetzliches Geheul, als ich mich zu erkennen gab; er verwünschte und segnete mich; bald schloß er mein Kind in die Arme, bald stieß er es wüthend zurück; mein ganzes Herz ward zerschmettert. Mein Vater starb noch an demselben Tage.

Bald nachher verlor ich auch das Kind, und ich glaubte nun ganz von der Welt getrennt zu sein; ich wünschte zu sterben, und dachte, der Tod wäre mir nah. Aber bald empfand ich in meinem Herzen die elende Lust nach dem Leben, um morgen und morgen wieder die Luft des Himmels einzuziehn. Ich wünschte mir jene todte Gefühllosigkeit wieder zurück, die mich angefallen hatte; aber aller Muth, alle Größe des jugendlichen Leichtsinns war in mir untergegangen. So trieb ich mich denn auf und ab, war bald hier, bald dort, ich flehte das Mitleid meines ehemaligen Geliebten an, aber er wollte mich nicht wieder kennen.

Mir war es gleichgültig, wie ich lebte, wenn ich nur mein Leben davon trug. Ich lernte einige junge Ritter kennen, die mir sagten, daß sie mich liebten; ich that, als wenn ich ihnen glaubte. Bei allen traf ich dieselbe niedrige Gesinnung. Ich glaube, daß der Mensch so seyn muß, und darum bin ich eben so geworden.

Jetzt hab' ich mich darein gefunden, und mir ist wohl, wenn man es so nennen will. So bin ich endlich in die Dienste Deines Mannes gerathen, und ich denke auf diesem Schlosse zu sterben, wenn er mir die Ruhe hier gönnt. Er ist einfältig genug, so daß er beinahe gut ist.

166 Träume ängstigen oft meine Seele. Dann sehe ich meinen Vater, und was noch schrecklicher ist, im innersten Herzen erleb' ich oft die Empfindungen meiner frühen Jahre wieder. O wie ich mich dann vor dem Erwachen fürchte! – Doch Alles ließe sich noch ertragen; aber eine Erinnerung, eine, die letzte, die sich nie aus dem Gedächtnisse weglöschen läßt, selbst wenn ich froh bin oder arbeite, – nein, ich kann es nicht sagen.

Sie stand plötzlich auf, und ging fort. Friederike sah ihr erstaunt nach.

Friederike dachte wieder an ihren Geliebten. Wenn er in dem Zimmer wäre! sagte sie zu sich. Und was wag' ich denn, wenn ich hineingehe, da ich das Mittel in Händen habe, es zu erfahren? Mein Leben höchstens. Nun wohl, so werd' ich denn dieser drückenden Bürde los. Ich gewinne in jedem Falle. Welche Furcht kann mich also noch zurückhalten?

Als es Abend geworden war, nahte sie sich der verbotenen Thür und schloß sie leise und mit Vorsicht auf. Sie erstaunte, als sie hineintrat und ein leeres Gemach fand. Sie ging mit dem Lichte hin und her, und Alles war leer. Die Wand war von bunten, wunderbaren Tapeten bekleidet, die rothe Farbe und das Gold darauf schillerte, indem sie die Leuchte vorübertrug, und die grotesken Figuren schienen Leben und Bewegung zu bekommen. Es waren alte biblische Geschichten, von Schlachten und Verhören, die hier dargestellt waren; die häßlichsten Umrisse hoben sich durch die grellsten Farben heraus, und ein König David sah mit einem unwilligen, fürchterlichen Blicke nach Friederiken hin.

167 Sie erzitterte und spottete wieder selbst über ihre ungereimte Furcht; denn sie sah recht gut ein, daß sich im Zimmer gar nichts befand, wovor sie sich entsetzen könnte. Aber wider ihren Willen entwickelten sich die frühsten Erinnerungen aus den fernsten Kinderjahren, alle jene Schreckgestalten näherten sich, und wollten sich aus dem Nebel herausarbeiten, der sie umdämmerte und nur dadurch desto entsetzlicher machte. Zitternd setzte sie das Licht auf den Boden nieder, und konnte es nicht lassen, den furchtbaren David noch genauer zu betrachten, und sich noch inniger vor ihm zu entsetzen. Alle seine Züge wurden noch wilder und lebendiger, und wie ferne, bekannte und unbekannte Stimmen fing es an, hinter der Wand zu reden. Nun blickte sie nach ihrem Schatten um, der aufgebäumt an der Wand gegenüber stand. Schnell sah sie wieder zurück, und erwartete mit jedem Augenblicke, daß der alte König aus seiner Tapete heraustreten würde, und sie anreden, um Alles wissen und etwas Wunderbares und furchtbar Unverständliches dazu sagen.

Sie stand noch immer fürchtend da, und suchte den gräulichen Erinnerungen zu entfliehen, den Gestalten zu entkommen, die sie wie mit gräßlichen Spinngeweben umzingelt hatten, als sich die Thüre des Gemaches öffnete, und Peter Berner hereintrat.

Friederike fuhr vor dieser Gestalt mehr zusammen, als sie vor einem Gespenste würde gethan haben. Peter schien sich nicht zu wundern, eine kalte, entsetzliche Wuth hatte sich seiner ganzen Gestalt bemeistert. Friederike schrie laut auf und sank in Ohnmacht nieder; als sie sich erholte, sah sie sich in den Armen Peters und das entsetzliche Gesicht mit der 168 schneidenden Kälte, das auf sie herunterblickte. Sie sank zu seinen Füßen nieder und umfaßte sie weinend, und bat um Gnade; aber Peter war unerbittlich, er hatte sein Schwert in der Hand und sagte ihr, daß sie sterben müsse. Friederikens Sinne waren in der größten Verwirrung und Kampf; sie konnte sich als eine Verwirrte nicht zu sich und zum Leben zurückfinden, alle Gestalten standen starr und unbeweglich vor ihren Augen, alle Schrecken kamen näher, alle Hoffnungen nahmen auf ewig Abschied. Noch nie als in diesem schrecklichen Augenblicke hatte sie es lebhaft empfunden, was das Wort Tod bedeuten wolle; sie hatte es so oft ausgesprochen und viel dabei gedacht, aber noch nie, nie das Wunderentsetzliche dieses Begriffes gefühlt.

Sterben? rief sie aus. – O warum sterben? Ist es nicht genug, daß mein ganzes Leben geschlachtet ist, soll ich selber auch noch dem Tode geopfert werden? – O Gott! wenn Du mich jemals geliebt hast, so vergieb mir; wenn Du jemals Deinen Eltern oder Geschwistern wohlgewollt hast, so laß es mir verziehen seyn; ja, wenn Dich nur ein Trunk in einer heißen Stunde, die Ruhe nach einem arbeitsamen Tage so recht erquickt hat, wie es den Menschen freut, o so gedenke nur an diese Stunden zurück, und sey auch menschlich gegen mich. Du hast dieselben Wünsche, die auch meinen Busen anfüllen, Dein Herz schlägt wie das meinige. Solltest Du mich dennoch Deinen wilden Grimm empfinden lassen, den ich nicht verdiene? O ich will nichts von Dir bitten, Du sollst mir nichts gewähren, nicht Geschenke, Theilnahme oder Liebe; nur laß mir dieses letzte, einzige Leben, über das Dir keine Gewalt gegeben ist. – Sieh, wie ich 169 elend bin, daß ich um mein Leben, als das einzige Gut bitten muß, das mir übrig geblieben ist.

Peter antwortete nicht und stand kalt und gefühllos da, und glich den bunten, abgeschmackten Bildern der Tapete.

Hast Du noch in keiner Stunde gefühlt, fuhr Friederike fort, wie sehr Du Dein Leben liebst? Wie innig der Wunsch der Selbsterhaltung Dir an die Seele geheftet ist?

Warum hast Du mein Gebot übertreten? rief Peter wüthend aus.

Und willst Du deswegen, sagte das geängstigte Geschöpf, jenes Gebot übertreten, welches Dir verbietet, kein Blut zu vergießen? Ach, die Reue kriecht doch einmal dem armen Menschen nach, wenn ihr Schritt auch noch so langsam ist; aber dann ist es zu spät. Dann wirst Du nach mir zurücksehn; dann wirst Du gern die jetzige Stunde zurückrufen wollen, um Alles ungeschehn zu machen; aber dann ist es unmöglich. Dann steht mein armes Bild vor Deinen verwirrten Augen, die Rache donnert von oben, und jedes Bewußtseyn entgeht Dir; nur die Erinnerung Deiner Schuld bleibt bei Dir zurück, um Dich zu peinigen. – Ist es nicht besser und kürzer, daß Du Dich meiner erbarmst, als daß Du nachher ein langes und qualenvolles Leben hinter Dir schleppst?

Halt ein mit Deinem Geschwätz, antwortete Peter grimmig, Du mußt nothwendig sterben, denn es ist mein Gelübde so.

Friederike hob sich vom Boden auf und sich ihn eine Weile stillschweigend an. Dann fuhr sie mit einem gräßlichen Tone auf: Nun so thu, vollbringe 170 Deinen Willen und ende mit mir. Ich denke eben jetzt daran, daß das Leben mir auch gräßlich ist, weil Du darin lebst und es verwüstest, und so viele Menschen Dir ähnlich sind. Da ich nun einmal sterben muß, so kümmert's mich auch nicht weiter, denn endlich, endlich muß ja doch die letzte Stunde herangeschlichen kommen, der ich nur jetzt, jetzt in diesem Momente ausweiche. Ich stehe auf dem letzten schmalen Ecksteine der Zeit, und stürze dann in den dunkeln Abgrund hinunter. Ich kann nicht anders, und ich biete Dir also Trotz, Dir und mir zugleich. Halte Dich aufrecht, mein Gemüth, und höre Du mich, Ferdinand, jetzt werden wir uns wiedersehn. Diese Hoffnung nehm' ich als ein großes Reisegeld mit mir. Du, Grausamer, fahre hin, fühle noch jetzt meinen Abscheu, und wie ich Dich von Grund meines Herzens verachte.

Peter wurde noch wüthiger und stieß ihr den Degen in die Brust, so daß sie sogleich todt niedersank.

Plötzlich rührte sich die Tapete, als wenn sie von einem Winde hin und her bewegt würde. Es arbeitete drinnen und emsige Stimmen redeten durcheinander. Ferne Instrumente klangen und kamen mit ihren wunderlichen Tönen immer näher und näher. Peter stand still, und wußte nicht, was aus dem Allen werden wollte.

Die Figuren im Teppich wurden größer, und wuchsen immer mehr vor seinen Augen. Plötzlich knisterte es, so wie wenn eine Kohle aus dem Feuer springt, und alle Helden des alten Testaments schritten mit lebendigen Beinen aus der alten Tapete heraus, die Bedienten und Kriegsknechte folgten ihnen, 171 und der Saal, der sowohl in den Linien als Luftperspectiven nur schlecht gemalt war, blieb allein und leer zurück. Alle Figuren schwebten um den erstaunten Peter her, der nicht wußte, was er mit der seltenen Gesellschaft beginnen sollte. In der Verlegenheit grüßte er Jeden, und kaum hielten es einige Bedienten und Mohren der Mühe werth, ihm zu danken.

David stellte sich vor ihn hin und neben ihm Tobias mit seinem Hündlein, und alle Drei schüttelten sehr ernsthaft mit dem Kopfe. Peter war überzeugt, daß er die Tapeten, wenn sie gleich moralischen Inhalts waren, doch nicht dazu gekauft hatte, daß sie ihm den Text lesen sollten; er bezeugte ihnen daher auch nicht überflüßigen Respekt, sondern verließ sich im Nothfall auf sein gutes Schwert, das er in der Hand hielt.

Das bunte Gefolge ging in Zauberkreisen um ihn her, die Gewänder und goldenen Spangen schimmerten vor seinen Augen, und er bemerkte es deutlich, wie dem großen Saul öfter auf den nachschleppenden Mantel getreten ward. Am meisten fiel ihm der schöne Helm eines Kriegsknechts in die Augen, der hell und kriegerisch aussah und nach welchem er endlich ein inniges, unbegreifliches Begehren verspürte. Er war eben daran, den Knecht darum anzusprechen, als sich das ganze Gefolge wieder in die gewöhnliche beschränkte Lage zurückzog und als bloßes Gemälde an der Wand figurirte. Der Ritter tröstete sich damit, daß er am folgenden Tage mit eigenen Händen dem Soldaten den schönen Helm vom Kopfe herunterbrechen wollte. 172



 << zurück weiter >>